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Lyrische Texte interpretieren (Schulische Schreibform)
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Grundbegriffe zur Gedichtinterpretation
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Leitfragen und Aufgaben
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Baustein: Goethes Gedicht mit dem Prometheus-Mythos
der antiken Mythologie vergleichen
Kein anderer antiker Mythos, betont Inka
Müller-Bach (1997, S.100), habe •
Johann Wolfgang von Goethe
so kontinuierlich beschäftigt wie der des •
Prometheus, an keinem habe er
sich poetisch so oft versucht, aber auch an keinem sei er so oft
gescheitert.

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Als Goethe seine Prometheus-Hymne verfasst, hat er gerade mit seinem
Drama "Götz
von Berlichingen" (1773/1774) den ersten Publikumserfolg
errungen. Das Drama, das zunächst anonym veröffentlicht wurde, wurde
– auch wenn es mit allerlei Beigaben wie z.B. einem "Zigeuner"balett
verhunzt wurde – an zahlreichen wichtigen Bühnen in Deutschland in
Berlin, Hamburg, Breslau. Leipzig und Mannheim auf die Bühne
gebracht. "Die Zeitungen", schildert
Safranski (2013, S.142), stellten den jungen Autor vor, von dem
man bisher im breiteren Publikum noch nichts gehört hatte. [...] Die
bisher eher bedächtige literarische Öffentlichkeit geriet in
Erregung und fand Geschmack an der Sensation. Wer etwas auf sich
hielt, mußte das Stück und den Autor kennen, zumindest aber von ihm
gehört haben. In den Briefwechseln der Zeitgenossen, besonders bei
den Frauen, glänzt dieser neue Stern am Literaturhimmel." Über Nacht
war Goethe damit in kürzester Zeit in aller Munde. Kein Wunder, dass
ihm der Erfolg in gewisser Hinsicht zu Kopf steigt und ihn anspornt,
auch weiterhin alle Regeln der konventionellen Dramentheorie zu
sprengen, wenn ihm danach war. "Ein Gefühl von poetischer Allmacht
überkommt ihn: Er will nicht nur, was er kann, er kann auch, was
immer er will." (ebd.,
S.143) Auf der Woge seines Erfolgs und seiner poetischen
Möglichkeiten entwirft Goethe ein •
Prometheus-Drama,
das allerdings am Ende Fragment bleibt.
Seine verschiedenen Prometheus-Dichtungen reichen von seinem
Fragment gebliebenen Drama »Prometheus,
dessen ersten Entwürfe wohl aus dem Jahr 1773 stammen, über seine
Hymne • Prometheus, die
von seinem Freund »Friedrich
Heinrich Jacobi [1743-1815] 1785 ohne Zustimmung Goethes "als
vermeintliches Beispiel für einen kühnen Atheismus im Stile
Spinozas" (1632-1677) (Safranski
2013, S.145) veröffentlicht wurde, über sein 1795 geplantes,
aber schon nach wenigen Versen wieder aufgegebenes Dramenprojekt
Der befreite Prometheus und das 1807/08 begonnene, aber auch
Fragment gebliebene »Pandora-Festspiel.
Sein »Prometheus-Fragment
von 1773 ließ Goethe erst 1830 im 33. Band der Ausgabe letzter Hand
veröffentlichen, was für ihn noch 1820, als ihm überhaupt erst
wieder eine Abschrift der verschollenen Handschrift aus dem Nachlass
von »Jakob
Michael Reinhold Lenz (1751-1791) zu Gesicht gekommen war,
als "Jünglings-Grillen" (Brief an »Carl
Friedrich Zelter (1758-1832) vom 11.05.1820, zit. n.
Müller-Bach 1997, S.100) undenkbar war, zumal es das Potential
enthielt, der "revolutionären Jugend als Evangelium willkommen" zu
sein und die Zensur auf den Plan hätte rufen können. (vgl. ebd.)
