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Lyrische Texte interpretieren (Schulische Schreibform)
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Grundbegriffe zur Gedichtinterpretation
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Leitfragen und Aufgaben
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Literaturunterricht
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Zugänge zu literarischen Texten
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Überblick
• Kognitiv-analytische Zugänge»
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Handlungsorientierte Zugänge»
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Sonstige Zugänge»
▪ Methoden des Literaturunterrichts
»
Johann Wolfgang von Goethe
(1749-1832)
Hymne •»Prometheus ist ein
Gedicht, das über die verschiedenen •
Zugänge , die man
zu ihm wählt, unterschiedliche
Lesarten und Interpretationen zulässt. Einige Ansätze zur
Interpretation können wie folgt knapp skizziert werden. Dabei
schließen sich die verschiedenen Interpretationsansätze,
insbesondere bei der •
schulischen Textinterpretation im Rahmen des •
Literaturunterrichts,
nicht gegenseitig aus, sondern können sich durchaus auch ergänzen.
Im •
Literaturunterricht
dürften
• kognitiv-analytische Zugänge
(wie z. B.
▪
Gattungswissen ▪
Textanalysewissen
▪
Literaturgeschichtliches Wissen
• Autorenwissen •
Intertextuelles Wissen)
zu den Zugängen gehören, die am weitesten verbreitet sind.

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Das
Rollengedicht, bei dem letzten Endes nicht eindeutig zu klären ist,
ob das lyrische Ich sich wirklich an Zeus oder am Ende an den
Sprecher selbst wendet (vgl.
Wellbery 1996, S.294ff.), enthielt in den Augen etlicher
Zeitgenossen jedenfalls eine mehr oder weniger eindeutige politische
Brisanz. Wahrscheinlich hat Goethe seiner Figur des Prometheus
"etwas Selbstporträthaftes" (Stöcklein
1974, S.44f., zit. n.
Binneberg 21993, S.87)
Goethe hat zwar die weitere Leidensgeschichte von Prometheus, seine
Kettung an das Gebirge und seine tägliche Folter durch den seine
Leber immer wieder anfressenden Adler ausgespart. Für einen
kompetenten Leser, der über den Prometheus-Mythos, wie er im
kulturellen Gedächtnis gespeichert ist, verfügt, ist damit dieser
Fortgang der Geschichte indessen nicht getilgt, sondern bleibt
lediglich eine Art Leerstelle, die er ohne Weiteres mit seinem
Wissen füllen kann. Letzten Endes stellt diese bei der Rezeption zu
füllende Leerstelle die Voraussetzung für eine
Bedeutungskonstruktion dar, die auch dem im Text selbst
dargestellten Leiden von Prometheus Sinn verleiht.
Für Rolf
Selbmann (2017) besteht die Hälfte des Gedichts aus
dieser Leidensgeschichte, die seine "Lebensgeschichte" als
"Widerstandsbiographie" "in den Etappen eines Bildungsprozesses (›Da
ich ein Knabe war‹) mit Rückblicken auf Geleistetes (›meine Hütte‹,
›mein Herd‹)" (ebd.,
S.574) präsentiert. Am Ende, so resümiert Selbmann, begründe erst
die Lebensgeschichte von Prometheus, weil sie eine
"Leidensbiographie" in den Dimensionen der Zeit darstelle, den
Autonomieanspruch von Prometheus zu erheben, mit dem er Menschen
formt, "die mehr sind als leere Figuren, weil sie die Spuren einer
eigenen Lebensgeschichte in sich tragen werden." (ebd.,
S.575
Eine kurze Übersicht,
z. T. kommentierte Übersicht gängiger
Interpretationsansätze, die im Rahmen einer •
kontextualisisierten Interpretation zu Goethes Hymne
"Prometheus" eine Rolle spielen können, ist nachfolgend aufgelistet.
