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Sprechen als
kommunikatives Handeln
Alltagssprachliche Verwendung des Begriffs
In der Alltagssprache versteht man unter Kommunikation
gewöhnlich den Austausch von Informationen, Nachrichten,
Meinungen oder Gedanken. Dem entspricht auch der Eintrag im
DUDEN, wo es heißt: "Verständigung untereinander;
zwischenmenschlicher Verkehr bes. mithilfe von Sprache, Zeichen"
(DUDEN - Deutsches Universalwörterbuch 6. Aufl. 2007)
Diese allgemeine Vorstellung von Kommunikation "liegt auch
vielen philosophischen und wissenschaftlichen Metapher und
Modellen der Kommunikation zugrunde, die unterstellen, dass ein
Sprecher Gedanken oder Nachrichten sprachlich so ausdrückt, dass
ein Hörer sie dem sprachlichen Text gemäß der Intention des
Sprechers entnehmen kann." (Metzler-Lexikon
Literatur- und Kulturtheorie, hrsgg. v. Ansgar Nünning 52013,
S.389)

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Unterschiedliche Zugangsweisen zum Begriff und dem Phänomen der
Kommunikation
Der Begriff Kommunikation wird über den Alltagsgebrauch heute
in zahlreichen verschiedenen Zusammenhängen und Kontexten
verwendet und dabei wird er mitunter sehr verschieden definiert
und verwendet. Die Verwendung des Begriffs ist dabei einem
fortlaufenden Metaphorisierungs- und Übertragungsprozess
unterworfen, der von den unterschiedlichen Zugangsweisen für die
Bedeutung des in verschiedenen Kontexten gebrauchten Begriffs
abhängt.
Zunächst einmal hängt die von unterschiedlichen Zugangsweisen
ab, die den Begriff aufgrund ihrer besonderen Grundannahmen
entsprechend unterschiedlich fassen.
-
Da ist
zunächst einmal die Frage, wer eigentlich miteinander
kommuniziert. Sind dies Menschen, Lebewesen (Menschen und
Tiere umfassend) oder gar Maschinen, die sich wie handelnden
Wesen verhalten?
-
Weiter ist
die Frage, ob Kommunikation etwas grundsätzlich eine soziale
intentionale Handlung darstellt oder als Summe aus Einzelnem
(Einzelereignissen, Individualhandlungen) angesehen wird.
-
Und
schließlich kommt es noch darauf an, ob die Seite des
Senders oder die Seite des Empfängers (Produktion oder
Rezeption einer Botschaft/Nachricht/Information) im
Vordergrund der Betrachtung steht.
Solche und andere unterschiedlichen »Zugangsweisen
ziehen natürlich auch ganz verschiedene Kommunikationsbegriffe
nach sich, führen zu unterschiedlichen Kommunikationsmodellen
und fundieren sehr verschiedenen Kommunikationstheorien.
Von den unzähligen Zugängen und Modellen sollen hier nur die
kommunikationstheoretisch Grundsteine legende Signaltheorie der
Kommunikation und der handlungsorientierte Ansatz der
linguistischen Pragmatik als Lehre vom Sprech- bzw.
Sprachhandeln vorgestellt werden. Andere Zugänge zum Thema und
Kommunikationsmodelle finden sich auf der
Wikipedia-Liste zum Thema.
Der informationstheoretische Zugang: Signaltheorie der
Kommunikation
Die eingangs beschriebene
allgemeine
Vorstellung von Kommunikation wurde in der mathematischen »orientierten
Informationstheorie von »Claude
Shannon (1916-2001) und »Warren
Weaver (1984-1978) zu einer Signaltheorie der Kommunikation.
Auf der Grundlage dieser Zugangsweise wurde unter Kommunikation
das Übertragen von Signalen durch den Raum verstanden.