Die Kenntnis, die Goethe von dem antiken Prometheus-Mythos zu dem
Zeitpunkt der Entstehung des Dramenfragments besaß, kann nicht
eindeutig rekonstruiert werden. Wahrscheinlich nutzte er dabei
hauptsächlich zeitgenössische Nachschlagewerke wie z. B. »Benjamin
Hederichs (1675-1748) »Gründliches
Mythologisches Lexikon (Neuauflage 1770) mit dem
entsprechenden •
Eintrag zu Prometheus. Dabei sparte er für sein Drama und
die spätere Hymne • Prometheus
den Opferbetrug und den Feuerraub gänzlich aus. Ihm ging es im
Kontext des •
Sturm und
Drang mit seiner Prometheus-Dichtung um die Ideale dieser Epoche:
Individualität, Freiheit, Auflehnung gegen Autorität und die
Kraft des menschlichen Geistes. Dass Prometheus zu einem
zentralen Symbol "der Stilisierung und Selbststilisierung des
ästhetischen Genies" (Müller-Bach
1997, S.101) werden konnte, hatte schon der englischer
Philosoph, Schriftsteller, Politiker, Kunstkritiker und
Literaturtheoretiker »Anthony
Ashley Cooper, 3. Earl of Shaftesbury (kurz: Shaftesbury)
(1671-1713), der als einer
der bedeutendsten Wortführer der frühen »Aufklärung,
mit dem "Topos des Künstlers als alter deus" (ebd.)
begründet, den er mit der Figur mythologischen Figur des Prometheus
verknüpft hatte.
Allerdings leitet Goethes Verwendung des Topos das künstlerische
Genie und seine künstlerischer Schöpferkraft, sowie seine Autorität
und Kompetenz nicht mehr, wie noch Shaftesbury," von einer obersten,
gleichsam göttlichen Instanz ab, sondern agiert selbst als genialer
Weltenschöpfer." (Valk
(2012, S.166) (vgl. •
Antony Ashley Cooper (3. Earl of Shaftesbury): Rat an
einen Dichter (1771, Auszug)
Dennoch verbindet das Dramenfragment mit dieser Tradition, wie
Müller-Bach (1997, S.101) weiter betont, "die Figur des
gottgleichen Künstlers; was es von ihr fundamental unterscheidet und
zugleich, trotz der Ausblendung narrativer Kernbestände, mit der
ältesten Überlieferung verknüpft, ist die Deutung der prometheischen
Schöpfung als Rebellion und Gegenschöpfung. Kein friedlicher
Wettstreit zwischen ästhetischen Demiurgen findet hier statt" (ebd.).
Es breche vielmehr ein antagonistischer Konflikt auf, in dem »mein
und dein«, Himmel und Erde, vorgegebene und eigene Welt sich
scheiden.
Formal gesehen zeichnet sich das Fragment vor allem durch seinen
hohen hymnischen Ton, das das
durchgängig in freien Rhythmen verfasste (wahrscheinlich das erste
dieser Art in der europäischen Literatur) Dramenfragment aus.
Hinzukommt noch eine ausgesprochene "Handlungs-
und Intrigenarmut" (ebd.,
S.102) Im Grunde genommen besteht es aus einer Aneinanderreihung von
vergleichsweise selbständigen Szenen, in denen die Figur des
Prometheus von verschiedenen Seiten beleuchtet wird. Unter Umständen
liegt der Grund, weshalb der Text Fragment geblieben ist, auch
daran, so vermutet
Müller-Bach (1997, S.102), Goethe dieses facettenreiche Bild
nicht in einen dramatischen Konflikt übersetzen konnte.
Im »ersten
Akt des Fragments versucht der Götterbote Merkur, Prometheus
dazu zu bringen, den Göttern zu gehorchen. Er unterbreitet ihm, was
erst später im Dialog mit seinem Bruder
»Epimetheus
im Drama enthüllt wird, offenbar den Vorschlag, "den olympischen
Thron zu teilen, Prometheus die Herrschaft über die Erde einzuräumen
und seine Statuenwelt zu beleben." (ebd.)
Doch dieser geht nicht darauf ein und beharrt in selbstbewusster
Rebellion "auf der Unbedingtheit, Unantastbarkeit und Unteilbarkeit"
(ebd.)
der von ihm geschaffenen Welt. Auch ein Vermittlungsversuch der
Liebesgöttin »Minerva
scheitert. Allerdings führt diese ihn zum »Quell des Lebens«, wo die
von ihm geformte Statuenwelt zum Leben erweckt wird– also nicht
durch das himmlische Element des Feuers.
