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Lessing: Nathan der Weise

Der vollständige Dramentext

Recherche-/Leseversion (Quelle: Projekt Gutenberg)  

 
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ERSTER AUFZUG

 

[I,1]

Erster Auftritt                    

(Szene: Flur in Nathans Hause.)
Nathan von der Reise kommend. Daja ihm entgegen.

Daja. 
Er ist es! Nathan! – Gott sei ewig Dank, 
Daß Ihr doch endlich einmal wiederkommt.

Nathan. 
Ja, Daja; Gott sei Dank! Doch warum endlich? 
Hab ich denn eher wiederkommen wollen? 
Und wiederkommen können? Babylon 
Ist von Jerusalem, wie ich den Weg, 
Seitab bald rechts, bald links, zu nehmen bin 
Genötigt worden, gut zweihundert Meilen; 
Und Schulden einkassieren, ist gewiß 
Auch kein Geschäft, das merklich födert, das 
So von der Hand sich schlagen läßt.

Daja.       O Nathan, 
Wie elend, elend hättet Ihr indes 
Hier werden können! Euer Haus ...

Nathan.       Das brannte. 
So hab ich schon vernommen. – Gebe Gott, 
Daß ich nur alles schon vernommen habe!

Daja. 
Und wäre leicht von Grund aus abgebrannt.

Nathan. 
Dann, Daja, hätten wir ein neues uns 
Gebaut; und ein bequemeres.

Daja.       Schon wahr! – 
Doch Recha wär' bei einem Haare mit 
Verbrannt.

Nathan.       Verbrannt? Wer? meine Recha? sie? – 
Das hab ich nicht gehört. – Nun dann! So hätte 
Ich keines Hauses mehr bedurft. – Verbrannt 
Bei einem Haare! – Ha! sie ist es wohl! 
Ist wirklich wohl verbrannt! – Sag nur heraus! 
Heraus nur! – Töte mich: und martre mich 
Nicht länger. – ja, sie ist verbrannt.

Daja.       Wenn sie 
Es wäre, würdet Ihr von mir es hören?

Nathan. 
Warum erschreckest du mich denn? – O Recha! 
O meine Recha!

Daja.       Eure? Eure Recha?

Nathan. 
Wenn ich mich wieder je entwöhnen müßte, 
Dies Kind mein Kind zu nennen!

Daja.       Nennt Ihr alles, 
Was Ihr besitzt, mit ebensoviel Rechte 
Das Eure?

Nathan.       Nichts mit größerm! Alles, was 
Ich sonst besitze, hat Natur und Glück 
Mir zugeteilt. Dies Eigentum allein 
Dank ich der Tugend.

Daja.       O wie teuer laßt 
Ihr Eure Güte, Nathan, mich bezahlen! 
Wenn Güt', in solcher Absicht ausgeübt, 
Noch Güte heißen kann!

Nathan.       In solcher Absicht? 
In welcher?

Daja.       Mein Gewissen ...

Nathan.             Daja, laß 
Vor allen Dingen dir erzählen ...

Daja.       Mein 
Gewissen, sag ich ...

Nathan.       Was in Babylon 
Für einen schönen Stoff ich dir gekauft. 
So reich, und mit Geschmack so reich! Ich bringe 
Für Recha selbst kaum einen schönern mit.

Daja. 
Was hilft's? Denn mein Gewissen, muß ich Euch 
Nur sagen, läßt sich länger nicht betäuben.

Nathan. 
Und wie die Spangen, wie die Ohrgehenke, 
Wie Ring und Kette dir gefallen werden, 
Die in Damaskus ich dir ausgesucht: 
Verlanget mich zu sehn.

Daja.       So seid Ihr nun! 
Wenn Ihr nur schenken könnt! nur schenken könnt!

Nathan. 
Nimm du so gern, als ich dir geb: – und schweig!

Daja. 
Und schweig! Wer zweifelt, Nathan, daß Ihr nicht 
Die Ehrlichkeit, die Großmut selber seid? 
Und doch ...

Nathan.       Doch bin ich nur ein Jude. – Gelt, 
Das willst du sagen?

Daja.       Was ich sagen will, 
Das wißt Ihr besser.

Nathan.       Nun so schweig!

Daja.             Ich schweige. 
Was Sträfliches vor Gott hierbei geschieht, 
Und ich nicht hindern kann, nicht ändern kann, – 
Nicht kann, – komm' über Euch!

Nathan.       Komm' über mich! – 
Wo aber ist sie denn? wo bleibt sie? – Daja, 
Wenn du mich hintergehst! – Weiß sie es denn, 
Daß ich gekommen bin?

Daja.       Das frag ich Euch! 
Noch zittert ihr der Schreck durch jede Nerve. 
Noch malet Feuer ihre Phantasie 
Zu allem, was sie malt. Im Schlafe wacht, 
Im Wachen schläft ihr Geist: bald weniger 
Als Tier, bald mehr als Engel.

Nathan.       Armes Kind! 
Was sind wir Menschen!

Daja.       Diesen Morgen lag 
Sie lange mit verschloßnem Aug', und war 
Wie tot. Schnell fuhr sie auf, und rief: »Horch! horch! 
Da kommen die Kamele meines Vaters! 
Horch! seine sanfte Stimme selbst!« – Indem 
Brach sich ihr Auge wieder: und ihr Haupt, 
Dem seines Armes Stütze sich entzog, 
Stürzt auf das Kissen. – Ich, zur Pfort' hinaus! 
Und sieh: da kommt Ihr wahrlich! kommt Ihr wahrlich! – 
Was Wunder! ihre ganze Seele war 
Die Zeit her nur bei Euch – und ihm. –

Nathan.       Bei ihm? 
Bei welchem Ihm?

Daja.       Bei ihm, der aus dem Feuer 
Sie rettete.

Nathan.       Wer war das? wer? – Wo ist er? 
Wer rettete mir meine Recha? wer?

Daja. 
Ein junger Tempelherr, den, wenig Tage 
Zuvor, man hier gefangen eingebracht, 
Und Saladin begnadigt hatte.

Nathan.       Wie? 
Ein Tempelherr, dem Sultan Saladin 
Das Leben ließ? Durch ein geringres Wunder 
War Recha nicht zu retten? Gott!

Daja.       Ohn' ihn, 
Der seinen unvermuteten Gewinst 
Frisch wieder wagte, war es aus mit ihr.

Nathan. 
Wo ist er, Daja, dieser edle Mann? – 
Wo ist er? Führe mich zu seinen Füßen. 
Ihr gabt ihm doch vors erste, was an Schätzen 
Ich euch gelassen hatte? gabt ihm alles? 
Verspracht ihm mehr? weit mehr?

Daja.       Wie konnten wir?

Nathan. 
Nicht? nicht?

Daja.       Er kam, und niemand weiß woher. 
Er ging, und niemand weiß wohin. – Ohn' alle 
Des Hauses Kundschaft, nur von seinem Ohr 
Geleitet, drang, mit vorgespreiztem Mantel, 
Er kühn durch Flamm' und Rauch der Stimme nach, 
Die uns um Hilfe rief. Schon hielten wir 
Ihn für verloren, als aus Rauch und Flamme 
Mit eins er vor uns stand, im starken Arm 
Empor sie tragend. Kalt und ungerührt 
Vom Jauchzen unsers Danks, setzt seine Beute 
Er nieder, drängt sich unters Volk und ist 
Verschwunden!

Nathan.       Nicht auf immer, will ich hoffen.

Daja. 
Nachher die ersten Tage sahen wir 
Ihn untern Palmen auf und nieder wandeln, 
Die dort des Auferstandnen Grab umschatten. 
Ich nahte mich ihm mit Entzücken, dankte, 
Erhob, entbot, beschwor, – nur einmal noch 
Die fromme Kreatur zu sehen, die 
Nicht ruhen könne, bis sie ihren Dank 
Zu seinen Füßen ausgeweinet.

Nathan.       Nun?

Daja. 
Umsonst! Er war zu unsrer Bitte taub; 
Und goß so bittern Spott auf mich besonders ...

Nathan. Bis dadurch abgeschreckt ...

Daja.       Nichts weniger! 
Ich trat ihn je den Tag von neuem an; 
Ließ jeden Tag von neuem mich verhöhnen. 
Was litt ich nicht von ihm! Was hätt' ich nicht 
Noch gern ertragen! – Aber lange schon 
Kommt er nicht mehr, die Palmen zu besuchen, 
Die unsers Auferstandnen Grab umschatten; 
Und niemand weiß, wo er geblieben ist. 
Ihr staunt? Ihr sinnt?

Nathan.       Ich überdenke mir, 
Was das auf einen Geist, wie Rechas, wohl 
Für Eindruck machen muß. Sich so verschmäht 
Von dem zu finden, den man hochzuschätzen 
Sich so gezwungen fühlt; so weggestoßen, 
Und doch so angezogen werden; – Traun, 
Da müssen Herz und Kopf sich lange zanken, 
Ob Menschenhaß, ob Schwermut siegen soll. 
Oft siegt auch keines; und die Phantasie, 
Die in den Streit sich mengt, macht Schwärmer, 
Bei welchen bald der Kopf das Herz, und bald 
Das Herz den Kopf muß spielen. – Schlimmer Tausch! – 
Das letztere, verkenn ich Recha nicht, 
Ist Rechas Fall: sie schwärmt.

Daja.       Allein so fromm, 
So liebenswürdig!

Nathan.       Ist doch auch geschwärmt!

Daja. 
Vornehmlich eine – Grille, wenn Ihr wollt, 
Ist ihr sehr wert. Es sei ihr Tempelherr 
Kein irdischer und keines irdischen; 
Der Engel einer, deren Schutze sich 
Ihr kleines Herz, von Kindheit auf, so gern 
Vertrauet glaubte, sei aus seiner Wolke, 
In die er sonst verhüllt, auch noch im Feuer, 
Um sie geschwebt, mit eins als Tempelherr 
Hervorgetreten. – Lächelt nicht! – Wer weiß? 
Laßt lächelnd wenigstens ihr einen Wahn, 
In dem sich Jud' und Christ und Muselmann 
Vereinigen; – so einen süßen Wahn!

Nathan. 
Auch mir so süß! – Geh, wackre Daja, geh; 
Sieh, was sie macht; ob ich sie sprechen kann. – 
Sodann such ich den wilden, launigen 
Schutzengel auf. Und wenn ihm noch beliebt, 
Hienieden unter uns zu wallen; noch 
Beliebt, so ungesittet Ritterschaft 
Zu treiben: find ich ihn gewiß; und bring Ihn her.

Daja. 
Ihr unternehmet viel.

Nathan.       Macht dann 
Der süße Wahn der süßern Wahrheit Platz: – 
Denn, Daja, glaube mir; dem Menschen ist 
Ein Mensch noch immer lieber, als ein Engel – 
So wirst du doch auf mich, auf mich nicht zürnen, 
Die Engelschwärmerin geheilt zu sehn?

Daja. 
Ihr seid so gut, und seid zugleich so schlimm! 
Ich geh! – Doch hört! doch seht! – Da kommt sie selbst.

 

[I,2]

 

Zweiter Auftritt                    

Recha und die Vorigen.

Recha. 
So seid Ihr es doch ganz und gar, mein Vater? 
Ich glaubt', Ihr hättet Eure Stimme nur 
Vorausgeschickt. Wo bleibt Ihr? Was für Berge, 
Für Wüsten, was für Ströme trennen uns 
Denn noch? Ihr atmet Wand an Wand mit ihr, 
Und eilt nicht, Eure Recha zu umarmen? 
Die arme Recha, die indes verbrannte! 
Fast, fast verbrannte! Fast nur. Schaudert nicht! 
Es ist ein garstiger Tod, verbrennen. Oh!

Nathan. 
Mein Kind! mein liebes Kind!

Recha.       Ihr mußtet über 
Den Euphrat, Tigris, Jordan; über – wer 
Weiß was für Wasser all? – Wie oft hab ich 
Um Euch gezittert, eh' das Feuer mir 
So nahe kam! Denn seit das Feuer mir 
So nahe kam: dünkt mich im Wasser sterben 
Erquickung, Labsal, Rettung, – Doch Ihr seid 
Ja nicht ertrunken: ich, ich bin ja nicht 
Verbrannt. Wie wollen wir uns freun, und Gott, 
Gott loben! Er, er trug Euch und den Nachen 
Auf Flügeln seiner unsichtbaren Engel 
Die ungetreuen Ström' hinüber. Er, 
Er winkte meinem Engel, daß er sichtbar 
Auf seinem weißen Fittiche, mich durch 
Das Feuer trüge –

Nathan.       (Weißem Fittiche! 
Ja, ja! der weiße vorgespreizte Mantel 
Des Tempelherrn.)

Recha.       Er sichtbar, sichtbar mich 
Durchs Feuer trüg', von seinem Fittiche 
Verweht. – Ich also, ich hab einen Engel 
Von Angesicht zu Angesicht gesehn; 
Und meinen Engel.

Nathan.       Recha wär' es wert; 
Und würd' an ihm nichts Schönres sehn, als er 
An ihr.

Recha (lächelnd). 
      Wem schmeichelt Ihr, mein Vater? wem? 
Dem Engel, oder Euch?

Nathan.       Doch hätt' auch nur 
Ein Mensch – ein Mensch, wie die Natur sie täglich 
Gewährt, dir diesen Dienst erzeigt: er müßte 
Für dich ein Engel sein. Er müßt' und würde.

Recha. 
Nicht so ein Engel; nein! ein wirklicher; 
Es war gewiß ein wirklicher! – Habt Ihr, 
Ihr selbst die Möglichkeit, daß Engel sind, 
Daß Gott zum Besten derer, die ihn lieben, 
Auch Wunder könne tun, mich nicht gelehrt? 
Ich lieb ihn ja.

Nathan.       Und er liebt dich; und tut 
Für dich, und deinesgleichen, stündlich Wunder; 
Ja, hat sie schon von aller Ewigkeit 
Für euch getan.

Recha.       Das hör ich gern.

Nathan.             Wie? weil 
Es ganz natürlich, ganz alltäglich klänge, 
Wenn dich ein eigentlicher Tempelherr 
Gerettet hätte: sollt' es darum weniger 
Ein Wunder sein? – Der Wunder höchstes ist, 
Daß uns die wahren, echten Wunder so 
Alltäglich werden können, werden sollen. 
Ohn' dieses allgemeine Wunder, hätte 
Ein Denkender wohl schwerlich Wunder je 
Genannt, was Kindern bloß so heißen mußte, 
Die gaffend nur das Ungewöhnlichste, 
Das Neuste nur verfolgen.

Daja (zu Nathan).       Wollt Ihr denn 
Ihr ohnedem schon überspanntes Hirn 
Durch solcherlei Subtilitäten ganz 
Zersprengen?

Nathan.       Laß mich! – Meiner Recha wär' 
Es Wunders nicht genug, daß sie ein Mensch 
Gerettet, welchen selbst kein kleines Wunder 
Erst retten müssen? Ja, kein kleines Wunder! 
Denn wer hat schon gehört, daß Saladin 
Je eines Tempelherrn verschont? daß je 
Ein Tempelherr von ihm verschont zu werden 
Verlangt? gehofft? ihm je für seine Freiheit 
Mehr als den ledern Gurt geboten, der 
Sein Eisen schleppt; und höchstens seinen Dolch?

Recha. 
Das schließt für mich, mein Vater. – Darum eben 
War das kein Tempelherr; er schien es nur. – 
Kömmt kein gefangner Tempelherr je anders 
Als zum gewissen Tode nach Jerusalem; 
Geht keiner in Jerusalem so frei 
Umher: wie hätte mich des Nachts freiwillig 
Denn einer retten können?

Nathan.       Sieh! wie sinnreich. 
Jetzt, Daja, nimm das Wort. Ich hab es ja 
Von dir, daß er gefangen hergeschickt 
Ist worden. Ohne Zweifel weißt du mehr.

Daja. 
Nun ja. – So sagt man freilich; – doch man sagt 
Zugleich, daß Saladin den Tempelherrn 
Begnadigt, weil er seiner Brüder einem, 
Den er besonders lieb gehabt, so ähnlich sehe. 
Doch da es viele zwanzig Jahre her, 
Daß dieser Bruder nicht mehr lebt, – er hieß, 
Ich weiß nicht wie; – er blieb, ich weiß nicht wo: – 
So klingt das ja so gar – so gar unglaublich, 
Daß an der ganzen Sache wohl nichts ist.

Nathan. 
Ei, Daja! Warum wäre denn das so 
Unglaublich? Doch wohl nicht – wie's wohl geschieht – 
Um lieber etwas noch Unglaublichers 
Zu glauben? – Warum hätte Saladin, 
Der sein Geschwister insgesamt so liebt, 
In jüngern Jahren einen Bruder nicht 
Noch ganz besonders lieben können? – Pflegen 
Sich zwei Gesichter nicht zu ähneln? – Ist 
Ein alter Eindruck ein verlorner? – Wirkt 
Das Nämliche nicht mehr das Nämliche? 
Seit wenn? – Wo steckt hier das Unglaubliche? 
Ei freilich, weise Daja, wär's für dich 
Kein Wunder mehr; und deine Wunder nur 
Bedürf ... verdienen, will ich sagen, Glauben.

Daja. 
Ihr spottet.

Nathan.       Weil du meiner spottest. – Doch 
Auch so noch, Recha, bleibet deine Rettung 
Ein Wunder, dem nur möglich, der die strengsten 
Entschlüsse, die unbändigsten Entwürfe 
Der Könige, sein Spiel – wenn nicht sein Spott – 
Gern an den schwächsten Fäden lenkt.

Recha.       Mein Vater! 
Mein Vater, wenn ich irr, Ihr wißt, ich irre 
Nicht gern.

Nathan.       Vielmehr, du läßt dich gern belehren. 
Sieh! eine Stirn, so oder so gewölbt; 
Der Rücken einer Nase, so vielmehr 
Als so geführet; Augenbraunen, die 
Auf einem scharfen oder stumpfen Knochen 
So oder so sich schlängeln; eine Linie, 
Ein Bug, ein Winkel, eine Falt', ein Mal, 
Ein Nichts, auf eines wilden Europäers 
Gesicht: – und du entkommst dem Feu'r, in Asien! 
Das wär' kein Wunder, wundersücht'ges Volk? 
Warum bemüht ihr denn noch einen Engel?

Daja. 
Was schadet's – Nathan, wenn ich sprechen darf – 
Bei alledem, von einem Engel lieber 
Als einem Menschen sich gerettet denken? 
Fühlt man der ersten unbegreiflichen 
Ursache seiner Rettung nicht sich so 
Viel näher?

Nathan.       Stolz! und nichts als Stolz! Der Topf 
Von Eisen will mit einer silbern Zange 
Gern aus der Glut gehoben sein, um selbst 
Ein Topf von Silber sich zu dünken. – Pah! – 
Und was es schadet, fragst du? was es schadet? 
Was hilft es? dürft' ich nur hinwieder fragen. – 
Denn dein »Sich Gott um so viel näher fühlen« 
Ist Unsinn oder Gotteslästerung. – 
Allein es schadet; ja, es schadet allerdings. – 
Kommt! hört mir zu. – Nicht wahr? dem Wesen, das 
Dich rettete, – es sei ein Engel oder 
Ein Mensch, – dem möchtet ihr, und du besonders, 
Gern wieder viele große Dienste tun? – 
Nicht wahr? – Nun, einem Engel, was für Dienste, 
Für große Dienste könnt ihr dem wohl tun? 
Ihr könnt ihm danken; zu ihm seufzen, beten; 
Könnt in Entzückung über ihn zerschmelzen; 
Könnt an dem Tage seiner Feier fasten, 
Almosen spenden. – Alles nichts. – Denn mich 
Deucht immer, daß ihr selbst und euer Nächster 
Hierbei weit mehr gewinnt, als er. Er wird 
Nicht fett durch euer Fasten; wird nicht reich 
Durch eure Spenden; wird nicht herrlicher 
Durch eu'r Entzücken; wird nicht mächtiger 
Durch eu'r Vertraun. Nicht wahr? Allein ein Mensch!

Daja. 
Ei freilich hätt' ein Mensch, etwas für ihn 
Zu tun, uns mehr Gelegenheit verschafft. 
Und Gott weiß, wie bereit wir dazu waren! 
Allein er wollte ja, bedurfte ja 
So völlig nichts; war in sich, mit sich so 
Vergnügsam, als nur Engel sind, nur Engel 
Sein können.

Recha.       Endlich, als er gar verschwand ...

Nathan. 
Verschwand? – Wie denn verschwand? – Sich untern Palmen 
Nicht ferner sehen ließ? – Wie? oder habt 
Ihr wirklich schon ihn weiter aufgesucht?

Daja. 
Das nun wohl nicht.

Nathan.       Nicht, Daja? nicht? – Da sieh 
Nun was es schad't! – Grausame Schwärmerinnen! 
Wenn dieser Engel nun – nun krank geworden! ...

Recha. 
Krank!

Daja.       Krank! Er wird doch nicht!

Recha.             Welch kalter Schauer 
Befällt mich! – Daja! – Meine Stirne, sonst 
So warm, fühl! ist auf einmal Eis.

Nathan.       Er ist 
Ein Franke, dieses Klimas ungewohnt; 
Ist jung; der harten Arbeit seines Standes, 
Des Hungerns, Wachens ungewohnt.

Recha.       Krank! krank!

Daja. 
Das wäre möglich, meint ja Nathan nur.

Nathan. 
Nun liegt er da! hat weder Freund, noch Geld 
Sich Freunde zu besolden.

Recha.       Ah, mein Vater!

Nathan. 
Liegt ohne Wartung, ohne Rat und Zusprach', 
Ein Raub der Schmerzen und des Todes da!

Recha. 
Wo? wo?

Nathan.       Er, der für eine, die er nie 
Gekannt, gesehn – genug, es war ein Mensch 
Ins Feu'r sich stürzte ...

Daja.       Nathan, schonet ihrer!

Nathan. 
Der, was er rettete, nicht näher kennen, 
Nicht weiter sehen mocht', – um ihm den Dank 
Zu sparen ...

Daja.       Schonet ihrer, Nathan!

Nathan.             Weiter 
Auch nicht zu sehn verlangt', – es wäre denn, 
Daß er zum zweitenmal es retten sollte – 
Denn g'nug, es ist ein Mensch ...

Daja.       Hört auf, und seht!

Nathan. 
Der, der hat sterbend sich zu laben, nichts 
Als das Bewußtsein dieser Tat!

Daja.       Hört auf! 
Ihr tötet sie!

Nathan.       Und du hast ihn getötet! – 
Hättst so ihn töten können. – Recha! Recha! 
Es ist Arznei, nicht Gift, was ich dir reiche. 
Er lebt! – komm zu dir! – ist auch wohl nicht krank: 
Nicht einmal krank!

Recha.       Gewiß? – nicht tot? nicht krank?

Nathan. 
Gewiß, nicht tot! Denn Gott lohnt Gutes, hier 
Getan, auch hier noch. – Geh! – Begreifst du aber, 
Wieviel andächtig schwärmen leichter, als 
Gut handeln ist? wie gern der schlaffste Mensch 
Andächtig schwärmt, um nur, – ist er zu Zeiten 
Sich schon der Absicht deutlich nicht bewußt – 
Um nur gut handeln nicht zu dürfen?

Recha.       Ah, 
Mein Vater! laßt, laßt Eure Recha doch 
Nie wiederum allein! – Nicht wahr, er kann 
Auch wohl verreist nur sein? –

Nathan.       Geht! – Allerdings. – 
Ich seh, dort mustert mit neugier'gem Blick 
Ein Muselmann mir die beladenen 
Kamele. Kennt Ihr ihn?

Daja.       Ha! Euer Derwisch.

Nathan. 
Wer?

Daja.       Euer Derwisch; Euer Schachgesell!

Nathan. 
Al-Hafi? das Al-Hafi?

Daja.       Itzt des Sultans 
Schatzmeister.

Nathan.       Wie? Al-Hafi? Träumst du wieder? 
Er ist's! – wahrhaftig, ist's! – kömmt auf uns zu. 
Hinein mit Euch, geschwind! – Was werd ich hören!

 

[I,3]

 

Dritter Auftritt                    

Nathan und der Derwisch.

Derwisch. 
Reißt nur die Augen auf, so weit Ihr könnt!

Nathan. 
Bist du's? Bist du es nicht? – In dieser Pracht, 
Ein Derwisch! ...

Derwisch.       Nun? warum denn nicht? Läßt sich 
Aus einem Derwisch denn nichts, gar nichts machen?

Nathan. 
Ei wohl, genug! – Ich dachte mir nur immer, 
Der Derwisch – so der rechte Derwisch – woll' 
Aus sich nichts machen lassen.

