I. Das Verhältnis von Zeus und den olympischen Göttern und
Prometheus als geniehaftes, autonomes Ich
In der
ersten Strophe (Vers 1-11) redet Prometheus in der Rolle
des lyrischen Ichs Zeus, den olympischen Göttervater, direkt
an. Mit seinem einem rebellischen, geradezu verachtungsvollen Ton
macht er damit von Anfang an klar, dass er im Folgenden nicht dessen
Lob singen, sondern seinem Zorn Ausdruck verleihen will. Er fordert
ihn auf, seine Himmelswelt hinter "Wolkendunst"
(Vers 2) zu verbergen und vergleicht Zeus mit einem Kind, das seine
Wut an der Welt auslässt, wie ein Knabe, der "Disteln köpft". Er
verhöhnt ihn damit, dass er ihm die irdische Welt, die er geschaffen
habe, nicht mehr nehmen könne, auch wenn er ihn um sein Werk und die
Tatsache, dass er das Feuer (Glut) dahin gebracht habe, noch so sehr
beneide. Der Zeus, der hier beschrieben wird, ist ein "despotische(r)
Autokraten, der sich von destruktiven Energien und infantilen
Gewaltobsessionen gleichermaßen treiben lässt." (Valk
2012, S.160) Die strikte und unüberbrückbare Trennung, die er zwischen
dem göttlichen und dem irdischen Bereich vornimmt, betont "zugleich
auch die existenzielle Unabhängigkeit des Menschen, dessen Leben
ohne Einfluß der Götter verläuft." (Binneberg
21993, S.88)
II. Verächtliche Herabsetzung und Abwertung von Zeus und der
olympischen Götter
In der
zweiten Strophe (V 12-20) hält er nicht nur Zeus, sondern allen
olympischen Göttern, vor, dass sich ihre Autorität "kümmerlich"
(V 15) auf "Opfersteuern
/ Und Gebetshauch" naiv gutgläubiger
Kinder, Bettler und Toren gründe. Damit belegt er die dieser
Äußerung vorangehende Beleidigung: "Ich
kenne nichts Ärmer’s / Unter der Sonn’ als euch Götter“ (V
13–14).
III. Der Irrglaube des Prometheus als Kind an die Götter
In der
dritten Strophe (V 21-27) bringt Prometheus seine eigenen Kindheitserfahrungen mit den Göttern als Beweis für die
Erbarmungslosigkeit und Ignoranz der Götter ins Spiel. Auch er habe
sich, verirrt und gutgläubig, in der Hoffnung auf ein offenes Ohr
und Hilfe, an die Götter gewandt – doch die Götter hätten ihm nicht
geholfen.
IV. Das
Selbstbewusstsein von Prometheus
In der
vierten Strophe (V 28-36)
konkretisiert das lyrische Ich seine Anklage gegen die olympischen
Götter in einer Folge von rhetorischen Fragen, die sich auf
bestimmte Ereignisse wie den
Übermut der Titanen (V 29) sowie seine
Rettung vor Tod und Sklaverei (V 30f.) beziehen, die er ohne
jede Hilfe der Götter allein als "heilig glühend Herz" (V 34)
habe überstehen und bewältigen müssen. Und nun, so fragt er weiter,
erwarteten ausgerechnet die, die ihm in ihrer Ignoranz ("den
Schlafenden da droben", V 36) jede Hilfe versagten "Rettungsdank"
(V 35) von ihm?
V. Zeit und Schicksal als über den Göttern stehende Quellen für den
Autonomieanspruch von Prometheus
In der
fünften Strophe (V 37-45)
verweigert das lyrische Ich daher jede Ehrerbietung gegenüber den
Göttern, die, so stellt es die Gründe dafür in weiteren rhetorischen
Fragen klar, sich niemals um seine Schmerzen und Ängste gekümmert
hätten. Dass er am Ende überlebt und "zum
Manne geschmiedet“ (V 43) heranreifen gekonnt habe, verdanke er
einzig und allein der Zeit und damit dem Schicksal, die über allem
Machtgebaren der Götter stünden.
VI. Der Trugschluss von Zeus
In der
sechsten Strophe (V 46-50) spricht das lyrischer Ich den
Göttervater Zeus noch einmal direkt an. Im Gestus des Fragens
unterstellt er ihm, dass er wohl gehofft habe, ihm sei durch die
Schicksalsschläge, die er erlitten habe, seine vitalen Energien und
der Lebensmut abhanden gekommen ("sollte
das Leben hassen,/In Wüsten fliehen") (V(47f.) weil sein
Leben nicht alle seine Erwartungen ("Blütenträume")
(V 50) habe erfüllen können.
VII. Abgrenzung von den Göttern und Prometheus' Anspruch auf völlige
Selbstbestimmung über sich und die von ihm geschaffene menschliche
Welt
In der
siebten und letzten Strophe
(V 51-57) stellt das lyrische Ich seine eigene, von den olympischen
Göttern gänzlich unabhängige Schöpferkraft heraus, die sich darin
zeigt, dass er Menschen nach seinen ganz eigenen Vorstellungen ("Nach meinem Bilde")
(V 52) erschaffe. Diese würden ihm gleichen, könnten leiden und
weinen, aber auch ihr Leben genießen, ohne den Göttern irgendeinen
Tribut zu zollen ("Und dein nicht zu achten")
(V 56). Der Schlussvers mit Ausrufezeichen ("Wie ich!")
(V 57) bringt rhetorisch zum Abschluss, worauf das lyrische Ich
hinauswill: Eine klare Abgrenzung von den Göttern und die völlige
Selbstbestimmung über sein und der Menschen Sein und Dasein. Dabei
die "(ist) prometheische Selbstermächtigung zum gottgleichen
Schöpfer in der Schlusspartie des Gedichts (...) nicht nur als
Ausdruck des religiösen Protests, sondern auch als Manifestation der
im späten 18. Jahrhundert aufkommenden Genieästhetik zu
interpretieren." (Valk
2012, S.165)