Im »zweiten
Akt teilt Merkur Jupiter mit, dass Minerva ihn mit der
Gegenschöpfung verraten hat. Er fordert Jupiter auf, Minerva zu
bestrafen. Der Göttervater will erst mal abwarten, ob die Menschen
ihm zuhören. In den nachfolgenden Szenen wird das "Bild eines
Urzustands der menschlichen Gesellschaft an drei für zeitgenössische
Kultur- und Naturrechtstheorien zentralen Motiven" (ebd.)
entworfen. Diese sind: das Motiv des Hüttenbaus, das Motiv des
Eigentums und das Motiv der Gewalt. Prometheus zeigt einem Mann, wie
man ein Haus baut. Ein anderer Mann bittet ihn um Hilfe bei einem
Streit um eine Ziege. Nachdem Prometheus dessen Kopfwunde versorgt
hat, spricht er über die noch ungestüme Art der Menschen. Was sich
vordergründig als eindeutige Anklänge an die Theorien liest, die
»Jean-Jaques
Rousseau (1712-1778) in seinem Werk
»"Abhandlung
über den Ursprung und die Grundlagen der Ungleichheit unter den
Menschen (Discours sur l’origine et les fondements de l’inégalité
parmi les hommes)" , enthält aber Elemente, die dessen
Auffassungen korrigieren. So ist die von Prometheus neu geschaffene
Welt bei Goethe eben nicht wie der Naturzustand gut oder eben besser
als die gegenwärtige ist. Stattdessen bestehe das
"prometheische Pathos" (ebd.)
darin, dass die Welt vor allem die von Prometheus aus eigener Kraft
selbst geschaffene Welt, "seine Welt" (ebd.),
ist. Am Ende erzählt Pandora ihrem Vater Prometheus von einer
Liebesszene zwischen Mira und Arbar im Wald, die sie zwar
beobachtet, aber nicht verstanden hat. Prometheus sieht in dem
Pandora verstörenden Liebesakt "einen erfüllten Augenblick
dionysischer Entgrenzung" und bezeichnet ihn als Tod. Zugleich nimmt
er es zum Anlass, den Lebenslauf der Menschen zwischen Liebe und
Leidenschaft auf der einen und Schmerz und Tod auf der anderen Seite
darzustellen und thematisiert am Ende den Gedanken der Wiedergeburt
mit den Worten:
Das Dramenfragment endet mit den folgenden Versen:
PROMETHEUS.
Da ist ein Augenblick, der alles erfüllt,
Alles, was wir gesehnt, geträumt, gehofft,
Gefürchtet, meine Beste, – das ist der Tod!
PANDORA.
Der Tod?
PROMETHEUS.
Wenn aus dem innerst tiefsten Grunde
Du ganz erschüttert alles fühlst,
Was Freud und Schmerzen jemals dir ergossen,
Im Sturm dein Herz erschwillt,
In Tränen sich erleichtern will und seine Glut vermehrt,
Und alles klingt an dir und bebt und zittert,
Und all die Sinne dir vergehn,
Und du dir zu vergehen scheinst
Und sinkst, und alles um dich her
Versinkt in Nacht, und du, in inner eigenem Gefühle,
Umfassest eine Welt:
Dann stirbt der Mensch.
PANDORA ihn umhalsend.
O, Vater, laß uns sterben!
PROMETHEUS.
Noch nicht.
PANDORA.
Und nach dem Tod?
PROMETHEUS.
Wenn alles – Begier und Freud und Schmerz –
Im stürmenden Genuß sich aufgelöst,
Dann sich erquickt in Wonneschlaf, –
Dann lebst du auf, aufs jüngste wieder auf,
Aufs neue zu fürchten, zu hoffen und zu begehren!
Quelle: Goethes Werke. Hamburger Ausgabe in 14 Bänden. Band
4, Hamburg 1948 ff, S. 181-187.
http://www.zeno.org/nid/20004850068
Das 1807/08 begonnene dramatische Festspiel »Pandora
blieb wie das •
Prometheus-Drama von 1772 oder das 1795 geplante aber schon nach
wenigen Versen wieder aufgegebene Dramenprojekt Der befreite
Prometheus Fragment, wurde aber dennoch 1810 veröffentlicht. Es
stellt die Folgen dar, die nach der Öffnung der Buchse der »Pandora
(Pandora selbst tritt im Drama nicht als Figur auf) eintreten.
