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Arno Holz und Johannes Schlaf: Die papierne Passion

Die Radikalisierung des Erzählverfahrens

Aspekte der Erzähltextanalyse

 
FAChbereich Deutsch
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»Holz, Arno und Johannes Schlaf (1892): Die papierne Passion »google books

Wer as "eigenartige Literaturprodukt" (Mahal 31996, S.202) Die papierne Passion von »Arno Holz (1863-1929) und »Johannes Schlaf (1862-1941) zu lesen beginnt, wird je nach Vorkenntnissen über die Autoren, die Epoche und den naturalistischen Stil unter Umständen schon die Typographie des Textes zu denken geben.

Schon auf der ersten Seite präsentiert er sich nämlich in sehr unterschiedlichen Schriftgrößen, die als " visualisierte Form des gesprochenen Wortes." (Khazaeli 1995, S.74) offenbar auf die Bedeutungs- und Strukturverschiedenheit der so markierten Textteile verweisen. In einem Text, in dem jeglicher Erzählerkommentar getilgt ist, wird das "was in dieser »Polyphonie« lauthafter und optischer Impressionen /auch Gerüche) werden vergegenwärtigt) als epischer Kommentar zu gelten hat, (...) stattdessen von unterschiedlichen Drucktypen geleistet wird." (Stöckmann 2011, S.167)

Die "Regieanweisungen" erscheinen in einer kleinen Schriftgröße, die wörtliche Rede ist dagegen groß und das verdeckte Geschehen, das sich im Hof abspielt und dessen Geräusche in die Küche von »Mutter Abendroth'n« hinaufschallen, werden mit einer kleinen Schrift und das, was davon wörtliche Rede ist, kursiv dargestellt. Die Wahl der ▪ Typographie der Zeichen ist dabei ebenso ein stilrelevantes Merkmal wie das reine Formulieren mit Wortwahl, Syntax, Stilfiguren usw. sowie dem Gebrauch von Sprechakttypenn (vgl. Sandig 22006, S.150). Sie sorgen dabei als Element des Sprachstils neben anderen Momenten auch für eine lebhafte sprachlich-stilistische Reliefbildung in der Papiernen Passion.


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Die typographische Gestalt des Textes und die Strukturen der ersten Sätze des Textes bringen ihn sogleich in Verbindung mit einem Dramentext. Wie dort sind auch hier verschiedene "Textschichten" (Pfister 1977, S.35ff.) voneinander abgehoben, die in der Dramentheorie als ▪ Haupt- und Nebentext bezeichnet werden.  Die beschreibenden Texte, die in Standardsprache und im Präsens präsentiert werden, sind immer wieder zwischen die zwar mit Anführungszeichen, aber ohne Sprechermarkierungen und Inquit-Formeln präsentierte ▪ zitierte Figurenrede (wörtliche Rede) eingefügt, die im Berliner Dialekt gehalten sind. Dabei wird die gesprochene Sprache nicht nur durch den Dialekt repräsentiert. Hinzukommt auch eine "offensive Nutzung der Interpunktion (etwa zur Gestaltung von «Crescendo»-Effekten bzw. der Abbildung der Intonation: «Hil–fe! Hil–feee!! [...] Hiiil–fe!!!» [sic] oder die Integration von Onomatopoetoica («M!»,  «Pff!»), die allesamt auf eine konsequent 'naturalistische Darstellung (zielen)." (Mauz 2008, S.184)

Der Verzicht auf die Sprechermarkierung ist zu Beginn der Erzählung beim monologischen Sprechen der Hauptfigur »Mutter Abendroth'n« für die Orientierung des Lesers darüber, wer jeweils spricht, natürlich noch unerheblich, wirkt sich in den Dialogpartien der szenischen Darstellung natürlich anders aus. Letzten Endes macht die Tatsache, dass dies indessen im ganzen Text, wie in anderen modernen Romanen üblich, durchgehalten wird, dem Leser als nirgendwo explizite Hinweise darauf gegeben werden, wem bestimmte Äußerungen zuzuordnen sind. (vgl. Korthals 2003a, S.24), darauf aufmerksam, dass er Text, auch wenn er sich als Grenzgänger zwischen den Gattungen Drama und Epik bewegt, als erzählender Text aufzufassen ist.

