Der Übungsraum als Setting
Das Setting, in dem Üben stattfindet, lässt sich als
Übungsraum,
bezeichnen. Damit wird kein Ort im konkreten Sinn bezeichnet, sondern
die Gesamtheit der Bedingungen, unter denen die Akteure beim Üben
agieren und interagieren. In diesem Sinne kann man auch von einem
Übungsraumsetting sprechen, das sich von denen des
Lernraums und
Leistungsraums unterscheidet.
Der Übungsraum ist ein
Setting,
bei dem es zu einer besonderen, engen, aufeinander vielfältig
bezogenen Verbindung von Handlungen und einer darauf mehr oder
abgestimmten Umgebung kommt. Das Übungsraumsetting ist sehr
unterschiedlich und müssen auch die Schreibaufgaben, die in einem
solchen Setting bewältigt werden sollen, differenziert betrachtet
werden. Dass sich Übungsraumsetting und Lernraumsetting in etlichen
Gesichtspunkten überschneiden liegt in der Natur der Sache: Der
Kompetenzerwerb ist schließlich nicht mit einer bestimmten Phase des
Lernens abgeschlossen, sondern ist immer auch Kompetenzentwicklung,
die auch mit Übungsprozessen fortschreitet.
Die Lernerinnen* im Übungsraum
Im Übungsraum sollen
die Schülerinnen und Schüler,
Es geht also im Gegensatz zu den
▪
Lernaufgaben nicht mehr nur um
den Erwerb neuen Wissens und die
Ausbildung von Fähigkeiten, sondern in einem engeren Sinne
auch um die Ausbildung von
Fertigkeiten.
Wer übt,
will umsetzen, festigen und anwenden, was er in einem
vorangegangenen Prozess gelernt hat.
Wie bei Lernaufgaben sind
im Übungsraum Fehler erlaubt, die im Ggs. zu
▪ Leistungsaufgaben
aber nicht, wie z. B. über die Notengebung in der Schule, sanktioniert
werden. Allerdings haben sie im Übungsraum auch nicht mehr
unbedingt die gleiche Funktion wie im Lernraum, wo sie bis zu einem
gewissen Grad als Anstöße zu weiteren Lernprozessen beim
Kompetenzerwerb positiv beurteilt werden. Beim Üben soll es
schließlich gelingen, Fehler zu vermeiden, je weniger Fehler also,
um so erfolgreicher das Üben.
Beim Üben wiederholen Schreiberinnen und Schreiber auf der
Basis ihrer erworbenen
Schreibkompetenzen
bestimmte Schritte im
Schreibprozesses
am besten mit den
Schreibstrategien, die sich im Rahmen der Lernaufgaben für
sie am günstigsten und effektivsten erwiesen haben. Dabei sind
sie natürlich nicht darauf festgelegt, sollte sich im
Zusammenhang des Übens ergeben, dass sie ihr Ziel damit doch nicht
erreichen.
Die Schreibaufgaben
können dabei auch mit unterschiedlichen Formen des
kooperativen Schreibens bewältigt werden.
Dies gilt insbesondere dann, wenn es um die Entwicklung eines
Schreibkonzepts im Zusammenhang mit
Planungsaufgaben und
Strukturierungsaufgaben
im Schreibprozess geht. Formulierungsaufgaben sind dagegen im Übungsraum gewöhnlich
allein zu bewältigen. Überarbeitungsaufgaben können individuell gelöst oder in
kooperativen Prozessen bewältig werden (z. B.
Schreibkonferenzen)
Die Lehrkräfte im
Übungsraum
Die Lehrkräfte
haben im Übungsraumsetting vor allem zwei Aufgaben:
Die prozessorientierte Schreibdidaktik krempelt in letzter
Konsequenz den schulischen Schreibunterricht in einen
Coachingprozess um, der auch die Rolle der Lehrenden im
Schreibprozess eines Lernenden neu festlegt. (»Coaching) Die Lehrkraft wird in einer
prozessorientierten Schreibdidaktik zum Schreibberater bzw. zum Schreibcoach,
der sein eigenes Handeln reflektiert und stets nicht direktiv,
sondern kooperativ agiert.
Diese personenzentrierte Einstellung der Lehrkräfte, die
auf der »humanistischen
Psychologie von »Carl
R. Rogers (1902-1987) gründet, "drückt sich zunächst einmal in einem grundlegenden
Vertrauen in die konstruktiven Kräfte, in das natürliche
Wachstumspotential und die 'innere Weisheit' einer jeden Person
aus. Personenzentrierte Erzieher (Eltern, Lehrer oder Gruppenleiter usw.)
geben ihre Rolle als 'Belehrer' weitgehend auf. Sie entwickeln stattdessen
eine Haltung, in der sich als 'facilitator' sehen, als jemand der
selbstbestimmtes und bedeutungsvolles Lernen unterstützt und fördert (to
facilitate: erleichtern, fördern)." (Teml
41994,S.24).
Im Rahmen der für ein
förderliches Übungsraumsetting notwendigen prozessorientierten
Didaktik bedeuten
Motivation
und Beratung im Übungsraum zunächst einmal,
-
dass die
Lehrkräfte geeignete Schreibaufgaben konzipieren oder auswählen,
die sich an der Kompetenzentwicklung und den individuellen
Leistungsfähigkeiten der Übenden orientieren
(Binnendifferenzierung) müssen und
-
mit deren Hilfe
sich ganz konkrete Übungsziele im
Schreibprozess
verfolgen lassen.