Derwisch.       Beim Propheten 
Daß ich kein rechter bin, mag auch wohl wahr sein. 
Zwar wenn man muß –

Nathan.       Muß! Derwisch! – Derwisch muß? 
Kein Mensch muß müssen, und ein Derwisch müßte? 
Was müßt' er denn?

Derwisch.       Warum man ihn recht bittet, 
Und er für gut erkennt: das muß ein Derwisch.

Nathan. 
Bei unserm Gott! da sagst du wahr. – Laß dich 
Umarmen, Mensch. – Du bist doch noch mein Freund?

Derwisch. 
Und fragt nicht erst, was ich geworden bin?

Nathan. 
Trotzdem, was du geworden!

Derwisch.       Könnt' ich nicht 
Ein Kerl im Staat geworden sein, des Freundschaft 
Euch ungelegen wäre?

Nathan.       Wenn dein Herz 
Noch Derwisch ist, so wag ich's drauf. Der Kerl 
Im Staat, ist nur dein Kleid.

Derwisch.       Das auch geehrt 
Will sein. – Was meint Ihr? ratet! – Was wär' ich 
An Eurem Hofe?

Nathan.       Derwisch; weiter nichts. 
Doch nebenher, wahrscheinlich – Koch.

Derwisch.       Nun ja! 
Mein Handwerk bei Euch zu verlernen. – Koch! 
Nicht Kellner auch? – Gesteht, daß Saladin 
Mich besser kennt. – Schatzmeister bin ich bei – 
Ihm worden.

Nathan.       Du? – bei ihm?

Derwisch.             Versteht: 
Des kleinern Schatzes, – denn des größern wartet 
Sein Vater noch – des Schatzes für sein Haus.

Nathan. 
Sein Haus ist groß.

Derwisch.       Und größer, als Ihr glaubt; 
Denn jeder Bettler ist von seinem Hause.

Nathan. 
Doch ist den Bettlern Saladin so feind –

Derwisch. 
Daß er mit Strumpf und Stiel sie zu vertilgen 
Sich vorgesetzt, – und sollt' er selbst darüber 
Zum Bettler werden.

Nathan.       Brav! – So mein ich's eben.

Derwisch. 
Er ist's auch schon, trotz einem! – Denn sein Schatz 
Ist jeden Tag mit Sonnenuntergang 
Viel leerer noch, als leer. Die Flut, so hoch 
Sie morgens eintritt, ist des Mittags längst 
Verlaufen –

Nathan.       Weil Kanäle sie zum Teil 
Verschlingen, die zu füllen oder zu 
Verstopfen, gleich unmöglich ist.

Derwisch.       Getroffen!

Nathan. 
Ich kenne das!

Derwisch.       Es taugt nun freilich nichts, 
Wenn Fürsten Geier unter Äsern sind. 
Doch sind sie Äser unter Geiern, taugt's 
Noch zehnmal weniger.

Nathan.       O nicht doch, Derwisch! 
Nicht doch!

Derwisch.       Ihr habt gut reden, Ihr! – Kommt an: 
Was gebt Ihr mir? so tret ich meine Stell' 
Euch ab.

Nathan.       Was bringt dir deine Stelle?

Derwisch.             Mir? 
Nicht viel. Doch Euch, Euch kann sie trefflich wuchern. 
– Denn ist es Ebb' im Schatz, – wie öfters ist, 
So zieht Ihr Eure Schleusen auf: schießt vor, 
Und nehmt an Zinsen, was Euch nur gefällt.

Nathan. 
Auch Zins vom Zins der Zinsen?

Derwisch.       Freilich!

Nathan.             Bis 
Mein Kapital zu lauter Zinsen wird.

Derwisch. 
Das lockt Euch nicht? – So schreibet unsrer Freundschaft 
Nur gleich den Scheidebrief! Denn wahrlich hab 
Ich sehr auf Euch gerechnet.

Nathan.       Wahrlich? Wie 
Denn so? wieso denn?

Derwisch.       Daß Ihr mir mein Amt 
Mit Ehren würdet führen helfen; daß 
Ich allzeit offne Kasse bei Euch hätte. – 
Ihr schüttelt?

Nathan.       Nun, verstehn wir uns nur recht! 
Hier gibt's zu unterscheiden. – Du? warum 
Nicht du? Al-Hafi Derwisch ist zu allem, 
Was ich vermag, mir stets willkommen. – Aber 
Al-Hafi Defterdar des Saladin, 
Der – dem –

Derwisch.       Erriet ich's nicht? Daß Ihr doch immer 
So gut als klug, so klug als weise seid! – 
Geduld! Was Ihr am Hafi unterscheidet, 
Soll bald geschieden wieder sein. – Seht da 
Das Ehrenkleid, das Saladin mir gab. 
Eh' es verschossen ist, eh' es zu Lumpen 
Geworden, wie sie einen Derwisch kleiden, 
Hängt's in Jerusalem am Nagel, und 
Ich bin am Ganges, wo ich leicht und barfuß 
Den heißen Sand mit meinen Lehrern trete.

Nathan. 
Dir ähnlich g'nug!

Derwisch.       Und Schach mit ihnen spiele.

Nathan. 
Dein höchstes Gut!

Derwisch.       Denkt nur, was mich verführte! – 
Damit ich selbst nicht länger betteln dürfte? 
Den reichen Mann mit Bettlern spielen könnte? 
Vermögend wär' im Hui den reichsten Bettler 
In einen armen Reichen zu verwandeln?

Nathan. 
Das nun wohl nicht.

Derwisch.       Weit etwas Abgeschmackters! 
Ich fühlte mich zum erstenmal geschmeichelt; 
Durch Saladins gutherz'gen Wahn geschmeichelt –

Nathan. 
Der war?

Derwisch.       »Ein Bettler wisse nur, wie Bettlern 
Zumute sei; ein Bettler habe nur 
Gelernt, mit guter Weise Bettlern geben. 
Dein Vorfahr, sprach er, war mir viel zu kalt, 
Zu rauh. Er gab so unhold, wenn er gab; 
Erkundigte so ungestüm sich erst 
Nach dem Empfänger; nie zufrieden, daß 
Er nur den Mangel kenne, wollt' er auch 
Des Mangels Ursach' wissen, um die Gabe 
Nach dieser Ursach' filzig abzuwägen. 
Das wird Al-Hafi nicht! So unmild mild 
Wird Saladin im Hafi nicht erscheinen! 
Al-Hafi gleicht verstopften Röhren nicht, 
Die ihre klar und still empfangnen Wasser 
So unrein und so sprudelnd wiedergeben. 
Al-Hafi denkt; Al-Hafi fühlt wie ich!« – 
So lieblich klang des Voglers Pfeife, bis 
Der Gimpel in dem Netze war. – Ich Geck! 
Ich eines Gecken Geck!

Nathan.       Gemach, mein Derwisch, 
Gemach!

Derwisch.       Ei was! – Es wär' nicht Geckerei, 
Bei Hunderttausenden die Menschen drücken, 
Ausmergeln, plündern, martern, würgen; und 
Ein Menschenfreund an einzeln scheinen wollen? 
Es wär' nicht Geckerei, des Höchsten Milde, 
Die sonder Auswahl über Bös' und Gute 
Und Flur und Wüstenei, in Sonnenschein 
Und Regen sich verbreitet, – nachzuäffen, 
Und nicht des Höchsten immer volle Hand 
Zu haben? Was? es wär' nicht Geckerei ...

Nathan. 
Genug! hör auf!

Derwisch.       Laßt meiner Geckerei 
Mich doch nur auch erwähnen! – Was? es wäre 
Nicht Geckerei, an solchen Geckereien 
Die gute Seite dennoch auszuspüren, 
Um Anteil, dieser guten Seite wegen, 
An dieser Geckerei zu nehmen? He? 
Das nicht?

Nathan.       Al-Hafi, mache, daß du bald 
In deine Wüste wieder kömmst. Ich fürchte, 
Grad unter Menschen möchtest du ein Mensch 
Zu sein verlernen.

Derwisch.       Recht, das fürcht ich auch. 
Lebt wohl!

Nathan.       So hastig? – Warte doch, Al-Hafi. 
Entläuft dir denn die Wüste? – Warte doch! – 
Daß er mich hörte! – He, Al-Hafi! hier! – 
Weg ist er; und ich hätt' ihn noch so gern 
Nach unserm Tempelherrn gefragt. Vermutlich, 
Daß er ihn kennt.

 

[I,4]

 

Vierter Auftritt                    

Daja eilig herbei. Nathan.

Daja.       O Nathan, Nathan!

Nathan.             Nun? 
Was gibt's?

Daja.       Er läßt sich wieder sehn! Er läßt 
Sich wieder sehn!

Nathan.       Wer, Daja? wer?

Daja.             Er! Er!

Nathan. 
Er? Er? – Wann läßt sich der nicht sehn! – Ja so, 
Nur euer Er heißt er. – Das sollt' er nicht! 
Und wenn er auch ein Engel wäre, nicht! –

Daja. 
Er wandelt untern Palmen wieder auf 
Und ab; und bricht von Zeit zu Zeit sich Datteln.

Nathan. 
Sie essend? – und als Tempelherr?

Daja.       Was quält 
Ihr mich? – Ihr gierig Aug' erriet ihn hinter 
Den dicht verschränkten Palmen schon; und folgt 
Ihm unverrückt. Sie läßt Euch bitten, – Euch 
Beschwören, – ungesäumt ihn anzugehn. 
O eilt! Sie wird Euch aus dem Fenster winken, 
Ob er hinauf geht oder weiter ab 
Sich schlägt. O eilt!

Nathan.       So wie ich vom Kamele 
Gestiegen? – Schickt sich das? – Geh, eile du 
Ihm zu; und meld ihm meine Wiederkunft. 
Gib acht, der Biedermann hat nur mein Haus 
In meinem Absein nicht betreten wollen; 
Und kömmt nicht ungern, wenn der Vater selbst 
Ihn laden läßt. Geh, sag, ich laß ihn bitten, 
Ihn herzlich bitten ...

Daja.       All umsonst! Er kömmt 
Euch nicht. – Denn kurz; er kömmt zu keinem Juden.

Nathan. 
So geh, geh wenigstens ihn anzuhalten; 
Ihn wenigstens mit deinen Augen zu 
Begleiten. – Geh, ich komme gleich dir nach.

(Nathan eilet hinein, und Daja heraus.)

 

[I,5]

 

Fünfter Auftritt                    

Szene: ein Platz mit Palmen, unter welchen der Tempelherr auf und nieder geht. Ein Klosterbruder folgt ihm in einiger Entfernung von der Seite, immer als ob er ihn anreden wolle.

Tempelherr. 
Der folgt mir nicht vor langer Weile! – Sieh, 
Wie schielt er nach den Händen! – Guter Bruder, ... 
Ich kann Euch auch wohl Vater nennen; nicht?

Klosterbruder. 
Nur Bruder – Laienbruder nur; zu dienen.

Tempelherr. 
Ja, guter Bruder, wer nur selbst was hätte! 
Bei Gott! bei Gott! Ich habe nichts –

Klosterbruder.       Und doch 
Recht warmen Dank! Gott geb' Euch tausendfach, 
Was Ihr gern geben wolltet. Denn der Wille 
Und nicht die Gabe macht den Geber. – Auch 
Ward ich dem Herrn Almosens wegen gar 
Nicht nachgeschickt.

Tempelherr.       Doch aber nachgeschickt?

Klosterbruder. 
Ja; aus dem Kloster.

Tempelherr.       Wo ich eben jetzt 
Ein kleines Pilgermahl zu finden hoffte?

Klosterbruder. 
Die Tische waren schon besetzt; komm' aber 
Der Herr nur wieder mit zurück.

Tempelherr.       Wozu? 
Ich habe Fleisch wohl lange nicht gegessen: 
Allein was tut's? Die Datteln sind ja reif.

Klosterbruder. 
Nehm' sich der Herr in acht' mit dieser Frucht. 
Zu viel genossen taugt sie nicht; verstopft 
Die Milz; macht melancholisches Geblüt.

Tempelherr. 
Wenn ich nun melancholisch gern mich fühlte? – 
Doch dieser Warnung wegen wurdet Ihr 
Mir doch nicht nachgeschickt?

Klosterbruder.       O nein! – Ich soll 
Mich nur nach Euch erkunden; auf den Zahn 
Euch fühlen.

Tempelherr.       Und das sagt Ihr mir so selbst?

Klosterbruder. 
Warum nicht?

Tempelherr.       (Ein verschmitzter Bruder!) – Hat 
Das Kloster Euresgleichen mehr?

Klosterbruder.       Weiß nicht. 
Ich muß gehorchen, lieber Herr.

Tempelherr.       Und da 
Gehorcht Ihr denn auch ohne viel zu klügeln?

Klosterbruder. 
Wär's sonst gehorchen, lieber Herr?

Tempelherr.       (Daß doch 
Die Einfalt immer Recht behält!) – Ihr dürft 
Mir doch auch wohl vertrauen, wer mich gern 
Genauer kennen möchte? – Daß Ihr's selbst 
Nicht seid, will ich wohl schwören.

Klosterbruder.       Ziemte mir's? 
Und frommte mir's?

Tempelherr.       Wem ziemt und frommt es denn, 
Daß er so neubegierig ist? Wem denn?

Klosterbruder. 
Dem Patriarchen; muß ich glauben. – Denn 
Der sandte mich Euch nach.

Tempelherr.       Der Patriarch? 
Kennt der das rote Kreuz auf weißem Mantel 
Nicht besser?

Klosterbruder.       Kenn ja ich's!

Tempelherr.       Nun, Bruder? nun? – 
Ich bin ein Tempelherr; und ein gefangner. – 
Setz ich hinzu: gefangen bei Tebnin, 
Der Burg, die mit des Stillstands letzter Stunde 
Wir gern erstiegen hätten, um sodann 
Auf Sidon loszugehn; – setz ich hinzu: 
Selbzwanzigster gefangen und allein 
Vom Saladin begnadiget: so weiß 
Der Patriarch, was er zu wissen braucht; 
Mehr, als er braucht.

Klosterbruder.       Wohl aber schwerlich mehr, 
Als er schon weiß. – Er wüßt' auch gern, warum 
Der Herr vom Saladin begnadigt worden; 
Er ganz allein.

Tempelherr.       Weiß ich das selber? – Schon 
Den Hals entblößt, kniet' ich auf meinem Mantel, 
Den Streich erwartend: als mich schärfer Saladin 
Ins Auge faßt, mir näher springt, und winkt. 
Man hebt mich auf; ich bin entfesselt; will 
Ihm danken; seh sein Aug' in Tränen: stumm 
Ist er, bin ich; er geht, ich bleibe. – Wie 
Nun das zusammenhängt, enträtsle sich 
Der Patriarche selbst.

Klosterbruder.       Er schließt daraus, 
Daß Gott zu großen, großen Dingen Euch 
Müss' aufbehalten haben.

Tempelherr.       Ja, zu großen! 
Ein Judenmädchen aus dem Feu'r zu retten; 
Auf Sinai neugier'ge Pilger zu 
Geleiten; und dergleichen mehr.

Klosterbruder.       Wird schon 
Noch kommen! – Ist inzwischen auch nicht übel. – 
Vielleicht hat selbst der Patriarch bereits 
Weit wicht'gere Geschäfte für den Herrn.

Tempelherr. 
So? meint Ihr, Bruder? – Hat er gar Euch schon 
Was merken lassen?

Klosterbruder.       Ei, Jawohl! – Ich soll 
Den Herrn nur erst ergründen, ob er so 
Der Mann wohl ist.

Tempelherr.       Nun ja; ergründet nur! 
(Ich will doch sehn, wie der ergründet!) – Nun?

Klosterbruder. 
Das Kürzste wird wohl sein, daß ich dem Herrn 
Ganz gradezu des Patriarchen Wunsch 
Eröffne.

Tempelherr.       Wohl!

Klosterbruder.             Er hätte durch den Herrn 
Ein Briefchen gern bestellt.

Tempelherr.       Durch mich? Ich bin 
Kein Bote. – Das, das wäre das Geschäft, 
Das weit glorreicher sei, als Judenmädchen 
Dem Feu'r entreißen?

Klosterbruder.       Muß doch wohl! Denn – sagt 
Der Patriarch – an diesem Briefchen sei 
Der ganzen Christenheit sehr viel gelegen. 
Dies Briefchen wohl bestellt zu haben, – sagt 
Der Patriarch, – werd einst im Himmel Gott 
Mit einer ganz besondern Krone lohnen. 
Und dieser Krone, – sagt der Patriarch, 
Sei niemand würd'ger, als mein Herr.

Tempelherr.       Als ich?

Klosterbruder. 
Denn diese Krone zu verdienen, – sagt 
Der Patriarch, – sei schwerlich jemand auch 
Geschickter, als mein Herr.

Tempelherr.       Als ich?

Klosterbruder.             Er sei 
Hier frei; könn' überall sich hier besehn; 
Versteh', wie eine Stadt zu stürmen und 
Zu schirmen; könne, – sagt der Patriarch, – 
Die Stärk' und Schwäche der von Saladin 
Neu aufgeführten, innern, zweiten Mauer 
Am besten schätzen, sie am deutlichsten 
Den Streitern Gottes, – sagt der Patriarch, – 
Beschreiben.

Tempelherr.       Guter Bruder, wenn ich doch 
Nun auch des Briefchens nähern Inhalt wüßte.

Klosterbruder. 
Ja den, – den weiß ich nun wohl nicht so recht. 
Das Briefchen aber ist an König Philipp. – 
Der Patriarch ... Ich hab mich oft gewundert, 
Wie doch ein Heiliger, der sonst so ganz 
Im Himmel lebt, zugleich so unterrichtet 
Von Dingen dieser Welt zu sein herab 
Sich lassen kann. Es muß ihm sauer werden.

Tempelherr. 
Nun dann? der Patriarch?

Klosterbruder.       Weiß ganz genau, 
Ganz zuverlässig, wie und wo, wie stark, 
Von welcher Seite Saladin, im Fall 
Es völlig wieder losgeht, seinen Feldzug 
Eröffnen wird.

Tempelherr.       Das weiß er?

Klosterbruder.             Ja, und möcht' 
Es gern dem König Philipp wissen lassen: 
Damit der ungefähr ermessen könne, 
Ob die Gefahr denn gar so schrecklich, um 
Mit Saladin den Waffenstillestand, 
Den Euer Orden schon so brav gebrochen, 
Es koste was es wolle, wiederher- 
Zustellen.

Tempelherr.       Welch ein Patriarch! – Ja so! 
Der liebe tapfre Mann will mich zu keinem 
Gemeinen Boten; will mich – zum Spion. 
Sagt Euerm Patriarchen, guter Bruder, 
Soviel Ihr mich ergründen können, wär' 
Das meine Sache nicht. – Ich müsse mich 
Noch als Gefangenen betrachten; und 
Der Tempelherren einziger Beruf 
Sei mit dem Schwerte dreinzuschlagen, nicht 
Kundschafterei zu treiben.

Klosterbruder.       Dacht' ich's doch! – 
Will's auch dem Herrn nicht eben sehr verübeln. – 
Zwar kömmt das Beste noch. – Der Patriarch 
Hiernächst hat ausgegattert, wie die Feste 
Sich nennt, und wo auf Libanon sie liegt, 
In der die ungeheuern Summen stecken, 
Mit welchen Saladins vorsicht'ger Vater 
Das Heer besoldet, und die Zurüstungen 
Des Kriegs bestreitet. Saladin verfügt 
Von Zeit zu Zeit auf abgelegnen Wegen 
Nach dieser Feste sich, nur kaum begleitet. – 
Ihr merkt doch?

Tempelherr.       Nimmermehr!

Klosterbruder.             Was wäre da 
Wohl leichter, als des Saladins sich zu 
Bemächtigen? den Garaus ihm zu machen? – 
Ihr schaudert? – O es haben schon ein paar 
Gottsfürcht'ge Maroniten sich erboten, 
Wenn nur ein wackrer Mann sie führen wolle, 
Das Stück zu wagen.

Tempelherr.       Und der Patriarch 
Hätt' auch zu diesem wackern Manne mich 
Ersehn?

Klosterbruder.       Er glaubt, daß König Philipp wohl 
Von Ptolemais aus die Hand hierzu 
Am besten bieten könne.

Tempelherr.       Mir? mir, Bruder? 
Mir? Habt Ihr nicht gehört? nur erst gehört, 
Was für Verbindlichkeit dem Saladin 
Ich habe?

Klosterbruder.       Wohl hab ich's gehört.

Tempelherr.             Und doch?

Klosterbruder. 
Ja, – meint der Patriarch, – das wär' schon gut: 
Gott aber und der Orden ...

Tempelherr.       Ändern nichts! 
Gebieten mir kein Bubenstück!

Klosterbruder.       Gewiß nicht! – 
Nur, – meint der Patriarch, – sei Bubenstück 
Vor Menschen, nicht auch Bubenstück vor Gott.

Tempelherr. 
Ich wär' dem Saladin mein Leben schuldig: 
Und raubt' ihm seines?

Klosterbruder.       Pfui! – Doch bliebe, – meint 
Der Patriarch, – noch immer Saladin 
Ein Feind der Christenheit, der Euer Freund 
Zu sein, kein Recht erwerben könne.

Tempelherr.       Freund? 
An dem ich bloß nicht will zum Schurken werden; 
Zum undankbaren Schurken?

Klosterbruder.       Allerdings! – 
Zwar, – meint der Patriarch, – des Dankes sei 
Man quitt, vor Gott und Menschen quitt, wenn uns 
Der Dienst um unsertwillen nicht geschehen. 
Und da verlauten wolle, – meint der Patriarch, – 
Daß Euch nur darum Saladin begnadet, 
Weil ihm in Eurer Mien', in Euerm Wesen 
So was von seinem Bruder eingeleuchtet ...

Tempelherr. 
Auch dieses weiß der Patriarch; und doch? – 
Ah! wäre das gewiß! Ah, Saladin! – 
Wie? die Natur hätt' auch nur einen Zug 
Von mir in deines Bruders Form gebildet: 
Und dem entspräche nichts in meiner Seele? 
Was dem entspräche, könnt' ich unterdrücken, 
Um einem Patriarchen zu gefallen? – 
Natur, so leugst du nicht! So widerspricht 
Sich Gott in seinen Werken nicht! – Geht, Bruder! 
Erregt mir meine Galle nicht! – Geht! geht!

Klosterbruder. 
Ich geh; und geh vergnügter, als ich kam. 
Verzeihe mir der Herr. Wir Klosterleute 
Sind schuldig, unsern Obern zu gehorchen.

 

[I,6]

 

Sechster Auftritt                    

Der Tempelherr und Daja, die den Tempelherrn schon eine Zeitlang von weiten beobachtet hatte und sich nun ihm nähert.

Daja. 
Der Klosterbruder, wie mich dünkt, ließ in 
Der besten Laun' ihn nicht. – Doch muß ich mein 
Paket nur wagen.

Tempelherr.       Nun, vortrefflich! – Lügt 
Das Sprichwort wohl: daß Mönch und Weib, und Weib 
Und Mönch des Teufels beide Krallen sind? 
Er wirft mich heut aus einer in die andre.

Daja. 
Was seh ich? – Edler Ritter, Euch? – Gott Dank! 
Gott tausend Dank! – Wo habt Ihr denn 
Die ganze Zeit gesteckt? – Ihr seid doch wohl 
Nicht krank gewesen?

Tempelherr.       Nein.

Daja.             Gesund doch?

Tempelherr.                   Ja.

Daja. 
Wir waren Euertwegen wahrlich ganz 
Bekümmert.

Tempelherr.       So?

Daja.             Ihr wart gewiß verreist?

Tempelherr. 
Erraten!

Daja.       Und kamt heut erst wieder?

Tempelherr.             Gestern.

Daja. 
Auch Rechas Vater ist heut angekommen. 
Und nun darf Recha doch wohl hoffen?

Tempelherr.       Was?

Daja. 
Warum sie Euch so öfters bitten lassen. 
Ihr Vater ladet Euch nun selber bald 
Aufs dringlichste. Er kömmt von Babylon. 
Mit zwanzig hochbeladenen Kamelen, 
Und allem, was an edeln Spezereien, 
An Steinen und an Stoffen, Indien 
Und Persien und Syrien, gar Sina, 
Kostbares nur gewähren.

Tempelherr.       Kaufe nichts.

Daja. 
Sein Volk verehret ihn als einen Fürsten. 
Doch daß es ihn den Weisen Nathan nennt 
Und nicht vielmehr den Reichen, hat mich oft 
Gewundert.

Tempelherr.       Seinem Volk ist reich und weise 
Vielleicht das Nämliche.

