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Baustein:
Die argumentative Struktur des Gedichts erkennen: Dem vierfachen
Schriftsinn auf der Spur
Das Gedicht ▪»Abend« von
▪
Andreas Gryphius eignet sich besonders gut, um das
Verfahren der
allegorischen Auslegung (Allegorese) zu demonstrieren.
Dabei
ist die »Lehre vom vierfachen Schriftsinn
die strukturbildende Kompositionsfigur des
▪
Sonetts.
Mit vierfachem Schriftsinn
(lat. quatuor sensus scripturae) wird der vorherrschende Ansatz der
christlichen Bibel-Interpretation von der Alten Kirche bis ins späte
Mittelalter bezeichnet.
Ausgangspunkt ist dabei die Annahme, dass ein Text,
in der Regel ein Bibeltext, mit den herkömmlichen philologisch-grammatischen
Verfahren zwar "buchstäblich", also dem Wortsinn nach erfassbar ist.
Zugleich enthalte er aber auch Aussagen, die theologisch erschlossen werden
müssen. Während Laien gewöhnlich nur den Literalsinn,
den buchstäblichen Wortsinn des Textes verstehen könnten, quasi auf das
Erzählte selbst beschränkt bleiben, kann ein entsprechend geschulter
Gelehrter auch die weiteren
drei geistlichen
Sinnebenen des Textes erschließen.

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Das erste Quartett von ▪
Andreas Gryphius
Sonett ▪»Abend«
führt dem Leser bzw. der Leserin die Situation vor Augen und fungiert als
Inventio, die den Abend vor der schon heraufziehenden Nacht beschreibt. Nach
dem allgemeinen Hinweis auf den vergangenen Tag wendet sich die Blickführung
von den schon am Himmel sichtbaren Steren auf die Erde, wo sich die
Menschen, erschöpft von ihrem Tagwerk von den Feldern nach Hause begebe, wo
inzwischen auch Ruhe eingekehrt ist und von den Tieren und Vögeln in Wald
und Flur nichts mehr zu hören ist. So erscheint der
Abend al solcher wie eine "Zeit des Rückzugs" (Freund 1990,
S.13f.) und die abendliche Szene wirkt "wie eine Bühne, von der die Akteure abgetreten sind."
(ebd.) Dass
sich daraus Gefühl von Einsamkeit aufdrängt, das mit traurigen Gefühlen
einhergeht, wie der letzte Vers des ersten Quartetts betont, ist indessen
zwar logisch nicht zwingend, wird aber durch den Ausruf auf die vertane, im
Sinne der unwiederbringlich verflossenen Zeit motiviert.
Im ersten Quartett wird, in
seiner Beschränkung auf wiederkehrend Allgemeine,
der eigentliche Wortsinn des Abends (sensus litteralis) thematisch
entfaltet und zwar so, wie sich dieser der Sinnswahrnehmung darstellt.
Zugleich stellt das erste Quartett aber die Grundlage der weiteren
Argumentation dar. (vgl.
ebd.)

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Schon mit der ersten
Zeile des zweiten Quartetts weitet sich "die Abendsituation
zum Lebensabend aus. Abend ist allgemein Endzeit, das Herannahen der
Sterbestunde. Dem Wortsinn folgt im hermeneutischen Argumentationsverlauf
die allegorische Auslegung, das, worauf die Situation wesentlich verweist
(sensus allegoricus). Die Erscheinung ist nicht Selbstzweck, sondern nur
äußere Hülle des Wesens, das es zu enthüllen gilt. Die Allegorese, das
Eindringen in den tieferen Sinn führt zur Erkenntnis." (vgl.
ebd.)
Der unaufhaltbare Lauf der
Zeit, der mit dem Motiv der Rennbahn verglichen wird, zielt letzten Endes
darauf, dass der Tod selbst unausweichlich ist. Damit steht auch die Frage
im Raum, wie man angesichts dieser Tatsache, mit seinem Leben umgehen kann.
Die Antwort darauf, ist die Antwort, die sich aus der moralischen Auslegung
des Textes ergibt: Nur wer als gläubiger Mensch auf Gott und den göttlichen
Beistand vertraut, kann das irdische Leben bestehen.
Nachdem auf diese Weise der
moralische Sinn des Gedichts entfaltet worden ist, "gestaltet das abschließende
Terzett den heilsgeschichtlichen Aspekt, den Verweis auf das Emporführen
des Menschen (sensus anagogicus). Über den Lebensabend hinaus steht der
Abend nun am Anfang eines neuen, des ewigen Morgens. [...] Der einleitend
von oben nach unten geführte Blick richtet sich am Ende mit der Zuwendung
zum Jenseits wieder auf. Blickführung und die aufsteigende Auslegung nach
dem vierfachen Schriftsinn erweisen sich als parallel geführt. Abend und
Nacht haben sich verfinstert zur Nacht der Sünde und des Todes, aus der
nur die Erlösung durch Gott den rettenden Weg weisen kann." (
ebd.)
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Die argumentative Struktur des Gedichts erkennen: Dem vierfachen
Schriftsinn auf der Spur
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
25.11.2021