So sind die in einer verhältnismäßig kleinen Schriftgröße gesetzten Textpassagen, die nicht Rede der in der raum-zeitlichen Geschlossenheit dieser kleinen Berliner Küche agieren Figuren sind (in den "Nebentext" ist allerdings später auch ▪ zitierte Figurenrede (wörtliche Rede) eingebettet!) eben nur vordergründig als Regieanweisungen (▪ explizite Bühnenanweisungen) zu lesen, die quasi dramaturgische Hinweise zur Inszenierung des dramatischen Textes könnten.

Die drei verschiedenen Schriftgrade deuten aber auch an, "dass als höchste Ebene das in der Berliner Wohnküche gesprochene Wort gilt" und "dass danach die verbindenden 'Regieanweisungen' in der Rangfolge des Wichtigen erscheinen und dass schließlich das Sprechen, Singen und Schreien aus unteren Etagen oder vom Hof, den anderen Hinterhäusern oder von der nahen Fabrik her – also aus der Ferne, wenn die Küche den ständigen Bezugsort abgibt – die unter Stufe der Skala einnimmt." (Mahal 31996, S.205)  So stehen die unterschiedlichen Drucktypen auch für die Visualisierung des Bezugsrahmens, dafür, dass "gleichsam in konzentrischen Kreisen (...) das in der Wohnküche ablaufende Geschehen erweitert (wird) durch das Ambiente des Hinterhofs und der nahen Fabrik", wobei "der gewählte Bezugsort (...) aber ständig 'im Blick' und 'im Ohr' (ist); alles Drumherum bleibt auf diesen Bezugsort zugeordnet, existiert nicht selbständig, sondern nur perspektivisch." (ebd. S.213)

Ob man also im Falle der "Zwischentexte" (ebd. S.205) von "Regieanweisungen" oder in von ▪ Haupt- und Nebentext spricht, ist vergleichsweise unerheblich. Allerdings spricht auch nicht grundsätzlich viel dagegen, sie als solche zu bezeichnen, weil man damit vermeiden kann, diese Passagen vorschnell, irreführend und "unvorsichtigerweise" (Korthals 2003a, S.23) einem Erzähler zuzuordnen. Auch wenn der "Nebentext" der Papiernen Passion, der einer außenstehenden, aber wohl kaum genauer zu fassenden Instanz zuzuordnen ist, über weite Strecken große strukturelle Ähnlichkeiten mit der ▪ Episierung der dramatischen Kommunikation im naturalistischen Drama aufweist, geht er, das zeigt nicht zuletzt die im "Nebentext" der Papiernen Passion stehende Passage, die das Geschehen im Zusammenhang mit dem seine Frau prügelnden Schlossers in ▪ zitierter Figurenrede darbietet, deutlich über das hinaus, was eine dramaturgische Bühnenanweisung ausmacht und lässt sich oftmals "nur in der Form eines Lesedramas mit(..)vollziehen". (Mahal 31996, S.206) 

Ebenso wenig übernimmt er Funktionen zur ▪ auktorialen Episierung des dramatischen Textes wie man es z. B. von »Anton Pawlowitsch Tschechows (1860-1904) Drama ▪ "Der Kirschgarten" (1904) oder »Gerhart Hauptmanns (1862-1946) Drama ▪ "Die Weber" (1893/94) kennt, die den Charakter durchgeformter Erzählpassagen annehmen, um "ein gleichbleibend bedrückendes, die Handlung determinierendes Milieu möglichst exakt" zu umreißen (Asmuth 52004, S.53).

Dementsprechend findet auch im "Nebentext" der Papiernen Passion keine explizite Bewertung des Geschehens statt. Was zur Darstellung kommt, folgt den Prinzipien der panoptischen und holoskopischen Verfahren und wird daher "nicht von einem übergeordneten Autoren-Standpunkt aus wiedergegeben, der das Geschehen arrangieren und seine Figuren an – langen oder kurzen – Leinen führen würde; vielmehr ist alles, was 'passiert', von einem Beobachterstandpunkt aus mit peinlicher Vollständigkeit registriert, welcher der Standpunkt der agierenden Figuren selbst ist. Nur, was diese Figuren sehen, hören, riechen, tasten und schmecken, wird – in der Tat 'phonographisch' genau – dokumentiert: die beiden Autoren Holz und Schlaf sind zugleich als allgegenwärtiges Beobachtungspersonal 'vorhanden' und ebenso als Autoren alter Art – die auf mannigfache Weise dazwischentreten und und Leserkontakte herstellen könnten – 'verschwunden'. ((Mahal 31996, S.208f.) So gewinnt man bei der Schilderung der Geschehnisse in beiden "Textschichten", die komplett voneinander getrennt sind, "den Eindruck vollkommener Abwesenheit von raffenden oder dehnenden Passagen oder von Ellipsen." (Korthals 2003a, S.23)