Daja.       Vor allen aber 
Hätt's ihn den Guten nennen müssen. Denn 
Ihr stellt Euch gar nicht vor, wie gut er ist. 
Als er erfuhr, wieviel Euch Recha schuldig: 
Was hätt', in diesem Augenblicke, nicht 
Er alles Euch getan, gegeben!

Tempelherr.       Ei!

Daja. 
Versucht's und kommt und seht!

Tempelherr.       Was denn? wie schnell 
Ein Augenblick vorüber ist?

Daja.       Hätt' ich, 
Wenn er so gut nicht wär', es mir so lange 
Bei ihm gefallen lassen? Meint Ihr etwa, 
Ich fühle meinen Wert als Christin nicht? 
Auch mir ward's vor der Wiege nicht gesungen, 
Daß ich nur darum meinem Ehgemahl 
Nach Palästina folgen würd', um da 
Ein Judenmädchen zu erziehn. Es war 
Mein lieber Ehgemahl ein edler Knecht 
In Kaiser Friedrichs Heere –

Tempelherr.       Von Geburt 
Ein Schweizer, dem die Ehr' und Gnade ward, 
Mit Seiner Kaiserlichen Majestät 
In einem Flusse zu ersaufen. – Weib! 
Wievielmal habt Ihr mir das schon erzählt? 
Hört Ihr denn gar nicht auf mich zu verfolgen?

Daja. 
Verfolgen! lieber Gott!

Tempelherr.       Ja, ja, verfolgen. 
Ich will nun einmal Euch nicht weiter sehn! 
Nicht hören! Will von Euch an eine Tat 
Nicht fort und fort erinnert sein, bei der 
Ich nichts gedacht; die, wenn ich drüber denke, 
Zum Rätsel von mir selbst mir wird. Zwar möcht' 
Ich sie nicht gern bereuen. Aber seht; 
Ereignet so ein Fall sich wieder: Ihr 
Seid schuld, wenn ich so rasch nicht handle; wenn 
Ich mich vorher erkund – und brennen lasse, 
Was brennt.

Daja.       Bewahre Gott!

Tempelherr.             Von heut an tut 
Mir den Gefallen wenigstens, und kennt 
Mich weiter nicht. Ich bitt Euch drum. Auch laßt 
Den Vater mir vom Halse. Jud' ist Jude. 
Ich bin ein plumper Schwab. Des Mädchens Bild 
Ist längst aus meiner Seele; wenn es je 
Da war.

Daja.       Doch Eures ist aus ihrer nicht.

Tempelherr. 
Was soll's nun aber da? was soll's?

Daja.       Wer weiß! 
Die Menschen sind nicht immer, was sie scheinen.

Tempelherr. 
Doch selten etwas Bessers. 
(Er geht.)

Daja.       Wartet doch! 
Was eilt Ihr?

Tempelherr.       Weib, macht mir die Palmen nicht 
Verhaßt, worunter ich so gern sonst wandle.

Daja. 
So geh, du deutscher Bär! so geh! – Und doch 
Muß ich die Spur des Tieres nicht verlieren.

(Sie geht ihm von weiten nach.)

 

 

ZWEITER AUFZUG

 

[II,1]

Erster Auftritt                    

(Die Szene: des Sultans Palast.)

Saladin und Sittah spielen Schach.

Sittah. 
Wo bist du, Saladin? Wie spielst du heut?

Saladin. 
Nicht gut? Ich dächte doch.

Sittah.       Für mich; und kaum. 
Nimm diesen Zug zurück.

Saladin.       Warum?

Sittah.             Der Springer 
Wird unbedeckt.

Saladin.       Ist wahr. Nun so!

Sittah.             So zieh 
Ich in die Gabel.

Saladin.       Wieder wahr. – Schach dann!

Sittah. 
Was hilft dir das? Ich setze vor: und du 
Bist, wie du warst.

Saladin.       Aus dieser Klemme seh 
Ich wohl, ist ohne Buße nicht zu kommen. 
Mag's! nimm den Springer nur.

Sittah.       Ich will ihn nicht. 
Ich geh vorbei.

Saladin.       Du schenkst mir nichts. Dir liegt 
An diesem Plane mehr, als an dem Springer.

Sittah. 
Kann sein.

Saladin.       Mach deine Rechnung nur nicht ohne 
Den Wirt. Denn sieh! Was gilt's, das warst du nicht 
Vermuten?

Sittah.       Freilich nicht. Wie konnt' ich auch 
Vermuten, daß du deiner Königin 
So müde wärst?

Saladin.       Ich meiner Königin?

Sittah. 
Ich seh nun schon: ich soll heut meine tausend 
Dinar', kein Naserinchen mehr gewinnen.

Saladin. 
Wieso?

Sittah.       Frag noch! – Weil du mit Fleiß, mit aller 
Gewalt verlieren willst. – Doch dabei find 
Ich meine Rechnung nicht. Denn außer, daß 
Ein solches Spiel das unterhaltendste 
Nicht ist: gewann ich immer nicht am meisten 
Mit dir' wenn ich verlor? Wenn hast du mir 
Den Satz, mich des verlornen Spieles wegen 
Zu trösten, doppelt nicht hernach geschenkt?

Saladin. 
Ei sieh! so hättest du ja wohl, wenn du 
Verlorst, mit Fleiß verloren, Schwesterchen?

Sittah. 
Zum wenigsten kann gar wohl sein, daß deine 
Freigebigkeit, mein liebes Brüderchen, 
Schuld ist, daß ich nicht besser spielen lernen.

Saladin. 
Wir kommen ab vom Spiele. Mach ein Ende!

Sittah. 
So bleibt es? Nun dann: Schach! und doppelt Schach!

Saladin. 
Nun freilich; dieses Abschach hab ich nicht 
Gesehn, das meine Königin zugleich 
Mit niederwirft.

Sittah.       War dem noch abzuhelfen? 
Laß sehn.

Saladin.       Nein, nein; nimm nur die Königin. 
Ich war mit diesem Steine nie recht glücklich.

Sittah. 
Bloß mit dem Steine?

Saladin.       Fort damit! – Das tut 
Mir nichts. Denn so ist alles wiederum 
Geschützt.

Sittah.       Wie höflich man mit Königinnen 
Verfahren müsse: hat mein Bruder mich 
Zu wohl gelehrt.
 (Sie läßt sie stehen.)

Saladin.       Nimm, oder nimm sie nicht! 
Ich habe keine mehr.

Sittah.       Wozu sie nehmen? 
Schach! – Schach!

Saladin.       Nur weiter.

Sittah.             Schach! – und Schach! – und Schach! –

Saladin. 
Und matt!

Sittah.       Nicht ganz; du ziehst den Springer noch 
Dazwischen; oder was du machen willst. 
Gleichviel!

Saladin.       Ganz recht! – Du hast gewonnen: und 
Al-Hafi zahlt. – Man lass' ihn rufen! gleich! 
Du hattest, Sittah, nicht so unrecht; ich 
War nicht so ganz beim Spiele; war zerstreut. 
Und dann: wer gibt uns denn die glatten Steine 
Beständig? die an nichts erinnern, nichts 
Bezeichnen. Hab ich mit dem Iman denn 
Gespielt? – Doch was? Verlust will Vorwand. Nicht 
Die umgeformten Steine, Sittah, sind's, 
Die mich verlieren machten: deine Kunst, 
Dein ruhiger und schneller Blick ...

Sittah.       Auch so 
Willst du den Stachel des Verlusts nur stumpfen. 
Genug, du warst zerstreut; und mehr als ich.

Saladin. 
Als du? Was hätte dich zerstreuet?

Sittah.       Deine 
Zerstreuung freilich nicht! – O Saladin, 
Wenn werden wir so fleißig wieder spielen.

Saladin. 
So spielen wir um so viel gieriger! – 
Ah! weil es wieder losgeht, meinst du? – Mag's! – 
Nur zu! – Ich habe nicht zuerst gezogen; 
Ich hätte gern den Stillestand aufs neue 
Verlängert; hätte meiner Sittah gern, 
Gern einen guten Mann zugleich verschafft. 
Und das muß Richards Bruder sein: er ist 
Ja Richards Bruder.

Sittah.       Wenn du deinen Richard 
Nur loben kannst!

Saladin.       Wenn unserm Bruder Melek 
Dann Richards Schwester wär' zu Teile worden: 
Ha! welch ein Haus zusammen! Ha, der ersten, 
Der besten Häuser in der Welt das beste! 
Du hörst, ich bin mich selbst zu loben, auch 
Nicht faul. Ich dünk mich meiner Freunde wert. 
Das hätte Menschen geben sollen! das!

Sittah. 
Hab ich des schönen Traums nicht gleich gelacht? 
Du kennst die Christen nicht, willst sie nicht kennen. 
Ihr Stolz ist: Christen sein; nicht Menschen. Denn 
Selbst das, was, noch von ihrem Stifter her, 
Mit Menschlichkeit den Aberglauben würzt, 
Das lieben sie, nicht weil es menschlich ist: 
Weil's Christus lehrt; weil's Christus hat getan. – 
Wohl ihnen, daß er so ein guter Mensch 
Noch war! Wohl ihnen, daß sie seine Tugend 
Auf Treu und Glaube nehmen können! – Doch 
Was Tugend? – Seine Tugend nicht; sein Name 
Soll überall verbreitet werden; soll 
Die Namen aller guten Menschen schänden, 
Verschlingen. Um den Namen, um den Namen 
Ist ihnen nur zu tun.

Saladin.       Du meinst: warum 
Sie sonst verlangen würden, daß auch ihr, 
Auch du und Melek, Christen hießet, eh' 
Als Ehgemahl ihr Christen lieben wolltet?

Sittah. 
Jawohl! Als wär' von Christen nur, als Christen, 
Die Liebe zu gewärtigen, womit 
Der Schöpfer Mann und Männin ausgestattet!

Saladin. 
Die Christen glauben mehr Armseligkeiten, 
Als daß sie die nicht auch noch glauben könnten! 
Und gleichwohl irrst du dich. – Die Tempelherren, 
Die Christen nicht, sind schuld: sind nicht, als Christen, 
Als Tempelherren schuld. Durch die allein 
Wird aus der Sache nichts. Sie wollen Acca, 
Das Richards Schwester unserm Bruder Melek 
Zum Brautschatz bringen müßte, schlechterdings 
Nicht fahren lassen. Daß des Ritters Vorteil 
Gefahr nicht laufe, spielen sie den Mönch, 
Den albern Mönch. Und ob vielleicht im Fluge 
Ein guter Streich gelänge: haben sie 
Des Waffenstillestandes Ablauf kaum 
Erwarten können. – Lustig! Nur so weiter! 
Ihr Herren, nur so weiter! – Mir schon recht! – 
Wär' alles sonst nur, wie es müßte.

Sittah.       Nun? 
Was irrte dich denn sonst? Was könnte sonst 
Dich aus der Fassung bringen?

Saladin.       Was von je 
Mich immer aus der Fassung hat gebracht. – 
Ich war auf Libanon, bei unserm Vater. 
Er unterliegt den Sorgen noch ...

Sittah.       O weh!

Saladin. 
Er kann nicht durch; es klemmt sich allerorten; 
Es fehlt bald da, bald dort –

Sittah.       Was klemmt? was fehlt?

Saladin. 
Was sonst, als was ich kaum zu nennen würd'ge? 
Was, wenn ich's habe, mir so überflüssig, 
Und hab ich's nicht, so unentbehrlich scheint. – 
Wo bleibt Al-Hafi denn? Ist niemand nach 
Ihm aus? – Das leidige, verwünschte Geld! – 
Gut, Hafi, daß du kömmst.

 

[II,2]

 

Zweiter Auftritt                    

Der Derwisch Al-Hafi. Saladin. Sittah.

Al-Hafi.       Die Gelder aus 
Ägypten sind vermutlich angelangt. 
Wenn's nur fein viel ist.

Saladin.       Hast du Nachricht?

Al-Hafi.             Ich? 
Ich nicht. Ich denke, daß ich hier sie in 
Empfang soll nehmen.

Saladin.       Zahl an Sittah tausend 
Dinare!
 (In Gedanken hin und her gebend.)

Al-Hafi.       Zahl! anstatt empfang! O schön! 
Das ist für Was noch weniger als Nichts. – 
An Sittah? – wiederum an Sittah? Und 
Verloren? – wiederum im Schach verloren? – 
Da steht es noch das Spiel!

Sittah.       Du gönnst mir doch 
Mein Glück?

Al-Hafi (das Spiel betrachtend). 
      Was gönnen? Wenn – Ihr wißt ja wohl.

Sittah (ihm winkend). 
Bst! Hafi! bst!

Al-Hafi (noch auf das Spiel gerichtet). 
      Gönnt's Euch nur selber erst!

Sittah. 
Al-Hafi; bst!

Al-Hafi (zu Sittah).       Die Weißen waren Euer? 
Ihr bietet Schach?

Sittah.       Gut, daß er nichts gehört.

Al-Hafi. 
Nun ist der Zug an ihm?

Sittah (ihm nähertretend).       So sage doch, 
Daß ich mein Geld bekommen kann.

Al-Hafi (noch auf das Spiel geheftet). 
      Nun ja; 
Ihr sollt's bekommen, wie Ihr's stets bekommen.

Sittah. 
Wie? bist du toll?

Al-Hafi.       Das Spiel ist ja nicht aus. 
Ihr habt ja nicht verloren, Saladin.

Saladin (kaum hinhörend). 
Doch! doch! Bezahl! bezahl!

Al-Hafi.       Bezahl! bezahl! 
Da steht ja Eure Königin.

Saladin (noch so).       Gilt nicht; 
Gehört nicht mehr ins Spiel.

Sittah.       So mach und sag, 
Daß ich das Geld mir nur kann holen lassen.

Al-Hafi (noch immer in das Spiel vertieft). 
Versteht sich, so wie immer. – Wenn auch schon; 
Wenn auch die Königin nichts gilt: Ihr seid 
Doch darum noch nicht matt.

Saladin (tritt hinzu und wirft das Spiel um). 
      Ich bin es; will 
Es sein.

Al-Hafi.       Ja so! – Spiel wie Gewinst! So wie 
Gewonnen, so bezahlt.

Saladin (zu Sittah).       Was sagt er? was?

Sittah (von Zeit zu Zeit dem Hafi winkend). 
Du kennst ihn ja. Er sträubt sich gern; läßt gern 
Sich bitten; ist wohl gar ein wenig neidisch. –

Saladin. 
Auf dich doch nicht? Auf meine Schwester nicht? 
Was hör ich, Hafi? Neidisch? du?

Al-Hafi.       Kann sein! 
Kann sein! – Ich hätt' ihr Hirn wohl lieber selbst; 
Wär' lieber selbst so gut, als sie.

Sittah.       Indes 
Hat er doch immer richtig noch bezahlt. 
Und wird auch heut bezahlen. Laß ihn nur! – 
Geh nur, Al-Hafi, geh! Ich will das Geld 
Schon holen lassen.

Al-Hafi.       Nein; ich spiele länger 
Die Mummerei nicht mit. Er muß es doch 
Einmal erfahren.

Saladin.       Wer? und was?

Sittah.             Al-Hafi! 
Ist dieses dein Versprechen? Hältst du so 
Mir Wort?

Al-Hafi.       Wie konnt' ich glauben, daß es so 
Weit gehen würde.

Saladin.       Nun? erfahr ich nichts?

Sittah. 
Ich bitte dich, Al-Hafi; sei bescheiden.

Saladin. 
Das ist doch sonderbar! Was könnte Sittah 
So feierlich, so warm bei einem Fremden, 
Bei einem Derwisch lieber, als bei mir, 
Bei ihrem Bruder, sich verbitten wollen. 
Al-Hafi, nun befehl ich. – Rede, Derwisch!

Sittah. 
Laß eine Kleinigkeit, mein Bruder, dir 
Nicht näher treten, als sie würdig ist. 
Du weißt, ich habe zu verschiednen Malen 
Dieselbe Summ' im Schach von dir gewonnen. 
Und weil ich itzt das Geld nicht nötig habe; 
Weil itzt in Hafis Kasse doch das Geld 
Nicht eben allzuhäufig ist: so sind 
Die Posten stehngeblieben. Aber sorgt 
Nur nicht! Ich will sie weder dir, mein Bruder, 
Noch Hafi, noch der Kasse schenken.

Al-Hafi.       Ja, 
Wenn's das nur wäre! das!

Sittah.       Und mehr dergleichen. – 
Auch das ist in der Kasse stehngeblieben, 
Was du mir einmal ausgeworfen; ist 
Seit wenig Monden stehngeblieben.

Al-Hafi.       Noch 
Nicht alles.

Saladin.       Noch nicht? – Wirst du reden?

Al-Hafi. 
Seit aus Ägypten wir das GeId erwarten, 
Hat sie ...

Sittah (zu Saladin).       Wozu ihn hören?

Al-Hafi.             Nicht nur nichts 
Bekommen ...

Saladin.       Gutes Mädchen! – Auch beiher 
Mit vorgeschossen. Nicht?

Al-Hafi.       Den ganzen Hof 
Erhalten; Euern Aufwand ganz allein 
Bestritten.

Saladin.       Ha! das, das ist meine Schwester! 
(Sie umarmend.)

Sittah. 
Wer hatte, dies zu können, mich so reich 
Gemacht, als du, mein Bruder?

Al-Hafi.       Wird schon auch 
So bettelarm sie wieder machen, als 
Er selber ist.

Saladin.       Ich arm? der Bruder arm? 
Wenn hab ich mehr? wenn weniger gehabt? – 
Ein Kleid, Ein Schwert, Ein Pferd, – und Einen Gott! 
Was brauch ich mehr? Wenn kann's an dem mir fehlen? 
Und doch, Al-Hafi, könnt' ich mit dir schelten.

Sittah. 
Schilt nicht, mein Bruder. Wenn ich unserm Vater 
Auch seine Sorgen so erleichtern könnte!

Saladin. 
Ah! Ah! Nun schlägst du meine Freudigkeit 
Auf einmal wieder nieder! – Mir, für mich 
Fehlt nichts, und kann nichts fehlen. Aber ihm, 
Ihm fehlet; und in ihm uns allen. – Sagt, 
Was soll ich machen? – Aus Ägypten kommt 
Vielleicht noch lange nichts. Woran das liegt, 
Weiß Gott. Es ist doch da noch alles ruhig. – 
Abbrechen, einziehn, sparen, will ich gern, 
Mir gern gefallen lassen; wenn es mich, 
Bloß mich betrifft; bloß mich, und niemand sonst 
Darunter leidet. – Doch was kann das machen? 
Ein Pferd, Ein Kleid, Ein Schwert, muß ich doch haben. 
Und meinem Gott ist auch nichts abzudingen. 
Ihm gnügt schon so mit wenigem genug; 
Mit meinem Herzen. – Auf den Überschuß 
Von deiner Kasse, Hafi, hatt' ich sehr 
Gerechnet.

Al-Hafi.       Überschuß? – Sagt selber, ob 
Ihr mich nicht hättet spießen, wenigstens 
Mich drosseln lassen, wenn auf Überschuß 
Ich von Euch wär' ergriffen worden. Ja, 
Auf Unterschleif! das war zu wagen.

Saladin.       Nun, 
Was machen wir denn aber? – Konntest du 
Vorerst bei niemand andern borgen, als 
Bei Sittah?

Sittah.       Würd' ich dieses Vorrecht, Bruder, 
Mir haben nehmen lassen? Mir von ihm? 
Auch noch besteh ich drauf. Noch bin ich auf 
Dem Trocknen völlig nicht.

Saladin.       Nur völlig nicht! 
Das fehlte noch! – Geh gleich, mach Anstalt, Hafi! 
Nimm auf bei wem du kannst! und wie du kannst! 
Geh, borg, versprich. – Nur, Hafi, borge nicht 
Bei denen, die ich reich gemacht. Denn borgen 
Von diesen, möchte wiederfordern heißen. 
Geh zu den Geizigsten; die werden mir 
Am liebsten leihen. Denn sie wissen wohl, 
Wie gut ihr Geld in meinen Händen wuchert.

Al-Hafi. 
Ich kenne deren keine.

Sittah.       Eben fällt 
Mir ein, gehört zu haben, Hafi, daß 
Dein Freund zurückgekommen.

Al-Hafi (betroffen).       Freund? mein Freund? 
Wer wär' denn das?

Sittah.       Dein hochgepriesner Jude.

Al-Hafi. 
Gepriesner Jude? hoch von mir?

Sittah.       Dem Gott, – 
Mich denkt des Ausdrucks noch recht wohl, des einst 
Du selber dich von ihm bedientest, – dem 
Sein Gott von allen Gütern dieser Welt 
Das Kleinst' und Größte so in vollem Maß 
Erteilet habe. –

Al-Hafi.       Sagt' ich so? – Was meint' 
Ich denn damit?

Sittah.       Das Kleinste: Reichtum. Und 
Das Größte: Weisheit.

Al-Hafi.       Wie? von einem Juden? 
Von einem Juden hätt' ich das gesagt?

Sittah. 
Das hättest du von deinem Nathan nicht 
Gesagt?

Al-Hafi.       Ja so! von dem! vom Nathan! – Fiel 
Mir der doch gar nicht bei. – Wahrhaftig? Der 
Ist endlich wieder heimgekommen? Ei! 
So mag's doch gar so schlecht mit ihm nicht stehn. – 
Ganz recht: den nannt' einmal das Volk den Weisen! 
Den Reichen auch.

Sittah.       Den Reichen nennt es ihn 
Itzt mehr als je. Die ganze Stadt erschallt, 
Was für Kostbarkeiten, was für Schätze 
Er mitgebracht.

Al-Hafi.       Nun, ist's der Reiche wieder: 
So wird's auch wohl der Weise wieder sein.

Sittah. 
Was meinst du, Hafi, wenn du diesen angingst?

Al-Hafi. 
Und was bei ihm? – Doch wohl nicht borgen? – Ja, 
Da kennt Ihr ihn. – Er borgen! – Seine Weisheit 
Ist eben, daß er niemand borgt.

Sittah.       Du hast 
Mir sonst doch ganz ein ander Bild von ihm 
Gemacht.

Al-Hafi.       Zur Not wird er Euch Waren borgen. 
Geld aber, Geld? Geld nimmermehr. – Es ist 
Ein Jude freilich übrigens, wie's nicht 
Viel Juden gibt. Er hat Verstand; er weiß 
Zu leben; spielt gut Schach. Doch zeichnet er 
Im Schlechten sich nicht minder, als im Guten 
Von allen andern Juden aus. – Auf den, 
Auf den nur rechnet nicht. – Den Armen gibt 
Er zwar; und gibt vielleicht trotz Saladin. 
Wenn schon nicht ganz so viel; doch ganz so gern; 
Doch ganz so sonder Ansehn. Jud' und Christ 
Und Muselmann und Parsi, alles ist 
Ihm eins.

Sittah.       Und so ein Mann ...

Saladin.             Wie kommt es denn, 
Daß ich von diesem Manne nie gehört? ...

Sittah. 
Der sollte Saladin nicht borgen? nicht 
Dem Saladin, der nur für andre braucht, 
Nicht sich?

Al-Hafi.       Da seht nun gleich den Juden wieder; 
Den ganz gemeinen Juden! – Glaubt mir's doch! – 
Er ist aufs Geben Euch so eifersüchtig, 
So neidisch! Jedes Lohn von Gott, das in 
Der Welt gesagt wird, zög' er lieber ganz 
Allein. Nur darum eben leiht er keinem, 
Damit er stets zu geben habe. Weil 
Die Mild' ihm im Gesetz geboten; die 
Gefälligkeit ihm aber nicht geboten: macht 
Die Mild' ihn zu dem ungefälligsten 
Gesellen auf der Welt. Zwar bin ich seit 
Geraumer Zeit ein wenig übern Fuß 
Mit ihm gespannt; doch denkt nur nicht, daß ich 
Ihm darum nicht Gerechtigkeit erzeige. 
Er ist zu allem gut: bloß dazu nicht; 
Bloß dazu wahrlich nicht. Ich will auch gleich 
Nur gehn, an andre Türen klopfen ... Da 
Besinn ich mich soeben eines Mohren, 
Der reich und geizig ist. – Ich geh; ich geh.

Sittah. 
Was eilst du, Hafi?

Saladin.       Laß ihn! laß ihn!

 

[II,3]

 

Dritter Auftritt                    

Sittah. Saladin.

Sittah.             Eilt 
Er doch, als ob er mir nur gern entkäme! 
Was heißt das? – Hat er wirklich sich in ihm 
Betrogen, oder – möcht' er uns nur gern 
Betrügen?

Saladin.       Wie? das fragst du mich? Ich weiß 
Ja kaum, von wem die Rede war; und höre 
Von euerm Juden, euerm Nathan heut 
Zum erstenmal.