-
Biografische
Deutung
Mit dem
entsprechenden Wissen über den Autor (•
Autorenwissen,
• Biografie und
Autobiografie des Autors/der
Autorin), über das man als Vorwissen verfügt oder das man im
Rahmen einer entsprechenden •
Kontextarbeit erwerben kann, lässt sich das Gedicht mit dem
sog. biografischen Ansatz deuten, der allerdings •
im Laufe
seiner Geschichte immer wieder Korrekturen erfahren hat und
der auch •
im Literaturunterricht immer wieder kontrovers diskutiert
worden ist. Immer wieder stand und steht dabei der Vorwurf "biographistische(r) Verkürzungen"
(Nickel-Bacon
2014, S.95) im Raum. Dennoch zählt das
Einbeziehen von •
Autorenwissen
(Biografisches und autobiografisches Wissen)
im Rahmen der •
Analyse
und Interpretation literarischer Texte zu den gängigen •
Zugängen und •
Methoden im
Literaturunterricht. Dafür gibt es •
verschiedene Gründe.
Unter diesen
und anderen Vorzeichen betrachtet kann •
Goethes Hymne •»Prometheus
Ausdruck von Goethes eigener Rebellion gegen gesellschaftliche
Normen und Erwartungen gesehen werden. Prometheus' Ablehnung der
Götter spiegelt Goethes Kritik an der Kirche und der feudalen
Ordnung wider. Auch Goethe selbst hat als junger Mann hin und
wider Zweifel an der christlichen Lehre und ihrem personalen
Gottesglauben gehabt, so dass die darin enthaltene
Religionskritik
"als Ausdruck der auflehnenden Haltung Goethes gegen die
orthodoxen Vorstellungen interpretiert werden (kann)." (Binneberg
21993, S.91) Allerdings hat sich Goethe nicht vom
christlichen Glauben als Ganzem abgewandt, so dass man in seinem
im Prometheus-Gedicht zum Ausdruck kommenden Welt- und
Gottesverständnis nur das für die 1770er Jahre typische sehen
darf. (vgl.
ebd.) Zugleich kann es auch als Ausdruck von Goethes
eigenem Selbstverständnis als Künstler und Genie gedeutet
werden, wobei sich diese beiden Interpretationshypothesen nicht
gegenseitig ausschließen müssen.
-
Prometheus als Repräsentant des Sturm und Drang
Mit dem entsprechenden
• literaturgeschichtlichen Wissen über die der literarischen
Konventionen der •
Literaturepoche
des • Sturm
und Drang (1760-1785), kann in einer grundsätzlich solchen
Epochenkonstrukten kritisch gegenüberstehend und reflektierten
Haltung das Gedicht als lyrischer Prototyp für diese Epoche
betrachtet werden. Dieser Ansatz kann für sich beanspruchen,
dass Goethes Prometheus schon in den Augen von Goethes Zeitgenossen
als ein "Programmgedicht" (Selbmann
2017, S.573) für das galt, was den Sturm und Drang ausmachte. Man sah in ihm ein "poetisches Zeugnis
für die Emanzipation eines neuen bürgerlichen Selbstbewusstseins" (ebd.),
da Prometheus sich gegen die überkommene Autoritäten der Götter
und damit gegen fragwürdige Legitimationsstrategien von Macht
stemmt. Zugleich wird Prometheus und seine "Widerstandbiografie"
(ebd.,
S.574 )
unter einer poetologischen Perspektive als Ausdruck des
Geniekults und der Genieästhetik der Epoche, bei der sich der
Dichter mit einer Schöpfungskraft ausgestattet sieht, die ihn in
die Lage versetzt, Neues und eine neue Welt zu erschaffen und
seine Mittel zur Aufklärung der Menschheit einzusetzen. Auf diese Weise, so Valk
(2012, S.166) weiter, "(avanciert) der Dichter (...) wie
Prometheus im antiken Mythos zum universalen Kulturschöpfer und
steigt nach der Verabschiedung der alten Religionen gewissermaßen
zum säkularen Messias auf." Dies wird nach Ansicht von Valk vor
allem in der Schlussstrophe des Gedichts sichtbar: "Wenn
Prometheus in der Schlussstrophe Menschen nach seinem eigenen Bilde
formt, so ist mit diesem Motiv unverkennbar die Genieästhetik des
Sturm und Drang aufgerufen: Nach der Entthronung des christlichen
Gottes avanciert der geniale Künstler zu einem gottgleichen
Schöpfer, der mit seinen Werken eine neue Welt zu schaffen
beansprucht." Die Vertreter der Aufklärung und die Anhänger des
Sturm und Drang sähen daher in Prometheus den mythischen
Repräsentanten eines Dichters, "der sich von literarischen
Traditionen lossagt und gegen poetische Regelsysteme opponiert, um
allein seiner eigenen, autonomen Schöpferkraft zu vertrauen und mit
ihrer Hilfe eine neue Menschheit heranzubilden." (ebd.
