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Erstleseeindrücke
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Fragenkatalog:
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• Franz Kafkas
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Parabel • »Der Geier«
gehört wohl zu den Texten des Autors, die, wenn sie Gegenstand im
Literaturunterricht werden, neben Erfahrungen
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struktureller
auch
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radikale Fremdheit
auslösen. Dass Schülerinnen und Schülern gerade dieser Text
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radikal fremd
erscheint und damit besonders ausgeprägte »kognitive
Dissonanzen
nach sich ziehen kann, liegt
Auch diese Parabel
löst bei den Schülerinnen und Schülern immer wieder
Fremdheitserfahrungen aus, die mit den bei der Rezeption
entstehenden »kognitive
Dissonanzen
zu tun hat. Daher
empfiehlt es sich, diese im Anschluss an die Primärrezeption des
Textes durch die Schüler*innen ausdrücklich zum Thema zu machen.
Dadurch kann es gelingen, die mit solchen Erfahrungen verbundenen Unlustgefühle
zu verringern und die
weitere Bereitschaft, sich überhaupt näher auf ihn und die Reflexion
des eigenen Textverstehens einzulassen (▪
volitionale und
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metakognitive Aspekt des Lesens),
zu erhöhen. Mit der Thematisierung
unterschiedlicher Formen von Fremdheit in dem Text (▪
alltägliche,
kann dabei zu einer Spurensuche nach den Ursachen der Fremdheitserfahrungen
motiviert werden, die zum Ausgangspunkt der weiteren, intensiveren
Auseinandersetzung mit dem Text und dem eigenen Textverstehen werden
kann.
Dabei ist natürlich
auch zu berücksichtigen, dass auch ein solches Vorgehen und die
Fähigkeit und Bereitschaft, seine eigenen Fremdheitserfahrungen als
solche wahrzunehmen und dann noch zu kommunizieren, selbst auf
Kompetenzen beruht, zu deren Erwerb auch die wiederholte Einübung
und ihre Begleitung durch
•
Feedback-Prozesse
beiträgt
Radikale Fremdheit geht im Grunde genommen nicht nur über die
eigene, sondern über jegliche Ordnung hinaus.
Ihre Eigenart besteht, so
Leskovec (2010,
S. 242) darin, dass man sie bzw. den Umgang mit ihr nicht erlernen und sich
auch nicht daran gewöhnen kann: "sie verstört und verunsichert auch dadurch,
dass sie sich den bewährten Formen der Aneignung (auch dem 'normalen'
Sprechen) entzieht."
Das Gefühl radikaler Fremdheit kann sich dabei in
literarischen Texten auf unterschiedliche Art und Weise bemerkbar machen.
-
So
kann es vorkommen, dass ein Text ein Thema behandelt oder in
einem Text ein Motiv auftaucht, dass Grenzerfahrungen in den
Bereichen Sexualität, Halluzinationen jeder Art und jeden
Ursprungs, Tod oder sonstige über die eigene Vorstellungskraft
oder das eigene Erleben hinausgehende Inhalte und Stoffe in den
Handlungen der Figuren versinnbildlicht, die einem in einer
Weise fremd sind, dass man sie als radikale Fremdheit bezeichnen
kann. Dieses radikal Fremde ist für einen Leser nicht fassbar,
es bleibt letztendlich sogar nicht interpretierbar. Es ist
gewissermaßen "das Überschießende", wie es auch in
"individuellen wie kollektiven traumatischen Ereignissen,
ekstatischen oder spirituellen Erfahrungen, Krankheit, Wahnsinn,
Zufälligem, Phantastischem, Unheimlichem, Gewalt, Ereignissen
also, 'die uns mit dem Fremden als einem Außer-ordentlichen
konfrontieren.' (Waldenfels
1999, S.82)" (ebd.)
Gestalt annehmen kann.
-
Wenn man im radikal Fremden, das auch
ein Strukturelement bestimmter literarischer Texte
sein kann, das sieht, "was sich nicht paraphrasieren lässt, sich nicht mit den zur
Verfügung stehenden sprachlichen Mitteln ausdrücken lässt" (ebd.),
dann stellt es eine Art "Überschuss" (ebd.)
dar, der mit seiner "Bedeutungswucherung" oder "Bedeutungsverknappung"
(Waldenfels
2006, S.30, zit. n.
ebd.)
die Sinnhorizonte seiner Leser durchaus sprengen kann.
Literarische Texte, die mit dem Konzept radikaler Fremdheit arbeiten,
etablieren mit ihrer Selbstbezüglichkeit ein in gewisser Hinsicht autonomes
Ordnungssystem, "in denen das Unsagbare zur Sprache kommt". Geschaffen wird
dadurch eine "Möglichkeitswelt", deren "schräger Blick auf die Welt" (Leskovec
(2010, S. 242.)
Ausdruck und Motor der Mehr- und Vieldeutigkeit solcher Texte ist, die sich
damit einer vereindeutigenden Sinnzuweisung entziehen können.
Kafkas Texte erscheinen uns dagegen aus zwei anderen
Gründen fremd.
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Sie können uns ▪
strukturell fremd sein, weil sie eine eigene Wirklichkeit
darbieten, die sich von der unseren grundlegend unterscheidet.
