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Lyrische Texte interpretieren (Schulische Schreibform)
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Grundbegriffe zur Gedichtinterpretation
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Leitfragen und Aufgaben
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Baustein: Goethes Gedicht mit dem Prometheus-Mythos
der antiken Mythologie vergleichen
•
Johann Wolfgang von Goethe
verarbeitet in seinem Gedicht • "Prometheus"
Elemente des Prometheus-Mythos, der seinen Ursprung in der
»griechischen
Mythologie hat. Für Thorsten
Valk
(2012, S.158f.) "(fungiert) der Prometheus-Komplex (...) im
18. Jahrhundert als mythischer Projektionsraum für politische,
religiöse und künstlerische Autonomiebestrebungen. Als Inbild eines
mündigen und auf sich selbst vertrauenden Menschen ist Prometheus
sowohl für die Repräsentanten der Aufklärung als auch für die
Anhänger des Sturm und Drang eine Identifikationsfigur ersten
Ranges."
Die Mythologie
hatte für die alten Griechen eine zentrale Bedeutung und erfüllte
viele Funktionen in ihrem täglichen Leben, ihrer Kultur und ihrer
Weltsicht. Sie diente als eine Art kollektives Gedächtnis und half
den Menschen, das Universum und die menschliche Existenz zu
verstehen. Die Geschichten der Götter, Helden und mythischen
Kreaturen erklärten Naturphänomene, Moral und soziale Normen und
boten Antworten auf Fragen zu Leben, Tod, Schicksal und Ethik. Die
Mythologie war für die Griechen ein Spiegel ihrer eigenen
Gesellschaft und eine unverzichtbare Grundlage für die Art, wie sie
die Welt um sich herum interpretierten und mit ihr interagierten.
Erklärung der Natur: Die
griechische Mythologie bot eine Erklärung für viele Naturphänomene,
die sie als das Werk der Götter sahen. Blitz und Donner etwa wurden
mit Zeus in Verbindung gebracht, der über den Himmel herrschte. Die
Griechen schufen eine Welt, in der jede Landschaft, jedes
Naturereignis und sogar jeder Stern mit einer Gottheit verbunden
war, was ihre Umgebung lebendig und bedeutungsvoll machte.
Moralische Lehren: Viele Mythen
vermittelten ethische Prinzipien und moralische Werte. Geschichten
wie die von Prometheus, Ikarus oder Sisyphos warnten vor Übermut,
Stolz und den Konsequenzen, göttliche Gesetze zu missachten. Die
Mythen dienten den Griechen als moralische Orientierung und waren
auch Warnungen vor Hybris (Selbstüberhebung) und Respektlosigkeit
gegenüber den Göttern.
Identität und Zusammenhalt:
Die griechische Mythologie bot den Griechen ein gemeinsames
kulturelles Erbe, das sie miteinander verband, besonders angesichts
der politischen Zersplitterung in Stadtstaaten. Die Mythen gaben ein
Gefühl von Gemeinschaft und ein gemeinsames Verständnis der
griechischen Werte, Rituale und Traditionen.
Rituale und Religion: Die
griechische Religion und Mythologie waren eng verflochten. Viele
Rituale, Tempel und Feiertage wurden zu Ehren der Götter abgehalten
und stützten sich auf die Geschichten der Mythologie. So wurden
Mythen lebendig und spielten im Alltag eine große Rolle, indem sie
den Glauben an die Götter und die Beziehung zu ihnen verstärkten.
»Prometheus
ist in der griechischen Mythologie ein Mitglied des »Göttergeschlechts
der »Titanen.
Seine Geschichte wurde vom griechischen Dichter »Hesiod
(geb. ca. 700 v. Chr.) überliefert. Prometheus war der Sohn des »Iapetos
und der »Okeanidin »Klymene,
deren Kinder sonst noch »Atlas, »Menoitios
und »Epimetheus
waren. Prometheus soll der klügste und weiseste der vier Brüder gewesen
sein. Prometheus gilt der Sage nach als Schöpfer der Menschen, die er aus
Lehm formte und denen er sehr zugetan war.
In der von Hesiod überlieferten
Sage werden die »olympischen
Götter »Zeus, »Poseidon
und »Hades
als die maßgeblichen Götter beschrieben, die über die Welt und die Menschen
herrschen. Sie hatten den Titanen die Herrschaft über die Welt entrissen.