Was beruhigt: Als geschehensdarstellender Text kann man ihn - und das gilt wohl unter literarurdidaktischem Vorzeichen um so mehr – "problemlos mit Termini beschreiben, die man entweder der Erzähl- oder der Dramentheorie entnehmen kann. Er steht relativ komfortabel zwischen Drama und Erzählung" (Korthals 2003a, S.23), auch wenn die Gattungsfrage dabei naturgemäß ungeklärt bleiben muss.

Aber gegen eine vorschnelle Zuordnung zu den dramatischen Texten spricht, auch wenn Günter Mahal (31996, S.208f.) das tendenziell anders sieht, dass der "Nebentext" der Papiernen Passion nicht vom  "Standpunkt der agierenden Figuren" aus gestaltet ist, sondern "in die Verantwortung einer außenstehenden, mit keine(r) von ihnen identischen Instanz (fällt)." (Korthals 2003a, S.24) Und auch die von anderen naturalistischen Skizzen oder Stücken bekannte, typische Handlungsarmut, separiere Drama und Erzählung nicht. Genau sowenig könnten der als Regieanweisung gelesene Text mit seinen Beschreibungen von Gerüchen, die ja auf der Bühne nicht inszeniert werden könnten, herangezogen werden, um den den Abstand von der dramatischen Dichtung zu betonen.

Die ▪ Episierung der dramatischen Kommunikation im naturalistischen Drama mit seinen expliziten Bühnenanweisungen, die nicht auf die Bühne gebracht werden konnten, war nämlich in vielen naturalistischen Stücken Usus und führte dazu, dass der Leser solcher Dramen mittels ▪ auktorialer Episierung des dramatischen Textes "tendenziell mehr direkt vom Autor stammende Informationen als der Zuschauer einer Aufführung erhält." (ebd.) So könnte man den wesentlichen Unterschied zu dramatischen Texten darin sehen, dass Die Papierne Passion "das Maß der geschehensvermittelnden Intervention eines Beobachters" (ebd.), wie schon erwähnt, im Vergleich zu den Konventionen im Drama weiter reduziert. (vgl. ebd.)

Das panoptische und holoskopische Erzählverfahren

All dies treibt nicht nur die Annäherung von Drama und Erzählung im literarischen Naturalismus voran, sondern steigert sich noch weiter zu einem Experiment einer "auf die Spitze getriebene(n) Alltags-Mimesis" (Mahal 31996, S.94, vgl. Korthals 2003a, S.19), bei der es u. a. darum ging, "eine Lenkung des Rezipienten durch Selektion des Geschilderten zu vermeiden." (Korthals 2003a, S.20) Das Erzählverfahren, dem die beiden Autoren auf der Basis der "photo-phonographische(n)  Methode" (vgl. Schanze 1983, S.465, zit. n. Stöckmann 2011, S.165) auch in Papa Hamlet gefolgt waren, wurde dadurch noch weiter radikalisiert. (vgl. Stöckmann 2011, S.167).

Um solche Ziele zu realisieren, hatte der Autor panoptisch und holoskopisch vorzugehen.

