Kafkas
▪
Parabel
▪ Vor dem Gesetz
enthält etliche Elemente, die als implizites Transfersignal
signalisieren, dass der Sinn des Textes außerhalb der Textebene gesucht
und konstruiert werden soll. (vgl. Zymner 2010,
S.458) Dabei bilden verschiedene Elemente der Emphase und der
Distanzierung im Zusammenspiel mit der strukturbildenden Paradoxie der
Parabel-Handlung als Ganzes das •
implizite Transfersignal, das in dem Text Suchaufforderung und
Appellstruktur des Textes gestaltet. (vgl.
ebd.)
Zugleich wird damit aber auch verdeutlicht, dass ein implizites
Transfermerkmal "nicht ein singuläres Element (wie etwa die expliziten
Vergleichsaufforderungen) (ist), sondern ein
Komplex gleichgerichteter und Impliziter Textmerkmale eines
episch-fiktionalen Textes." (Zymner 1991,
S.93 f.)
Das Identifizieren solcher Transfersignale
sagt natürlich recht wenig darüber aus, welche Analogien bei der
textexternen Bedeutungskonstruktion möglich sind, denn die Richtung des
Transfers wird allein durch den Wortlaut des Textes bestimmt. (vgl. Zymner 2010,
S.458)
Sie sind zunächst nicht mehr
als Aufforderungen, den Sinn des Textes jenseits der Textebene zu
konstruieren, legen aber damit keineswegs fest, dass ein bestimmter
Text nur eine, ihm beim jeweiligen Transfer zugewiesene Bedeutung
haben kann. Die prinzipielle Deutungsoffenheit von Parabeln und die
normative Zuschreibung eines bestimmten Spielraums der
Sinnkonstruktion oder zulässiger Lesarten von Parabeln lässt sich
damit aber wohl kaum begründen.
"Uneigentlichkeit"
ist Texten, die man als Parabeln bezeichnet, nämlich nur in geringem Maße
"eingeschrieben". Worauf eine Parabel
verweist oder anders ausgedrückt: welche Bedeutung ihr zugesprochen
wird, ist also nicht einfach in die Reihenfolge der sprachlichen Zeichen
"eingraviert". Und dementsprechend ist die Tatsache, ob man auch
erkennt, dass ein solcher Text über sich hinausweist, nicht einfach
davon abhängig, wie genau man einen solchen Text liest.
Für Zymner
(2010,
S.458) sind in ▪ Vor dem Gesetz
dabei besonders die "Erzählformulierung" und die "Figurenmarkierung"
wichtig.
Zu den über die dargestellte Situation hinausreichenden Lebensumständen
des Mannes vom Lande (z. B. ob er isst, schläft oder eine Familie
hat) schweigt sich der Erzähler der Geschichte aus. Stattdessen stellt
er dar, dass der Mann vom Lande "Tage und Jahre" neben der Türe auf
einem Schemel sitzt und auf darauf wartet, vom Türhüter eingelassen zu
werden. Während des Wartens richtet sich seine Aufmerksamkeit immer voll
und ganz auf den Türhüter. Allmählich wird er "alt" und dazu noch
"kindisch", so dass er schließlich sogar die Flöhe, die er im Pelzmantel
des Türhüters entdeckt, um Unterstützung bittet. Sein ganzes Leben -
erzähltechnisch in einer
durativen Raffung
dargeboten - besteht bis zu dem in absehbarer Zeit erwarteten Ende
("Nun lebt er nicht mehr lange") daraus, auf dem Schemel zu sitzen und
zu warten. (vgl.
ebd.)
Um den Leser, der u. U. dazu neigt, am Schicksal des Mannes vom Lande
Anteil zu nehmen, auf Distanz zu halten, greift der Text aber auch auf
"Formen der erzähltechnischen Distanzierung" (
ebd.)
zurück, die zum einen "durch die Kombination von
Erzähltempus (historisches
Präsens), intensiver
Raffung und
der dominanten
personalen Erzählsituation" (ebd.)
zustande kommt.
Ebenso distanzierend wirkt auch der
parataktische
Stil, die am den Beginn der Sätze platzierten
Raum- und Zeitangaben "sowie die immer wieder zu beobachtende Straffung
der Erzählung durch Ansätze linearer thematischer Progression"
(ebd.)
Diesen Elementen erzähltechnischer Distanzierung stehen aber auch immer
wieder emphatisch und emotional wirkende,
anaphorische
Formulierungen gegenüber, wenn z. B. davon die Rede ist, dass der Mann
vom Lande "vergisst" oder "verflucht" oder eben, wie schon erwähnt, so
"kindisch" wird, dass er die Flöhe um Hilfe bittet.
▪"Während
der vielen Jahre beobachtet der Mann den Türhüter fast
ununterbrochen, er vergisst die anderen Türhüter und dieser erste
erscheint ihm das einzige Hindernis für den Eintritt in das Gesetz.
Er verflucht den unglücklichen Zufall, in den ersten Jahren
rücksichtslos und laut, später, als er alt wird, brummt er nur noch
vor sich hin. Er wird kindisch, und, da er in dem jahrelangen
Studium des Türhüters auch die Flöhe in seinem Pelzkragen erkannt
hat, bittet er auch die Flöhe, ihm zu helfen und den Türhüter
umzustimmen. Schließlich wird sein Augenlicht schwach und er weiß
nicht, ob es um ihn wirklich dunkler wird oder ob ihn nur seine
Augen täuschen. "