Beim Üben können die Lehrkräfte auch im Rahmen eines
selbstreguliertem,
eigenverantwortlichen Lernprozesses je nach Bedarf
nicht-direktiv korrigierend und /oder unterstützend eingreifen.
Zugleich
müssen sie aber auch das Üben des Einzelnen so im
Blick haben, dass sie ihn ggf. auch dann noch unterstützen
können, wenn dieser sich gegen das Üben sträubt oder Unlustgefühle
dabei entwickelt, weil er es z. B. aus seinen jeweils
eigenen Gründen für sinnlos hält. (volitionale
Strategien)
Die Rahmenbedingungen:
Synchrone oder asynchrone Kommunikation
Wo sich der
Übungsraum befindet, die Frage also, an welchem Ort das Üben
stattfindet, spielt für die Art der Übungsaufgaben natürlich ebenso
eine maßgebliche Rolle. Dabei ist zunächst einmal daran zu denken,
ob das Üben in
synchroner oder
asynchroner Kommunikation geschieht.
-
Bei synchronem
Üben verlaufen die Prozesse und Interaktionen der
Beteiligten des Übungsraumsettings in Echtzeit (realtime
collaboration) ab, d. h. das Üben und der Beratungsprozess
erfolgen "gleichzeitig". Das setzt allerdings nicht voraus, dass
Übende und Lehrende sich real am gleichen Ort (z. B. im
Klassenzimmer) befinden, synchrones Üben kann durchaus auch über
das Internet in einem
Teletutoring-System als E-Learning stattfinden. Der
Übungsraum wird dann zumindest zum Teil virtuell. Zum Setting
des Raumes gehört allerdings dann immer noch dazu, an welchem
konkreten Ort der Lernende mit seinem Computer und sonstigem
Endgerät sitzt und wie die Bedingungen dieses Orts aussehen.
-
Beim
asynchronen Üben werden Übungsaufgaben von dem Lernenden
bewältigt, die fertig gestellten Aufgaben einer Lehrkraft
übergeben, die sie dann mit einem zeitlichen Abstand korrigiert
und dann mit oder ohne individuelle Beratung nach der Korrektur
zurückgibt. Analog verhält es sich, wenn das Übungsprodukt auf
einen Server hochgeladen wird, und dort nach der Korrektur zum
Abruf für den Schüler wieder bereitgestellt wird.
Die Lokalisierung des
Übungsraumes beim schulischen Lernen
Im Bereich
des institutionellen Lernens in der Schule kann der
Ort, an dem der Übungsraum etabliert wird,
in der Schule selbst sein, aber auch an einem Ort außerhalb
der Schule, z. B. zu Hause oder irgendwo sonst.
-
Im Klassenzimmer oder
Kursraum mit seiner in der
Regel geschlossen Türe müssen je nach gewählter
Sozialform beim Üben (individuell oder kooperativ)
Ausstattungen wie (Gruppen-)Tische, Stühle, Tafel,
Whiteboards etc. vorhanden sein. Je nachdem welches
Schreibgerät verwendet wird (Papier und Stift, Tablet oder
PC/Notebook) sollte weitere Medientechnik verfügbar sein, um kooperatives Lernen/Schreiben zu
unterstützen (z. B. bei der Präsentation von
Übungsergebnissen Beamer oder Drucker, etc.)
Sollen
telekooperative Arbeitstechniken zum Einsatz kommen, z.
B. beim gemeinsamen
kollaborativen Arbeiten an einem Übungstext (vgl.
▪
Mit pdf-Dokumenten arbeiten,
annotieren)
oder beim gemeinsamen Schreiben (Group
Writing) mit
Etherpads
oder mit komplexeren
Online-Whiteboards über das Internet, dann müssen die digitalen Endgeräte mit
der entsprechenden Software ausgestattet sein und die
Arbeit über ein Netzwerk ermöglicht werden.
-
An
irgendeinem anderen Ort in der Schule müssen ähnliche
Bedingungen herrschen, abhängig von der Übungsaufgabe
und der Sozialform, mit der sie bewältigt werden soll.
-
Beim Lernen
an einem Ort außerhalb der Schule, z. B. zu Hause, sollte
man zunächst einmal für eine
förderliche
Schreibumgebung sorgen. Was das im einzelnen bedeutet,
lässt sich nicht festlegen. Nur soviel: Sie sollte dazu
dienen, dass man sich auf die Schreibaufgabe konzentrieren
und eine problem- und
aufgabenbezogene Orientierung beim Schreiben herstellen
kann.
Dabei muss freilich eingeräumt werden, dass Schreiberinnen und Schreiber oft ganz verschiedene
Umgebungen brauchen, damit sie angeregt und konzentriert (beim Schreiben) zur Sache
gehen können. Die dafür nötige Selbstachtsamkeit muss dazu mit der
Reflexion über das eigene Schreiben (metakognitive
Kompetenz) zusammenwirken, damit die Person, die übt,
einfach spüren kann, welche Umgebung das eigene Üben beim
Schreiben fördert und welche nicht.
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
28.04.2023
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