Während Titanen wie »Atlas
oder »Typhon
nach ihrer Niederlage gegen die olympischen Götter Sklavendienste leisten
mussten, blieb Prometheus, der den Göttern erst diesen Sieg ermöglicht
hatte, zunächst in Freiheit – bis er den Menschen das Feuer verriet.
Die Götter verlangten von den Menschen regelmäßige Opfertiere,
was Prometheus, der die Menschen zu schützen hatte, nicht gutheißen konnte.
Um dies zu verhindern, griff Prometheus zu einem Trick und versuchte Zeus zu
überlisten. Im Rahmen eines Tieropfers versuchte Prometheus, Zeus die
Knochen des Tieres zu übergeben, während die verwertbaren Teile an die
Menschen gehen sollten. Der Plan wurde vom Göttervater durchschaut und daher
beschloss er Rache zu nehmen. Diese richtete sich gegen Prometheus und die
Menschen. In seinem Zorn entzog Zeus den Sterblichen das Feuer. Prometheus
stahl daraufhin das Feuer vom Sonnenwagen des Himmels und brachte es zu den
Menschen. Diese Tat, den Menschen das Feuer zu geben, war ein direkter
Verstoß gegen den Willen des Zeus, der die Menschen in Unwissenheit halten
wollte. Als Folge dieser Ereignisse schuf Zeus die »Büchse
der Pandora, die eine Vielzahl von Übeln in die Welt der Menschen
brachte. Prometheus wurde von Zeus an einen Felsen in der Einöde des »Kaukasusgebirges
geschmiedet. Dort sollte er für seine Tat leiden. Jeden Tag wurde ein Adler
herbeigelockt, der ein Stück von Prometheus' Leber fraß, die sich, da
Prometheus unsterblich war, über Nacht wieder regenerierte, so dass die
Qualen, die Prometheus erleiden musste, jeden Tag von neuem begannen. Dieser
endlose Kreislauf von Schmerz und Regeneration dauerte Jahrhunderte, bis »Herakles
den Titanen von seinen Qualen erlöste, indem er den Adler mit einem
Pfeil tötete. Schließlich wird Prometheus von Zeus, der offensichtlich von
Herakles' Mut und Prometheus' Standhaftigkeit beeindruckt war, begnadigt und
erhält seine Freiheit zurück. Die Strafe des Zeus für den Frevel des
Prometheus hat in der Mythologie einen bleibenden Eindruck hinterlassen: Sie
symbolisiert den Konflikt zwischen göttlicher Autorität und menschlichem
Streben nach Wissen und Fortschritt.
Der
Prometheus-Stoff hat seinen literarischen Niederschlag in
zahlreichen Werken seit der Antike gefunden. Die Stoffgeschichte
nimmt dabei ihren Ausgang von »Aischylos'
(525 v. Chr. - 456 v. Chr.) tragischer »Trilogie,
"die den Empörer, den gefesselten und den befreiten Prometheus
behandelte" (Frenzel
1976, S.611) Von dieser Trilogie ist nur der Teil »"Der
gefesselte Prometheus" erhalten geblieben. Die Trilogie, neben
der »Hesiods
(geb. ca. 700 v. Chr.) Erzählung des •
Prometheus-Mythos
in der »Theogonie
weiterwirkte, hat die weitere Stoffentwicklung lange maßgeblich
bestimmt. Sie "gestaltete den Trotz des Menschenfreundes, der das
Feuer raubte, sich Zeus' Plan, nach den Titanen auch die Menschen zu
vernichten, widersetzt hat, an den Felsen geschmiedet nicht sein
Geheimnis preisgibt und noch größerer Qual entgegensieht, weil er
weiß, daß er unsterblich ist und eine bessere Ordnung sich
durchsetzen wird." (ebd.)