  • Panoptisch, indem er "Beobachtetes nicht mehr durch einen selektierenden Eingriff strukturierte" (Mahal 31996, S.175). Damit sollte also keine subjektive Auswahl aus einem Ganzen präsentiert werden. Stattdessen löste sich die Totalität in eine Vielzahl von "Rasterpunkten" im Stil »pointillistisch-impressionistischer Malerei auf, so dass am Ende das entstehende Gesamtbild "nach der Art eines Puzzles zusammengefügt wird." (ebd.) Allerdings, und dies zeugt auch davon, dass das "minus x" im "Kunstgesetz" von Arno Holz nie vollständig Null sein kann, beruht das Beobachtungsfeld und "der objektivistisch ausgefüllte Rahmen auf einer subjektiven Vorentscheidung des 'experimentierenden', die Versuchsanordnung treffenden Autors: er bestimmt das 'Arrangement'" (ebd.) und setzt z. B. die jahreszeitlichen oder feiertäglich-emotionalen (wenn das Geschehen z.B. an Weihnachten spielt) oder sozialen Prämissen, wenn er z.B. eine Vorderhaus-Hinterhaus-Problematik auswählt.
    Allerdings zeigte sich "immer wieder, dass die 'reine Beobachtung' eine Abstraktion ist, die sich literarisch nur punktuell und in Kombination mit anderen literarischen Texten umsetzen lässt." (Fick 2007, S.139)

  • Der Weg dahin war ein holoskopisches Verfahren, bei dem er "alles Sichtbare, Wahrnehmbare" registriert, ohne es ihn seiner Bedeutung zu gewichten. Gefordert war daher eine Rolle als eine Art Zeuge des 'Ganzen', in dem alles, selbst das, was gemeinhin als unwichtig galt, prinzipiell gleichwertig zur Darstellung gebracht wird. (vgl. Mahal 31996, S.175)

Der ▪ naturalistische Sekundenstil galt als die fortgeschrittenste Darstellungstechnik, mit der dies umzusetzen war. In seiner Extremform verlangte er, dass sämtliche "Hohlräume" eines Textes zu füllen waren, auch wenn das mediale Schriftformat dem natürlich prinzipiell entgegenstand. (vgl. Korthals 2003a, S.20) In der Papiernen Passion wird seine Gestaltung so weit getrieben, dass das "X" im ▪Kunstgesetz von Arno Holz sich der Null so weit annähert, "dass der Grad des 'minus' kaum mehr mehr messbar ist." (Mahal 31996, S.209)

Der Sekundenstil steht auch für das mancherorts so genannte "erzählerlose Erzählen" (Stöckmann 2011, S.167), das ein wenig an die von »Franz K. Stanzel (geb. 1924) einstmals unterschiedene, später aber vielleicht etwas "voreilig", wie Jochen Vogt (2014, S.90, auch S.51ff.) meint, aufgegebene, besondere Variante der ▪ personalen Erzählsituation die ▪ neutrale Erzählsituation erinnert. Allerdings wird von bestimmten Vertretern der neueren Erzähltheorie die Vorstellung eines quasi erzählerlosen Erzählens abgelehnt, weil Perspektive eine basale Grundeigenschaft allen Erzählens darstellt. (z. B. Schmid 2005, S.133).

Auch Günter Mahal (31996, S.210) ist sich indessen sehr bewusst, dass die Autoren-Rolle in der ▪ Papiernen Passion sehr widerspruchsvoll gestaltet ist. Einerseits sei "der Autor in in einem puristisch zu nennenden Maß abwesend, so dass sich die 'Studie' selbst zu 'erzählen' scheint [...]. Andererseits aber ist der Autor in einem komplett zu nennenden Maß allgegenwärtig, mit seinen Blicken und seinem Hören und mit den anderen Sinnesorganen, so dass die 'Studie' bis in den letzten aufgefangenen Lichtreflex hinein und bis in die geringfügigste sprachmimische Variante sein Produkt ist – wenn man so will, ein derart ausgefeiltes Arrangement subjektiver Einzeleindrücke, dass diese qualitativ in objektive Totalität umschlagen;" (ebd.)

Aus didaktischen Gründen lässt sich aber an dem Begriff des erzählerlosen Erzählens auch dann festhalten, wenn es dagegen gewichtige analytische und erkenntnistheoretische Einwände gibt. In der schulischen Interpretationspraxis jedenfalls hat sich die Beibehaltung der neutralen Erzählsituation, die ja auch auf besondere Weise in das ▪ Fokalisierungkonzept von Gerard Genette (2. Aufl. 1998, S.134ff.) mit der sogenannten externen Fokalisierung wieder Eingang gefunden hat, durchaus als Hilfsmittel der Interpretation bewährt.