S.165) Wie
Binneberg (21993, S.95) darstellt, hat Goethe
Prometheus als "Symbolfigur des Künstlergenies" schon in seinem
Aufsatz • "Zum
Shakespeare-Tag" (1771) deutlich gemacht, in dem er »William
Shakespeare (1564-1616) mit Prometheus vergleicht. In einem weiteren literaturgeschichtlichen Sinne wurde in
dem Text auch die "Thematisierung eines epochalen
Generationenkonflikts" (Selbmann (2017,
S.)
-
Prometheus als Sinnbild des schöpferischen Menschen
In die gleiche Richtung, aber ohne zwingende Einbettung in
den literaturgeschichtlichen Kontext, lässt sich Prometheus auch
einfach als Künstler verstehen, der in einem kreativen Prozess
und damit in Abkehr von dem Bekannten neue Wege geht und die
Welt in seinem ureigenen Licht sieht und versteht. Das •
Motiv
des Feuers symbolisiert dabei die kreative Energie und die
Kraft des künstlerischen Ausdrucks. Der Konflikt, den Prometheus
mit den Göttern austrägt, spiegelt dann den Kampf des Künstlers
um Anerkennung und die Freiheit der Kunst.
-
Prometheus
als Religionskritik
Mit dem
entsprechenden
• literaturgeschichtlichen Wissen über die
•
gesellschaftshistorischen Kontexte, die Einfluss auf die
Entstehung von Goethes Gedicht gehabt haben, gehört auch die
Religionskritik, die sich aus dem Werk herauslesen lässt. Man
konnte jedenfalls, wenn man wollte, und tat dies zu Zeiten
Goethes auch, die Aussagen von Prometheus auf das Christentum
übertragen und es dann "als religionskritische Absage an die
Kirche und als Ablehnung jeglicher transzendentaler
Glaubensvorstellungen" (Selbmann
2017, S.573) lesen. Bei dieser Lesart wird Prometheus' Kritik an
den Göttern als Kritik an der traditionellen Religion und ihren
Institutionen verstanden und das Gedicht als Ganzes als Aufruf
zur Abkehr von überkommenen Dogmen und zur Hinwendung zu einer
natürlichen, vom Menschen selbstbestimmten (pantheistischen)
Religion. Prometheus selbst wird dabei als Verfechter einer
aufgeklärten, rationalen Weltsicht verstanden.
Nach Ansícht von Kurt
Binneberg (21993, S.89) weisen zahlreiche
Textstellen des Gedichts (Vers 28, 39-42, 52-53) darauf hin, "daß
das Gedicht im Grunde auf den christlichen Gottesglauben
abzielt, daß Zeus als Zeugnisgestalt des biblischen Gottes zu
verstehen ist. Mit ihm setzt sich das prometheische Ich in
wörtlicher Bedeutung aus-einander." Ihm gälten die höhnische
Lästerungen, die die Existenz der Götter auf Einbildung von
Irrglauben von Narren und Schwächlingen zurückführten. Am Ende
jedenfalls ziehe Prometheus den Schluss, "daß er seinen
erreichten Daseinszustand – entgegen allen religiösen Lehren –
nur sich selbst zu verdanken habe." Im Übrigen lasse sich die
Tatsache, dass sich Prometheus am Ende auf sein Gefühl und nicht
so sehr auf die Vernunft berufe, als Ausdruck der Vorstellungen
des Sturm und Drang verstehen und de "triumphierende Auflehnung
gegen die göttliche Herrschaft läßt sich als radikale
Weiterführung aufklärererischer Gedanken durch den Sturm und
Drang verstehen." (ebd.) Die zeitgenössische religionskritische Deutung, die dem Text vor allem
deshalb eine blasphemische Aussage
zuschrieben, weil sie der Ansicht waren, es handle sich bei dem von
Prometheus dargestellten Schöpfungsakt "seiner" eigenen Welt "um
eine Wiederholung oder Korrektur des biblischen Schöpfungsakts" (ebd.),
geht hingegen nach Ansicht von Rolf
Selbmann (2017) an der Sache vorbei. Seiner Ansicht nach handelt
es sich nämlich lediglich "um die Ergänzung der Menschheit um
verbesserte Exemplare der Gattung (›Kinder‹ und ›Bettler‹ existieren
offenbar schon".)"
