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Der Geier

Didaktische und methodische Aspekte

Franz Kafka (1883 - 1924) Parabeln

 
FAChbereich Deutsch
Glossar Literatur
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Franz Kafkas Parabel »Der Geier« gehört wohl zu den Texten des Autors, die, wenn sie Gegenstand im Literaturunterricht werden, neben Erfahrungen struktureller auch radikale Fremdheit auslösen. Dass Schülerinnen und Schülern gerade dieser Text radikal fremd erscheint und damit besonders ausgeprägte »kognitive Dissonanzen nach sich ziehen kann, liegt

Fremdheitserfahrungen thematisieren

Auch diese Parabel löst bei den Schülerinnen und Schülern immer wieder Fremdheitserfahrungen aus, die mit den bei der Rezeption entstehenden »kognitive Dissonanzen zu tun hat. Daher empfiehlt es sich, diese im Anschluss an die Primärrezeption des Textes durch die Schüler*innen ausdrücklich zum Thema zu machen. Dadurch kann es gelingen, die mit solchen Erfahrungen verbundenen Unlustgefühle zu verringern und die weitere Bereitschaft, sich überhaupt näher auf ihn und die Reflexion des eigenen Textverstehens einzulassen  (volitionale und metakognitive Aspekt des Lesens), zu erhöhen. Mit der Thematisierung unterschiedlicher Formen von Fremdheit in dem Text ( alltägliche, kann dabei zu einer Spurensuche nach den Ursachen der Fremdheitserfahrungen motiviert werden, die zum Ausgangspunkt der weiteren, intensiveren Auseinandersetzung mit dem Text und dem eigenen Textverstehen werden kann.

Dabei ist natürlich auch zu berücksichtigen, dass auch ein solches Vorgehen und die Fähigkeit und Bereitschaft, seine eigenen Fremdheitserfahrungen als solche wahrzunehmen und dann noch zu kommunizieren, selbst auf Kompetenzen beruht, zu deren Erwerb auch die wiederholte Einübung und ihre Begleitung durch Feedback-Prozesse beiträgt

Radikale Fremdheit geht im Grunde genommen nicht nur über die eigene, sondern über jegliche Ordnung hinaus.

Ihre Eigenart besteht, so Leskovec (2010, S. 242) darin, dass man sie bzw. den Umgang mit ihr nicht erlernen und sich auch nicht daran gewöhnen kann: "sie verstört und verunsichert auch dadurch, dass sie sich den bewährten Formen der Aneignung (auch dem 'normalen' Sprechen) entzieht."

Das Gefühl radikaler Fremdheit kann sich dabei in literarischen Texten auf unterschiedliche Art und Weise bemerkbar machen.

  • So kann es vorkommen, dass ein Text ein Thema behandelt oder in einem Text ein Motiv auftaucht, dass Grenzerfahrungen in den Bereichen Sexualität, Halluzinationen jeder Art und jeden Ursprungs, Tod oder sonstige über die eigene Vorstellungskraft oder das eigene Erleben hinausgehende Inhalte und Stoffe in den Handlungen der Figuren versinnbildlicht, die einem in einer Weise fremd sind, dass man sie als radikale Fremdheit bezeichnen kann. Dieses radikal Fremde ist für einen Leser nicht fassbar, es bleibt letztendlich sogar nicht interpretierbar. Es ist gewissermaßen "das Überschießende", wie es auch in "individuellen wie kollektiven traumatischen Ereignissen, ekstatischen oder spirituellen Erfahrungen, Krankheit, Wahnsinn, Zufälligem, Phantastischem, Unheimlichem, Gewalt, Ereignissen also, 'die uns mit dem Fremden als einem Außer-ordentlichen konfrontieren.' (Waldenfels 1999, S.82)"  (ebd.) Gestalt annehmen kann.

  • Wenn man im radikal Fremden, das auch ein Strukturelement bestimmter literarischer Texte sein kann, das sieht, "was sich nicht paraphrasieren lässt, sich nicht mit den zur Verfügung stehenden sprachlichen Mitteln ausdrücken lässt" (ebd.), dann stellt es eine Art "Überschuss" (ebd.) dar, der mit seiner "Bedeutungswucherung"  oder "Bedeutungsverknappung" (Waldenfels 2006, S.30, zit. n. ebd.) die Sinnhorizonte seiner Leser durchaus sprengen kann.

Literarische Texte, die mit dem Konzept radikaler Fremdheit arbeiten, etablieren mit ihrer Selbstbezüglichkeit ein in gewisser Hinsicht autonomes Ordnungssystem, "in denen das Unsagbare zur Sprache kommt". Geschaffen wird dadurch eine "Möglichkeitswelt", deren "schräger Blick auf die Welt" (Leskovec (2010, S. 242.) Ausdruck und Motor der Mehr- und Vieldeutigkeit solcher Texte ist, die sich damit einer vereindeutigenden Sinnzuweisung entziehen können.

Kafkas Texte erscheinen uns dagegen aus zwei anderen Gründen fremd.