Später, im Mittelalter wurde dem Prometheus-Motiv kaum noch
Beachtung geschenkt, weil man offenbar mit dem "Rebellen gegen Gott"
(ebd.)
nichts anzufangen wusste. Im 18. Jahrhundert löste sich "die Deutung
des antiken Mythenschatzes allmählich aus dem Korsett der
aristokratischen Repräsentationskunst", wodurch sich auch die
Akzente verschoben, unter denen die Rebellion von Prometheus
betrachtet wurde. So wurde der rebellische Gestus von Prometheus im
Sinne des nach Selbstbestimmung strebenden Bürgertums um- oder neu
codiert. Man diskutierte die Frage, "ob der Feuerraub Segen oder Unglück für die Menschen
war" und ob Prometheus die Menschen damit nicht in ihre
Hoffnungslosigkeit und in ihre Schlechtigkeit gestürzt habe. Die
Aufklärer hielten hingegen am Nutzen und Sinn des Feuerraubs fest.
Und: In Goethes Dramenfragment Prometheus aus dem Jahr 1773 haben
die von Prometheus geschaffenen Menschen gute und böse
Anlagen. (vgl.
ebd.
612ff.)
Goethe greift in seinem Gedicht • "Prometheus"
zwar auf den bekannten Mythos zurück, interpretiert ihn aber auf
seine eigene Weise und konzentriert sich auf bestimmte Aspekte:
-
Prometheus als Rebell:
Wie in der griechischen Mythologie stellt Goethe Prometheus als
eine Figur dar, die sich gegen die etablierte Macht der Götter
auflehnt, indem er den Menschen das Feuer, das Wissen und die
Kultur bringt und damit ihre Selbstständigkeit und
Selbstbestimmung fördert. Er trotzt Zeus und den anderen Göttern
und stellt deren Autorität in Frage.
-
Verachtung der Götter und Ablehnung göttlicher Hilfe:
Wie im antiken Mythos zeigt auch Goethes Prometheus ganz
offen seine Verachtung der Götter, die er als mehr oder weniger
armselige Autoritäten ("Ich kenne nichts Ärmeres
/ Unter der Sonn', als euch Götter!"). Goethe spitzt diesen
Gedanken jedoch noch zu, indem sein Prometheus jegliche
Abhängigkeit von den Göttern explizit zurückweist und ihnen jede
Autorität und Macht über ihn und die von ihm geschaffene
irdische Welt der Menschen abspricht.
-
Prometheus als Schöpfer und Wohltäter der Menschen:
Goethe betont die Rolle des Prometheus als Schöpfer und
Beschützer der Menschen. Er hat ihnen das Feuer gebracht und
lehrt sie die Künste und Wissenschaften. Im Gedicht heißt es: "Hier
sitz ich, forme Menschen / Nach meinem Bilde." Damit stellt
er sich als selbstbestimmten Schöpfer dar, der die Menschen aus
eigenem Antrieb und ohne göttliche Hilfe formt. Seine
eigenständige Schöpferkraft als Gegenpol zur Macht der Götter
wird von Goethe besonders stark akzentuiert, da es seiner
Vorstellung vom schöpferischen Individuum entspricht, das sich
gegen höhere Mächte zu behaupten versteht. Auch in Goethes
Gedicht benötigen die Menschen die Hilfe und Unterstützung von
Prometheus, der sich als ihr Beschützer versteht.
-
Das Motiv des Feuers:
Feuer ist ein zentrales Symbol im Prometheus-Mythos. Bei Goethe
steht es für die menschliche Fähigkeit zur Erkenntnis, zum
Fortschritt und zur Selbstbestimmung. Prometheus' Feuer ist
nicht nur das physische Feuer, sondern auch das Feuer des
Geistes und der Kreativität.
Abweichungen und eigene (Neu-)Interpretationen Goethes
Goethe weicht aber auch bewusst vom antiken Mythos ab und
unterzieht bestimmte Elemente seiner eigenen, vom Kontext seiner
Zeit und den Ideen der •
Literaturepoche
des • Sturm
und Drang (1760-1785) geprägten Interpretation.
-
Fehlender
expliziter Bezug auf den Feuerraub: Im Mythos ist
Prometheus vor allem dafür bekannt, den Göttern das Feuer
gestohlen und den Menschen gebracht zu haben. Dieses zentrale
Motiv fehlt in Goethes Gedicht vollständig. Stattdessen steht
die Schöpferkraft von Prometheus im Vordergrund, die sich nicht
nur auf die Erschaffung der Menschen, sondern auch auf die
Gestaltung ihres Lebens bezieht.