-
Prometheus
als individuelle Rebellion
Den
Zeitgenossen war unter dem Blickwinkel des
engeren • rezeptionsgeschichtlichen
Kontexts die Lesart nicht fremd, Zeus mit dem
jeweiligen Landesfürsten zu identifizieren. Die Rebellion von
Prometheus konnte damit als politische Aussage gedeutet werden,
die mit republikanischen und sogar jakobinischen
Ideen in Verbindung zu bringen waren. Prometheus wird damit zum
Repräsentanten des aufbegehrenden bürgerlichen Individuums, das
sich gegen jede Form von Autorität und Unterdrückung auflehnt
und nach Freiheit und Selbstbestimmung strebt.
Damit einher
geht auch eine Lesart, die Prometheus' Auflehnung gegen die
Götter ohne Heranziehung dieses Kontexts im übertragenen Sinn
für den Kampf gegen jedwede Form von politischer Tyrannei und
Unterdrückung versteht. Das Gedicht wird somit als Aufruf zum
Widerstand gegen ungerechte Herrschaftsverhältnisse verstanden
und Prometheus zum Symbol für den freiheitsliebenden Bürger, der
sich für seine Rechte einsetzt.
-
Psychoanalytische Interpretation
Unter psychoanalytischer Perspektive kann der Konflikt zwischen
Prometheus und Zeus als Vater-Sohn-Konflikt interpretiert
werden. Psychoanalytisch betrachtet geht es dann z. B. um
eine Krankengeschichte nachzuweisen, "bei der ein frühkindlicher
Lebensentzug durch Allmachtsphantasien kompensiert wurde." (Selbmann (2017,
S. ) In der Wut und Auflehnung von Prometheus gegen den Vater
spiegeln sich dabei Probleme des Ablöseprozesses von
Autoritätsfiguren der Kindheit und der Entwicklung einer eigenen
Identität.
Dieser Ansatz
verbindet sich dabei immer wieder mit dem biografischen, indem
auf einen schwierigen Ablöseprozess Johann Wolfgangs von seinem
Vater »Johann
Caspar Goethe (1710-1782) verwiesen wird. Allerdings scheint
dieser für jenen "aber doch nicht eine solche Autorität" gewesen
zu sein, "gegen die man sich mit großem Aufwand hätte wehren
müssen. Ein symbolischer Vatermord war nicht notwendig. Das ›in
tyrannos‹-Pathos des ›Sturm und Drang‹ wird man bei Goethe nicht
finden. Sein spätere Prometheus-Empörung hat wohl andere
Ursprünge und andere Adressaten." (Safranski
2013, S.25)
-
Existenzialistische Interpretation
Auch eine existenzialistische Interpretation ist möglich. In
ihrer Lesart wird die Auflehnung von Prometheus gegen die Götter
als Ausdruck der menschlichen Existenz im Angesicht seines
absurden Daseins gedeutet. Auf diese Weise kann das Gedicht als
Suche nach Sinn in einer Welt angesehen werden, das über keine
Ordnungssysteme ( z. B. Autoritäten) mehr verfügt.
Was auch immer, das
Gedicht erweist sich bis heute als sehr vieldeutig, lässt eine
Vielzahl unterschiedlicher Lesarten zu, die auf unterschiedlichen
Zugängen zu diesem Text beruhen, die auch immer wieder von den
jeweiligen literaturwissenschaftlichen Moden ihrer Zeit geprägt
sind.
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Lyrische Texte interpretieren (Schulische Schreibform)
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Gert Egle. zuletzt bearbeitet am:
06.01.2025
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