Sittah.       Ist's möglich? daß ein Mann 
Dir so verborgen blieb, von dem es heißt, 
Er habe Salomons und Davids Gräber 
Erforscht, und wisse deren Siegel durch 
Ein mächtiges geheimes Wort zu lösen? 
Aus ihnen bring' er dann von Zeit zu Zeit 
Die unermeßlichen Reichtümer an 
Den Tag, die keinen mindern Quell verrieten.

Saladin. 
Hat seinen Reichtum dieser Mann aus Gräbern, 
So waren's sicherlich nicht Salomons, 
Nicht Davids Gräber. Narren lagen da 
Begraben!

Sittah.       Oder Bösewichter! – Auch 
Ist seines Reichtums Quelle weit ergiebiger, 
Weit unerschöpflicher, als so ein Grab 
Voll Mammon.

Saladin.       Denn er handelt; wie ich hörte.

Sittah. 
Sein Saumtier treibt auf allen Straßen, zieht 
Durch alle Wüsten; seine Schiffe liegen 
In allen Häfen. Das hat mir wohl eh' 
Al-Hafi selbst gesagt; und voll Entzücken 
Hinzugefügt, wie groß, wie edel dieser 
Sein Freund anwende, was so klug und emsig 
Er zu erwerben für zu klein nicht achte. 
Hinzugefügt, wie frei von Vorurteilen 
Sein Geist; sein Herz wie offen jeder Tugend, 
Wie eingestimmt mit jeder Schönheit sei.

Saladin. 
Und itzt sprach Hafi doch so ungewiß, 
So kalt von ihm.

Sittah.       Kalt nun wohl nicht; verlegen. 
Als halt' er's für gefährlich, ihn zu loben, 
Und woll' ihn unverdient doch auch nicht tadeln. – 
Wie? oder wär' es wirklich so, daß selbst 
Der Beste seines Volkes seinem Volke 
Nicht ganz entfliehen kann? daß wirklich sich 
Al-Hafi seines Freunds von dieser Seite 
Zu schämen hätte? – Sei dem, wie ihm wolle! – 
Der Jude sei mehr oder weniger 
Als Jud', ist er nur reich: genug für uns!

Saladin. 
Du willst ihm aber doch das Seine mit 
Gewalt nicht nehmen, Schwester?

Sittah.       Ja, was heißt 
Bei dir Gewalt? Mit Feu'r und Schwert? Nein, nein, 
Was braucht es mit den Schwachen für Gewalt, 
Als ihre Schwäche? – Komm vor itzt nur mit 
In meinen Haram, eine Sängerin 
Zu hören, die ich gestern erst gekauft. 
Es reift indes bei mir vielleicht ein Anschlag, 
Den ich auf diesen Nathan habe. – Komm!

 

[II,4]

 

Vierter Auftritt                    

(Szene: vor dem Hause des Nathan, wo es an die Palmen stößt.)

Recha und Nathan kommen heraus. Zu ihnen Daja.

Recha. 
Ihr habt Euch sehr verweilt, mein Vater. Er 
Wird kaum noch mehr zu treffen sein.

Nathan.       Nun, nun; 
Wenn hier, hier untern Palmen schon nicht mehr: 
Doch anderwärts. – Sei itzt nur ruhig. – Sieh! 
Kömmt dort nicht Daja auf uns zu?

Recha.       Sie wird 
Ihn ganz gewiß verloren haben.

Nathan.       Auch 
Wohl nicht.

Recha.       Sie würde sonst geschwinder kommen.

Nathan. 
Sie hat uns wohl noch nicht gesehn ...

Recha.       Nun sieht 
Sie uns.

Nathan.       Und doppelt ihre Schritte. Sieh! 
Sei doch nur ruhig! ruhig!

Recha.       Wolltet Ihr 
Wohl eine Tochter, die hier ruhig wäre? 
Sich unbekümmert ließe, wessen Wohltat 
Ihr Leben sei? Ihr Leben, – das ihr nur 
So lieb, weil sie es Euch zuerst verdanket.

Nathan. 
Ich möchte dich nicht anders, als du bist: 
Auch wenn ich wüßte, daß in deiner Seele 
Ganz etwas anders noch sich rege.

Recha.       Was, 
Mein Vater?

Nathan.       Fragst du mich? so schüchtern mich? 
Was auch in deinem Innern vorgeht, ist 
Natur und Unschuld. Laß es keine Sorge 
Dir machen. Mir, mir macht es keine. Nur 
Versprich mir: wenn dein Herz vernehmlicher 
Sich einst erklärt, mir seiner Wünsche keinen 
Zu bergen.

Recha.       Schon die Möglichkeit, mein Herz 
Euch lieber zu verhüllen, macht mich zittern.

Nathan. 
Nichts mehr hiervon! Das ein für allemal 
Ist abgetan. – Da ist ja Daja. – Nun?

Daja. 
Noch wandelt er hier untern Palmen; und 
Wird gleich um jene Mauer kommen. – Seht, 
Da kömmt er!

Recha.       Ah! und scheinet unentschlossen, 
Wohin? ob weiter? ob hinab? ob rechts? 
Ob links?

Daja.       Nein, nein; er macht den Weg ums Kloster 
Gewiß noch öfter; und dann muß er hier 
Vorbei. – Was gilt's?

Recha.       Recht! recht! – Hast du ihn schon 
Gesprochen? Und wie ist er heut?

Daja.       Wie immer.

Nathan. 
So macht nur, daß er Euch hier nicht gewahr 
Wird. Tretet mehr zurück. Geht lieber ganz 
Hinein.

Recha.       Nur einen Blick noch! – Ah! die Hecke, 
Die mir ihn stiehlt.

Daja.       Kommt! kommt! Der Vater hat 
Ganz recht. Ihr lauft Gefahr, wenn er Euch sieht, 
Daß auf der Stell' er umkehrt.

Recha.       Ah! die Hecke!

Nathan. 
Und kömmt er plötzlich dort aus ihr hervor: 
So kann er anders nicht, er muß Euch sehn. 
Drum geht doch nur!

Daja.       Kommt! kommt! Ich weiß ein Fenster, 
Aus dem wir sie bemerken können.

Recha.       Ja?

(Beide hinein.)

 

 

[II,5]

 

Fünfter Auftritt                    

Nathan und bald darauf der Tempelherr.

Nathan. 
Fast scheu ich mich des Sonderlings. Fast macht 
Mich seine rauhe Tugend stutzen. Daß 
Ein Mensch doch einen Menschen so verlegen 
Soll machen können! – Ha! er kömmt. – Bei Gott! 
Ein Jüngling wie ein Mann. Ich mag ihn wohl 
Den guten, trotz'gen Blick! den prallen Gang! 
Die Schale kann nur bitter sein: der Kern 
Ist's sicher nicht. – Wo sah ich doch dergleichen? – 
Verzeihet, edler Franke ...

Tempelherr.       Was?

Nathan.             Erlaubt ...

Tempelherr. 
Was, Jude? was?

Nathan.       Daß ich mich untersteh, 
Euch anzureden.

Tempelherr.       Kann ich's wehren? Doch 
Nur kurz.

Nathan.       Verzieht, und eilet nicht so stolz, 
Nicht so verächtlich einem Mann vorüber, 
Den Ihr auf ewig Euch verbunden habt.

Tempelherr. 
Wie das? – Ah, fast errat ich's. Nicht? Ihr seid ...

Nathan. 
Ich heiße Nathan; bin des Mädchens Vater, 
Das Eure Großmut aus dem Feu'r gerettet; 
Und komme ...

Tempelherr.       Wenn zu danken: – spart's! Ich hab 
Um diese Kleinigkeit des Dankes schon 
Zu viel erdulden müssen. – Vollends Ihr, 
Ihr seid mir gar nichts schuldig. Wußt' ich denn, 
Daß dieses Mädchen Eure Tochter war? 
Es ist der Tempelherren Pflicht, dem ersten 
Dem besten beizuspringen, dessen Not 
Sie sehn. Mein Leben war mir ohnedem 
In diesem Augenblicke lästig. Gern, 
Sehr gern ergriff ich die Gelegenheit, 
Es für ein andres Leben in die Schanze 
Zu schlagen: für ein andres – wenn's auch nur 
Das Leben einer Jüdin wäre.

Nathan.       Groß! 
Groß und abscheulich! – Doch die Wendung läßt 
Sich denken. Die bescheidne Größe flüchtet 
Sich hinter das Abscheuliche, um der 
Bewundrung auszuweichen. – Aber wenn 
Sie so das Opfer der Bewunderung 
Verschmäht: was für ein Opfer denn verschmäht 
Sie minder? – Ritter, wenn Ihr hier nicht fremd 
Und nicht gefangen wäret, würd' ich Euch 
So dreist nicht fragen. Sagt, befehlt: womit 
Kann man Euch dienen?

Tempelherr.       Ihr? Mit nichts.

Nathan.             Ich bin 
Ein reicher Mann.

Tempelherr.       Der reichre Jude war 
Mir nie der beßre Jude.

Nathan.       Dürft Ihr denn 
Darum nicht nützen, was demungeachtet 
Er Beßres hat? nicht seinen Reichtum nützen?

Tempelherr. 
Nun gut, das will ich auch nicht ganz verreden; 
Um meines Mantels willen nicht. Sobald 
Der ganz und gar verschlissen; weder Stich 
Noch Fetze länger halten will: komm ich 
Und borge mir bei Euch zu einem neuen, 
Tuch oder Geld. – Seht nicht mit eins so finster! 
Noch seid Ihr sicher; noch ist's nicht so weit 
Mit ihm. Ihr seht; er ist so ziemlich noch 
Im Stande. Nur der eine Zipfel da 
Hat einen garstigen Fleck; er ist versengt. 
Und das bekam er, als ich Eure Tochter 
Durchs Feuer trug.

Nathan (der nach dem Zipfel greift und ihn betrachtet). 
      Es ist doch sonderbar, 
Daß so ein böser Fleck, daß so ein Brandmal 
Dem Mann ein beßres Zeugnis redet, als 
Sein eigner Mund. Ich möcht' ihn küssen gleich – 
Den Flecken! – Ah, verzeiht! – Ich tat es ungern.

Tempelherr. 
Was?

Nathan.       Eine Träne fiel darauf.

Tempelherr.             Tut nichts! 
Er hat der Tropfen mehr. – (Bald aber fängt 
Mich dieser Jud' an zu verwirren.)

Nathan.       Wärt 
Ihr wohl so gut, und schicktet Euern Mantel 
Auch einmal meinem Mädchen?

Tempelherr.       Was damit?

Nathan. 
Auch ihren Mund an diesen Fleck zu drücken. 
Denn Eure Kniee selber zu umfassen, 
Wünscht sie nun wohl vergebens.

Tempelherr.       Aber, Jude – 
Ihr heißet Nathan? – Aber, Nathan – Ihr 
Setzt Eure Worte sehr – sehr gut – sehr spitz – 
Ich bin betreten – Allerdings – ich hätte ...

Nathan. 
Stellt und verstellt Euch, wie Ihr wollt. Ich find 
Auch hier Euch aus. Ihr wart zu gut, zu bieder, 
Um höflicher zu sein. – Das Mädchen, ganz 
Gefühl; der weibliche Gesandte, ganz 
Dienstfertigkeit; der Vater weit entfernt – 
Ihr trugt für ihren guten Namen Sorge; 
Floht ihre Prüfung; floht, um nicht zu siegen. 
Auch dafür dank ich Euch –

Tempelherr.       Ich muß gestehn, 
Ihr wißt, wie Tempelherren denken sollten.

Nathan. 
Nur Tempelherren? sollten bloß? und bloß 
Weil es die Ordensregeln so gebieten? 
Ich weiß, wie gute Menschen denken; weiß, 
Daß alle Länder gute Menschen tragen.

Tempelherr. 
Mit Unterschied, doch hoffentlich?

Nathan.       Jawohl; 
An Farb', an Kleidung, an Gestalt verschieden.

Tempelherr. 
Auch hier bald mehr, bald weniger, als dort.

Nathan. 
Mit diesem Unterschied ist's nicht weit her. 
Der große Mann braucht überall viel Boden; 
Und mehrere, zu nah gepflanzt, zerschlagen 
Sich nur die Äste. Mittelgut, wie wir, 
Find't sich hingegen überall in Menge. 
Nur muß der eine nicht den andern mäkeln. 
Nur muß der Knorr den Knuppen hübsch vertragen. 
Nur muß ein Gipfelchen sich nicht vermessen, 
Daß es allein der Erde nicht entschossen.

Tempelherr. 
Sehr wohl gesagt! – Doch kennt Ihr auch das Volk, 
Das diese Menschenmäkelei zuerst 
Getrieben? Wißt Ihr, Nathan, welches Volk 
Zuerst das auserwählte Volk sich nannte? 
Wie? wenn ich dieses Volk nun, zwar nicht haßte, 
Doch wegen seines Stolzes zu verachten, 
Mich nicht entbrechen könnte? Seines Stolzes; 
Den es auf Christ und Muselmann vererbte, 
Nur sein Gott sei der rechte Gott! – Ihr stutzt, 
Daß ich, ein Christ, ein Tempelherr, so rede? 
Wenn hat, und wo die fromme Raserei, 
Den bessern Gott zu haben, diesen bessern 
Der ganzen Welt als besten auf zudringen, 
In ihrer schwärzesten Gestalt sich mehr 
Gezeigt, als hier, als itzt? Wem hier, wem itzt 
Die Schuppen nicht vom Auge fallen ... Doch 
Sei blind, wer will! – Vergeßt, was ich gesagt; 
Und laßt mich!
 (Will gehen.)

Nathan.       Ha! Ihr wißt nicht, wie viel fester 
Ich nun mich an Euch drängen werde. – Kommt, 
Wir müssen, müssen Freunde sein! – Verachtet 
Mein Volk so sehr Ihr wollt. Wir haben beide 
Uns unser Volk nicht auserlesen. Sind 
Wir unser Volk? Was heißt denn Volk? 
Sind Christ und Jude eher Christ und Jude, 
Als Mensch? Ah! wenn ich einen mehr in Euch 
Gefunden hätte, dem es gnügt, ein Mensch 
Zu heißen!

Tempelherr.       Ja, bei Gott, das habt Ihr, Nathan! 
Das habt Ihr! – Eure Hand! – Ich schäme mich, 
Euch einen Augenblick verkannt zu haben.

Nathan. 
Und ich bin stolz darauf. Nur das Gemeine 
Verkennt man selten.

Tempelherr.       Und das Seltene 
Vergißt man schwerlich. – Nathan, ja; 
Wir müssen, müssen Freunde werden.

Nathan.       Sind 
Es schon. – Wie wird sich meine Recha freuen! – 
Und ah! welch eine heitre Ferne schließt 
Sich meinen Blicken auf! – Kennt sie nur erst.

Tempelherr. 
Ich brenne vor Verlangen. – Wer stürzt dort 
Aus Euerm Hause? Ist's nicht ihre Daja?

Nathan. 
Jawohl. So ängstlich?

Tempelherr.       Unsrer Recha ist 
Doch nichts begegnet?

 

[II,6]

 

Sechster Auftritt                    

Die Vorigen und Daja eilig.

 

Daja.       Nathan! Nathan!

Nathan.             Nun?

Daja. 
Verzeihet, edler Ritter, daß ich Euch 
Muß unterbrechen.

Nathan.       Nun, was ist's?

Tempelherr.             Was ist's?

Daja. 
Der Sultan hat geschickt. Der Sultan will 
Euch sprechen. Gott, der Sultan!

Nathan.       Mich? der Sultan? 
Er wird begierig sein, zu sehen, was 
Ich Neues mitgebracht. Sag nur, es sei 
Noch wenig oder gar nichts ausgepackt.

Daja. 
Nein, nein; er will nichts sehen; will Euch sprechen, 
Euch in Person, und bald; sobald Ihr könnt. –

Nathan. 
Ich werde kommen. – Geh nur wieder, geh!

Daja. 
Nehmt ja nicht übel auf, gestrenger Ritter – 
Gott, wir sind so bekümmert, was der Sultan 
Doch will.

Nathan.       Das wird sich zeigen. Geh nur, geh!

 

 

[II,7]

 

Siebenter Auftritt                    

Nathan und der Tempelherr.

Tempelherr. 
So kennt Ihr ihn noch nicht? – ich meine, von 
Person.

Nathan.       Den Saladin? Noch nicht. Ich habe 
Ihn nicht vermieden, nicht gesucht zu kennen. 
Der allgemeine Ruf sprach viel zu gut 
Von ihm, daß ich nicht lieber glauben wollte, 
Als sehn. Doch nun, – wenn anders dem so ist, 
Hat er durch Sparung Eures Lebens ...

Tempelherr.       Ja; 
Dem allerdings ist so. Das Leben, das 
ich leb, ist sein Geschenk.

Nathan.       Durch das er mir 
Ein doppelt, dreifach Leben schenkte. Dies 
Hat alles zwischen uns verändert; hat 
Mit eins ein Seil mir umgeworfen, das 
Mich seinem Dienst auf ewig fesselt. Kaum, 
Und kaum, kann ich es nun erwarten, was 
Er mir zuerst befehlen wird. Ich bin 
Bereit zu allem; bin bereit ihm zu 
Gestehn, daß ich es Euertwegen bin.

Tempelherr. 
Noch hab ich selber ihm nicht danken können: 
Sooft ich auch ihm in den Weg getreten. 
Der Eindruck, den ich auf ihn machte, kam 
So schnell, als schnell er wiederum verschwunden. 
Wer weiß, ob er sich meiner gar erinnert. 
Und dennoch muß er, einmal wenigstens, 
Sich meiner noch erinnern, um mein Schicksal 
Ganz zu entscheiden. Nicht genug, daß ich 
Auf sein Geheiß noch bin, mit seinem Willen 
Noch leb: ich muß nun auch von ihm erwarten, 
Nach wessen Willen ich zu leben habe.

Nathan. 
Nicht anders; um so mehr will ich nicht säumen. – 
Es fällt vielleicht ein Wort, das mir, auf Euch 
Zu kommen, Anlaß gibt. – Erlaubt, verzeiht – 
Ich eile – Wenn, wenn aber sehn wir Euch 
Bei uns?

Tempelherr.       Sobald ich darf.

Nathan.             Sobald Ihr wollt.

Tempelherr. 
Noch heut.

Nathan.       Und Euer Name? – muß ich bitten.

Tempelherr. 
Mein Name war – ist Curd von Stauffen. – Curd!

Nathan. 
Von Stauffen? – Stauffen? – Stauffen?

Tempelherr.       Warum fällt 
Euch das so auf?

Nathan.       Von Stauffen? – Des Geschlechts 
Sind wohl noch mehrere ...

Tempelherr.       O ja! hier waren, 
Hier faulen des Geschlechts schon mehrere. 
Mein Oheim selbst, – mein Vater will ich sagen, 
Doch warum schärft sich Euer Blick auf mich 
Je mehr und mehr?

Nathan.       O nichts! o nichts! Wie kann 
Ich Euch zu sehn ermüden?

Tempelherr.       Drum verlaß 
Ich Euch zuerst. Der Blick des Forschers fand 
Nicht selten mehr, als er zu finden wünschte. 
Ich fürcht ihn, Nathan. Laßt die Zeit allmählich, 
Und nicht die Neugier, unsre Kundschaft machen.

(Er geht.)

Nathan (der ihm mit Erstaunen nachsieht). 
»Der Forscher fand nicht selten mehr, als er 
Zu finden wünschte.« – Ist es doch, als ob 
In meiner Seel' er lese! – Wahrlich ja; 
Das könnt' auch mir begegnen. – Nicht allein 
Wolfs Wuchs, Wolfs Gang: auch seine Stimme. So, 
Vollkommen so, warf Wolf sogar den Kopf; 
Trug Wolf sogar das Schwert im Arm'; strich Wolf 
Sogar die Augenbraunen mit der Hand, 
Gleichsam das Feuer seines Blicks zu bergen. 
Wie solche tiefgeprägte Bilder doch 
Zu Zeiten in uns schlafen können, bis 
Ein Wort, ein Laut sie weckt. – Von Stauffen! – 
Ganz redet, ganz recht; Filnek und Stauffen. – 
Ich will das bald genauer wissen; bald. 
Nur erst zum Saladin. – Doch wie? lauscht dort 
Nicht Daja? – Nun so komm nur näher, Daja.

 

[II,8]

 

Achter Auftritt                    

Daja. Nathan.

 

Nathan. 
Was gilt's? nun drückt's euch beiden schon das Herz, 
Noch ganz was anders zu erfahren, als 
Was Saladin mir will.

Daja.       Verdenkt Ihr's ihr? 
Ihr fingt soeben an, vertraulicher 
Mit ihm zu sprechen: als des Sultans Botschaft 
Uns von dem Fenster scheuchte.

Nathan.       Nun, so sag 
Ihr nur, daß sie ihn jeden Augenblick 
Erwarten darf.

Daja.       Gewiß? gewiß?

Nathan.             Ich kann 
Mich doch auf dich verlassen, Daja? Sei 
Auf deiner Hut; ich bitte dich. Es soll 
Dich nicht gereuen. Dein Gewissen selbst 
Soll seine Rechnung dabei finden. Nur 
Verdirb mir nichts in meinem Plane. Nur 
Erzähl und frage mit Bescheidenheit, 
Mit Rückhalt ...

Daja.       Daß Ihr doch noch erst so was 
Erinnern könnt! – Ich geh; geht Ihr nur auch. 
Denn seht! ich glaube gar, da kömmt vom Sultan 
Ein zweiter Bot', Al-Hafi, Euer Derwisch.
 (Geht ab.)

 

[II,9]

 

Neunter Auftritt                    

Nathan. Al-Hafi.

Al-Hafi. 
Ha! ha! zu Euch wollt' ich nun eben wieder.

Nathan. 
Ist's denn so eilig? Was verlangt er denn 
Von mir?

Al-Hafi. Wer?

Nathan. Saladin. Ich komm, ich komme.

Al-Hafi. 
Zu wem? Zum Saladin?

Nathan. Schickt Saladin 
Dich nicht?

Al-Hafi. Mich? nein. Hat er denn schon geschickt?

Nathan. 
Ja freilich hat er.

Al-Hafi. Nun, so ist es richtig.

Nathan. 
Was? was ist richtig?

Al-Hafi. Daß ... ich bin nicht schuld; 
Gott weiß, ich bin nicht schuld. Was hab ich nicht 
Von Euch gesagt, gelogen, um es abzuwenden!

Nathan. 
Was abzuwenden? Was ist richtig?

Al-Hafi. Daß 
Nun Ihr sein Defterdar geworden. Ich 
Bedaur' Euch. Doch mit ansehn will ich's nicht. 
Ich geh von Stund an; geh. Ihr habt es schon 
Gehört, wohin; und wißt den Weg. Habt Ihr 
Des Wegs was zu bestellen, sagt: ich bin 
Zu Diensten. Freilich muß es mehr nicht sein, 
Als was ein Nackter mit sich schleppen kann. 
Ich geh, sagt bald.

Nathan. Besinn dich doch, Al-Hafi. 
Besinn dich, daß ich noch von gar nichts weiß. 
Was plauderst du denn da?

Al-Hafi. Ihr bringt sie doch 
Gleich mit, die Beutel?

Nathan. Beutel?

Al-Hafi. Nun, das Geld, 
Das Ihr dem Saladin vorschießen sollt. 
Nathan. 
Und weiter ist es nichts?

Al-Hafi. Ich sollt' es wohl 
Mit ansehn, wie er Euch von Tag zu Tag 
Aushöhlen wird bis auf die Zehen? Sollt' 
Es wohl mit ansehn, daß Verschwendung aus 
Der weisen Milde sonst nie leeren Scheuern 
So lange borgt, und borgt, und borgt, bis auch 
Die armen eingebornen Mäuschen drin 
Verhungern? Bildet Ihr vielleicht Euch ein, 
Wer Euers Gelds bedürftig sei, der werde 
Doch Euerm Rate wohl auch folgen? Ja; 
Er Rate folgen! Wenn hat Saladin 
Sich raten lassen? Denkt nur, Nathan, was 
Mir eben itzt mit ihm begegnet.

Nathan. Nun?

Al-Hafi. 
Da komm ich zu ihm, eben daß er Schach 
Gespielt mit seiner Schwester. Sittah spielt 
Nicht übel; und das Spiel, das Saladin 
Verloren glaubte, schon gegeben hatte, 
Das stand noch ganz so da. Ich seh Euch hin, 
Und sehe, daß das Spiel noch lange nicht 
Verloren.

Nathan. Ei! das war für dich ein Fund!

Al-Hafi. 
Er durfte mit dem König an den Bauer 
Nur rücken, auf ihr Schach. Wenn ich's Euch gleich 
Nur zeigen könnte!

Nathan. O ich traue dir!

