Der Linguist Gisbert Keseling (2004, S. 170)
schlägt vor, zwischen (Schreib-)Strategien und Strategietypen zu
unterscheiden.
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Strategien sind danach "die bei einem Autor feststellbaren
Merkmalkombinationen (...) unabhängig davon, ob eine gleiche oder
ähnliche Kombination auch noch beim Schreibverhalten anderer Autoren
vorkommen oder nicht, und auch unabhängig davon, ob sich die
jeweilige Merkmalkombination signifikant von den Kombinationen im
Schreibverhalten anderer Autoren unterscheidet"
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Strategietypen bilden dagegen
statistisch nachweisbare große Gruppen von Autoren, "die gleiche
oder ähnliche Merkmalkombinationen" aufweisen und die sich in
Abgrenzung von anderen Strategietypen mit anderen
Merkmalkombinationen "signifikant voneinander unterscheiden"
Es kommt auf die Nuancen an
Strategien und Strategietypen werden sollen nach Keseling keine
starren Schemata darstellen, sondern ihre jeweilige Ausprägungen
stehen unter dem Konstrukt der
Prototypikalität.
Dementsprechend will Keseling, dass sowohl Strategien und auch
Strategietypen "nicht als Bündel von positiv oder negativ
gekennzeichneten Merkmalen" beschrieben werden. Stattdessen komme
es darauf an, stets eine graduellle Ausprägung bestimmter Merkmale auf einer Skala von 0 bis 5
vorzunehmen, oder zumindest Extrempositionen und mittlere Positionen
voneinander zu unterscheiden.
Die graduelle und damit quantitative Zuordnung des Schreibverhaltens
eines
Autors zu einem bestimmten Strategietyp darf nach Keseling also nicht
voreilig und schematisch erfolgen. Aus diesem Grund schlägt er vor, "die
Schreibstrategie eines jeden Autors (...) nach dem folgenden Schema" zu
spezifizieren, bei dem die "jeweiligen Merkmalpaare als Extremwerte zu
lesen sind, zwischen denen sich eine breite Übergangszone befindet" (ebd.,
S.171)
Im Schreibprozess eine Vorstellung vom eigenen Text gewinnen
Für Keseling (2004, S. 169) steht die Konzeptbildung, also die
Frage, wie zusammenhängende Texte beim Schreiben entstehen, im Zentrum
seiner Überlegungen zu Schreibstrategien.
Von grundlegendem
Interesse sind für ihn dabei die folgenden Fragen:
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"Mit Hilfe welcher
Strategien produzieren Schreiber einen zusammenhängenden Text oder
Textteil?"
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Bilden diese
Strategien "so etwas wie ein Konzept, machen sie sich also einen
Plan, in dem sie unter anderem festlegen, was ihr Text ungefähr
enthalten soll und welche Aktivitäten dabei voraussichtlich
auszuführen sind"?
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Wenn sie das tun:
"wie lässt sich dieses Konzept beschreiben?"
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"Wie ist bei den
untersuchten Schreibprozessen das Verhältnis von Vorabplanung
und Planung während der Schreibphase?" (ebd.,
S.139)
Im Gegensatz zu Ortner (2000),
der die Schreibgewohnheiten und Schreibreflexionen von Schriftstellern
untersucht, hat Keseling dies bei Wissenschaftlern getan. Während jener
also Schreibstrategien beim Scheiben fiktionaler Texte im Fokus hat,
sind es bei diesem Schreibstrategien beim Schreiben
wissenschaftlicher Texte.
Was sind eigentlich Schreibkonzepte?
Konzepte sind in diesem Zusammenhang Vorstellungen über die
Gesamtgestalt des Textes, der geschrieben werden soll.
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Ganz allgemein
ist darunter "das Bild von einem geschlossenen Ganzen" (ebd.,
S.104) zu verstehen, eine Vorstellung darüber, wie der Text als Ganzes
aussehen könnte.
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Ortner (2000, S.159, zit. n.
ebd.) spricht
in diesem Zusammenhang in Anlehnung an die »Gestaltpsychologie von
"Vorgestalten" als mentalen Konstrukten, die erst beim Schreiben
selbst zu einer den Autor befriedigenden guten Textgestalt entwickelt
werden.
Gute und schlechte Vorgestalten
Während Ortner offenbar davon ausgeht, dass "Vorgestalten" nie
die gute Textgestalt repräsentieren können, weil sie keine
Geschlossenheit erlangen können, geht
Keseling (2004,
S.106) davon aus, dass es gute und schlechte Vorgestalten gibt.
