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Text Lessing: Nathan der Weise - 1. Akt: Szene 3

I,3 - Nathan im Gespräch mit Al-Hafi über einen Kredit an Saladin

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FAChbereich Deutsch
Glossar Literatur Autorinnen und Autoren Gotthold Ephraim Lessing Nathan der Weise
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Gesamttext (Recherche-/Leseversion)

ERSTER AUFZUG

DRITTER AUFTRITT

Nathan und der Derwisch.

DERWISCH. Reißt nur die Augen auf, so weit Ihr könnt!
NATHAN. Bist du's? Bist du es nicht? - In dieser Pracht,
   Ein Derwisch!1 . . .
DERWISCH. Nun? warum denn nicht? Lässt sich
   Aus einem Derwisch denn nichts, gar nichts machen?
NATHAN. Ei wohl, genug! - Ich dachte mir nur immer,                      380
   Der Derwisch - so der rechte Derwisch - woll'
   Aus sich nichts machen lassen.
DERWISCH.                              Beim Propheten!2
   Dass ich kein rechter bin, mag auch wohl wahr sein.
   Zwar wenn man muss -
NATHAN. Muss! Derwisch! - Derwisch muss?
   Kein Mensch muss müssen, und ein Derwisch müsste?
   Was müsst' er denn?
DERWISCH.               Warum man ihn recht bittet,
   Und er für gut erkennt: das muss ein Derwisch.
NATHAN. Bei unserm Gott!3 da sagst du wahr. - Lass dich
   Umarmen, Mensch. - Du bist doch noch mein Freund?
DERWISCH. Und fragt nicht erst, was ich geworden bin?                 390
NATHAN. Trotzdem, was du geworden!
DERWISCH.                                             Könnt' ich nicht
   Ein Kerl im Staat geworden sein, des Freundschaft
   Euch ungelegen wäre?
NATHAN.                      Wenn dein Herz
   Noch Derwisch ist, so wag ich's drauf. Der Kerl
   Im Staat, ist nur dein Kleid.
DERWISCH.                         Das auch geehrt
   Will sein. - Was meint Ihr? ratet! - Was wär' ich
   An Eurem Hofe?
NATHAN.               Derwisch; weiter nichts.
   Doch nebenher, wahrscheinlich - Koch.
DERWISCH.                                            Nun ja!
   Mein Handwerk bei Euch zu verlernen. - Koch!
   Nicht Kellner auch? - Gesteht, dass Saladin                                  400
   Mich besser kennt. - Schatzmeister bin ich bei -
   Ihm worden.
NATHAN.        Du? - bei ihm?
DERWISCH.                               Versteht:
   Des kleinern Schatzes, - denn des größern waltet
   Sein Vater noch
- des Schatzes für sein Haus.
NATHAN. Sein Haus ist groß.
DERWISCH.                               Und größer, als Ihr glaubt;
   Denn jeder Bettler ist von seinem Hause.4
NATHAN. Doch ist den Bettlern Saladin so feind -
DERWISCH. Dass er mit Strumpf und Stiel sie zu vertilgen
   Sich vorgesetzt, - und sollt' er selbst darüber
   Zum Bettler werden.
5
NATHAN.                  Brav! - So mein ich's eben.                             410
DERWISCH. Er ist's auch schon, trotz einem! - Denn sein Schatz
   Ist jeden Tag mit Sonnenuntergang
   Viel leerer noch, als leer.
Die Flut, so hoch
   Sie morgens eintritt, ist des Mittags längst
   Verlaufen
-
NATHAN.   Weil Kanäle sie zum Teil
   Verschlingen, die zu füllen oder zu
   Verstopfen, gleich unmöglich ist.
DERWISCH.                                    Getroffen!
NATHAN. Ich kenne das!
DERWISCH.                        Es taugt nun freilich nichts,
   Wenn Fürsten Geier unter Äsern 6 sind.
   Doch sind sie Äser unter Geiern, taugt's                                       420
   Noch zehnmal weniger.
NATHAN.                             O nicht doch, Derwisch!
   Nicht doch!
DERWISCH. Ihr habt gut reden, Ihr! - Kommt an:
   Was gebt Ihr mir? so tret ich meine Stell'
   Euch ab.
NATHAN. Was bringt dir deine Stelle?
DERWISCH.                                        Mir?
   Nicht viel. Doch Euch, Euch kann sie trefflich wuchern.
   Denn ist es Ebb' im Schatz, - wie öfters ist, -
   So zieht Ihr Eure Schleusen auf: schießt vor,
   Und nehmt an Zinsen, was Euch nur gefällt.

