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Franz Kafka greift in seiner •
Parabel • »Der Geier«
auf den •
Prometheus-Mythos zurück, der seinen Ursprung in der
»griechischen
Mythologie hat. Auch • Johann Wolfgang von
Goethe (1749-1832) hat sich mit dem Prometheus-Stoff auf seine
Art und Weise auseinandergesetzt. Obwohl Franz Kafkas Parabel und
Johann Wolfgang von Goethes Hymne •"Prometheus" von ihrer Entstehung
her betrachtet etwa 150 Jahre auseinander liegen und damit auch in
anderen Zeitumständen entstanden sind, beide Texte, nicht nur was
ihre Gattung betrifft, sehr unterschiedlich gestaltet sind, lassen
sich bei einem
• Zugang über die Intertextualität
oder einem
• Zugang über das
Thema bzw. zentrale
Motive
zu Kafkas Text in einem Vergleich zwischen beiden Texten
Aspekte darstellen, die interessante Parallelen und Kontraste
aufzeigen. Dabei wird davon ausgegangen, dass sich der einem Text
zugeschriebene Sinn nicht nur durch den Text und durch den
Werkkontext, den literatur- und kulturhistorischen oder
sozialhistorischen Kontext ergibt, sondern ein Text auch in
zahlreichen anderen Vergleichs- und Ähnlichkeitsbeziehungen steht,
die man als Intertextualität bezeichnet. (vgl.
Baßler
2007b, S.360)
Die Entwicklung des Prometheus-Stoffs
Ein paar wenige Bemerkungen zur Bedeutung der Mythologie für die
Griechen und zur Stoffgeschichte des Prometheus-Stoffes müssen hier
genügen.
Die Mythologie
hatte für die alten Griechen eine zentrale Bedeutung und erfüllte
viele Funktionen in ihrem täglichen Leben, ihrer Kultur und ihrer
Weltsicht. Sie diente als eine Art kollektives Gedächtnis und half
den Menschen, das Universum und die menschliche Existenz zu
verstehen. Die Geschichten der Götter, Helden und mythischen
Kreaturen erklärten Naturphänomene, Moral und soziale Normen und
boten Antworten auf Fragen zu Leben, Tod, Schicksal und Ethik. Die
Mythologie war für die Griechen ein Spiegel ihrer eigenen
Gesellschaft und eine unverzichtbare Grundlage für die Art, wie sie
die Welt um sich herum interpretierten und mit ihr interagierten.
Der
Prometheus-Stoff hat seinen literarischen Niederschlag in
zahlreichen Werken seit der Antike gefunden. Die Stoffgeschichte
nimmt dabei ihren Ausgang von »Aischylos'
(525 v. Chr. - 456 v. Chr.) tragischer »Trilogie,
"die den Empörer, den gefesselten und den befreiten Prometheus
behandelte" (Frenzel
1976, S.611) Von dieser Trilogie ist nur der Teil »"Der
gefesselte Prometheus" erhalten geblieben. Die Trilogie, neben
der »Hesiods
(geb. ca. 700 v. Chr.) Erzählung des •
Prometheus-Mythos
in der »Theogonie
weiterwirkte, hat die weitere Stoffentwicklung lange maßgeblich
bestimmt. Sie "gestaltete den Trotz des Menschenfreundes, der das
Feuer raubte, sich Zeus' Plan, nach den Titanen auch die Menschen zu
vernichten, widersetzt hat, an den Felsen geschmiedet nicht sein
Geheimnis preisgibt und noch größerer Qual entgegensieht, weil er
weiß, daß er unsterblich ist und eine bessere Ordnung sich
durchsetzen wird." (ebd.)
Später, im Mittelalter wurde dem Prometheus-Motiv kaum noch
Beachtung geschenkt, weil man offenbar mit dem "Rebellen gegen Gott"
(ebd.)
nichts anzufangen wusste. Im 18. Jahrhundert diskutierte man dann
die Frage, "ob der Feuerraub Segen oder Unglück für die Menschen
war" und ob Prometheus die Menschen damit nicht in ihre
Hoffnungslosigkeit und in ihre Schlechtigkeit gestürzt habe. Die
Aufklärer hielten hingegen am Nutzen und Sinn des Feuerraubs fest.
Und: In Goethes Dramenfragment Prometheus aus dem Jahr 1773 haben
die von Prometheus geschaffenen Menschen gute und böse
Anlagen. (vgl.
ebd.
612ff.)
• Goethes •"Prometheus"
und •
Kafkas • Parabel
"• Der Geier" werfen
existenzielle Fragen nach Schuld, Strafe, Freiheit und der Bedeutung
des menschlichen Lebens auf, die sie in zwei
sehr unterschiedlichen Weltsichten zur Darstellung bringen: Goethe
stellt den Kampf des Individuums gegen die Mächtigen dar, das dabei
sein Schicksal selbst bestimmt. Kafka hingegen stellt den Einzelnen als Opfer eines schicksalhaften, unbarmherzigen
Universums dar, das den Menschen hilflos und ohne Kontrolle
zurücklässt. Während Prometheus den
Geist der Freiheit und der Selbstbehauptung feiert, zeigt Der
Geier die
existenzielle Ohnmacht des Menschen.