Solche Signale gelten dann als Auslöser für bestimmte
Prozesse (z. B. für das Klingeln eines Telefons oder Anzeige von
Buchstaben auf einem Display). Kommunikation wird als eine
Verbindung von Geräten betrachtet, die über Signale
aufrechterhalten wird, und die dazu führt, dass sich die
Zustände der Geräte infolge dieser Verbindung wechselseitig
verändern. Dieses technische Modell, wonach "ein Sender eine
Botschaft in Signale (enkodiert), die dann über einen Kanal
möglichst störungsfrei an einen Empfänger weitergeleitet werden,
der die Signale dekodiert" (Metzler-Lexikon
Literatur- und Kulturtheorie, hrsgg. v. Ansgar Nünning 52013,
S.390), lässt sich indessen nicht auf die menschliche
Kommunikation übertragen. Diese ist dafür viel zu komplex, da
sie "nicht als linear gerichteter Prozess" verläuft, "sondern
als komplexer Wirkungszusammenhang zwischen aktiven
Kommunikationspartnern in komplexen, sozial schematisierten
Situationen, bei dem konventionalisierte
Kommunikationsinstrumente und Medien eine entscheidende Rolle
spielen." (ebd.)
Trotz dieser Vorbehalte werden bis heute signaltheoretische und
die handlungstheoretische Zugangsweisen nicht immer genau
voneinander getrennt.
Der handlungstheoretische Zugang der linguistischen Pragmatik: Kommunikation als Form des
sozialen Handelns
In der Linguistik wird Kommunikation gemeinhin als "die
auffälligste Form des Zeichengebrauch(s)" verstanden, als "Mitteilung
von Gedanken an andere, die Regelung der Beziehungen zu anderen,
die Koordination von Handlungen mit anderen." (Linke/Nussbaumer/Portmann
21994, S.27). Steht dabei die Sprachverwendung im
Mittelpunkt wird Kommunikation auch ein Bereich der
linguistischen Pragmatik.
Die ▪ linguistische Pragmatik ist die
"Lehre vom Sprachhandeln" (Linke/Nussbaumer/Portmann
21994, S.170). Dass Sprechen Handeln sein soll,
ist auf den ersten Blick vielleicht etwas verwirrend, weil wir
im Alltag Sprechen im Sinne von "bloßem Reden" gewöhnlich vom
Handeln als Tun, das Folgen hat, abgrenzen. Aber: Wenn wir
kommunizieren (z. B. sprechen, schreiben), handeln wir eben auch: wir lernen
z. B. dabei, kritisieren oder beleidigen gar jemanden, stellen
eine Behauptung auf, beruhigen jemanden oder regen ihn auf usw.
Die Pragmatik untersucht im Bereich der Kommunikation "Regeln
und Regularitäten des kommunikativen Umgangs"
Muster des
Gebrauchs von Sprache in Situationen untersucht, die in
einzelnen Äußerungen, "in der Wahl von bestimmten Aussageweisen
und Kommunikationsmustern wirksam werden." (ebd.,
S.171) Sie interessiert sich also primär nicht für die einzelnen
Äußerungen, deren Inhalt und Bedeutung,
sondern betrachtet die
sprachlich-kommunikativen Muster bei der Sprachverwendung vor
allem in ihrem situativen und kommunikativen Kontext.
Dementsprechend richten sich die Fragen der Pragmatik
nicht auf
bestimmte elementare Ausdrücke und / oder der deren Bildung und
Bedeutung unabhängig von ihrem Bezug zu einer bestimmten
Situation, wie sie die Systemlinguistik stellt. Die Pragmatik
fragt stattdessen: "Welche Eigenschaften der Situation sind
dafür bestimmend, dass gewisse sprachliche Ausdrücke gewählt
werden, andere nicht? Was bedeuten die sprachlichen Ausdrücke –
nicht als linguistische Strukturen, sondern als Äusserungen in
diesem Typ von Situation?" (ebd.,
S.177)
Die Pragmatik sieht im Sprechen und Kommunizieren Formen des
sozialen Handelns (ebd., S.174) und "Pragmatik ist
Sprach-Handlungs-Theorie" (ebd.),
in der "sich die Interessen von Sprachwissenschaft und
Kommunikationstheorie überschneiden." (ebd.)

