Die Schreibentwicklung im Fokus
Das Konzept der "Schreibkonferenz" (writing
conference), das man dem
schrittweisen kooperativen Schreiben (Interactive writing) oder
teilweise kooperativen Schreiben zuordnen
kann, geht auf den britischen Grundschullehrer und späteren Professor an
der
University
of New Hampshire/USA
Donald H. Graves
(1930-2010)
(1983) zurück. In seiner schulischen Praxis stellte er fest, dass
Kinder die unbekümmerte Schreibhaltung, die sie am Schulanfang
mitbringen, im Zuge der Zeit verlieren, weil sie spüren, dass ihre
Schreibleistungen in Rechtschreibung, Satzbau und Zeichensetzung) mit
den Konventionen der Erwachsenenwelt noch nicht mithalten können. (vgl.
Graves 1986,
S.135)
Vertrauen in die eigenen
Schreibfähigkeiten entwickeln oder zurückgewinnen
Die Rückgewinnung des Vertrauens in die eigenen
Schreibfähigkeiten im Rahmen der persönlichen
Schreibentwicklung in
einem die Autonomie des Schreibenden stärkenden Prozess stellt das
wichtigste Ziel der schreibdidaktischen Überlegungen von Graves dar.
Schreibkonferenzen gehören inzwischen zum Repertoire schreibdidaktischer
Konzepte im Deutschunterricht. So wird z. B. in den »Richtlinien
für schulische Lehr-/Lernprozesse in der Sekundarstufe II im Fach
Deutsch (1999) des Landes Nordrhein-Westfalen auf die besondere Eignung der Schreibkonferenz für
das "Schreiben
als Teamarbeit" ausdrücklich hingewiesen.
Ein langfristig angelegtes
Methodenkonzept
Das Konzept der Schreibkonferenz (writing conference) als Form des
schrittweisen kooperativen Schreibens (Interactive writing)
unterscheidet sich grundlegend von der an »Thomas
Gordons (1918-2002) zur Konfliktlösung im Alltag ( »Gordon-Modell)
orientierten
Lehrer-Schüler-Schreibkonferenz
(teacher-student writing conference), auch wenn beide zu den Formen einer
förderlichen Begleitung von Schreibprozessen zählen.
Wie bei vielen anderen kooperativen Arbeitsformen dürfen die Erwartungen
an den sofortigen Erfolg des Verfahrens im Hinblick auf die angestrebte
Textoptimierung und die Weiterentwicklung individueller
Schreibfähigkeiten aber nicht zu hoch angesetzt werden.
Wie sonst auch
benötigt das seine Zeit und fußt dazu auf einer Reihe von
Voraussetzungen. So sind auch Schreibkonferenzen "als
ein langfristig angelegtes Methodenkonzept" (Fix 2006/2008,
S.178, Hervorh. d. Verf.), das Schülerinnen und Schüler auf die Dauer
befähigen hilft, ihre Schreibhandlungen auf der Grundlage
metakognitiver
Fähigkeiten beim individuellen Schreiben selbst in allen Phasen zu
reflektieren und zu kontrollieren.
Schreibkonferenzen erfolgen
meist in mündlicher Kommunikation
Schreibkonferenzen sind im Allgemeinen konversationell
angelegt, d. h. der Austausch über das von einem Teammitglied
Geschriebene im Rahmen des
Peer-Feedbacks erfolgt im Allgemeinen in mündlicher Kommunikation.
Dabei kann die Textpräsentation nur mündlich, nur schriftlich oder auch
in einer Kombination von Mündlichkeit und Schriftlichkeit erfolgen.
-
Bei einer
nur mündlichen
Textpräsentation sind die Rezipienten nur Zuhörer und keine
Leser. In diesem Fall steht im allgemeinen die
Verständlichkeit des
Textes im Mittelpunkt des Peer-Feedbacks, wobei aber durchaus auch
der eine oder andere sprachliche Fehler entdeckt werden kann.
-
Erfolgt die
Textpräsentation nur
schriftlich, dann können sich die Teammitglieder zu allen
kritischen Punkten (Inhalt, Sprache, Aufbau, Stil etc.). Allerdings
gehen die Äußerungen aus verschiedenen Gründen oft nicht über
Bemerkungen und Hinweise zur Textoberfläche (Rechtschreibung,
Zeichensetzung, Satzbau etc.) hinaus. Können die Feedback gebenden
Teilnehmer der Schreibkonferenz dagegen auf Checklisten oder
Kriterienkataloge zurückgreifen, kann es zu einem
schematischen Abarbeiten der Punkte führen, ohne dass sich die
Teammitglieder wirklich
auf den Text einlassen. (vgl. Fritzsche
2005, S.30)
-
Die Textpräsentation könnte indessen auch in
einem zweistufigen Verfahren
zunächst mündlich,
dann schriftlich mit oder ohne entsprechende
Kriterienkataloge erfolgen.
Das mündliche Peer-Feedback
muss nicht rein spontan erfolgen
Das mündliche
Peer-Feedback in einer Schreibkonferenz muss nicht unbedingt
spontan sein. Es ist durchaus möglich, das Peerfeedback vorzubreiten. So
kann man z.B. Kriterienkataloge vorher erarbeiten und mit diesen in der
Hand Feedback geben. Andere Möglichkeiten sind n z. B.
Fragelawinen
oder Textlupen
und Checklisten, die man am besten gemeinsam vorher erarbeitet.