Es thematisiert das Verhältnis von Mensch und Gott und bringt den
Konflikt zwischen menschlicher Autonomie und göttlicher Ordnung zur
Sprache. Die besondere Sinnbildlichkeit des Fragments kann auch als
Thematisierung der Ambivalenz des Fortschritts, aufgefasst werden,
der Segen und Fluch zugleich sein kann. Und schließlich wirft das
Drama Fragen nach Schuld und Sühne auf und damit das Problem nach
der Verantwortung des Menschen für sein Handeln.
Im »Prolog
beklagt Epimetheus das Verschwinden Pandoras, seiner ehemaligen
Frau, die nach der frühesten Erzählung des Pandora-Mythos durch »Hesiod
(geb. ca. 700 v. Chr.) auf Anweisung von »Zeus
(Jupiter) erschaffen worden war, um Rache für den Diebstahl des
Feuers durch Prometheus zu nehmen. Pandora erhält zu diesem Zweck
einen großen, irdenen Vorratskrug, der alle Übel der Welt enthält.
Am Ende öffnet sie das Gefäß, »Büchse
der Pandora genannt, und bringt damit Leid und Übel über die Menschen.
Den Moment, an dem Pandora das Gefäß öffnet, beschreibt Epimetheus
darin wie folgt:
"[...]Als mir
Pandora nieder vom Olympos kam. Allschönst und allbegabtest regte sie sich hehr Dem Staunenden entgegen, forschend holden Blicks, Ob ich, dem strengen Bruder gleich, wegwiese sie. Doch nur zu mächtig war mir schon das Herz erregt, Die holde Braut empfing ich mit berauschtem Sinn. Sodann geheimnisreicher Mitgift naht' ich mich, Des irdenen Gefäßes hoher Wohlgestalt. Verschlossen stand's. Die Schöne freundlich trat hinzu,[335] Zerbrach das Göttersiegel, hub den Deckel ab. Da schwoll gedrängt ein leichter Dampf aus ihm hervor, Als wollt' ein Weihrauch danken den Uraniern, Und fröhlich fuhr ein Sternblitz aus dem Dampf heraus, Sogleich ein andrer; andre folgten heftig nach. Da blickt' ich auf, und auf der Wolke schwebten schon Im Gaukeln lieblich Götterbilder, buntgedrängt; Pandora zeigt' und nannte mir die Schwebenden: Dort, siehst du, sprach sie, glänzet Liebesglück empor! Wie? rief ich, droben schwebt es? Hab' ich's doch in dir! Daneben zieht, so sprach sie fort, Schmucklustiges Des Vollgewandes wellenhafte Schleppe nach. Doch höher steigt, bedächtig ernsten Herrscherblicks, Ein immer vorwärts dringendes Gewaltgebild. [...]
Quelle: Goethes
Werke. Hamburger Ausgabe in 14 Bänden. Band 5, Hamburg 1948 ff,
S. 332-365.
http://www.zeno.org/nid/20004852702
Der »erste
Akt stellt dar, wie Epimetheus, Pandoras ehemaliger Mann,
der um seine verlorene Liebe trauert, von den Göttern besucht wird.
Diese versprechen ihm die Rückkehr Pandoras, wenn er sich ihren
Gesetzen unterwirft und die von Pandora geschenkten Künste und
Wissenschaften aufgibt. Epimetheus weigert sich zunächst.
Im »zweiten
Akt feiern die Menschen ein Fest zu Ehren Pandoras und preisen
die Fortschritte und Errungenschaften, die sie ihnen ermöglicht hat.
Im »dritten
Akt kehrt Pandora zurück, doch sie ist kalt und distanziert. Sie
fordert die Menschen auf, ihr zu folgen und ein neues, göttlich
geprägtes Leben zu beginnen. Epimetheus bleibt unentschlossen, hin-
und hergerissen zwischen seiner Liebe zu Pandora und seiner
Verbundenheit mit den Menschen und ihrer Kultur.
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Baustein: Goethes Gedicht mit dem Prometheus-Mythos
der antiken Mythologie vergleichen
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Lyrische Texte interpretieren (Schulische Schreibform)
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Gert Egle. zuletzt bearbeitet am:
07.12.2024
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