Der nachfolgende Anfang
des Romans "Suche impotenten Mann fürs Leben" (1995) von »Gaby Hauptmann
(geb. 1957), hier kurz "Camens Beine" genannt, kann dazu dienen, die verwendeten ▪
Kohäsionsmittel auf der
Textoberfläche
zu bestimmen:
"Stumpf klebt sein Blick
an ihren Beinen. Es dauert eine Weile, bis Carmen das bemerkt. Zunächst
denkt sie, es ist Zufall: Er denkt an irgend etwas und starrt eben ihre
Beine an. Sie sitzt ihm in den U-förmig aufgestellten Bänken des
Seminars genau gegenüber. Vorn erläutert der Seminarleiter eine
Strategie, wie man zu höheren Verkaufszahlen kommen könnte, und ihr
gegenüber sitzt ein Mensch, den dies ganz eindeutig nicht interessiert.
Er hat zwar diesen Kurs gebucht und bezahlt, bekommt aber offensichtlich
nichts davon mit. Carmen Legg beginnt, ihn zu testen.
Sie stellt die
Beine parallel; neigt sie leicht schräg, reibt dann die Nylons
aneinander, so dass es ein leises, erotisches Geräusch gibt. Ihrem
Gegenüber schießt die Röte ins Gesicht. Sie verändert die Position,
wippt ein bisschen mit ihren hohen Absätzen, streckt die Füße etwas nach
vorn, unter dem Tisch hervor, in seine Richtung. Er knetet seine Hände,
lockert seinen Krawattenknoten. Blödes Spiel, denkt Carmen, gleich läuft
ihm auch noch der Speichel aus den Mundwinkeln. Sie konzentriert sich
wieder auf den Seminarleiter. Schließlich kostet die Schulung viel Geld,
und wenn der da drüben nichts mitbekommt - bitte! Sie jedenfalls will in
ihrem Beruf etwas erreichen.
Leicht angesäuert fährt sie an diesem Abend nach Hause. Sie könnte sich
ja geschmeichelt fühlen, dass jemand ihren Beinen so viel Aufmerksamkeit
schenkt. Aber im Gegenteil: Es ärgert sie. Wie im Zoo angestarrt zu
werden. Von so einem widerwärtig geilen Typen. Carmen knallt Genesis in
ihre Autoradio. Und mit der Kassette ändert sich langsam ihre Laune.
Eigentlich urkomisch, findet sie, fährt so ein Mann weiß der Himmel wie
viele Kilometer, um dann an einem Seminar teilzunehmen, und legt dafür
auch noch ordentlich Bares auf den Tisch, und wenn er dann wieder nach
Hause fährt, hat er nichts außer unausgegorene Gelüste im Hirn und fragt
sich, auf welchem Seminar er eigentlich war.
Carmen Legg hat es bisher immer genossen, wenn sie gut ankam. Sie ist
groß, schlank, hat lange Beine und langes, rötliches Haar, mit ihren 35
Jahren ist sie der Prototyp einer selbstbewussten, selbständigen Frau.
Sie fährt einen schnellen BMW mit Lederausstattung und Klimaanlage, hat
ihre eigenes, kleines Versicherungsbüro und ihre
100-Quadratmeter-Altbauwohnung mit Parkettboden. Sie fliegt zweimal im
Jahr in Urlaub, ist eine gute Sportlerin und lässt nichts anbrennen.
Aber solche Typen gehen ihr auf den Geist. In letzter Zeit verstärkt.
Manchmal empfindet sie den bewundernden Blick eines Mannes schon als
Zumutung. Soll er sie doch in Ruhe lassen mit seinem Jagdinstinkt. Ein
guter Jäger findet immer seine Beute, hat ihr kürzlich ein Kunde gesagt,
als sie ihn am Telefon fragte, wer sie denn empfohlen habe. Wenn Sie bei
mir eine Versicherung abschließen, sind doch wohl eher Sie die Beute,
hat sie darauf geantwortet. Das fand der Herr am anderen Ende nun
überhaupt nicht witzig. "
(aus:
Gaby Hauptmann, Suche impotenten Mann fürs Leben, München: Piper 1995,
S.5f. (=Romananfang)) (
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
17.12.2023