Al-Hafi. 
Denn so bekam der Roche Feld: und sie 
War hin. Das alles will ich ihm nun weisen 
Und ruf ihn. Denkt! ...

Nathan. Er ist nicht deiner Meinung?

Al-Hafi. 
Er hört mich gar nicht an, und wirft verächtlich 
Das ganze Spiel in Klumpen.

Nathan. Ist das möglich?

Al-Hafi. 
Und sagt: er wolle matt nun einmal sein; 
Er wolle! Heißt das spielen?

Nathan. Schwerlich wohl; 
Heißt mit dem Spielen spielen.

Al-Hafi. Gleichwohl galt 
Es keine taube Nuß.

Nathan. Geld hin, Geld her! 
Das ist das wenigste. Allein dich gar 
Nicht anzuhören! über einen Punkt 
Von solcher Wichtigkeit dich nicht einmal 
Zu hören! deinen Adlerblick nicht zu 
Bewundern! das, das schreit um Rache; nicht?

Al-Hafi. 
Ach was! Ich sage Euch das nur, damit 
Ihr sehen könnt, was für ein Kopf er ist. 
Kurz, ich, ich halt's mit ihm nicht länger aus. 
Da lauf ich nun bei allen schmutz'gen Mohren 
Herum, und frage, wer ihm borgen will. 
Ich, der ich nie für mich gebettelt habe, 
Soll nun für andre borgen. Borgen ist 
Viel besser nicht als betteln: so wie leihen, 
Auf Wucher leihen, nicht viel besser ist, 
Als stehlen. Unter meinen Ghebern, an 
Dem Ganges, brauch ich beides nicht, und brauche 
Das Werkzeug beider nicht zu sein. Am Ganges, 
Am Ganges nur gibt's Menschen. Hier seid Ihr 
Der einzige, der noch so würdig wäre, 
Daß er am Ganges lebte. Wollt Ihr mit? 
Laßt ihm mit eins den Plunder ganz im Stiche, 
Um den es ihm zu tun. Er bringt Euch nach 
Und nach doch drum. So wär' die Plackerei 
Auf einmal aus. Ich schaff Euch einen Delk. 
Kommt! kommt!

Nathan. Ich dächte zwar, das blieb' uns ja 
Noch immer übrig. Doch, Al-Hafi, will 
Ich's überlegen. Warte ...

Al-Hafi. Überlegen? 
Nein, so was überlegt sich nicht.

Nathan. Nur bis 
Ich von dem Sultan wiederkomme; bis 
Ich Abschied erst ...

Al-Hafi. Wer überlegt, der sucht 
Bewegungsgründe, nicht zu dürfen. Wer 
Sich Knall und Fall, ihm selbst zu leben, nicht, 
Entschließen kann, der lebet andrer Sklav' 
Auf immer. Wie Ihr wollt! Lebt wohl! wie's Euch 
Wohl dünkt. Mein Weg liegt dort; und Eurer da.

Nathan. 
Al-Hafi! Du wirst selbst doch erst das Deine 
Berichtigen?

Al-Hafi. Ach Possen! Der Bestand 
Von meiner Kass' ist nicht des Zählens wert; 
Und meine Rechnung bürgt Ihr oder Sittah. 
Lebt wohl!
 (Ab.)

Nathan (ihm nachsehend). 
Die bürg ich! Wilder, guter, edler 
Wie nenn ich ihn? Der wahre Bettler ist 
Doch einzig und allein der wahre König! 
(Von einer andern Seite ab.)

 

 

DRITTER AUFZUG

 

[II,1]

 

Erster Auftritt                    

(Szene: in Nathans Hause.)

Recha und Daja.

 

Recha. 
Wie, Daja, drückte sich mein Vater aus? 
»Ich dürf' ihn jeden Augenblick erwarten?« 
Das klingt nicht wahr? als ob er noch so bald 
Erscheinen werde. Wieviel Augenblicke 
Sind aber schon vorbei! Ah nun: wer denkt 
An die verflossenen? Ich will allein 
In jedem nächsten Augenblicke leben. 
Er wird doch einmal kommen, der ihn bringt.

Daja. 
O der verwünschten Botschaft von dem Sultan! 
Denn Nathan hätte sicher ohne sie 
Ihn gleich mit hergebracht.

Recha. Und wenn er nun 
Gekommen, dieser Augenblick; wenn denn 
Nun meiner Wünsche wärmster, innigster 
Erfüllet ist: was dann? was dann?

Daja. Was dann? 
Dann hoff ich, daß auch meiner Wünsche wärmster 
Soll in Erfüllung gehen.

Recha. Was wird dann 
In meiner Brust an dessen Stelle treten, 
Die schon verlernt, ohn' einen herrschenden 
Wunsch aller Wünsche sich zu dehnen? Nichts? 
Ah, ich erschrecke! ...

Daja. Mein, mein Wunsch wird dann 
An des erfüllten Stelle treten; meiner. 
Mein Wunsch, dich in Europa, dich in Händen 
Zu wissen, welche deiner würdig sind.

Recha. 
Du irrst. Was diesen Wunsch zu deinem macht, 
Das nämliche verhindert, daß er meiner 
Je werden kann. Dich zieht dein Vaterland: 
Und meines, meines sollte mich nicht halten? 
Ein Bild der Deinen, das in deiner Seele 
Noch nicht verloschen, sollte mehr vermögen, 
Als die ich sehn, und greifen kann, und hören, 
Die Meinen?

Daja. Sperre dich, soviel du willst! 
Des Himmels Wege sind des Himmels Wege. 
Und wenn es nun dein Retter selber wäre, 
Durch den sein Gott, für den er kämpft, dich in 
Das Land, dich zu dem Volke führen wollte, 
Für welche du geboren wurdest?

Recha. Daja! 
Was sprichst du da nun wieder, liebe Daja! 
Du hast doch wahrlich deine sonderbaren 
Begriffe! »Sein, sein Gott! für den er kämpft!« 
Wem eignet Gott? was ist das für ein Gott, 
Der einem Menschen eignet? der für sich 
Muß kämpfen lassen? Und wie weiß 
Man denn, für welchen Erdkloß man geboren, 
Wenn man's für den nicht ist, auf welchem man 
Geboren? Wenn mein Vater dich so hörte! 
Was tat er dir, mir immer nur mein Glück 
So weit von ihm als möglich vorzuspiegeln? 
Was tat er dir, den Samen der Vernunft, 
Den er so rein in meine Seele streute, 
Mit deines Landes Unkraut oder Blumen 
So gern zu mischen? Liebe, liebe Daja, 
Er will nun deine bunten Blumen nicht 
Auf meinem Boden! Und ich muß dir sagen, 
Ich selber fühle meinen Boden, wenn 
Sie noch so schön ihn kleiden, so entkräftet, 
So ausgezehrt durch deine Blume; fühle 
In ihrem Dufte, sauersüßem Dufte, 
Mich so betäubt, so schwindelnd! Dein Gehirn 
Ist dessen mehr gewohnt. Ich tadle drum 
Die stärkern Nerven nicht, die ihn vertragen. 
Nur schlägt er mir nicht zu; und schon dein Engel, 
Wie wenig fehlte, daß er mich zur Närrin 
Gemacht? Noch schäm ich mich vor meinem Vater 
Der Posse!

Daja. Posse! Als ob der Verstand 
Nur hier zu Hause wäre! Posse! Posse! 
Wenn ich nur reden dürfte!

Recha. Darfst du nicht? 
Wenn war ich nicht ganz Ohr, sooft es dir 
Gefiel, von deinen Glaubenshelden mich 
Zu unterhalten? Hab ich ihren Taten 
Nicht stets Bewunderung; und ihren Leiden 
Nicht immer Tränen gern gezollt? Ihr Glaube 
Schien freilich mir das Heldenmäßigste 
An ihnen nie. Doch so viel tröstender 
War mir die Lehre, daß Ergebenheit 
In Gott von unserm Wähnen über Gott 
So ganz und gar nicht abhängt. Liebe Daja, 
Das hat mein Vater uns so oft gesagt; 
Darüber hast du selbst mit ihm so oft 
Dich einverstanden: warum untergräbst 
Du denn allein, was du mit ihm zugleich 
Gebauet? Liebe Daja, das ist kein 
Gespräch, womit wir unserm Freund' am besten 
Entgegensehn. Für mich zwar, ja! Denn mir, 
Mir liegt daran unendlich, ob auch er ... 
Horch, Daja! Kommt es nicht an unsre Türe? 
Wenn Er es wäre! horch!

 

[III,2]

 

Zweiter Auftritt                    

Recha. Daja und der Tempelherr, dem jemand von außen die Türe öffnet, mit den Worten:

Nur hier herein!

Recha (fährt zusammen, faßt sich und will ihm zu Füßen fallen). 
Er ist's! Mein Retter, ah!

Tempelherr. Dies zu vermeiden 
Erschien ich bloß so spät: und doch

Recha. Ich will 
Ja zu den Füßen dieses stolzen Mannes 
Nur Gott noch einmal danken; nicht dem Manne. 
Der Mann will keinen Dank; will ihn so wenig 
Als ihn der Wassereimer will, der bei 
Dem Löschen so geschäftig sich erwiesen. 
Der ließ sich füllen, ließ sich leeren, mir 
Nichts, dir nichts: also auch der Mann. Auch der 
Ward nur so in die Glut hineingestoßen; 
Da fiel ich ungefähr ihm in den Arm; 
Da blieb ich ungefähr, so wie ein Funken 
Auf seinem Mantel, ihm in seinen Armen; 
Bis wiederum, ich weiß nicht was, uns beide 
Herausschmiß aus der Glut. Was gibt es da 
Zu danken? In Europa treibt der Wein 
Zu noch weit andern Taten. Tempelherren, 
Die müssen einmal nun so handeln; müssen 
Wie etwas besser zugelernte Hunde, 
Sowohl aus Feuer, als aus Wasser holen.

Tempelherr (der sie mit Erstaunen und Unruhe die Zeit über betrachtet). 
O Daja, Daja! Wenn in Augenblicken 
Des Kummers und der Galle, meine Laune 
Dich übel anließ, warum jede Torheit, 
Die meiner Zung' entfuhr, ihr hinterbringen? 
Das hieß sich zu empfindlich rächen, Daja! 
Doch wenn du nur von nun an besser mich 
Bei ihr vertreten willst.

Daja. Ich denke, Ritter 
Ich denke nicht, daß diese kleinen Stacheln, 
Ihr an das Herz geworfen, Euch da sehr 
Geschadet haben.

Recha. Wie? Ihr hattet Kummer? 
Und wart mit Euerm Kummer geiziger 
Als Euerm Leben?

Tempelherr. Gutes, holdes Kind! 
Wie ist doch meine Seele zwischen Auge 
Und Ohr geteilt! Das war das Mädchen nicht, 
Nein, nein, das war es nicht, das aus dem Feuer 
Ich holte. Denn wer hätte die gekannt, 
Und aus dem Feuer nicht geholt? Wer hätte 
Auf mich gewartet? Zwar verstellt der Schreck. 
(Pause, unter der er, in Anschauung ihrer, sich wie verliert.)

Recha. 
Ich aber find Euch noch den nämlichen. 
(Dergleichen; bis sie fortfährt, um ihn in seinem Anstaunen zu unterbrechen.) 
Nun, Ritter, sagt uns doch, wo Ihr so lange 
Gewesen? Fast dürft' ich auch fragen: wo 
Ihr itzo seid?

Tempelherr. Ich bin, wo ich vielleicht 
Nicht sollte sein.

Recha. Wo Ihr gewesen? Auch 
Wo Ihr vielleicht nicht solltet sein gewesen? 
Das ist nicht gut.

Tempelherr. Auf auf wie heißt der Berg? 
Auf Sinai.

Recha. Auf Sinai? Ah schön! 
Nun kann ich zuverlässig doch einmal 
Erfahren, ob es wahr ...

Tempelherr. Was? was? Ob's wahr, 
Daß noch daselbst der Ort zu sehn, wo Moses 
Vor Gott gestanden, als ...

Recha. Nun das wohl nicht. 
Denn wo er, stand, stand er vor Gott. Und davon 
Ist mir zur Gnüge schon bekannt. Ob's wahr, 
Möcht' ich nur gern von Euch erfahren, daß 
Daß es bei weitem nicht so mühsam sei, 
Auf diesen Berg hinaufzusteigen, als 
Herab? Denn seht; soviel ich Berge noch 
Gestiegen bin, war's just das Gegenteil. 
Nun, Ritter? Was? Ihr kehrt Euch von mir ab? 
Wollt mich nicht sehn?

Tempelherr. Weil ich Euch hören will.

Recha. 
Weil Ihr mich nicht wollt merken lassen, daß 
Ihr meiner Einfalt lächelt; daß Ihr lächelt, 
Wie ich Euch doch so gar nichts Wichtigers 
Von diesem heiligen Berg' aller Berge 
Zu fragen weiß? Nicht wahr?

Tempelherr. So muß 
Ich doch Euch wieder in die Augen sehn. 
Was? Nun schlagt Ihr sie nieder? nun verbeißt 
Das Lächeln Ihr? wie ich noch erst in Mienen, 
In zweifelhaften Mienen lesen will, 
Was ich so deutlich hör, Ihr so vernehmlich 
Mir sagt verschweigt? Ah Recha! Recha! Wie 
Hat er so wahr gesagt: »Kennt sie nur erst!«

Recha. 
Wer hat? von wem? Euch das gesagt?

Tempelherr. »Kennt sie 
Nur erst!« hat Euer Vater mir gesagt; 
Von Euch gesagt.

Daja. Und ich nicht etwa auch? 
Ich denn nicht auch?

Tempelherr. Allein wo ist er denn? 
Wo ist denn Euer Vater? Ist er noch 
Beim Sultan?

Recha. Ohne Zweifel.

Tempelherr. Noch, noch da? 
O mich Vergeßlichen! Nein, nein; da ist 
Er schwerlich mehr. Er wird dort unten bei 
Dem Kloster meiner warten; ganz gewiß. 
So red'ten, mein ich, wir es ab. Erlaubt! 
Ich geh, ich hol ihn ...

Daja. Das ist meine Sache. 
Bleibt, Ritter, bleibt. Ich bring ihn unverzüglich.

Tempelherr. 
Nicht so, nicht so! Er sieht mir selbst entgegen; 
Nicht Euch. Dazu, er könnte leicht ... wer weiß? ... 
Er könnte bei dem Sultan leicht,... Ihr kennt 
Den Sultan nicht! ... leicht in Verlegenheit 
Gekommen sein. Glaubt mir; es hat Gefahr, 
Wenn ich nicht geh.

Recha. Gefahr? was für Gefahr?

Tempelherr. 
Gefahr für mich, für Euch, für ihn: wenn ich 
Nicht schleunig, schleunig geh. 
(Ab.)

 

[III.3]

 

Dritter Auftritt                    

Recha und Daja.

 

Recha. Was ist das, Daja? 
So schnell? Was kömmt ihm an? Was fiel ihm auf? 
Was jagt ihn?

Daja. Laßt nur, laßt. Ich denk, es ist 
Kein schlimmes Zeichen.

Recha. Zeichen? und wovon?

Daja. 
Daß etwas vorgeht innerhalb. Es kocht, 
Und soll nicht überkochen. Laßt ihn nur. 
Nun ist's an Euch.

Recha. Was ist an mir? Du wirst, 
Wie er, mir unbegreiflich.

Daja. Bald nun könnt 
Ihr ihm die Unruh' all vergelten, die 
Er Euch gemacht hat. Seid nur aber auch 
Nicht allzu streng, nicht allzu rachbegierig.

Recha. 
Wovon du sprichst, das magst du selber wissen.

Daja. 
Und seid denn Ihr bereits so ruhig wieder?

Recha. 
Das bin ich; ja das bin ich ...

Daja. Wenigstens 
Gesteht, daß Ihr Euch seiner Unruh' freut; 
Und seiner Unruh' danket, was Ihr itzt 
Von Ruh' genießt.

Recha. Mir völlig unbewußt! 
Denn was ich höchstens dir gestehen könnte, 
Wär', daß es mich mich selbst befremdet, wie 
Auf einen solchen Sturm in meinem Herzen 
So eine Stille plötzlich folgen können. 
Sein voller Anblick, sein Gespräch, sein Ton 
Hat mich ...

Daja. Gesättigt schon?

Recha. Gesättigt, will 
Ich nun nicht sagen; nein bei weitem nicht

Daja. 
Den heißen Hunger nur gestillt.

Recha. Nun ja: 
Wenn du so willst.

Daja. Ich eben nicht.

Recha. Er wird 
Mir ewig wert; mir ewig werter, als 
Mein Leben bleiben: wenn auch schon mein Puls 
Nicht mehr bei seinem bloßen Namen wechselt; 
Nicht mehr mein Herz, sooft ich an ihn denke, 
Geschwinder, stärker schlägt. Was schwatz ich? Komm, 
Komm, liebe Daja, wieder an das Fenster, 
Das auf die Palmen sieht.

Daja. So ist er doch 
Wohl noch nicht ganz gestillt, der heiße Hunger.

Recha. 
Nun werd ich auch die Palmen wieder sehn: 
Nicht ihn bloß untern Palmen.

Daja. Diese Kälte 
Beginnt auch wohl ein neues Fieber nur.

Recha. 
Was Kält'? Ich bin nicht kalt. Ich sehe wahrlich 
Nicht minder gern, was ich mit Ruhe sehe.

 

[III,4]

 

Vierter Auftritt                    

(Szene: ein Audienzsaal in dem Palaste des Saladin.)

Saladin und Sittah.

 

Saladin (im Hereintreten, gegen die Türe). 
Hier bringt den Juden her, sobald er kömmt. 
Er scheint sich eben nicht zu übereilen.

Sittah. 
Er war auch wohl nicht bei der Hand; nicht gleich 
Zu finden.

Saladin. Schwester! Schwester!

Sittah. Tust du doch, 
Als stünde dir ein Treffen vor.

Saladin. Und das 
Mit Waffen, die ich nicht gelernt zu führen. 
Ich soll mich stellen; soll besorgen lassen; 
Soll Fallen legen; soll auf Glatteis führen. 
Wenn hätt' ich das gekonnt? Wo hätt' ich das 
Gelernt? Und soll das alles, ah, wozu? 
Wozu? Um Geld zu fischen; Geld! Um Geld, 
Geld einem Juden abzubangen; Geld! 
Zu solchen kleinen Listen wär' ich endlich 
Gebracht, der Kleinigkeiten kleinste mir 
Zu schaffen?

Sittah. Jede Kleinigkeit, zu sehr 
Verschmäht, die rächt sich, Bruder.

Saladin. Leider wahr. 
Und wenn nun dieser Jude gar der gute, 
Vernünft'ge Mann ist, wie der Derwisch dir 
Ihn ehedem beschrieben?

Sittah. O nun dann! 
Was hat es dann für Not! Die Schlinge liegt 
Ja nur dem geizigen, besorglichen, 
Furchtsamen Juden: nicht dem guten, nicht 
Dem weisen Manne. Dieser ist ja so 
Schon unser, ohne Schlinge. Das Vergnügen, 
Zu hören, wie ein solcher Mann sich ausred't; 
Mit welcher dreisten Stärk' entweder er 
Die Stricke kurz zerreißet; oder auch 
Mit welcher schlauen Vorsicht er die Netze 
Vorbei sich windet: dies Vergnügen hast 
Du obendrein.

Saladin. Nun, das ist wahr. Gewiß; 
Ich freue mich darauf.

Sittah. So kann dich ja 
Auch weiter nichts verlegen machen. Denn 
Ist's einer aus der Menge bloß; ist's bloß 
Ein Jude, wie ein Jude: gegen den 
Wirst du dich doch nicht schämen, so zu scheinen, 
Wie er die Menschen all sich denkt? Vielmehr; 
Wer sich ihm besser zeigt, der zeigt sich ihm 
Als Geck, als Narr.

Saladin. So muß ich ja wohl gar 
Schlecht handeln, daß von mir der Schlechte nicht 
Schlecht denke?

Sittah. Traun! wenn du schlecht handeln nennst, 
Ein jedes Ding nach seiner Art zu brauchen.

Saladin. 
Was hätt' ein Weiberkopf erdacht, das er 
Nicht zu beschönen wüßte!

Sittah. Zu beschönen!

Saladin. 
Das feine, spitze Ding, besorg ich nur, 
In meiner plumpen Hand zerbricht! So was 
Will ausgeführt sein, wie's erfunden ist: 
Mit aller Pfiffigkeit, Gewandtheit. Doch, 
Mag's doch nur, mag's! Ich tanze, wie ich kann; 
Und könnt' es freilich lieber schlechter noch 
Als besser.

Sittah. Trau dir auch nur nicht zu wenig! 
Ich stehe dir für dich! Wenn du nur willst. 
Daß uns die Männer deinesgleichen doch 
So gern bereden möchten, nur ihr Schwert, 
Ihr Schwert nur habe sie so weit gebracht. 
Der Löwe schämt sich freilich, wenn er mit 
Dem Fuchse jagt: des Fuchses, nicht der List.

Saladin. 
Und daß die Weiber doch so gern den Mann 
Zu sich herunter hätten! Geh nur, geh! 
Ich glaube meine Lektion zu können.

Sittah. 
Was? ich soll gehn?

Saladin. Du wolltest doch nicht bleiben?

Sittah. 
Wenn auch nicht bleiben ... im Gesicht euch bleiben 
Doch hier im Nebenzimmer

Saladin. Da zu horchen? 
Auch das nicht, Schwester; wenn ich soll bestehn. 
Fort, fort! der Vorhang rauscht; er kömmt! doch daß 
Du ja nicht da verweilst! Ich sehe nach.

(Indem sie sich durch eine Türe entfernt, tritt Nathan zu der andern herein; und Saladin hat sich gesetzt.)

 

[III,5]

 

Fünfter Auftritt                    

Saladin und Nathan.

Saladin. 
Tritt näher, Jude! Näher! Nur ganz her! 
Nur ohne Furcht!

Nathan. Die bleibe deinem Feinde!

Saladin. 
Du nennst dich Nathan?

Nathan. Ja.

Saladin. Den weisen Nathan?

Nathan. 
Nein.

Saladin. Wohl! nennst du dich nicht; nennt dich das Volk.

Nathan. 
Kann sein; das Volk!

Saladin. Du glaubst doch nicht, daß ich 
Verächtlich von des Volkes Stimme denke? 
Ich habe längst gewünscht, den Mann zu kennen, 
Den es den Weisen nennt.

Nathan. Und wenn es ihn 
Zum Spott so nennte? Wenn dem Volke weise 
Nichts weiter wär' als klug? und klug nur der, 
Der sich auf seinen Vorteil gut versteht?

Saladin. 
Auf seinen wahren Vorteil, meinst du doch?

Nathan. 
Dann freilich wär' der Eigennützigste 
Der Klügste. Dann wär' freilich klug und weise 
Nur eins.

Saladin. Ich höre dich erweisen, was 
Du widersprechen willst. Des Menschen wahre 
Vorteile, die das Volk nicht kennt, kennst du. 
Hast du zu kennen wenigstens gesucht; 
Hast drüber nachgedacht: das auch allein 
Macht schon den Weisen.

Nathan. Der sich jeder dünkt 
Zu sein.

Saladin. Nun der Bescheidenheit genug! 
Denn sie nur immerdar zu hören, wo 
Man trockene Vernunft erwartet, ekelt. 
(Er springt auf.) 
Laß uns zur Sache kommen! Aber, aber 
Aufrichtig, Jud', aufrichtig!

Nathan. Sultan, ich 
Will sicherlich dich so bedienen, daß 
Ich deiner fernern Kundschaft würdig bleibe.

Saladin. Bedienen? wie?

Nathan. Du sollst das Beste haben 
Von allem; sollst es um den billigsten 
Preis haben.

Saladin. Wovon sprichst du? doch wohl nicht 
Von deinen Waren? Schachern wird mit dir 
Schon meine Schwester. (Das der Horcherin!) 
Ich habe mit dem Kaufmann nichts zu tun.

Nathan. 
So wirst du ohne Zweifel wissen wollen, 
Was ich auf meinem Wege von dem Feinde, 
Der allerdings sich wieder reget, etwa 
Bemerkt, getroffen? Wenn ich unverhohlen ...

Saladin. 
Auch darauf bin ich eben nicht mit dir 
Gesteuert. Davon weiß ich schon, so viel 
Ich nötig habe. Kurz-,

Nathan. Gebiete, Sultan.

Saladin. 
Ich heische deinen Unterricht in ganz 
Was anderm; ganz was anderm. Da du nun 
So weise bist: so sage mir doch einmal 
Was für ein Glaube, was für ein Gesetz 
Hat dir am meisten eingeleuchtet?

Nathan. Sultan, 
Ich bin ein Jud'.