  • Sie können uns ▪ strukturell fremd sein, weil sie eine eigene Wirklichkeit darbieten, die sich von der unseren grundlegend unterscheidet. Um sie zu verstehen, genügen unsere eigenen Schemata der Wahrnehmung, des Fühlens und (sozialen) Handelns nicht, geben keine verlässlichen Orientierungen dafür, dem Gelesenen Sinn zu geben. Texte, die eine strukturelle Fremdheit erzeugen, bringen uns, wenn man so will, an die Grenzen unseres Wissens und Könnens. Man kann aber über diese Unlust erzeugende, kognitive Dissonanz hinwegkommen, wenn man sich z. B. durch Recherchieren zusätzlicher Informationen einen Zugang zu der strukturell fremden Wirklichkeit schaffen kann, den Text also, wie man sagt, kontextualisiert oder, wenn man an den "ursprünglichen" Bedingtheiten des Textes anknüpfen will, denText rekontextualisiert. ( volitionale und metakognitive Aspekt des Lesens). Wer also Kafkas Parabeln trotz seiner strukturellen Fremdheitserfahrung ohne weitere Irritationen und Blockaden verstehen will,  muss sich "tiefer" auf den Text einlassen, selbst auf die Gefahr hin, dass sich das als strukturell Fremde Erlebte trotzdem nicht immer und vor allem nicht vollständig erklären und deuten lässt. (vgl. Šlibar 2005, S.82, zit. n. ebd.)

Das ist eben so, und gehört nicht zuletzt zu den ▪ Merkmalen moderner Parabeln, die einen schon mal "auf der Geschichte sitzen" lassen (Allemann 1975/1998, S.129) und sich Sinnzuschreibungen einfach entziehen.

Was bleibt: In solchen Fällen kann es helfen, die "Schreibstrategie" (Vogt 2008, S.65) Kafkas mit ihrer "Kombination von einfachem Wortlaut und Gattungsschema, sprachlicher Vieldeutigkeit und Deutungsabstinenz des Erzählers" (ebd.) hinzunehmen und damit dem Text die Vieldeutigkeit zu lassen, die auch das Gesamtwerk Kafkas weltberühmt gemacht hat. (vgl. ebd.)

  • Noch intensiver kann die kognitive Dissonanz erlebt werden, wenn einem das, was man liest bzw. gelesen hat, so ▪ radikal fremd erscheint, dass nicht nur die gewohnten Lese- und Verständnisroutinen versagen, sondern man sich überhaupt nicht vorstellen kann, wo man einen Schlüssel zu der in dem Text dargebotenen Wirklichkeit finden kann oder wie dieser Schlüssel überhaupt aussehen könnte.

    Was einem dabei widerfährt, kann einen extrem verstören und verunsichern und kann oft auch kaum in Worte gefasst werden. (vgl. Leskovec 2010, S. 242).  Was in einem Text, der so extreme Fremdheitserfahrungen auslöst, geht nicht nur über unseren geistigen Horizont, sondern lässt sich oft auch kaum emotional verarbeiten. Das können bestimmte Themen oder Motive sein. So kann es sein, dass Grenzerfahrungen im Bereich der Sexualität, physische oder psychische Gewalt, Halluzinationen jeder Art und jeden Ursprungs, Tod oder sonstige über die eigene Vorstellungskraft oder das eigene Erleben hinausgehende Inhalte und Stoffe in den Handlungen der Figuren versinnbildlicht, die einem in einer Weise fremd sind, dass man mit ihnen (fast) nicht mehr umgehen kann. Was dargeboten wird, schießt gewissermaßen über alles uns Erdenkliche und Erfühlende hinaus, in "individuellen wie kollektiven traumatischen Ereignissen, ekstatischen oder spirituellen Erfahrungen, Krankheit, Wahnsinn, Zufälligem, Phantastischem, Unheimlichem, Gewalt, Ereignissen also, 'die uns mit dem Fremden als einem Außer-ordentlichen konfrontieren.'(Waldenfels 1999, S.82)" (ebd.) nehmen vor unseren Augen Formen und Wahrnehmungs- und Lebensweisen von Menschen Gestalt an, die wir oft aös Abgründe menschlicher Existenz empfinden. Dieses "Nichtfassbare, Nicht-Interpretierbare" und *Überschießende" (ebd.) wird auch immer wieder in Kafkas Parabeln und seinen anderen Texten spürbar. Wenn man im radikal Fremden das sieht, "was sich nicht paraphrasieren lässt, sich nicht mit den zur Verfügung stehenden sprachlichen Mitteln ausdrücken lässt" (ebd., dann stellt es eine Art "Überschuss" (ebd.) dar, der mit seiner "Bedeutungswucherung" oder "Bedeutungsverknappung" (Waldenfels 2006, S.30, zit. n. ebd.) die Sinnhorizonte seiner Leser durchaus sprengen kann.

    Was tun? Literarische Texte, die mit dem Konzept radikaler Fremdheit arbeiten, und dies ist bei Kafkas Parabeln häufig der Fall, etablieren mit ihrer Selbstbezüglichkeit ein in gewisser Hinsicht autonomes Ordnungssystem, "in denen das Unsagbare zur Sprache kommt". Geschaffen wird dadurch eine "Möglichkeitswelt", deren "schräger Blick auf die Welt" (Leskovec 2010, S. 242.) Ausdruck und Motor der Mehr- und Vieldeutigkeit solcher Texte ist, die sich damit einer vereindeutigenden Sinnzuweisung entziehen können.

 

Einen Zugang zu Kafkas Parabeln finden

Gert Egle, zuletzt bearbeitet am: 26.10.2024

 
 

 
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