Zuguterletzt ist aber auch die Kategorie des Sekundenstils selbst fragwürdig. Im Kern geht es nämlich um eine "Schreibtechnik als Mittel zur Erzeugung einer Illusion zeitdeckender Darstellung (...), bei der die Autoren sich des Wissens ihrer Leser über die Häufigkeit und Dauer alltäglicher Verrichtungen bedienen und es nicht wie üblich bei der zusammenfassenden Erwähnung belassen. Sie schreiben z. B. nicht 'X briet sich ein Schnitzel, sondern führen so viele Einzelschritte des Schnitzelbratens oder verbale und non-verbale Äußerungen des Geschehensteilnehmers X während des Schnitzelbratens auf,  dass der Prozess des Lesens der Dauer des Vorgangs zumindest eher zu entsprechend scheint als jedem zusammenfassenden Satz." (ebd., Anm. 17)

Die papierne Passion kommt dem Ideal des sogenannten ▪ Sekundenstils mit seiner Illusion der Zeitdeckung besonders nahe. Im Gegensatz zu Papa Hamlet, einem weiteren Werk von Arno Holz und Johannes Schlaf, das ungeachtet der szenischen Passagen mit der Verwendung des Erzähltempus Imperfekt, der Trennung der Figuren- von der Erzählerrede durch Anführungszeichen, wenn auch ohne Inquit-Formeln, "fest auf dem Boden der erzählenden Literatur (steht)" (Korthals 2003a, S.21), geht Die papierne Passion über solche Erzählkonventionen hinweg. Im Gegensatz zu Papa Hamlet verzichtet sie auch auf alle Formen erlebter Rede (transponierte Figurenrede). (vgl. Mahal 31996, S.208)

Es ist ein für naturalistische Epik und Dramatik durchaus Übliches handlungsarmes Geschehen, das sich vor den Augen seiner Leser entfaltet. Vordergründig stellt die "Handlung" der zeitdeckenden Erzählung die Gespräche von »Mutter Abendroth'n« in den Mittelpunkt, die diese um die Weihnachtszeit herum führt. Inhaltlich geht es dabei um Themen ihres Alltagslebens wie z. B. die prekären finanziellen Verhältnisse, die Mietschulden von Herrn Haase, das Studentenleben oder das boshafte Verhalten ihrer Pflegetochter Wally sowie um die Zubereitung von Kartoffelpuffern. Im Hintergrund dieser in konsequentem ▪ Sekundenstil, ohne Hinweis auf einen das Geschehen organisierende Erzählinstanz präsentierten "Ereignisse", (von Geschehen im traditionellen Sinne lässt sich auf dieser "Vordergrundebene" wohl kaum reden (vgl. ebd.), spielt sich ein verdecktes Geschehen im Hinterhof ab, aus dem die gewalttätige Misshandlung der Frau des Schlossers durch ihren besoffenen Mann, umrahmt von dem "dumpfen Geratter der Fabrik hinten auf dem Hofe" (S.97)  herausragt und bis in die Wohnung bis in die Wohnung von »Mutter Abendroth'n« in der vierten Etage heraufschallt.

Wie jeder literarische Text lässt auch dieser unterschiedliche Lesarten zu, die auch entscheidend davon abhängen, welche Bedeutung dem Basteln der "Leiden Christi" aus ausgeschnittenen Papierschnitzeln durch Kopelke, der eigentlichen papiernen Passion, gegeben wird als Handlungselement der "Vordergrundebene" im Zusammenhang mit der Passion bzw. dem Leiden, das die misshandelte Frau des Schlossers auf der "Hintergrundebene" erleidet. Im Grunde genommen geht es dabei auch um "ein Geflecht semantisch-symbolischer Korrespondenzbezüge und Anspielungen" (Stöckmann 2011, S.168), die allgemein gesehen, eine Tendenz zur Symbolik beobachten lässt, selbst dann transzendiert, wenn, wie im Falle der Papiernen Passion, in der Kombination aus Dialog und Erzählung der Eindruck "der 'unentrinnbaren Illusion' eines winzigen Bruchstücks einer Entwicklung' ohne Rücksicht auf traditionelle Gattungsregeln (Marhold [1985], S.256)" erzeugt werden soll. (vgl. Fick 2007, S.139)

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Gert Egle, zuletzt bearbeitet am: 28.03.2024

 
 

 
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