Neben der oben dargestellten Verwendung taucht der Konjunktiv II auch in
Formulierungen auf, die als besonders höflich gelten sollen:
-
Ich wünschte, dass Sie mir jetzt einmal alle genau zuhörten.
-
Es wäre so auf jeden Fall zu überlegen.
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Wir würden uns glücklich schätzen, wenn wir Sie als Gäste begrüßen
dürften.
-
Hätten Sie vielleicht noch ein Stückchen Kuchen für mich?
Setzt man die obigen Sätze in den
▪ Indikativ
(z.B. Wir sind glücklich, wenn wir sie als Gäste begrüßen dürfen), so spürt
man gleich, dass sie irgendwie direkter, schroffer und härter klingen und
ankommen. (vgl.
DUDEN Grammatik 1973, S. 103)
Der Konjunktiv II spielt auch als
Ersatzform bei nicht eindeutigen und missverständlichen Formen des
Konjunktiv I in der
indirekten Rede eine große Rolle.
In den Fällen, in denen sich in der
Regel die Indikativ-Präsens-Formen nicht von den Konjunktiv-I-Formen
unterscheiden, übernehmen die entsprechenden Konjunktiv-II-Formen die
Aufgabe, die indirekte Wiedergabe kenntlich zu machen.
Die folgenden Beispiele
verdeutlichen diesen Sachverhalt:
-
Die Bedienung beklagte, dass die Kunden bei den hohen Getränkepreisen
kaum noch Trinkgeld
geben.
-
Die Bedienung beklagte, dass die Kunden bei den hohen Getränkepreisen
kaum noch Trinkgeld
gäben.
Der Unterschied zwischen beiden Äußerungen ist nicht unerheblich. Nur im
zweiten Beispiel ist klar ausgedrückt, dass es der Sprecher eine Äußerung
der Bedienung wiedergibt. Im ersten Beispiel könnte es sich genau so gut um
die Meinung des Sprechers handeln, die zwar mit der der Bedienung
übereinstimmt, aber nicht in jedem Fall so von der Bedienung geäußert worden
ist. Grundsätzlich betrachtet sollte man daher in solchen Fällen die
entsprechenden Ersatzformen verwenden.
Und trotz alledem muss auch einschränkend gesagt werden, dass die
Anwendung dieser Ersatzregel
nicht wirklich zwingend (obligatorisch)
ist. Bei der
indirekten Wiedergabe werden nämlich meist zusätzlich zur Kennzeichnung
der indirekten Wiedergabe durch den Konjunktiv noch
weitere Signale (Wiedergabeindizes) verwendet (z. B. redeeinleitende
Verben und Formulierungen, Parenthesen etc.), so dass man, wenn dies der
Fall ist auch auf die Ersatzformen verzichten kann. (vgl.
Engel (1996, S. 112)
Allerdings sollte man bei allem Streben nach grammatikalischer
Richtigkeit hier wohl die Kirche im Dorf lassen, wie
Ulrich Engel (1996, S. 423) betont: "Allgemein muss gesagt werden, dass
die 'Ersatzregel' (Konjunktiv II für nicht-eindeutigen Konjunktiv I)
zwar im Fremdsprachenunterricht gelehrt werden sollte, dass sie aber
faktisch nicht immer strikt befolgt wird. Einerseits werden immer wieder
nicht-eindeutige Konjunktiv-I-Formen verwendet, andererseits werden
Konjunktiv-II-Formen auch dann verwendet, wenn die entsprechende
Konjunktiv-I-Form durchaus eindeutig wäre.
Nach
Bausch (1975, S.179) ist der
Unterschied zwischen Konjunktiv I und Konjunktiv II nicht semantischer
Art, sondern hängt davon ab, in welchem Kontext er jeweils verwendet
wird: "Der Konj I wird mehr in öffentlichen, der Konj II mehr in
nicht-öffentlichen Situationen verwendet, er ist die Form des informellen
Sprechens."
Ein weiteres Problem kompliziert den Konjunktivgebrauch. Auch der Konjunktiv
II ist nämlich (wie schon angedeutet) nicht immer eindeutig: in
wiedergegebenen Texten ist häufig unklar, ob die Primäräußerung selbst schon
im Konjunktiv II oder aber in einer anderen
finiten Verbform stand."
Das folgende Beispiel verdeutlicht diesen Sachverhalt. Bei der
dargestellten Sekundäräußerung im Konjunktiv II (Ersatzform für die mit dem
Indikativ identische Form des Konjunktiv I
fragen/fragen) ist nicht klar, auf welche der beiden dargestellten
Primäräußerungen sie zurückgeht.