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Ausgangspunkt dieser Überlegung ist die Tatsache, dass
menschliches Handeln im Gegensatz zum Verhalten intentional ist,
also auf bestimmte Ziele hin ausgerichtet ist. Wird dieses Tun
des Menschen auf einen Kommunikationspartner bezogen, wird es
zum sozialen Handeln. Wird dabei das Ziel der Verständigung
angestrebt und dazu ein gemeinsames Zeichensystems, z. B. die
Sprache, benutzt, gewinnt das soziale Handeln den Charakter
eines kommunikativen Handelns. Sprechen wir bei unserem
kommunikativen Handeln, dann wird das Sprechen selbst zu einer
besonderen Form kommunikativen Handelns. (vgl.
Linke/Nussbaumer/Portmann
21994, S.173f.)
Vier zentrale Fragen der linguistischen Pragmatik
Der Ansatz der linguistischen Pragmatik dreht sich u. a. um
vier Fragen,
Beispiel:
"Wann kommst du zurück?" - "Wie immer!" Nur, wer
mitten in der Situation steht, kann die nicht ausgeführten
Orts-, Zeit- und Personenangaben mit den für diese
Kommunikationssituation zutreffenden Werten füllen.
-
Auf welche
verschiedenen Weisen sind Äußerung und Situation
aufeinander
bezogen? (vgl.
ebd., S.178) Wie können auf dieser Grundlage bestimmte
Propositionen,
d. h. Äußerungen über die Welt, die richtig oder falsch sein
können, und auch die Zusammenhänge zwischen diesen
Propositionen aus dem, was gesagt wird, erschlossen werden?
Beispiel: Die im obigen Beispiel gegebene Antwort bleibt
fragmentarisch und kann muss, wenn man sie auf ihre Wahrheit
überprüfen will, mit ihrem vollen propositionalen Gehalt
erst "aus dem dem sprachlich Ausgedrückten vor dem
Hintergrund der Situation rekonstruiert werden." (ebd.),
etwa in dem Sinne: "Ich, Max Mustermann, komme auch heute
am 22.7.2020 wie immer werktags um 18.30 Uhr mit dem Bus von
meiner Arbeit nach Hause in meine Wohnung in der Freiburger
Straße 31 in Müllheim zurück."
-
Was meinen
Sprecher und Sprecherinnen, wenn sie etwas Bestimmtes sagen,
oder bezwecken sie in Bezug auf ihre Partner*innen, wenn sie
etwas sagen, wenn es also nicht um die Proposition selbst
geht, sondern um den "Sinn der Äusserung", ihre
"soziale Bedeutung" oder eben ihre "kommunikative
Funktion" ? (ebd.,
S.180)
Beispiel: "Es zieht!" ist in einer bestimmten
Kommunikationssituation wohl nicht nur eine Feststellung,
sondern auch eine Aufforderung an den Partner, Abhilfe zu
schaffen.)
-
Wie
definieren die Kommunizierenden ihr gegenseitiges Verhältnis
und wie gestalten sie es in ihren Kommunikationshandlungen,
in dem sie dabei z. B, kulturspezifische Schemata oder
Formen des Umgangs pflegen, ihren ggf. unterschiedlichen
sozialen Status berücksichtigen und kommunikativ formen und
einsetzen oder ob sie etwa symmetrisch oder komplementär
miteinander kommunizieren etc. ? (vgl. (ebd.,
S.180f.)
Nicht jeder Sprachgebrauch ist unbedingt kommunikativ
Sprachliche Zeichen sind für das kommunikative Handeln zwar
von außerordentlich großer Bedeutung, sie sind aber nicht die
einzigen Mittel, die wir zur Kommunikation einsetzen.