Saladin. Und ich ein Muselmann. 
Der Christ ist zwischen uns. Von diesen drei 
Religionen kann doch eine nur 
Die wahre sein. Ein Mann, wie du, bleibt da 
Nicht stehen, wo der Zufall der Geburt 
Ihn hingeworfen: oder wenn er bleibt, 
Bleibt er aus Einsicht, Gründen, Wahl des Bessern. 
Wohlan! so teile deine Einsicht mir 
Dann mit. Laß mich die Gründe hören, denen 
Ich selber nachzugrübeln, nicht die Zeit 
Gehabt. Laß mich die Wahl, die diese Gründe 
Bestimmt, versteht sich, im Vertrauen wissen, 
Damit ich sie zu meiner mache. Wie? 
Du stutzest? wägst mich mit dem Auge? Kann 
Wohl sein, daß ich der erste Sultan bin, 
Der eine solche Grille hat; die mich 
Doch eines Sultans eben nicht so ganz 
Unwürdig dünkt. Nicht wahr? So rede doch! 
Sprich! Oder willst du einen Augenblick, 
Dich zu bedenken? Gut, ich geb ihn dir. 
(Ob sie wohl horcht? Ich will sie doch belauschen; 
Will hören, ob ich's recht gemacht. ) Denk nach. 
Geschwind denk nach! Ich säume nicht, zurück- 
Zukommen. 
(Er geht in das Nebenzimmer, nach welchem sich Sittah begeben.)

 

[III,6]

 

Sechster Auftritt                    

Nathan allein.

Hm! hm! – wunderlich! – Wie ist 
Mir denn? Was will der Sultan? was? Ich bin 
Auf Geld gefaßt; und er will Wahrheit. Wahrheit! 
Und will sie so, so bar, so blank, als ob 
Die Wahrheit Münze wäre! ja, wenn noch 
Uralte Münze, die gewogen ward! 
Das ginge noch! Allein so neue Münze, 
Die nur der Stempel macht, die man aufs Brett 
Nur zählen darf, das ist sie doch nun nicht! 
Wie Geld in Sack, so striche man in Kopf 
Auch Wahrheit ein? Wer ist denn hier der Jude? 
Ich oder er? Doch wie? Sollt' er auch wohl 
Die Wahrheit nicht in Wahrheit fodern? Zwar, 
Zwar der Verdacht, daß er die Wahrheit nur 
Als Falle brauche, wär' auch gar zu klein! 
Zu klein? Was ist für einen Großen denn 
Zu klein? Gewiß, gewiß: er stürzte mit 
Der Türe so ins Haus! Man pocht doch, hört 
Doch erst, wenn man als Freund sich naht. Ich muß 
Behutsam gehn! Und wie? wie das? So ganz 
Stockjude sein zu wollen, geht schon nicht. 
Und ganz und gar nicht Jude, geht noch minder. 
Denn, wenn kein Jude, dürft' er mich nur fragen, 
Warum kein Muselmann? Das war's! Das kann 
Mich retten! Nicht die Kinder bloß, speist man 
Mit Märchen ab. Er kommt. Er komme nur!

 

[III,7]

 

Siebenter Auftritt                    

Saladin und Nathan.

 

Saladin. 
(So ist das Feld hier rein!) Ich komm dir doch 
Nicht zu geschwind zurück? Du bist zu Rande 
Mit deiner Überlegung. Nun so rede! 
Es hört uns keine Seele.

Nathan. Möcht' auch doch 
Die ganze Welt uns hören.

Saladin. So gewiß 
Ist Nathan seiner Sache? Ha! das nenn 
Ich einen Weisen! Nie die Wahrheit zu 
Verhehlen! für sie alles auf das Spiel 
Zu setzen! Leib und Leben! Gut und Blut!

Nathan. 
Ja! Ja! wann's nötig ist und nutzt.

Saladin. Von nun 
An darf ich hoffen, einen meiner Titel, 
Verbesserer der Welt und des Gesetzes, 
Mit Recht zu führen.

Nathan. Traun, ein schöner Titel! 
Doch, Sultan, eh' ich mich dir ganz vertraue, 
Erlaubst du wohl, dir ein Geschichtchen zu 
Erzählen?

Saladin. Warum das nicht? Ich bin stets 
Ein Freund gewesen von Geschichtchen, gut 
Erzählt.

Nathan. Ja, gut erzählen, das ist nun 
Wohl eben meine Sache nicht.

Saladin. Schon wieder 
So stolz bescheiden? Mach! erzähl, erzähle!

Nathan. 
Vor grauen Jahren lebt' ein Mann in Osten, 
Der einen Ring von unschätzbarem Wert 
Aus lieber Hand besaß. Der Stein war ein 
Opal, der hundert schöne Farben spielte, 
Und hatte die geheime Kraft, vor Gott 
Und Menschen angenehm zu machen, wer 
In dieser Zuversicht ihn trug. Was Wunder, 
Daß ihn der Mann in Osten darum nie 
Vom Finger ließ; und die Verfügung traf, 
Auf ewig ihn bei seinem Hause zu 
Erhalten? Nämlich so. Er ließ den Ring 
Von seinen Söhnen dem geliebtesten; 
Und setzte fest, daß dieser wiederum 
Den Ring von seinen Söhnen dem vermache, 
Der ihm der liebste sei; und stets der liebste, 
Ohn' Ansehn der Geburt, in Kraft allein 
Des Rings, das Haupt, der Fürst des Hauses werde. 
Versteh mich, Sultan.

Saladin. Ich versteh dich. Weiter!

Nathan. 
So kam nun dieser Ring, von Sohn zu Sohn, 
Auf einen Vater endlich von drei Söhnen; 
Die alle drei ihm gleich gehorsam waren, 
Die alle drei er folglich gleich zu lieben 
Sich nicht entbrechen konnte. Nur von Zeit 
Zu Zeit schien ihm bald der, bald dieser, bald 
Der dritte, sowie jeder sich mit ihm 
Allein befand, und sein ergießend Herz 
Die andern zwei nicht teilten, würdiger 
Des Ringes; den er denn auch einem jeden 
Die fromme Schwachheit hatte, zu versprechen. 
Das ging nun so, solang es ging. Allein 
Es kam zum Sterben, und der gute Vater 
Kömmt in Verlegenheit. Es schmerzt ihn, zwei 
Von seinen Söhnen, die sich auf sein Wort 
Verlassen, so zu kränken. Was zu tun? 
Er sendet in geheim zu einem Künstler, 
Bei dem er, nach dem Muster seines Ringes, 
Zwei andere bestellt, und weder Kosten 
Noch Mühe sparen heißt, sie jenem gleich, 
Vollkommen gleich zu machen. Das gelingt 
Dem Künstler. Da er ihm die Ringe bringt, 
Kann selbst der Vater seinen Musterring 
Nicht unterscheiden. Froh und freudig ruft 
Er seine Söhne, jeden insbesondre; 
Gibt jedem insbesondre seinen Segen, 
Und seinen Ring, und stirbt. Du hörst doch, Sultan?

Saladin (der sich betroffen von ihm gewandt). 
Ich hör, ich höre! Komm mit deinem Märchen 
Nur bald zu Ende. Wird's?

Nathan. Ich bin zu Ende. 
Denn was noch folgt, versteht sich ja von selbst. 
Kaum war der Vater tot, so kömmt ein jeder 
Mit seinem Ring, und jeder will der Fürst 
Des Hauses sein. Man untersucht, man zankt, 
Man klagt. Umsonst; der rechte Ring war nicht 
Erweislich; 
(nach einer Pause, in welcher er des Sultans Antwort erwartet) 
Fast so unerweislich, als 
Uns itzt der rechte Glaube.

Saladin. Wie? das soll 
Die Antwort sein auf meine Frage? ...

Nathan. Soll 
Mich bloß entschuldigen, wenn ich die Ringe 
Mir nicht getrau zu unterscheiden, die 
Der Vater in der Absicht machen ließ, 
Damit sie nicht zu unterscheiden wären.

Saladin. 
Die Ringe! Spiele nicht mit mir! Ich dächte, 
Daß die Religionen, die ich dir 
Genannt, doch wohl zu unterscheiden wären. 
Bis auf die Kleidung, bis auf Speis' und Trank!

Nathan. 
Und nur von seiten ihrer Gründe nicht. 
Denn gründen alle sich nicht auf Geschichte? 
Geschrieben oder überliefert! Und 
Geschichte muß doch wohl allein auf Treu 
Und Glauben angenommen werden? Nicht? 
Nun, wessen Treu und Glauben zieht man denn 
Am wenigsten in Zweifel? Doch der Seinen? 
Doch deren Blut wir sind? doch deren, die 
Von Kindheit an uns Proben ihrer Liebe 
Gegeben? die uns nie getäuscht, als wo 
Getäuscht zu werden uns heilsamer war? 
Wie kann ich meinen Vätern weniger 
Als du den deinen glauben? Oder umgekehrt. 
Kann ich von dir verlangen, daß du deine 
Vorfahren Lügen strafst, um meinen nicht 
Zu widersprechen? Oder umgekehrt. 
Das nämliche gilt von den Christen. Nicht?

Saladin. 
(Bei dem Lebendigen! Der Mann hat recht. 
Ich muß verstummen.)

Nathan. Laß auf unsre Ring' 
Uns wieder kommen. Wie gesagt: die Söhne 
Verklagten sich; und jeder schwur dem Richter, 
Unmittelbar aus seines Vaters Hand 
Den Ring zu haben. Wie auch wahr! Nachdem 
Er von ihm lange das Versprechen schon 
Gehabt, des Ringes Vorrecht einmal zu 
Genießen. Wie nicht minder wahr! Der Vater, 
Beteurt' jeder, könne gegen ihn 
Nicht falsch gewesen sein; und eh' er dieses 
Von ihm, von einem solchen lieben Vater, 
Argwohnen lass': eh' müss' er seine Brüder, 
So gern er sonst von ihnen nur das Beste 
Bereit zu glauben sei, des falschen Spiels 
Bezeihen; und er wolle die Verräter 
Schon auszufinden wissen; sich schon rächen.

Saladin. 
Und nun, der Richter? Mich verlangt zu hören, 
Was du den Richter sagen lässest. Sprich!

Nathan. 
Der Richter sprach: Wenn ihr mir nun den Vater 
Nicht bald zur Stelle schafft, so weis ich euch 
Von meinem Stuhle. Denkt ihr, daß ich Rätsel 
Zu lösen da bin? Oder harret ihr, 
Bis daß der rechte Ring den Mund eröffne? 
Doch halt! Ich höre ja, der rechte Ring 
Besitzt die Wunderkraft beliebt zu machen; 
Vor Gott und Menschen angenehm. Das muß 
Entscheiden! Denn die falschen Ringe werden 
Doch das nicht können! Nun; wen lieben zwei 
Von Euch am meisten? Macht, sagt an! Ihr schweigt? 
Die Ringe wirken nur zurück? und nicht 
Nach außen? Jeder liebt sich selber nur 
Am meisten? Oh, so seid ihr alle drei 
Betrogene Betrüger! Eure Ringe 
Sind alle drei nicht echt. Der echte Ring 
Vermutlich ging verloren. Den Verlust 
Zu bergen, zu ersetzen, ließ der Vater 
Die drei für einen machen.

Saladin. Herrlich! herrlich!

Nathan. 
Und also, fuhr der Richter fort, wenn ihr 
Nicht meinen Rat, statt meines Spruches, wollt: 
Geht nur! Mein Rat ist aber der: ihr nehmt 
Die Sache völlig wie sie liegt. Hat von 
Euch jeder seinen Ring von seinem Vater: 
So glaube jeder sicher seinen Ring 
Den echten. Möglich; daß der Vater nun 
Die Tyrannei des einen Rings nicht länger 
In seinem Hause dulden willen! Und gewiß; 
Daß er euch alle drei geliebt, und gleich 
Geliebt: indem er zwei nicht drücken mögen, 
Um einen zu begünstigen. Wohlan! 
Es eifre jeder seiner unbestochnen 
Von Vorurteilen freien Liebe nach! 
Es strebe von euch jeder um die Wette, 
Die Kraft des Steins in seinem Ring' an Tag 
Zu legen! komme dieser Kraft mit Sanftmut, 
Mit herzlicher Verträglichkeit, mit Wohltun, 
Mit innigster Ergebenheit in Gott 
Zu Hilf'! Und wenn sich dann der Steine Kräfte 
Bei euern Kindes-Kindeskindern äußern: 
So lad ich über tausend tausend Jahre 
Sie wiederum vor diesen Stuhl. Da wird 
Ein weisrer Mann auf diesem Stuhle sitzen 
Als ich; und sprechen. Geht! So sagte der 
Bescheidne Richter.

Saladin. Gott! Gott!

Nathan. Saladin, 
Wenn du dich fühlest, dieser weisere 
Versprochne Mann zu sein: ...

Saladin (der auf ihn zustürzt und seine Hand ergreift, die er bis zu Ende nicht wieder fahren läßt). 
Ich Staub? Ich Nichts? 
O Gott!

Nathan. Was ist dir, Sultan?

Saladin. Nathan, lieber Nathan! 
Die tausend tausend Jahre deines Richters 
Sind noch nicht um. Sein Richterstuhl ist nicht 
Der meine. Geh! Geh! Aber sei mein Freund.

Nathan. 
Und weiter hätte Saladin mir nichts 
Zu sagen?

Saladin. Nichts.

Nathan. Nichts?

Saladin. Gar nichts. Und warum?

Nathan. 
Ich hätte noch Gelegenheit gewünscht, 
Dir eine Bitte vorzutragen.

Saladin. Braucht's 
Gelegenheit zu einer Bitte? Rede!

Nathan. 
Ich komm von einer weiten Reis', auf welcher 
Ich Schulden eingetrieben. Fast hab ich 
Des baren Gelds zuviel. Die Zeit beginnt 
Bedenklich wiederum zu werden; und 
Ich weiß nicht recht, wo sicher damit hin. 
Da dacht' ich, ob nicht du vielleicht, weil doch 
Ein naher Krieg des Geldes immer mehr 
Erfordert, etwas brauchen könntest.

Saladin (ihm steif in die Augen sehend). 
Nathan! 
Ich will nicht fragen, ob Al-Hafi schon 
Bei dir gewesen; will nicht untersuchen, 
Ob dich nicht sonst ein Argwohn treibt, mir dieses 
Erbieten freierdings zu tun: ...

Nathan. Ein Argwohn?

Saladin. 
Ich bin ihn wert. Verzeih mir! Denn was hilft's? 
Ich muß dir nur gestehen, daß ich im 
Begriffe war

Nathan. Doch nicht, das Nämliche 
An mich zu suchen?

Saladin. Allerdings.

Nathan. So wär' 
Uns beiden ja geholfen! Daß ich aber 
Dir alle meine Barschaft nicht kann schicken, 
Das macht der junge Tempelherr. Du kennst 
Ihn ja. Ihm hab ich eine große Post 
Vorher noch zu bezahlen.

Saladin. Tempelherr? 
Du wirst doch meine schlimmsten Feinde nicht 
Mit deinem Geld auch unterstützen wollen?

Nathan. 
Ich spreche von dem einen nur, dem du 
Das Leben spartest ...

Saladin. Ah! woran erinnerst 
Du mich! Hab ich doch diesen Jüngling ganz 
Vergessen! Kennst du ihn? Wo ist er?

Nathan. Wie? 
So weißt du nicht, wieviel von deiner Gnade 
Für ihn, durch ihn auf mich geflossen? Er, 
Er mit Gefahr des neu erhaltnen Lebens, 
Hat meine Tochter aus dem Feu'r gerettet.

Saladin. 
Er? Hat er das? Ha! darnach sah er aus. 
Das hätte traun mein Bruder auch getan, 
Dem er so ähnelt! Ist er denn noch hier? 
So bring ihn her! Ich habe meiner Schwester 
Von diesem ihren Bruder, den sie nicht 
Gekannt, so viel erzählet, daß ich sie 
Sein Ebenbild doch auch muß sehen lassen! 
Geh, hol ihn! Wie aus einer guten Tat, 
Gebar sie auch schon bloße Leidenschaft, 
Doch so viel andre gute Taten fließen! 
Geh, hol ihn!

Nathan (indem er Saladins Hand fahren läßt). 
Augenblicks! Und bei dem andern 
Bleibt es doch auch? 
(Ab.)

Saladin. Ah! daß ich meine Schwester 
Nicht horchen lassen! Zu ihr! zu ihr! Denn 
Wie soll ich alles das ihr nun erzählen?

(Ab von der andern Seite.)

 

[III,8]

 

Achter Auftritt                    

Die Szene: unter den Palmen, in der Nähe des Klosters, wo der Tempelherr Nathans wartet.

Tempelherr (geht, mit sich selbst kämpfend, auf und ab; bis er losbricht). 
Hier hält das Opfertier ermüdet still. 
Nun gut! Ich mag nicht, mag nicht näher wissen, 
Was in mir vorgeht; mag voraus nicht wittern, 
Was vorgehn wird. Genug, ich bin umsonst 
Geflohn! umsonst. Und weiter konnt' ich doch 
Auch nichts, als fliehn! Nun komm', was kommen soll! 
Ihm auszubeugen, war der Streich zu schnell 
Gefallen; unter den zu kommen, ich 
So lang und viel mich weigerte. Sie sehn, 
Die ich zu sehn so wenig lüstern war, 
Sie sehn, und der Entschluß, sie wieder aus 
Den Augen nie zu lassen. Was Entschluß? 
Entschluß ist Vorsatz, Tat: und ich, ich litt', 
Ich litte bloß. Sie sehn, und das Gefühl 
An sie verstrickt, in sie verwebt zu sein, 
War eins. Bleibt eins. Von ihr getrennt 
Zu leben, ist mir ganz undenkbar; wär' 
Mein Tod, und wo wir immer nach dem Tode 
Noch sind, auch da mein Tod. Ist das nun Liebe: 
So liebt der Tempelritter freilich, liebt 
Der Christ das Judenmädchen freilich. Hm! 
Was tut's? Ich hab in dem gelobten Lande, 
Und drum auch mir gelobt auf immerdar! 
Der Vorurteile mehr schon abgelegt. 
Was will mein Orden auch? Ich Tempelherr 
Bin tot; war von dem Augenblick ihm tot, 
Der mich zu Saladins Gefangnen machte. 
Der Kopf, den Saladin mir schenkte, wär' 
Mein alter? Ist ein neuer; der von allem 
Nichts weiß, was jenem eingeplaudert ward, 
Was jenen band. Und ist ein beßrer; für 
Den väterlichen Himmel mehr gemacht. 
Das spür ich ja. Denn erst mit ihm beginn 
Ich so zu denken, wie mein Vater hier 
Gedacht muß haben; wenn man Märchen nicht 
Von ihm mir vorgelegen. Märchen? doch 
Ganz glaubliche; die glaublicher mir nie, 
Als itzt geschienen, da ich nur Gefahr 
Zu straucheln laufe, wo er fiel. Er fiel? 
Ich will mit Männern lieber fallen, als 
Mit Kindern stehn. Sein Beispiel bürget mir 
Für seinen Beifall. Und an wessen Beifall 
Liegt mir denn sonst? An Nathans? O an dessen 
Ermuntrung mehr, als Beifall, kann es mir 
Noch weniger gebrechen. Welch ein Jude! 
Und der so ganz nur Jude scheinen will! 
Da kömmt er; kömmt mit Hast; glüht heitre Freude. 
Wer kam vom Saladin je anders? He! 
He, Nathan!

 

[III,9]

 

Neunter Auftritt                    

Nathan und der Tempelherr.

 

Nathan. Wie? seid Ihr's?

Tempelherr. Ihr habt 
Sehr lang' Euch bei dem Sultan aufgehalten.

Nathan. 
So lange nun wohl nicht. Ich ward im Hingehn 
Zu viel verweilt. Ah, wahrlich, Curd; der Mann 
Steht seinen Ruhm. Sein Ruhm ist bloß sein Schatten. 
Doch laßt vor allen Dingen Euch geschwind 
Nur sagen ...

Tempelherr. Was?

Nathan. Er will Euch sprechen; will, 
Daß ungesäumt Ihr zu ihm kommt. Begleitet 
Mich nur nach Hause, wo ich noch für ihn 
Erst etwas anders zu verfügen habe: 
Und dann, so gehn wir!

Tempelherr. Nathan, Euer Haus 
Betret ich wieder eher nicht ...

Nathan. So seid 
Ihr doch indes schon da gewesen? habt 
Indes sie doch gesprochen? Nun? Sagt: wie 
Gefällt Euch Recha?

Tempelherr. Über allen Ausdruck! 
Allein, sie wiedersehn das werd ich nie! 
Nie! nie! Ihr müßtet mir zur Stelle denn 
Versprechen: daß ich sie auf immer, immer 
Soll können sehn.

Nathan. Wie wollt Ihr, daß ich das 
Versteh?

Tempelherr (nach einer kurzen Pause ihm plötzlich um den Hals fallend). 
Mein Vater!

Nathan. Junger Mann!

Tempelherr (ihn ebenso plötzlich wieder lassend). 
Nicht Sohn? 
Ich bitt Euch, Nathan!

Nathan. Lieber junger Mann!

Tempelherr. 
Nicht Sohn? Ich bitt Euch, Nathan! Ich beschwör 
Euch bei den ersten Banden der Natur! 
Zieht ihnen spätre Fesseln doch nicht vor! 
Begnügt Euch doch ein Mensch zu sein! Stoßt mich 
Nicht von Euch!

Nathan. Lieber, lieber Freund! ...

Tempelherr. Und Sohn? 
Sohn nicht? Auch dann nicht, dann nicht einmal, wenn 
Erkenntlichkeit zum Herzen Eurer Tochter 
Der Liebe schon den Weg gebahnet hätte? 
Auch dann nicht einmal, wenn in eins zu schmelzen, 
Auf Euern Wink nur beide warteten? 
Ihr schweigt?

Nathan. Ihr überrascht mich, junger Ritter.

Tempelherr. 
Ich überrasch Euch? überrasch Euch, Nathan, 
Mit Euern eigenen Gedanken? Ihr 
Verkennt sie doch in meinem Munde nicht? 
Ich überrasch Euch?

Nathan. Eh' ich einmal weiß, 
Was für ein Stauffen Euer Vater denn 
Gewesen ist!

Tempelherr. Was sagt Ihr, Nathan? was? 
In diesem Augenblicke fühlt Ihr nichts 
Als Neubegier?

Nathan. Denn seht! Ich habe selbst 
Wohl einen Stauffen ehedem gekannt, 
Der Conrad hieß.

Tempelherr. Nun, wenn mein Vater denn 
Nun ebenso geheißen hätte?

Nathan. Wahrlich?

Tempelherr. 
Ich heiße selber ja nach meinem Vater: Curd 
Ist Conrad.

Nathan. Nun so war mein Conrad doch 
Nicht Euer Vater. Denn mein Conrad war, 
Was Ihr; war Tempelherr; war nie vermählt.

Tempelherr. 
O darum!

Nathan. Wie?

Tempelherr. O darum könnt' er doch 
Mein Vater wohl gewesen sein.

Nathan. Ihr scherzt.

Tempelherr. 
Und Ihr nehmt's wahrlich zu genau! Was wär's 
Denn nun? So was von Bastard oder Bankert! 
Der Schlag ist auch nicht zu verachten. Doch 
Entlaßt mich immer meiner Ahnenprobe. 
Ich will Euch Eurer wiederum entlassen. 
Nicht zwar, als ob ich den geringsten Zweifel 
In Euern Stammbaum setzte. Gott behüte! 
Ihr könnt ihn Blatt vor Blatt bis Abraham 
Hinauf belegen. Und von da so weiter, 
Weiß ich ihn selbst; will ich ihn selbst beschwören.

Nathan. 
Ihr werdet bitter. Doch verdien ich's? Schlug 
Ich denn Euch schon was ab? Ich will Euch ja 
Nur bei dem Worte nicht den Augenblick 
So fassen. Weiter nichts.

Tempelherr. Gewiß? Nichts weiter? 
O so vergebt! ...

Nathan. Nun kommt nur, kommt!

Tempelherr. Wohin? 
Nein! Mit in Euer Haus? Das nicht! das nicht! 
Da brennt's! Ich will Euch hier erwarten. Geht! 
Soll ich sie wiedersehn: so seh ich sie 
Noch oft genug. Wo nicht: so sah ich sie 
Schon viel zu viel ...

Nathan. Ich will mich möglichst eilen.

 

[III,10]

 

Zehnter Auftritt                    

Der Tempelherr und bald darauf Daja.