Goethes Gedicht ist stofflich an dem klassischen •
Prometheus-Mythos
orientiert und greift auf dessen traditionelle Motive zurück, indem
es den Kampf zwischen Mensch und Göttern thematisiert. Kafkas
Parabel spiegelt in existenzieller Deutung hingegen die allgemeine
Angst. Ohnmacht und existenzielle Verlorenheit des modernen Menschen
wider.
1. Thematik und Grundhaltung
Prometheus (Goethe): Das Gedicht bringt den
Widerstand gegen göttliche Autoritäten zur Darstellung.
Prometheus trotzt Zeus und steht für den stolzen,
schöpferischen Menschen, der die Götter ablehnt und
seine Welt aus eigener Kraft erschafft. Insofern
verkörpert das Gedicht die Idee des freien,
selbstbestimmten Menschen und ist damit ein typisches
Beispiel für die Ziele, die verschiedene Autoren des
Sturm und Drang verfolgt haben, denen Selbstbehauptung
und Selbstverwirklichung des Einzelnen in einer
ansonsten als einengend erfahrenen gesellschaftlichen
Wirklichkeit allem anderen vorangeht. Prometheus wird
damit zum Symbol für Widerstand, Freiheit und Humanität. |
Der Geier (Kafka): Eine ganz andere Atmosphäre
vermittelt dagegen Kafkas Der Geier. Die Parabel handelt
von einem hilflosen Mann, der von einem Geier
angegriffen wird. Der Mann ist passiv und unfähig, sich
zu wehren, und als ihm Hilfe angeboten wird, kommt sie
zu spät. Der Geier schlägt schließlich so heftig zu,
dass er das Herz des Mannes durchbohrt und ihn tötet.
Kafkas Parabel zeichnet ein düsteres Bild des
Ausgeliefertseins und der Vergeblichkeit, in dem der
Einzelne weder Widerstand noch Kontrolle hat. Sie macht
die Ohnmacht und Unabwendbarkeit menschlichen Leidens
und Verderbens spürbar. |
2. Macht und Autorität
Prometheus (Goethe): Von Prometheus
wird die göttliche Autorität, vertreten durch den
obersten olympischen Gott Zeus, herausgefordert und
sogar verspottet. Prometheus erklärt, dass er nichts von
den Göttern erhalten hat und alles aus eigener Kraft
geschaffen hat. Diese Rebellion gegen Autorität stellt
einen der zentralen Inhalte des Gedichts dar und kann
als ein klares Zeichen der Selbstermächtigung des
Menschen gedeutet werden. Der Konflikt zwischen
Prometheus und den Göttern wird dabei zu einer
heroischen Haltung des Protagonisten stilisiert, die
zeigt, wie der Mensch seine Selbstbestimmung erlangen
und verteidigen kann. |
Der Geier (Kafka): In Der Geier hingegen
gibt es keine konkrete Autorität in Form einer
göttlichen oder übermenschlichen Instanz, sondern der
Geier selbst kann als Symbol für die unbarmherzigen und
zerstörerischen Kräfte interpretiert werden, die auf das
Individuum einwirken. In dieser Parabel ist der Mensch
ein Opfer, das keinen Einfluss auf seine Situation hat.
Die Machtverhältnisse sind ungleich und auch der
Rettungsversuch durch den Passanten wird letztlich zur
Farce, denn das Ende ist unausweichlich und tödlich. |
3. Individuelle Freiheit und Schicksal
Prometheus (Goethe): In Goethes
Prometheus triumphiert
der Mensch über sein Schicksal, indem er die Götter
herausfordert und sich selbst als Schöpfer seiner
Realität ansieht. Prometheus verkörpert das Ideal eines
selbstbestimmten Menschen, der sich über alle äußeren
Grenzen hinwegsetzt und seinen eigenen Weg geht. Das
Gedicht vermittelt eine optimistische Sicht auf das
menschliche Potenzial und die Möglichkeit zur
Selbstverwirklichung. |
Der Geier (Kafka): In
Kafkas Der Geier hingegen gibt es keine
Möglichkeit zur Flucht oder Selbstbestimmung. Der Mann
ist vollständig der Gewalt des Geiers ausgeliefert und
scheint keine Chance auf Rettung zu haben. Die Parabel
spiegelt eine pessimistische Sicht auf das menschliche
Dasein wider, in dem das Individuum durch sein Schicksal
gefangen ist und am Ende nichts als Ohnmacht bleibt.
Freiheit und Selbstbestimmung werden durch die
Darstellung der unaufhaltsamen Vernichtung des Mannes
vollkommen negiert. |
4. Stil und Sprache
Prometheus (Goethe): Goethes
Sprache ist den literarischen Konventionen der Epoche
des Sturm und Drang entsprechend kraftvoll, provokant
und pathetisch. Der Ton ist stolz und aufrührerisch, und
das Gedicht wirkt wie ein kämpferisches Manifest. Goethe
nutzt klare, fast anklagende Formulierungen, um den
Widerstand und die Selbstbehauptung Prometheus' zum
Ausdruck zu bringen. |
Der Geier (Kafka): Kafkas
Sprache ist hingegen nüchtern und lakonisch, und die
Parabel ist fast schockierend kurz und schlicht. Sie
verzichtet auf jegliche Ausschmückung und spiegelt die
existenzielle Trostlosigkeit wider, die Kafka oft in
seinen Werken beschreibt. Der Leser wird unmittelbar mit
der tragischen, hoffnungslosen Situation konfrontiert. |
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
03.11.2024,
mit Hilfe von KI erstellt
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