Um sie zu verstehen, genügen unsere eigenen
Schemata der
Wahrnehmung, des Fühlens und (sozialen) Handelns nicht, geben
keine verlässlichen Orientierungen dafür, dem Gelesenen Sinn zu
geben. Texte, die eine strukturelle Fremdheit erzeugen, bringen
uns, wenn man so will, an die Grenzen unseres Wissens und
Könnens. Man kann aber über diese Unlust erzeugende, kognitive
Dissonanz hinwegkommen, wenn man sich z. B. durch Recherchieren
zusätzlicher Informationen einen Zugang zu der strukturell
fremden Wirklichkeit schaffen kann, den Text also, wie man sagt,
kontextualisiert oder, wenn man an den "ursprünglichen"
Bedingtheiten des Textes anknüpfen will, denText rekontextualisiert. (▪
volitionale
und ▪
metakognitive
Aspekt des Lesens). Wer also Kafkas Parabeln trotz seiner
strukturellen Fremdheitserfahrung ohne weitere Irritationen und
Blockaden verstehen will, muss sich "tiefer" auf den Text
einlassen, selbst auf die Gefahr hin, dass sich das als
strukturell Fremde Erlebte trotzdem nicht immer und vor allem
nicht vollständig erklären und deuten lässt. (vgl. Šlibar
2005, S.82, zit. n.
ebd.)
Das ist eben so, und gehört nicht zuletzt zu den ▪
Merkmalen moderner Parabeln, die einen schon mal "auf der
Geschichte sitzen" lassen (Allemann 1975/1998,
S.129) und sich Sinnzuschreibungen einfach entziehen.
Was bleibt: In solchen Fällen kann es helfen, die "Schreibstrategie" (Vogt
2008, S.65) Kafkas mit ihrer "Kombination von einfachem Wortlaut und
Gattungsschema, sprachlicher Vieldeutigkeit und Deutungsabstinenz des
Erzählers" (ebd.)
hinzunehmen und damit dem Text die Vieldeutigkeit zu lassen, die auch das
Gesamtwerk Kafkas weltberühmt gemacht hat. (vgl.
ebd.)
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Noch intensiver kann die kognitive Dissonanz erlebt werden, wenn
einem das, was man liest bzw. gelesen hat, so ▪
radikal fremd erscheint, dass nicht nur die gewohnten Lese-
und Verständnisroutinen versagen, sondern man sich überhaupt
nicht vorstellen kann, wo man einen Schlüssel zu der in dem Text
dargebotenen Wirklichkeit finden kann oder wie dieser Schlüssel
überhaupt aussehen könnte.
Was einem dabei widerfährt, kann einen extrem verstören und
verunsichern und kann oft auch kaum in Worte gefasst werden.
(vgl.
Leskovec 2010,
S. 242). Was in einem Text, der so extreme
Fremdheitserfahrungen auslöst, geht nicht nur über unseren
geistigen Horizont, sondern lässt sich oft auch kaum emotional
verarbeiten. Das können bestimmte Themen oder Motive sein. So
kann es sein, dass Grenzerfahrungen im
Bereich der Sexualität, physische oder psychische Gewalt, Halluzinationen jeder Art und jeden
Ursprungs, Tod oder sonstige über die eigene Vorstellungskraft
oder das eigene Erleben hinausgehende Inhalte und Stoffe in den
Handlungen der Figuren versinnbildlicht, die einem in einer
Weise fremd sind, dass man mit ihnen (fast) nicht mehr umgehen
kann. Was dargeboten wird, schießt gewissermaßen über alles uns
Erdenkliche und Erfühlende hinaus, in "individuellen wie
kollektiven traumatischen Ereignissen, ekstatischen oder
spirituellen Erfahrungen, Krankheit, Wahnsinn, Zufälligem,
Phantastischem, Unheimlichem, Gewalt, Ereignissen also, 'die uns
mit dem Fremden als einem Außer-ordentlichen konfrontieren.'(Waldenfels
1999, S.82)" (ebd.)
nehmen vor unseren Augen Formen und Wahrnehmungs- und
Lebensweisen von Menschen Gestalt an, die wir oft aös Abgründe
menschlicher Existenz empfinden. Dieses "Nichtfassbare,
Nicht-Interpretierbare" und *Überschießende" (ebd.)
wird auch immer wieder in Kafkas Parabeln und seinen anderen
Texten spürbar. Wenn man im radikal Fremden das sieht, "was sich nicht paraphrasieren lässt, sich nicht mit den zur
Verfügung stehenden sprachlichen Mitteln ausdrücken lässt" (ebd.,
dann stellt es eine Art "Überschuss" (ebd.)
dar, der mit seiner "Bedeutungswucherung" oder "Bedeutungsverknappung"
(Waldenfels
2006, S.30, zit. n.
ebd.)
die Sinnhorizonte seiner Leser durchaus sprengen kann.
Was tun?
Literarische Texte, die mit dem Konzept radikaler Fremdheit arbeiten, und
dies ist bei Kafkas Parabeln häufig der Fall,
etablieren mit ihrer Selbstbezüglichkeit ein in gewisser Hinsicht autonomes
Ordnungssystem, "in denen das Unsagbare zur Sprache kommt". Geschaffen wird
dadurch eine "Möglichkeitswelt", deren "schräger Blick auf die Welt" (Leskovec 2010, S. 242.)
Ausdruck und Motor der Mehr- und Vieldeutigkeit solcher Texte ist, die sich
damit einer vereindeutigenden Sinnzuweisung entziehen können.

• Einen Zugang zu Kafkas Parabeln finden
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
26.10.2024
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