Lehrkräfte müssen sich
keineswegs völlig heraushalten
Die
Lehrerrolle im
Rahmen von Schreibkonferenzen lässt sich trotz des Ziels, den
schreibenden Schülerinnen und Schülern die Kontrolle über ihren
Schreibprozess im Sinne der Autonomiestärkung zu überlassen, nicht
generell festlegen.
Auch wenn sich die Lehrkraft in Schreibkonferenzen
tendenziell im Hintergrund halten wird, ist es angesichts der hohen
Anforderungen, die Schreibkonferenzen an
die Schreiber und die Feedback gebenden Rezipienten in ihrem
Rollenwechsel stellen, notwendig, dass die
Lehrpersonen "didaktisch reflektiert von Fall zu Fall handeln." (Baurmann
2002/2008. S.107)
So kann es durchaus hilfreich, mitunter so gar
nötig sein, dass sich die Lehrperson in die
Interaktionen
einer Schreibkonferenz einschaltet, um entweder ungeklärte Fragen zu
beantworten oder aber bei Beziehungsproblemen im Rahmen des
Peer-Feedbacks zu intervenieren. (Tipps
zur Lehrerrolle, - zur Gruppendynamik)
Schreibberatung durch die
Lehrkraft aber nur unter bestimmten Umständen
Voraussetzung für die zusätzliche
Schreibberatung durch den Lehrer als Experten ist,
dass die Mitglieder einer Schreibkonferenz die ihnen zur Verfügung
gestellten Hilfsmittel im Rahmen ihrer erworbenen fachlichen und
methodischen Kompetenzen zur Klärung ihrer Schreibprobleme ausreichend
herangezogen haben. (vgl.
Lehrer-Schüler-Schreibkonferenz)
Die Lehrkraft sollte sich in anderen Fällen zurückhalten.
Experten-Rückmeldungen am
besten schriftlich mit dem Rückmeldeformular
Ist ein Experten-Rückmeldesystem in den Schreibkonferenz-Prozess
integriert, sollte die Anforderung der zusätzlichen Schreibberatung
durch die Lehrperson oder auch einen "Schülerexperten" an bestimmte
Voraussetzungen geknüpft sein.
So sollten die Schreiber z. B. ein
standardisiertes Rückmeldeformular
verwenden (Rückfragekarte), das neben
allgemeinen Angaben zur Schreibkonferenzgruppe, zur Schreibaufgabe und
zeitlichen Angaben, das Schreibproblem benennen (identifizieren) und
beschreiben (diagnostizieren) muss und Hinweise zur Überarbeitung geben
(revidieren) (vgl.
ebd.,
S.106f.)
Im Allgemeinen sollte es folgende drei Punkte umfassen:
-
die genaue
Angabe der Textstelle (Wort, Satz, Textabschnitt)
-
die
Formulierung einer/oder mehrerer Fragen dazu bzw. zum Schreibproblem
-
die
Darstellung eines konkreten Lösungsvorschlages
(vgl.
Fix 2006/2008,
S.174)
Jeder/ je muss immer die
Rolle wechseln
Bei einer Schreibkonferenz arbeiten mehrere Schülerinnen
und Schüler in einer Schreibkonferenzgruppe zusammen.
In der
Schreibkonferenz stellt jedes Gruppenmitglied den anderen
seinen Text vor und agiert einmal als Schreiber (Feedbacknehmer) und je
nach Gruppengröße mehrmals als beurteilender und kommentierender
Rezipient (Feedbackgeber). Nichtzuletzt dieser ständige
Wechsel zwischen individuellem Produzieren des eigenen Textes und dem
kooperativen Austausch über die jeweiligen Textentwürfe ist es, was
die Schreibkonferenz zu einem sehr effizienten Mittel der individuellen
Schreibentwicklung und Schreibförderung macht.
Gruppenmitglied 1 als Textproduzent und Feedbacknehmer |
Gruppenmitglied 1 als Textrezipient und Feedbackgeber |
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Ein Schreiber/eine Schreiberin verfasst einen Text bzw.
einen Textteil eines größeren Textes.
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Dieser Text wird den Schreibkonferenzmitgliedern zur
Kenntnis gebracht und von diesen unter inhaltlichen und
sprachlichen Gesichtspunkten, sowie im Hinblick auf die mit
dem Text verfolgten Schreibziele in einem
Peer-Feedback
kommentiert.
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Der
Schreiber/die Schreiberin entscheidet darüber, welche der
von den Gruppenmitgliedern gegebenen Hinweise er zur
Überarbeitung seine Textes nutzen will und führt die
entsprechenden Textrevisionen aus.
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Jede Schreibkonferenz
gliedert sich in mehrere Teilkonferenzen
Die Durchführung einer Schreibkonferenz gliedert sich
also in mehrere Teilkonferenzen.
Diese stellen die jeweilige
persönliche Schreibkonferenz jedes einzelnen Gruppenmitglieds
dar, das seinen Text bzw. Textentwurf zur Beurteilung durch die anderen
Mitglieder in "seine" Schreibkonferenz einbringt.
Bei einem schrittweisen kooperativen Schreiben
kann der Schreibkonferenzprozess natürlich auch mehrere persönliche
Schreibkonferenzen umfassen, wenn z. B. in Verfolgung einer bestimmten
den Schreibprozess zerlegenden Schreibstrategie
bestimmte
Textteile als
Schritt-für-Schritt-Schreiben,
als
Textteile-Schreiben oder
sogar als
Schreiben-nach-dem-Puzzle-Prinzip
angegangen werden.
(Beispiel:
Schreibkonferenz freie Problem- und Sacherörterung )
» Voraussetzungen eines gelungenen Peer-Feedbacks
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
11.01.2024 |