Und ob
jeder Sprachgebrauch von vornherein als kommunikativ angesehen
werden kann, ist auch wissenschaftlich umstritten. Wenn also
jemand ein persönliches Tagebuch schreibt oder ein
Selbstgespräch führt, lässt sich dies zwar im Analogieschluss
als "Verständigung mit sich selbst" verstehen, aber ob dies
unter einen sprachwissenschaftlich brauchbaren Begriff der
Kommunikation fällt, sei deshalb dahingestellt.
Kommunikationspsychologisch allerdings kann man das
natürlich ganz anders sehen, wenn man z. B. an das von Schulz
von Thun entwickelte
Modell der "inneren Stimmen" auf der Basis der
▪
inneren Pluralität des Menschen oder an die »Transaktionsanalyse
mit der intrapsychischen "Kommunikation" von Eltern-Ich,
Erwachsenen-Ich und Kind-Ich denkt.
Verbale und non-verbale Kommunikation
Kommunikatives Handeln stützt sich nicht nur auf sprachliche
Zeichen. Kommunizieren wir mit ihnen, dann wird die sprachliche
Kommunikation "begleitet von einem Strom nichtsprachlicher und
v. a. paraverbaler Zeichen: Wenn jemand spricht, gibt er dadurch
zugleich seine Position m Raum preis, sein Geschlecht, sein
Alter, vielleicht seine Stimmung, ob er dies will oder nicht.
Mimik, Körperhaltung, Kleider, Bewegungsabläufe sind zusätzliche
Zeichen die interpretierbar sind und mehr oder weniger direkt
das Verstehen der Gesamtsituation unterstützen können. Weniger
auffällig, aber durchaus auch vorhanden sind indexikalische
Zeichen dieser Art im schriftlichen Bereich (etwa in
Handschrift, Präsentation des Textes, Papierqualität usw.)"(Linke/Nussbaumer/Portmann
21994, S.28)
Kommunikatives sprachliches Handeln kann unter Bezug auf
einen erweiterten Zeichenbegriff also auch Codes und Kanäle
umfassen, die wir bei der sogenannten ▪
non-verbalen Kommunikation, oft spricht man hier auch von
"Körpersprache" bei der Kommunikation einsetzt, unabhängig
davon, ob sie sprachliche Äußerungen begleiten oder ohne solche
Äußerungen vorkommen.
Paul Watzlawicks (1921-2007) (1974) berühmtes »Axiom
aus dem Jahr 1967/1969 "Man kann nicht nicht kommunizieren, denn
jede Kommunikation (nicht nur mit Worten) ist Verhalten und
genauso wie man sich nicht nicht verhalten kann, kann man nicht
nicht kommunizieren." ist zwar in seiner Tragweite u. a. wegen
der mangelnden ▪
Gerichtetheit der Mitteilung durchaus umstritten
(Linke/Nussbaumer/Portmann
21994, S.29), hat aber zumindest verdeutlicht,
dass wir bei der Kommunikation mehr auf der Grundlage
nonverbaler Signale und Indizien "die Glaubwürdigkeit,
Ernsthaftigkeit und den Charakter der Gesprächspartner
beurteilen als aufgrund des sprachlich Formulierten." (ebd.,
S.28)
Das ebenso berühmte
Beispiel, mit dem Watzlawick sein erstes Axiom belegt, sei
hier der Vollständigkeit halber angefügt:
"Ein Beispiel wäre eine Frau im Wartezimmer eines Arztes, die
die ganze Zeit nur auf den Boden starrt. Zunächst könnte man
annehmen, sie würde nicht kommunizieren. Dennoch tut sie es,
indem sie den anderen Wartenden nonverbal mitteilt, dass sie
keinerlei Kontakt möchte."
In jedem Fall erfüllen nonverbale Codes und Kanäle unter dem
Blickwinkel der oben dargestellten Fragen der linguistischen
Pragmatik eine herausragende Rolle bei der Kommunikation.
Wir können damit nämlich
▪
Sprechen als
kommunikatives Handeln
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
22.01.2023
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