NATHAN. Auch Zins vom Zins der Zinsen?
DERWISCH.                                               Freilich!
NATHAN.                                                                   Bis
   Mein Kapital zu lauter Zinsen wird.                                               430
DERWISCH. Das lockt Euch nicht? - So schreibet unsrer Freundschaft
   Nur gleich den Scheidebrief!7 Denn wahrlich hab
   Ich sehr auf Euch gerechnet.
NATHAN.                             Wahrlich? Wie
   Denn so? wieso denn?
DERWISCH.                 Dass Ihr mir mein Amt
   Mit Ehren würdet führen helfen; dass
   Ich allzeit offne Kasse bei Euch hätte. -
   Ihr schüttelt?
NATHAN.      Nun, verstehn wir uns nur recht!
   Hier gibt's zu unterscheiden. - Du? warum
   Nicht du? Al-Hafi Derwisch ist zu allem,
   Was ich vermag, mir stets willkommen.
- Aber                              440
   Al-Hafi Defterdar8 des Saladin,
   Der - dem -
DERWISCH. Erriet ich's nicht? Dass Ihr doch immer
   So gut als klug, so klug als weise seid! -
   Geduld! Was Ihr am Hafi unterscheidet,
   Soll bald geschieden wieder sein. - Seht da
   Das Ehrenkleid, das Saladin mir gab.
   Eh' es verschossen9 ist, eh' es zu Lumpen
   Geworden, wie sie einen Derwisch kleiden,
   Hängt's in Jerusalem am Nagel, und
   Ich bin am Ganges, wo ich leicht und barfuß                                 450
   Den heißen Sand mit meinen Lehrern trete.
NATHAN. Dir ähnlich g'nug!
DERWISCH.                           Und Schach mit ihnen spiele.
NATHAN. Dein höchstes Gut!
DERWISCH.                             Denkt nur, was mich verführte! -
   Damit ich selbst nicht länger betteln dürfte?
   Den reichen Mann mit Bettlern spielen könnte?
   Vermögend wär' im Hui10 den reichsten Bettler
   In einen armen Reichen zu verwandeln?
NATHAN. Das nun wohl nicht.
DERWISCH.                            Weit etwas Abgeschmackters!11
   Ich fühlte mich zum erstenmal geschmeichelt;
   Durch Saladins gutherz'gen Wahn geschmeichelt -                        460
NATHAN. Der war?
DERWISCH. »Ein Bettler wisse nur, wie Bettlern
   Zumute sei; ein Bettler habe nur
   Gelernt, mit guter Weise Bettlern geben.
   Dein Vorfahr12, sprach er, war mir viel zu kalt,
   Zu rauh. Er gab so unhold13, wenn er gab;
   Erkundigte so ungestüm sich erst
   Nach dem Empfänger; nie zufrieden, dass
   Er nur den Mangel kenne, wollt' er auch
   Des Mangels Ursach' wissen, um die Gabe
   Nach dieser Ursach
' filzig14 abzuwägen.                                          470
   Das wird Al-Hafi nicht! So unmild mild
   Wird Saladin im Hafi nicht erscheinen!
   Al-Hafi gleicht verstopften Röhren nicht,
   Die ihre klar und still empfangnen Wasser
   So unrein und so sprudelnd wiedergeben.
   Al-Hafi denkt; Al-Hafi fühlt wie ich!« -
   So lieblich klang des Voglers Pfeife15, bis
   Der Gimpel16 in dem Netze war. - Ich Geck!17
   Ich eines Gecken Geck!
NATHAN.                         Gemach18, mein Derwisch,
   Gemach!
DERWISCH. Ei was! - Es wär' nicht Geckerei19,                                480
   Bei Hunderttausenden die Menschen drücken,
   Ausmergeln20, plündern, martern, würgen; und
   Ein Menschenfreund an einzeln scheinen wollen?
   Es wär' nicht Geckerei, des Höchsten Milde,
   Die sonder Auswahl über Bös' und Gute
   Und Flur und Wüstenei21, in Sonnenschein
   Und Regen sich verbreitet, - nachzuäffen,
   Und nicht des Höchsten immer volle Hand
   Zu haben? Was? es wär' nicht Geckerei . . .
NATHAN. Genug! hör auf!
DERWISCH.                       Lasst meiner Geckerei                        490
   Mich doch nur auch erwähnen! - Was? es wäre
   Nicht Geckerei, an solchen Geckereien
   Die gute Seite dennoch auszusparen,
   Um Anteil, dieser guten Seite wegen,
   An dieser Geckerei zu nehmen? He?
   Das nicht?
NATHAN. Al-Hafi, mache, dass du bald
   In deine Wüste wieder kömmst. Ich fürchte,
   Grad unter Menschen möchtest du ein Mensch
   Zu sein verlernen.