-
Keine Bestrafung durch
Zeus: Im Mythos lässt Zeus Prometheus wegen seines
Ungehorsams und seiner Überheblichkeit (Hybris) an einen Felsen
ketten und von einem Adler quälen, der täglich von seiner nachts
immer wieder nachwachsenden Leber frisst. Goethe verzichtet auf
die Darstellung dieser Bestrafung und konzentriert sich
stattdessen auf die unbeugsame Haltung von Prometheus und seinen
Triumph über die Götter. Goethes Prometheus zeigt sich trotzig,
betont seine Autonomie und zeigt seinen ungebrochenen Willen.
Durch das Weglassen der Strafe wird die Figur des Prometheus bei
Goethe zum uneingeschränkten Symbol für Widerstand und
Selbstbehauptung. Die tragische Dimension des antiken Mythos, in
der der Held für seinen Ungehorsam grauenhafte Qualen erleiden
muss, bleibt also bewusst ausgespart.
-
Aussparen
der Rolle des Epimetheus und der Pandora-Sage: Im
antiken Mythos spielt der Bruder von Prometheus, »Epimetheus,
eine wichtige Rolle, die Goethe ausspart. Dieser nimmt nämlich
die von Zeus geschickte »Pandora
als Frau. Sie ist eine von »Hephaistos,
als Gott des Feuers, der Schmiedkunst und der Vulkane einer der
zwölf olympischen Gottheiten, aus Lehm geschaffene Frau. Nach
frühesten Erzählung des Pandora-Mythos durch Hesiod lässt Zeus
Pandora erschaffen, um Rache für den Diebstahl des Feuers durch
Prometheus zu nehmen. Pandora erhält zu diesem Zweck einen
großen, irdenen Vorratskrug, der alle Übel der Welt enthält. Sie
soll diesen Krug (Büchse der Pandora) den Menschen schenken und
ihnen mitteilen, dass er unter keinen Umständen geöffnet werden
dürfe. Um sie verführerisch zu gestalten, wird Pandora von den
Göttern mit vielen Gaben wie Schönheit, musikalischem Talent,
Geschicklichkeit, Neugier und Übermut ausgestattet. Der
Schutzgott und Götterbote »Hermes
bringt Pandora zu Epimetheus, der ihn davor warnt, Geschenke von
Zeus anzunehmen. Doch Epimetheus ignoriert die Warnung und
heiratet Pandora. Diese öffnet aus Neugierde das Gefäß,
das Zeus ihr gegeben hat. Daraufhin entweichen aus diesem alle
Laster und Untugenden und alle Übel wie Krankheit, Leid und Tod,
die die Menschen bis dahin nicht kennen, kommen in die Welt. Nur
die Hoffnung bleibt am Boden des Gefäßes zurück. Bevor auch die
Hoffnung aus dem Gefäß entweichen kann, wird es wieder
geschlossen. Auf diese Weise wird die Welt ein trostloser Ort
und »Hesiod
(geb. ca. 700 v. Chr.) schließt daraus, dass man dem Willen des Zeus
letzten Endes immer unterworfen ist. Der Grund, weshalb Goethe
die Pandora-Geschichte außen vor lässt, dürfte wohl darin zu
sehen sein, dass sie seinem Bild vom stolzen, unabhängigen
Schöpferbewusstsein des Prometheus und seinem selbstbestimmten
Handeln entgegenstehen würde.
-
Fokus auf innere Werte:
Goethe legt den Schwerpunkt auf die inneren Werte und Emotionen
des Menschen, die Prometheus den Göttern entgegensetzt. Liebe,
Leid, Hoffnung und Freude werden als menschliche Qualitäten
hervorgehoben, die die Götter nicht kennen. Dieser Aspekt ist im
traditionellen Mythos weniger ausgeprägt.
-
Literarische Konventionen des Sturm und Drang: Goethe
interpretiert den Prometheus-Mythos im Kontext des •
Sturm und
Drang. Prometheus verkörpert die Ideale dieser Epoche:
Individualität, Freiheit, Auflehnung gegen Autorität und die
Kraft des menschlichen Geistes.
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Baustein: Goethes Gedicht mit dem Prometheus-Mythos
der antiken Mythologie vergleichen
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Lyrische Texte interpretieren (Schulische Schreibform)
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Leitfragen und Aufgaben
Gert Egle. zuletzt bearbeitet am:
07.12.2024
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