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So
bezeichnet er Vorgestalten als gut, "wenn das Bild, das sich der Autor
von dem zu schreibenden Text gemacht hat, eine gute Vorgestalt
repräsentiert, wenn der Autor sich also einen Text vorstellt, der gut
gestaltet ist und in etwa ausdrückt, was der Autor darzustellen
beabsichtigt und der in der vorgesehen Zeit schreibbar ist."
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Schlecht
seien hingegen Vorgestalten, denen mindestens eine der vorgestellten
Eigenschaften fehle. Dabei müsse man aber auch berücksichtigen, dass es
eine "breite Übergangszone mit Vorgestalten" gebe, "die in einiger
Hinsicht gut und in anderer Hinsicht eher schlecht sind usw." (ebd.)
Wenn man gute wie schlechte Vorgestalten annimmt, dann ist natürlich
auch die Folgerung nicht von der Hand zu weisen, dass
auch Vorgestalten
denkbar sind, die besser sind als die Textgestalt am Ende des
Schreibprozesses, "da nur gedachte Gestalten noch frei sind von den
nicht beabsichtigten, in der Regel aber unvermeidbaren
Unregelmäßigkeiten der realisierten Gestalt." (ebd.)
Aber natürlich ist, wie er weiter betont, auch der umgekehrte Fall
denkbar, dass aus schlechten Vorgestalten im weiteren Schreibprozess
gute Gestalten werden können.
Schreibkonzeptbildung beim, während oder nach dem Schreiben
Für
Keseling vollziehen sich bei der Konzeptbildung, ähnlich wie bei
Molitor-Lübbert 1985-2002 mit ihrer Unterscheidung von
Bottom-up-
und Top-down-Schreiben,
Planungs- und
Reflexionsprozesse beim, während oder nach dem Schreiben.
Man kann drei verschiedene Formen der Konzeptbildung unterscheiden
Sie geben die
Leitmerkmale vor, die drei verschiedene Formen der Konzeptbildung fundieren:
Merkmale der Vorab- und Im-Nachhinein-Planung
Die Vorab- und die
Im-Nachhinein-Planung weisen nach
Keseling (2004,
S.169) folgende Merkmale auf, die jeweils inhaltlich und logisch
zusammenhängen:
Vorabplanung
(Vorabkonzeptbildung) |
Im-Nachhinein-Planung
(Konzeptbildung nach dem Schreiben) |
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Schreibkonzeptbildung und erörterndes Schreiben
Die Überlegungen Keselings sind für schreibdidaktische Überlegungen im
Zusammenhang mit schulischen Schreibformen/Schreibaufgaben von hoher
Relevanz.
Denn die Vorauskonzeptbildung mit klar strukturierten und bis in
die Form festgelegten
Gliederungsformen
und Gliederungskonzeptionen
wird insbesondere beim erörternden Schreiben nach herrschender Schulmeinung als
einer der Schüssel
für die Bewältigung entsprechender
Schreibaufgaben
angesehen.
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Auch wenn belastbare quantitative Daten aus dem
Deutschunterricht fehlen, ist wohl davon auszugehen, dass eine Vorabplanung in Form einer (vorläufigen)
Arbeitsgliederung
oder z. B. auch
Stoffordnungen
mit der
Mind-Map-Methode
u. ä. viele
Schülerinnen und Schüler dabei unterstützen, "die einzelnen Themenaspekte
in ihren Zusammenhängen, Wechselbeziehungen und in ihrer Abfolge
einander zuzuordnen" (Rückriem/Stary/Franck
1977, S, 250, zit. n.
Keseling 2004,
S.141)
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Zugleich muss man aber auch berücksichtigen, dass das Gliedern "manchen
Schülern nicht liegt und dass sie es vorziehen, ihr Konzept erst während
des Schreibens zu entwickeln. Lehrer, die in solchen Fällen darauf
bestehen, dass Gliederungen vorab gemacht werden, bürden den Schülern
unnötige Schwierigkeiten auf." (Keseling
2004, S.307)
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So empfiehlt sich, wie
Keseling (2004,
S.307) unter schreibdidaktischem Aspekt weiter vorschlägt,
gerade beim Umgang mit der Arbeitsgliederung ein
unterschiedliches Umgehen mit den so genannten
Vorab-Planern
und den
Im-Nachhinein-Planern.
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
11.01.2024
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