 

Tempelherr. 
Schon mehr als g'nug! Des Menschen Hirn faßt so 
Unendlich viel; und ist doch manchmal auch 
So plötzlich voll! von einer Kleinigkeit 
So plötzlich voll! Taugt nichts, taugt nichts; es sei 
Auch voll wovon es will. Doch nur Geduld! 
Die Seele wirkt den auf gedunsnen Stoff 
Bald ineinander, schafft sich Raum, und Licht 
Und Ordnung kommen wieder. Lieb ich denn 
Zum ersten Male? Oder war, was ich 
Als Liebe kenne, Liebe nicht? Ist Liebe 
Nur was ich itzt empfinde? ...

Daja (die sich von der Seite herbeigeschlichen). 
Ritter! Ritter!

Tempelherr. 
Wer ruft? Ha, Daja, Ihr?

Daja. Ich habe mich 
Bei ihm vorbeigeschlichen. Aber noch 
Könnt' er uns sehn, wo Ihr da steht. Drum kommt 
Doch näher zu mir, hinter diesen Baum.

Tempelherr. 
Was gibt's denn? So geheimnisvoll? Was ist's?

Daja. 
Ja wohl betrifft es ein Geheimnis, was 
Mich zu Euch bringt; und zwar ein doppeltes. 
Das eine weiß nur ich; das andre wißt 
Nur Ihr. Wie wär' es, wenn wir tauschten? 
Vertraut mir Euers: so vertrau ich Euch 
Das meine.

Tempelherr. Mit Vergnügen. Wenn ich nur 
Erst weiß, was Ihr für meines achtet. Doch 
Das wird aus Euerm wohl erhellen. Fangt 
Nur immer an.

Daja. Ei denkt doch! Nein, Herr Ritter. 
Erst Ihr; ich folge. Denn versichert, mein 
Geheimnis kann Euch gar nichts nutzen, wenn 
Ich nicht zuvor das Eure habe. Nur 
Geschwind! Denn frag ich's Euch erst ab: so habt 
Ihr nichts vertrauet. Mein Geheimnis dann 
Bleibt mein Geheimnis; und das Eure seid 
Ihr los. Doch armer Ritter! Daß Ihr Männer 
Ein solch Geheimnis vor uns Weibern haben 
Zu können, auch nur glaubt! .

Tempelherr. Das wir zu haben 
Oft selbst nicht wissen.

Daja. Kann wohl sein. Drum muß 
Ich freilich erst, Euch selbst damit bekannt 
Zu machen, schon die Freundschaft haben. Sagt 
Was hieß denn das, daß Ihr so Knall und Fall 
Euch aus dem Staube machtet? daß Ihr uns 
So sitzenließet? daß Ihr nun mit Nathan 
Nicht wiederkommt? Hat Recha denn so wenig 
Auf Euch gewirkt? wie? oder auch, so viel? 
So viel! so viel! Lehrt Ihr des armen Vogels, 
Der an der Rute klebt, Geflattre mich 
Doch kennen! Kurz: gesteht es mir nur gleich, 
Daß Ihr sie liebt, liebt bis zum Unsinn; und 
Ich sag Euch was ...

Tempelherr. Zum Unsinn? Wahrlich; Ihr 
Versteht Euch trefflich drauf.

Daja. Nun gebt mir nur 
Die Liebe zu; den Unsinn will ich Euch 
Erlassen.

Tempelherr. Weil er sich von selbst versteht? 
Ein Tempelherr ein Judenmädchen lieben! ...

Daja. 
Scheint freilich wenig Sinn zu haben. Doch 
Zuweilen ist des Sinns in einer Sache 
Auch mehr, als wir vermuten; und es wäre 
So unerhört doch nicht, daß uns der Heiland 
Auf Wegen zu sich zöge, die der Kluge 
Von selbst nicht leicht betreten würde.

Tempelherr. Das 
So feierlich? (Und setz ich statt des Heilands 
Die Vorsicht: hat sie denn nicht recht? ) Ihr macht 
Mich neubegieriger, als ich wohl sonst 
Zu sein gewohnt bin.

Daja. Oh! das ist das Land 
Der Wunder!

Tempelherr. (Nun! des Wunderbaren. Kann 
Es auch wohl anders sein? Die ganze Welt 
Drängt sich ja hier zusammen.) Liebe Daja, 
Nehmt für gestanden an, was Ihr verlangt: 
Daß ich sie liebe; daß ich nicht begreife, 
Wie ohne sie ich leben werde; daß ...

Daja. 
Gewiß? gewiß? So schwört mir, Ritter, sie 
Zur Eurigen zu machen; sie zu retten: 
Sie zeitlich hier, sie ewig dort zu retten.

Tempelherr. 
Und wie? Wie kann ich? Kann ich schwören, was 
In meiner Macht nicht steht?

Daja. In Eurer Macht 
Steht es. Ich bring es durch ein einzig Wort 
In Eure Macht.

Tempelherr. Daß selbst der Vater nichts 
Dawider hätte?

Daja. Ei, was Vater! Vater! 
Der Vater soll schon müssen.

Tempelherr. Müssen, Daja? 
Noch ist er unter Räuber nicht gefallen. 
Er muß nicht müssen.

Daja. Nun, so muß er wollen; 
Muß gern am Ende wollen.

Tempelherr. Muß und gern! 
Doch, Daja, wenn ich Euch nun sage, daß 
Ich selber diese Sait' ihm anzuschlagen 
Bereits versucht?

Daja. Was? und er fiel nicht ein?

Tempelherr. 
Er fiel mit einem Mißlaut ein, der mich 
Beleidigte.

Daja. Was sagt Ihr? Wie? Ihr hättet 
Den Schatten eines Wunsches nur nach Recha 
Ihm blicken lassen: und er wär' vor Freuden 
Nicht aufgesprungen? hätte frostig sich 
Zurückgezogen? hätte Schwierigkeiten 
Gemacht?

Tempelherr. So ungefähr.

Daja. So will ich denn 
Mich länger keinen Augenblick bedenken

(Pause.)

Tempelherr. 
Und Ihr bedenkt Euch doch?

Daja. Der Mann ist sonst 
So gut! Ich selber bin so viel ihm schuldig! 
Daß er doch gar nicht hören will! Gott weiß, 
Das Herze blutet mir, ihn so zu zwingen.

Tempelherr. 
Ich bitt Euch, Daja, setzt mich kurz und gut 
Aus dieser Ungewißheit. Seid Ihr aber 
Noch selber ungewiß; ob, was Ihr vorhabt, 
Gut oder böse, schändlich oder löblich 
Zu nennen: schweigt! Ich will vergessen, daß 
Ihr etwas zu verschweigen habt.

Daja. Das spornt, 
Anstatt zu halten. Nun; so wißt denn: Recha 
Ist keine Jüdin; ist ist eine Christin.

Tempelherr (kalt). 
So? Wünsch Euch Glück! Hat's schwer gehalten? Laßt 
Euch nicht die Wehen schrecken! Fahret ja 
Mit Eifer fort, den Himmel zu bevölkern: 
Wenn Ihr die Erde nicht mehr könnt!

Daja. Wie, Ritter? 
Verdienet meine Nachricht diesen Spott? 
Daß Recha eine Christin ist: das freuet 
Euch, einen Christen, einen Tempelherrn, 
Der Ihr sie liebt, nicht mehr?

Tempelherr. Besonders, da 
Sie eine Christin ist von Eurer Mache.

Daja. 
Ah! so versteht Ihr's? So mag's gelten! Nein! 
Den will ich sehn, der die bekehren soll! 
Ihr Glück ist, längst zu sein, was sie zu werden 
Verdorben ist.

Tempelherr. Erklärt Euch, oder geht!

Daja. 
Sie ist ein Christenkind, von Christeneltern 
Geboren; ist getauft ...

Tempelherr (hastig). Und Nathan?

Daja. Nicht 
Ihr Vater!

Tempelherr. Nathan nicht ihr Vater? Wißt 
Ihr, was Ihr sagt?

Daja. Die Wahrheit, die so oft 
Mich blut'ge Tränen weinen machen. Nein, 
Er ist ihr Vater nicht ...

Tempelherr. Und hätte sie 
Als seine Tochter nur erzogen? hätte 
Das Christenkind als eine Jüdin sich 
Erzogen?

Daja. Ganz gewiß.

Tempelherr. Sie wüßte nicht, 
Was sie geboren sei? Sie hätt' es nie 
Von ihm erfahren, daß sie eine Christin 
Geboren sei, und keine Jüdin?

Daja. Nie!

Tempelherr. 
Er hätt' in diesem Wahne nicht das Kind 
Bloß auferzogen? ließ das Mädchen noch 
In diesem Wahne?

Daja. Leider!

Tempelherr. Nathan Wie? 
Der weise gute Nathan hätte sich 
Erlaubt, die Stimme der Natur so zu 
Verfälschen? Die Ergießung eines Herzens 
So zu verrenken, die, sich selbst gelassen, 
Ganz andre Wege nehmen würde? Daja, 
Ihr habt mir allerdings etwas vertraut 
Von Wichtigkeit, was Folgen haben kann, 
Was mich verwirrt, worauf ich gleich nicht weiß, 
Was mir zu tun. Drum laßt mir Zeit. Drum geht! 
Er kömmt hier wiederum vorbei. Er möcht' 
Uns überfallen. Geht!

Daja. Ich wär' des Todes!

Tempelherr. 
Ich bin ihn itzt zu sprechen ganz und gar 
Nicht fähig. Wenn Ihr ihm begegnet, sagt 
Ihm nur, daß wir einander bei dem Sultan 
Schon finden würden.

Daja. Aber laßt Euch ja 
Nichts merken gegen ihn. Das soll nur so 
Den letzten Druck dem Dinge geben; soll 
Euch, Rechas wegen, alle Skrupel nur 
Benehmen! Wenn Ihr aber dann sie nach 
Europa führt: so laßt Ihr doch mich nicht 
Zurück?

Tempelherr. Das wird sich finden. Geht nur, geht!

 

 

VIERTER AUFZUG

 

[IV,1]

 

Erster Auftritt                    

(Szene: in den Kreuzgängen des Klosters.)

Der Klosterbruder und bald darauf der Tempelherr.

 

Klosterbruder. 
Ja, ja! er hat schon recht, der Patriarch! 
Es hat mir freilich noch von alledem 
Nicht viel gelingen wollen, was er mir 
So aufgetragen. Warum trägt er mir 
Auch lauter solche Sachen auf? Ich mag 
Nicht fein sein; mag nicht überreden; mag 
Mein Näschen nicht in alles stecken; mag 
Mein Händchen nicht in allem haben. Bin 
Ich darum aus der Welt geschieden, ich 
Für mich; um mich für andre mit der Welt 
Noch erst recht zu verwickeln?

Tempelherr (mit Hast auf ihn zukommend). 
Guter Bruder! 
Da seid Ihr ja. Ich hab Euch lange schon 
Gesucht.

Klosterbruder. Mich, Herr?

Tempelherr. Ihr kennt mich schon nicht mehr?

Klosterbruder. 
Doch, doch! Ich glaubte nur, daß ich den Herrn 
In meinem Leben wieder nie zu sehn 
Bekommen würde. Denn ich hofft' es zu 
Dem lieben Gott. Der liebe Gott, der weiß, 
Wie sauer mir der Antrag ward, den ich 
Dem Herrn zu tun verbunden war. Er weiß, 
Ob ich gewünscht, ein offnes Ohr bei Euch 
Zu finden; weiß, wie sehr ich mich gefreut, 
Im Innersten gefreut, daß Ihr so rund 
Das alles, ohne viel Bedenken, von 
Euch wies't, was einem Ritter nicht geziemt. 
Nun kommt Ihr doch; nun hat's doch nachgewirkt!

Tempelherr. 
Ihr wißt es schon, warum ich komme? Kaum 
Weiß ich es selbst.

Klosterbruder. Ihr habt's nun überlegt; 
Habt nun gefunden, daß der Patriarch 
So unrecht doch nicht hat; daß Ehr' und Geld 
Durch seinen Anschlag zu gewinnen; daß 
Ein Feind ein Feind ist, wenn er unser Engel 
Auch siebenmal gewesen wäre. Das, 
Das habt Ihr nun mit Fleisch und Blut erwogen, 
Und kommt, und tragt Euch wieder an. Ach Gott!

Tempelherr. 
Mein frommer, lieber Mann! gebt Euch zufrieden. 
Deswegen komm ich nicht; deswegen will 
Ich nicht den Patriarchen sprechen. Noch, 
Noch denk ich über jenen Punkt, wie ich 
Gedacht, und wollt' um alles in der Welt 
Die gute Meinung nicht verlieren, deren 
Mich ein so grader, frommer, lieber Mann 
Einmal gewürdiget. Ich komme bloß, 
Den Patriarchen über eine Sache 
Um Rat zu fragen ...

Klosterbruder. Ihr den Patriarchen? 
Ein Ritter, einen Pfaffen? 
(Sich schüchtern umsehend.)

Tempelherr. Ja; die Sach' 
Ist ziemlich pfäffisch.

Klosterbruder. Gleichwohl fragt der Pfaffe 
Den Ritter nie, die Sache sei auch noch 
So ritterlich.

Tempelherr. Weil er das Vorrecht hat, 
Sich zu vergehn; das unsereiner ihm 
Nicht sehr beneidet. Freilich, wenn ich nur 
Für mich zu handeln hätte; freilich, wenn 
Ich Rechenschaft nur mir zu geben hätte: 
Was braucht' ich Euers Patriarchen? Aber 
Gewisse Dinge will ich lieber schlecht, 
Nach andrer Willen, machen; als allein 
Nach meinem, gut. Zudem, ich seh nun wohl, 
Religion ist auch Partei; und wer 
Sich drob auch noch so unparteiisch glaubt, 
Hält, ohn' es selbst zu wissen, doch nur seiner 
Die Stange. Weil das einmal nun so ist: 
Wird's so wohl recht sein.

Klosterbruder. Dazu schweig ich lieber. 
Denn ich versteh den Herrn nicht recht.

Tempelherr. Und doch! 
(Laß sehn, warum mir eigentlich zu tun! 
Um Machtspruch oder Rat? Um lautern, oder 
Gelehrten Rat?) Ich dank Euch, Bruder; dank 
Euch für den guten Wink. Was Patriarch? 
Seid Ihr mein Patriarch! Ich will ja doch 
Den Christen mehr im Patriarchen, als 
Den Patriarchen in dem Christen fragen. 
Die Sach' ist die ...

Klosterbruder. Nicht weiter, Herr, nicht weiter! 
Wozu? Der Herr verkennt mich. Wer viel weiß, 
Hat viel zu sorgen; und ich habe ja 
Mich einer Sorge nur gelobt. O gut! 
Hört! seht! Dort kömmt, zu meinem Glück, er selbst. 
Bleibt hier nur stehn. Er hat Euch schon erblickt.

 

[IV,2]

 

Zweiter Auftritt                    

Der Patriarch, welcher mit allem geistlichen Pomp den einen Kreuzgang heraufkommt, und die Vorigen.

 

Tempelherr. 
Ich wich' ihm lieber aus. Wär' nicht mein Mann! 
Ein dicker, roter, freundlicher Prälat! 
Und welcher Prunk!

Klosterbruder. Ihr solltet ihn erst sehn 
Nach Hofe sich erheben. Itzo kömmt 
Er nur von einem Kranken.

Tempelherr. Wie sich da 
Nicht Saladin wird schämen müssen!

Patriarch (indem er näherkommt, winkt dem Bruder). Hier! 
Das ist ja wohl der Tempelherr. Was will 
Er?

Klosterbruder. Weiß nicht.

Patriarch (auf ihn zugehend, indem der Bruder und das Gefolge zurücktreten). 
Nun, Herr Ritter! Sehr erfreut, 
Den braven jungen Mann zu sehn! Ei, noch 
So gar jung! Nun, mit Gottes Hilfe, daraus 
Kann etwas werden.

Tempelherr. Mehr, ehrwürd'ger Herr, 
Wohl schwerlich, als schon ist. Und eher noch, 
Was weniger.

Patriarch. Ich wünsche wenigstens, 
Daß so ein frommer Ritter lange noch 
Der lieben Christenheit, der Sache Gottes 
Zu Ehr' und Frommen blühn und grünen möge! 
Das wird denn auch nicht fehlen, wenn nur fein 
Die junge Tapferkeit dem reifen Rate 
Des Alters folgen will! Womit wär' sonst 
Dem Herrn zu dienen?

Tempelherr. Mit dem nämlichen, 
Woran es meiner Jugend fehlt: mit Rat.

Patriarch. 
Recht gern! Nur ist der Rat auch anzunehmen.

Tempelherr. 
Doch blindlings nicht?

Patriarch. Wer sagt denn das? Ei freilich 
Muß niemand die Vernunft, die Gott ihm gab, 
Zu brauchen unterlassen, wo sie hin- 
Gehört. Gehört sie aber überall 
Denn hin? O nein! Zum Beispiel: wenn uns Gott 
Durch einen seiner Engel, ist zu sagen, 
Durch einen Diener seines Worts, ein Mittel 
Bekannt zu machen würdiget, das Wohl 
Der ganzen Christenheit, das Heil der Kirche, 
Auf irgendeine ganz besondre Weise 
Zu fördern, zu befestigen: wer darf 
Sich da noch unterstehn, die Willkür des, 
Der die Vernunft erschaffen, nach Vernunft 
Zu untersuchen? und das ewige 
Gesetz der Herrlichkeit des Himmels, nach 
Den kleinen Regeln einer eiteln Ehre 
Zu prüfen? Doch hiervon genug. Was ist 
Es denn, worüber unsern Rat für itzt 
Der Herr verlangt?

Tempelherr. Gesetzt, ehrwürd'ger Vater, 
Ein Jude hätt' ein einzig Kind, es sei 
Ein Mädchen, das er mit der größten Sorgfalt 
Zu allem Guten auferzogen, das 
Er liebe mehr als seine Seele, das 
Ihn wieder mit der frömmsten Liebe liebe. 
Und nun würd' unsereinem hinterbracht, 
Dies Mädchen sei des Juden Tochter nicht; 
Er hab' es in der Kindheit aufgelesen, 
Gekauft, gestohlen, was Ihr wollt; man wisse, 
Das Mädchen sei ein Christenkind, und sei 
Getauft; der Jude hab' es nur als Jüdin 
Erzogen; lass' es nur als Jüdin und 
Als seine Tochter so verharren: sagt, 
Ehrwürd'ger Vater, was wär' hierbei wohl 
Zu tun?

Patriarch. Mich schaudert! Doch zu allererst 
Erkläre sich der Herr, ob so ein Fall 
Ein Faktum oder eine Hypothes'. 
Das ist zu sagen: ob der Herr sich das 
Nur bloß so dichtet, oder ob's geschehn, 
Und fortfährt zu geschehn.

Tempelherr. Ich, glaubte, das 
Sei eins, um Euer Hochehrwürden Meinung 
Bloß zu vernehmen.

Patriarch. Eins? Da seh' der Herr 
Wie sich die stolze menschliche Vernunft 
Im Geistlichen doch irren kann. Mitnichten! 
Denn ist der vorgetragne Fall nur so 
Ein Spiel des Witzes: so verlohnt es sich 
Der Mühe nicht, im Ernst ihn durchzudenken. 
Ich will den Herrn damit auf das Theater 
Verwiesen haben, wo dergleichen pro 
Et contra sich mit vielem Beifall könnte 
Behandeln lassen. Hat der Herr mich aber 
Nicht bloß mit einer theatral'schen Schnurre 
Zum besten; ist der Fall ein Faktum; hätt' 
Er sich wohl gar in unsrer Diözes', 
In unsrer lieben Stadt Jerusalem 
Ereignet: ja alsdann

Tempelherr. Und was alsdann?

Patriarch. 
Dann wäre an dem Juden fördersamst 
Die Strafe zu vollziehn, die päpstliches 
Und kaiserliches Recht so einem Frevel, 
So einer Lastertat bestimmen.

Tempelherr. So?

Patriarch. 
Und zwar bestimmen obbesagte Rechte 
Dem Juden, welcher einen Christen zur 
Apostasie verführt, den Scheiterhaufen, 
Den Holzstoß

Tempelherr. So?

Patriarch. Und wieviel mehr dem Juden, 
Der mit Gewalt ein armes Christenkind 
Dem Bunde seiner Tauf' entreißt! Denn ist 
Nicht alles, was man Kindern tut, Gewalt? 
Zu sagen: ausgenommen, was die Kirch' 
An Kindern tut.

Tempelherr. Wenn aber nun das Kind, 
Erbarmte seiner sich der Jude nicht, 
Vielleicht im Elend umgekommen wäre?

Patriarch. 
Tut nichts! der Jude wird verbrannt! Denn besser, 
Es wäre hier im Elend umgekommen, 
Als daß zu seinem ewigen Verderben 
Es so gerettet ward. Zudem, was hat 
Der Jude Gott denn vorzugreifen? Gott 
Kann, wen er retten will, schon ohn' ihn retten.

Tempelherr. 
Auch trotz ihm, sollt' ich meinen, selig machen.

Patriarch. 
Tut nichts! der Jude wird verbrannt.

Tempelherr. Das geht 
Mir nah'! Besonders, da man sagt, er habe 
Das Mädchen nicht sowohl in seinem, als 
Vielmehr in keinem Glauben auferzogen, 
Und sie von Gott nicht mehr nicht weniger 
Gelehrt, als der Vernunft genügt.

Patriarch. Tut nichts! 
Der Jude wird verbrannt ... Ja, wär' allein 
Schon dieserwegen wert, dreimal verbrannt 
Zu werden! Was? ein Kind ohn' allen Glauben 
Erwachsen lassen? Wie? die große Pflicht, 
Zu glauben, ganz und gar ein Kind nicht lehren? 
Das ist zu arg! Mich wundert sehr, Herr Ritter, 
Euch selbst ...

Tempelherr. Ehrwürd'ger Herr, das übrige, 
Wenn Gott will, in der Beichte. 
(Will gehn.)

Patriarch. Was? mir nun 
Nicht einmal Rede stehn? Den Bösewicht, 
Den Juden mir nicht nennen? mir ihn nicht 
Zur Stelle schaffen? O da weiß ich Rat! 
Ich geh sogleich zum Sultan. Saladin, 
Vermöge der Kapitulation, 
Die er beschworen, muß uns, muß uns schützen; 
Bei allen Rechten, allen Lehren schützen, 
Die wir zu unsrer Allerheiligsten 
Religion nur immer rechnen dürfen! 
Gottlob! wir haben das Original. 
Wir haben seine Hand, sein Siegel. Wir! 
Auch mach ich ihm gar leicht begreiflich, wie 
Gefährlich selber für den Staat es ist, 
Nichts glauben! Alle bürgerliche Bande 
Sind aufgelöset, sind zerrissen, wenn 
Der Mensch nichts glauben darf. Hinweg! hinweg 
Mit solchem Frevel! ...

Tempelherr. Schade, daß ich nicht 
Den trefflichen Sermon mit beßrer Muße 
Genießen kann! Ich bin zum Saladin 
Gerufen.

Patriarch. Ja? Nun so Nun freilich Dann

Tempelherr. 
Ich will den Sultan vorbereiten, wenn 
Es Eurer Hochehrwürden so gefällt.

Patriarch. 
Oh, oh! Ich weiß, der Herr hat Gnade funden 
Vor Saladin! Ich bitte meiner nur 
Im Besten bei ihm eingedenk zu sein. 
Mich treibt der Eifer Gottes lediglich. 
Was ich zuviel tu, tu ich ihm. Das wolle 
Doch ja der Herr erwägen! Und nicht wahr, 
Herr Ritter? das vorhin Erwähnte von 
Dem Juden, war nur ein Problema? ist 
Zu sagen

Tempelherr. Ein Problema. (Geht ab.)

Patriarch. (Dem ich tiefer 
Doch auf den Grund zu kommen suchen muß. 
Das wär' so wiederum ein Auftrag für 
Den Bruder Bonafides.) Hier, mein Sohn!

(Er spricht im Abgehn mit dem Klosterbruder.)

 

[IV,3]

 

Dritter Auftritt                    

(Szene: ein Zimmer im Palaste des Saladin, in welches von Sklaven eine Menge Beutel getragen, und auf dem Boden nebeneinandergestellt werden.)

Saladin und bald darauf Sittah.

Saladin (der dazukömmt). 
Nun wahrlich! das hat noch kein Ende. Ist 
Des Dings noch viel zurück?

Ein Sklave. Wohl noch die Hälfte.

Saladin. 
So tragt das übrige zu Sittah. Und 
Wo bleibt Al-Hafi? Das hier soll sogleich 
Al-Hafi zu sich nehmen. Oder ob 
Ich's nicht vielmehr dem Vater schicke? Hier 
Fällt mir es doch nur durch die Finger. Zwar 
Man wird wohl endlich hart; und nun gewiß 
Soll's Künste kosten, mir viel abzuzwacken. 
Bis wenigstens die Gelder aus Ägypten 
Zur Stelle kommen, mag das Armut sehn, 
Wie's fertig wird! Die Spenden bei dem Grabe, 
Wenn die nur fortgehn! Wenn die Christenpilger 
Mit leeren Händen nur nicht abziehn dürfen! 
Wenn nur

Sittah. Was soll nun das? Was soll das Geld 
Bei mir?