DERWISCH.             Recht, das fürcht ich auch.
   Lebt wohl!
NATHAN.    So hastig? - Warte doch, Al-Hafi.                                500
   Entläuft dir denn die Wüste? - Warte doch! -
   Dass er mich hörte! - He, Al-Hafi! hier! -
   Weg ist er; und ich hätt' ihn noch so gern
   Nach unserm Tempelherrn gefragt. Vermutlich,
   Dass er ihn kennt.

 

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Worterläuterungen/Hinweise/Kommentar

1  lt. Wikipedia bezeichnet der Ausdruck »Derwisch einen Angehörigen einer muslimischen asketisch-religiösen Ordensgemeinschaft, die im Allgemeinen für ihre Bescheidenheit und Disziplin bekannt ist.
2  gemeint ist der Prophet »Mohammed (570-632 n. Chr.), der Religionsstifter des Islam; Ausspruch ist etwa vergleichbar mit "bei Gott!"
3  ggf. Hinweis auf die Gemeinsamkeit von Judentum und Islam (»Monotheismus)
4  Jeder Bettler ist in seinem Haus willkommen, kann dort so leben, als wohnte er dort.
5  Strumpf auch: Stumpf bzw. Strunk = meist kurzer, dicker, "holziger" Teil bestimmter Pflanzen, der übrigbleibt, wenn das Essbare daran entfernt worden ist; im übertragenen Sinne bedeutet die Redensart etwa "ganz und gar, vollständig, völlig"; Redensart: "Mit Stumpf und Stiel" beseitigen/ausrotten etc.; zum Thema Umgang Saladins mit Geld vgl. Dialog von Saladin und Sittah beim Schachspiel (II,1), auch die von Saladin im Gespräch mit Sittah (IV,3 V 2611) gemachten Äußerungen, sowie Saladins Verhalten gegenüber den mameluckischen Boten (V,1 V 3184) (→Saladins Geldnot und die Staatsräson - Strukturbild)
6  Plural von Aas (selten, heute ungebräuchlich)
7  Brief, mit dem (hochoffiziell) die Trennung beurkundet wird, h; die Freundschaft aufgekündigt wird
8  Schatzmeister (persisch)
9  von der Sonne ausgebleicht
10 im Nu, binnen kürzester Zeit
11 etwas Geschmackloseres, etwas Banaleres
12 Vorgänger
13 nur mit Widerwillen, ungnädig, ohne Mitleid
14 besonders geizig
15 Pfeife, mit der jemand, der auf Vogeljagd geht, Vögel heranlockt
16 aus dem 9. Jh. stammender Vogelname für den »Dompfaff oder einen Fink, auch als Schimpfwort in Gebrauch für einen einfältigen, dümmlichen Menschen, Einfaltspinsel bzw. Tölpel, heute wohl ähnlich wie Depp
17  Narr, heute mitunter verwendet, um eine Person, die sich übertrieben modisch kleidet, zu bezeichnen (Karnevalsgeck)
18  Geduld
19  Unsinn, Narretei
20  das Mark aussaugen
21  Wüste, Einöde, wüste, öde, wilde Gegend

Textauswahl

Gesamttext (Recherche-/Leseversion)

Gert Egle, zuletzt bearbeitet am: 05.05.2021

 
 

 
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