Saladin. Mach dich davon bezahlt; und leg 
Auf Vorrat, wenn was übrigbleibt.

Sittah. Ist Nathan 
Noch mit dem Tempelherrn nicht da?

Saladin. Er sucht 
Ihn aller Orten.

Sittah. Sieh doch, was ich hier, 
Indem mir so mein alt Geschmeide durch 
Die Hände geht, gefunden.

(Ihm ein klein Gemälde zeigend.)

Saladin. Ha! mein Bruder! 
Das ist er, ist er! War er! war er! ah! 
Ah wackrer lieber Junge, daß ich dich 
So früh verlor! Was hätt' ich erst mit dir, 
An deiner Seit' erst unternommen! Sittah, 
Laß mir das Bild. Auch kenn ich's schon: er gab 
Es deiner ältern Schwester, seiner Lilla, 
Die eines Morgens ihn so ganz und gar 
Nicht aus den Armen lassen wollt'. Es war 
Der letzte, den er ausritt. Ah, ich ließ 
Ihn reiten, und allein! Ah, Lilla starb 
Vor Gram, und hat mir's nie vergeben, daß 
Ich so allein ihn reiten lassen. Er 
Blieb weg!

Sittah. Der arme Bruder!

Saladin. Laß nur gut 
Sein! Einmal bleiben wir doch alle weg! 
Zudem, wer weiß? Der Tod ist's nicht allein, 
Der einem Jüngling seiner Art das Ziel 
Verrückt. Er hat der Feinde mehr; und oft 
Erliegt der Stärkste gleich dem Schwächsten. Nun, 
Sei wie ihm sei! Ich muß das Bild doch mit 
Dem jungen Tempelherrn vergleichen; muß 
Doch sehn, wieviel mich meine Phantasie 
Getäuscht.

Sittah. Nur darum bring ich's. Aber gib 
Doch, gib! Ich will dir das wohl sagen; das 
Versteht ein weiblich Aug' am besten.

Saladin (zu einem Türsteher, der hereintritt). 
Wer 
Ist da? der Tempelherr? Er komm'!

Sittah. Euch nicht 
Zu stören: ihn mit meiner Neugier nicht 
Zu irren 
(Sie setzt sich seitwärts auf einen Sofa und läßt den Schleier fallen.)

Saladin. Gut so! gut! (Und nun sein Ton! 
Wie der wohl sein wird! Assads Ton 
Schläft auch wohl wo in meiner Seele noch!)

 

[IV,4]

 

Vierter Auftritt                    

Der Tempelherr und Saladin.

Tempelherr. 
Ich, dein Gefangner, Sultan ...

Saladin. Mein Gefangner? 
Wem ich das Leben schenke, werd ich dem 
Nicht auch die Freiheit schenken?

Tempelherr. Was dir ziemt 
Zu tun, ziemt mir, erst zu vernehmen, nicht 
Vorauszusetzen. Aber, Sultan, Dank, 
Besondern Dank dir für mein Leben zu 
Beteuern, stimmt mit meinem Stand und meinem 
Charakter nicht. Es steht in allen Fällen 
Zu deinen Diensten wieder.

Saladin. Brauch es nur 
Nicht wider mich! Zwar ein paar Hände mehr, 
Die gönnt' ich meinem Feinde gern. Allein 
Ihm so ein Herz auch mehr zu gönnen, fällt 
Mir schwer. Ich habe mich mit dir in nichts 
Betrogen, braver junger Mann! Du bist 
Mit Seel' und Leib mein Assad. Sieh! ich könnte 
Dich fragen: wo du denn die ganze Zeit 
Gesteckt? in welcher Höhle du geschlafen? 
In welchem Ginnistan, von welcher guten 
Div diese Blume fort und fort so frisch 
Erhalten worden? Sich! ich könnte dich 
Erinnern wollen, was wir dort und dort 
Zusammen ausgeführt. Ich könnte mit 
Dir zanken, daß du ein Geheimnis doch 
Vor mir gehabt! Ein Abenteuer mir 
Doch unterschlagen: Ja das könnt' ich; wenn 
Ich dich nur säh', und nicht auch mich. Nun, mag's! 
Von dieser süßen Träumerei ist immer 
Doch so viel wahr, daß mir in meinem Herbst 
Ein Assad wieder blühen soll. Du bist 
Es doch zufrieden, Ritter?

Tempelherr. Alles, was 
Von dir mir kömmt, sei was es will das lag 
Als Wunsch in meiner Seele.

Saladin. Laß uns das 
Sogleich versuchen. Bliebst du wohl bei mir? 
Um mir? Als Christ, als Muselmann: gleichviel! 
Im weißen Mantel, oder Jamerlonk; 
Im Tulban, oder deinem Filze: wie 
Du willst! Gleichviel! Ich habe nie verlangt, 
Daß allen Bäumen eine Rinde wachse.

Tempelherr. 
Sonst wärst du wohl auch schwerlich, der du bist: 
Der Held, der lieber Gottes Gärtner wäre.

Saladin. 
Nun dann; wenn du nicht schlechter von mir denkst: 
So wären wir ja halb schon richtig?

Tempelherr Ganz!

Saladin (ihm die Hand bietend). 
Ein Wort?

Tempelherr (einschlagend). 
Ein Mann! Hiermit empfange mehr 
Als du mir nehmen konntest. Ganz der Deine!

Saladin. 
Zuviel Gewinn für einen Tag! zuviel! 
Kam er nicht mit?

Tempelherr. Wer?

Saladin. Nathan.

Tempelherr (frostig). Nein. Ich kam 
Allein.

Saladin. Welch eine Tat von dir! Und welch 
Ein weises Glück, daß eine solche Tat 
Zum Besten eines solchen Mannes ausschlug.

Tempelherr. 
Ja, ja!

Saladin. So kalt? Nein, junger Mann! wenn Gott 
Was Gutes durch uns tut, muß man so kalt 
Nicht sein! selbst aus Bescheidenheit so kalt 
Nicht scheinen wollen!

Tempelherr. Daß doch in der Welt 
Ein jedes Ding so manche Seiten hat! 
Von denen oft sich gar nicht denken läßt, 
Wie sie zusammenpassen!

Saladin. Halte dich 
Nur immer an die best', und preise Gott! 
Der weiß, wie sie zusammenpassen. Aber, 
Wenn du so schwierig sein willst, junger Mann: 
So werd auch ich ja wohl auf meiner Hut 
Mich mit dir halten müssen? Leider bin 
Auch ich ein Ding von vielen Seiten, die 
Oft nicht so recht zu passen scheinen mögen.

Tempelherr. 
Das schmerzt! Denn Argwohn ist so wenig sonst 
Mein Fehler

Saladin. Nun, so sage doch, mit wem 
Du's hast? Es schien ja gar, mit Nathan. Wie? 
Auf Nathan Argwohn? du? Erklär dich! sprich! 
Komm, gib mir deines Zutrauns erste Probe.

Tempelherr. 
Ich habe wider Nathan nichts. Ich zürn 
Allein mit mir

Saladin. Und über was?

Tempelherr. Daß mir 
Geträumt, ein Jude könn' auch wohl ein Jude 
Zu sein verlernen; daß mir wachend so 
Geträumt.

Saladin. Heraus mit diesem wachen Traume!

Tempelherr. 
Du weißt von Nathans Tochter, Sultan. Was 
Ich für sie tat, das tat ich, weil ich's tat. 
Zu stolz, Dank einzuernten, wo ich ihn 
Nicht säete, verschmäht' ich Tag für Tag, 
Das Mädchen noch einmal zu sehn. Der Vater 
War fern; er kömmt; er hört; er sucht mich auf; 
Er dankt; er wünscht, daß seine Tochter mir 
Gefallen möge; spricht von Aussicht, spricht 
Von heitern Fernen. Nun, ich lasse mich 
Beschwatzen, komme, sehe, finde wirklich 
Ein Mädchen ... Ah, ich muß mich schämen, Sultan!

Saladin. 
Dich schämen? daß ein Judenmädchen auf 
Dich Eindruck machte: doch wohl nimmermehr?

Tempelherr. 
Daß diesem Eindruck, auf das liebliche 
Geschwätz des Vaters hin, mein rasches Herz 
So wenig Widerstand entgegensetzte! 
Ich Tropf! ich sprang zum zweitenmal ins Feuer. 
Denn nun warb ich, und nun ward ich verschmäht.

Saladin. 
Verschmäht?

Tempelherr. Der weise Vater schlägt nun wohl 
Mich platterdings nicht aus. Der weise Vater 
Muß aber doch sich erst erkunden, erst 
Besinnen. Allerdings! Tat ich denn das 
Nicht auch? Erkundete, besann ich denn 
Mich erst nicht auch, als sie im Feuer schrie? 
Fürwahr! bei Gott! Es ist doch gar was Schönes, 
So weise, so bedächtig sein!

Saladin. Nun, nun! 
So sieh doch einem Alten etwas nach! 
Wie lange können seine Weigerungen 
Denn dauern? Wird er denn von dir verlangen, 
Daß du erst Jude werden sollst?

Tempelherr. Wer weiß!

Saladin. 
Wer weiß? der diesen Nathan besser kennt.

Tempelherr. 
Der Aberglaub', in dem wir aufgewachsen, 
Verliert, auch wenn wir ihn erkennen, darum 
Doch seine Macht nicht über uns. Es sind 
Nicht alle frei, die ihrer Ketten spotten.

Saladin. 
Sehr reif bemerkt! Doch Nathan wahrlich, Nathan ...

Tempelherr. 
Der Aberglauben schlimmster ist, den seinen 
Für den erträglichern zu halten ...

Saladin. Mag 
Wohl sein! Doch Nathan...,

Tempelherr. Dem allein 
Die blöde Menschheit zu vertrauen, bis 
Sie hellern Wahrheitstag gewöhne; dem 
Allein ...

Saladin. Gut! Aber Nathan! Nathans Los 
Ist diese Schwachheit nicht.

Tempelherr. So dacht' ich auch! ... 
Wenn gleichwohl dieser Ausbund aller Menschen 
So ein gemeiner Jude wäre, daß 
Er Christenkinder zu bekommen suche, 
Um sie als Juden aufzuziehn: wie dann?

Saladin. 
Wer sagt ihm so was nach?

Tempelherr. Das Mädchen selbst, 
Mit welcher er mich körnt, mit deren Hoffnung 
Er gern mir zu bezahlen schiene, was 
Ich nicht umsonst für sie getan soll haben: 
Dies Mädchen selbst ist seine Tochter nicht; 
Ist ein verzettelt Christenkind.

Saladin. Das er 
Dem ungeachtet dir nicht geben wollte?

Tempelherr (heftig). 
Woll' oder wolle nicht! Er ist entdeckt. 
Der tolerante Schwätzer ist entdeckt! 
Ich werde hinter diesen jüd'schen Wolf 
Im philosoph'schen Schafpelz Hunde schon 
Zu bringen wissen, die ihn zausen sollen!

Saladin (ernst). 
Sei ruhig, Christ!

Tempelherr. Was? ruhig Christ? Wenn Jud' 
Und Muselmann, auf Jud', auf Muselmann 
Bestehen: soll allein der Christ den Christen 
Nicht machen dürfen?

Saladin (noch ernster). Ruhig, Christ!

Tempelherr (gelassen). Ich fühle 
Des Vorwurfs ganze Last, die Saladin 
In diese Silbe preßt! Ah, wenn ich wüßte, 
Wie Assad, Assad sich an meiner Stelle 
Hierbei genommen hätte!

Saladin. Nicht viel besser! 
Vermutlich ganz so brausend! Doch, wer hat 
Denn dich auch schon gelehrt, mich so wie er 
Mit einem Worte zu bestechen? Freilich 
Wenn alles sich verhält, wie du mir sagest: 
Kann ich mich selber kaum in Nathan finden. 
Indes, er ist mein Freund, und meiner Freunde 
Muß keiner mit dem andern hadern. Laß 
Dich weisen! Geh behutsam! Gib ihn nicht 
Sofort den Schwärmern deines Pöbels preis! 
Verschweig, was deine Geistlichkeit, an ihm 
Zu rächen, mir so nahe legen würde! 
Sei keinem Juden, keinem Muselmanne 
Zum Trotz ein Christ!

Tempelherr. Bald wär's damit zu spät! 
Doch dank der Blutbegier des Patriarchen, 
Des Werkzeug mir zu werden graute!

Saladin. Wie? 
Du kamst zum Patriarchen eher, als 
Zu mir?

Tempelherr. Im Sturm der Leidenschaft, im Wirbel 
Der Unentschlossenheit! Verzeih! Du wirst 
Von deinem Assad, fürcht ich, ferner nun 
Nichts mehr in mir erkennen wollen.

Saladin. Wär' 
Es diese Furcht nicht selbst! Mich dünkt, ich weiß, 
Aus welchen Fehlern unsre Tugend keimt. 
Pfleg diese ferner nur, und jene sollen 
Bei mir dir wenig schaden. Aber geh! 
Such du nun Nathan, wie er dich gesucht; 
Und bring ihn her. Ich muß euch doch zusammen 
Verständigen. Wär' um das Mädchen dir 
Im Ernst zu tun: sei ruhig. Sie ist dein! 
Auch soll es Nathan schon empfinden, daß 
Er ohne Schweinefleisch ein Christenkind 
Erziehen dürfen! Geh!

(Der Tempelherr geht ab, und Sittah verläßt den Sofa.)

 

[IV,5]

 

Fünfter Auftritt                       

Saladin und Sittah.

 

Sittah. Ganz sonderbar!

Saladin. 
Gelt, Sittah? Muß mein Assad nicht ein braver, 
Ein schöner junger Mann gewesen sein?

Sittah. 
Wenn er so war, und nicht zu diesem Bilde 
Der Tempelherr vielmehr gesessen! Aber 
Wie hast du doch vergessen können dich 
Nach seinen Eltern zu erkundigen?

Saladin. 
Und insbesondre wohl nach seiner Mutter? 
Ob seine Mutter hierzulande nie 
Gewesen sei? Nicht wahr?

Sittah. Das machst du gut!

Saladin. 
Oh, möglicher wär' nichts! Denn Assad war 
Bei hübschen Christendamen so willkommen, 
Auf hübsche Christendamen so erpicht, 
Daß einmal gar die Rede ging Nun, nun; 
Man spricht nicht gern davon. Genug; ich hab 
Ihn wieder! will mit allen seinen Fehlern, 
Mit allen Launen seines weichen Herzens 
Ihn wieder haben! Oh! das Mädchen muß 
Ihm Nathan geben. Meinst du nicht?

Sittah. Ihm geben? 
Ihm lassen!

Saladin. Allerdings! Was hätte Nathan, 
Sobald er nicht ihr Vater ist, für Recht 
Auf sie? Wer ihr das Leben so erhielt, 
Tritt einzig in die Rechte des, der ihr 
Es gab.

Sittah. Wie also, Saladin? wenn du 
Nur gleich das Mädchen zu dir nähmst? Sie nur 
Dem unrechtmäßigen Besitzer gleich 
Entzögest?

Saladin. Täte das wohl not?

Sittah. Not nun 
Wohl eben nicht! Die liebe Neubegier 
Treibt mich allein, dir diesen Rat zu geben. 
Denn von gewissen Männern mag ich gar 
Zu gern, so bald wie möglich, wissen, was 
Sie für ein Mädchen lieben können.

Saladin. Nun, 
So schick und laß sie holen.

Sittah. Darf ich, Bruder?

Saladin. 
Nur schone Nathans! Nathan muß durchaus 
Nicht glauben, daß man mit Gewalt ihn von 
Ihr trennen wolle.

Sittah. Sorge nicht.

Saladin. Und ich, 
Ich muß schon selbst sehn, wo Al-Hafi bleibt.

 

[IV,6]

 

Sechster Auftritt                    

(Szene: die offne Flur in Nathans Hause, gegen die Palmen zu; wie im ersten Auftritte des ersten Aufzuges. Ein Teil der Waren und Kostbarkeiten liegt ausgekramt, deren ebendaselbst gedacht wird.)

Nathan und Daja.

 

Daja. Oh, alles herrlich! alles auserlesen! 
Oh, alles wie nur Ihr es geben könnt. 
Wo wird der Silberstoff mit goldnen Ranken 
Gemacht? Was kostet er? Das nenn ich noch 
Ein Brautkleid! Keine Königin verlangt 
Es besser.

Nathan. Brautkleid? Warum Brautkleid eben?

Daja. 
Je nun! Ihr dachtet daran freilich nicht, 
Als Ihr ihn kauftet. Aber wahrlich, Nathan, 
Der und kein andrer muß es sein! Er ist 
Zum Brautkleid wie bestellt. Der weiße Grund; 
Ein Bild der Unschuld: und die goldnen Ströme, 
Die allerorten diesen Grund durchschlängeln; 
Ein Bild des Reichtums. Seht Ihr? Allerliebst!

Nathan. 
Was witzelst du mir da? Von wessen Brautkleid 
Sinnbilderst du mir so gelehrt? Bist du 
Denn Braut?

Daja. Ich?

Nathan. Nun wer denn?

Daja. Ich? lieber Gott!

Nathan. 
Wer denn? Von wessen Brautkleid sprichst du denn? 
Das alles ist ja dein, und keiner andern.

Daja. 
Ist mein? Soll mein sein? Ist für Recha nicht?

Nathan. 
Was ich für Recha mitgebracht, das liegt 
In einem andern Ballen. Mach! nimm weg! 
Trag deine Siebensachen fort!

Daja. Versucher! 
Nein, wären es die Kostbarkeiten auch 
Der ganzen Welt! Nicht rühr an! wenn Ihr mir 
Vorher nicht schwört, von dieser einzigen 
Gelegenheit, dergleichen Euch der Himmel 
Nicht zweimal schicken wird, Gebrauch zu machen.

Nathan. 
Gebrauch? von was? Gelegenheit? wozu?

Daja. 
O stellt Euch nicht so fremd! Mit kurzen Worten! 
Der Tempelherr liebt Recha: gebt sie ihm, 
So hat doch einmal Eure Sünde, die 
Ich länger nicht verschweigen kann, ein Ende. 
So kömmt das Mädchen wieder unter Christen; 
Wird wieder, was sie ist; ist wieder, was 
Sie ward: und Ihr, Ihr habt mit all dem Guten, 
Was wir Euch nicht genug verdanken können, 
Nicht Feuerkohlen bloß auf Euer Haupt 
Gesammelt.

Nathan. Doch die alte Leier wieder? 
Mit einer neuen Saite nur bezogen, 
Die, fürcht ich, weder stimmt noch hält.

Daja. Wieso?

Nathan. 
Mir wär' der Tempelherr schon recht. Ihm gönnt' 
Ich Recha mehr als einem in der Welt. 
Allein ... Nun, habe nur Geduld.

Daja. Geduld? 
Geduld ist Eure alte Leier nun 
Wohl nicht?

Nathan. Nur wenig Tage noch Geduld! ... 
Sieh doch! Wer kömmt denn dort? 
Ein Klosterbruder? 
Geh, frag ihn was er will.

Daja. Was wird er wollen?

(Sie geht auf ihn zu und fragt.)

Nathan. 
So gib! und eh' er bittet. (Wüßt' ich nur 
Dem Tempelherrn erst beizukommen, ohne 
Die Ursach' meiner Neugier ihm zu sagen! 
Denn wenn ich sie ihm sag', und der Verdacht 
Ist ohne Grund: so hab ich ganz umsonst 
Den Vater auf das Spiel gesetzt.) Was ist's?

Daja. 
Er will Euch sprechen.

Nathan. Nun, so laß ihn kommen; 
Und geh indes.

 

[IV,7]

 

Siebenter Auftritt                    

Nathan und der Klosterbruder.

Nathan. (Ich bliebe Rechas Vater 
Doch gar zu gern! Zwar kann ich's denn nicht bleiben, 
Auch wenn ich aufhör, es zu heißen? Ihr, 
Ihr selbst werd ich's doch immer auch noch heißen, 
Wenn sie erkennt, wie gern ich's wäre.) Geh! 
Was ist zu Euern Diensten, frommer Bruder?

Klosterbruder. 
Nicht eben viel. Ich freue mich, Herr Nathan, 
Euch annoch wohl zu sehn.

Nathan. So kennt Ihr mich?

Klosterbruder. 
Je nu; wer kennt Euch nicht? Ihr habt so manchem 
Ja Euern Namen in die Hand gedrückt. 
Er steht in meiner auch, seit vielen Jahren.

Nathan (nach seinem Beutel langend). 
Kommt, Bruder, kommt; ich frisch ihn auf.

Klosterbruder. Habt Dank! 
Ich würd' es Ärmern stehlen; nehme nichts. 
Wenn Ihr mir nur erlauben wollt, ein wenig 
Euch meinen Namen aufzufrischen. Denn 
Ich kann mich rühmen, auch in Eure Hand 
Etwas gelegt zu haben, was nicht zu 
Verachten war.

Nathan. Verzeiht! Ich schäme mich 
Sagt, was? und nehmt zur Buße siebenfach 
Den Wert desselben von mir an.

Klosterbruder. Hört doch 
Vor allen Dingen, wie ich selber nur 
Erst heut an dies mein Euch vertrautes Pfand 
Erinnert worden.

Nathan. Mir vertrautes Pfand?

Klosterbruder. 
Vor kurzem saß ich noch als Eremit 
Auf Quarantana, unweit Jericho. 
Da kam arabisch Raubgesindel, brach 
Mein Gotteshäuschen ab und meine Zelle 
Und schleppte mich mit fort. Zum Glück entkam 
Ich noch und floh hierher zum Patriarchen, 
Um mir ein ander Plätzchen auszubitten, 
Allwo ich meinem Gott in Einsamkeit 
Bis an mein selig Ende dienen könne.

Nathan. 
Ich steh auf Kohlen, guter Bruder. Macht 
Es kurz. Das Pfand! das mir vertraute Pfand!

Klosterbruder. 
Sogleich, Herr Nathan. Nun, der Patriarch 
Versprach mir eine Siedelei auf Tabor, 
Sobald als eine leer; und hieß inzwischen 
Im Kloster mich als Laienbruder bleiben. 
Da bin ich itzt, Herr Nathan; und verlange 
Des Tags wohl hundertmal auf Tabor. Denn 
Der Patriarch braucht mich zu allerlei, 
Wovor ich großen Ekel habe. Zum 
Exempel:

Nathan. Macht, ich bitt Euch!

Klosterbruder. Nun, es kömmt! 
Da hat ihm jemand heut ins Ohr gesetzt: 
Es lebe hier herum ein Jude, der 
Ein Christenkind als seine Tochter sich 
Erzöge.

Nathan. Wie? (Betroffen.)

Klosterbruder. Hört mich nur aus! Indem 
Er mir nun aufträgt, diesem Juden stracks, 
Wo möglich, auf die Spur zu kommen, und 
Gewaltig sich ob eines solchen Frevels 
Erzürnt, der ihm die wahre Sünde wider 
Den heil'gen Geist bedünkt; das ist, die Sünde, 
Die aller Sünden größte Sünd' uns gilt, 
Nur daß wir, Gott sei Dank, so recht nicht wissen, 
Worin sie eigentlich besteht: da wacht 
Mit einmal mein Gewissen auf; und mir 
Fällt bei, ich könnte selber wohl vor Zeiten 
Zu dieser unverzeihlich großen Sünde 
Gelegenheit gegeben haben. Sagt: 
Hat Euch ein Reitknecht nicht vor achtzehn Jahren 
Ein Töchterchen gebracht von wenig Wochen?

Nathan. 
Wie das? Nun freilich allerdings

Klosterbruder. Ei, seht 
Mich doch recht an! Der Reitknecht, der bin ich.

Nathan. 
Seid ihr?

Klosterbruder. Der Herr, von welchem ich's Euch brachte, 
War ist mir recht ein Herr von Filnek. Wolf 
Von Filnek!

Nathan. Richtig!

Klosterbruder. Weil die Mutter kurz 
Vorher gestorben war; und sich der Vater 
Nach mein ich Gazza plötzlich werfen mußte, 
Wohin das Würmchen ihm nicht folgen konnte: 
So sandt' er's Euch. Und traf ich Euch damit 
Nicht in Darun?

Nathan. Ganz recht!

Klosterbruder. Es wär' kein Wunder, 
Wenn mein Gedächtnis mich betrög'. Ich habe 
Der braven Herrn so viel gehabt; und diesem 
Hab ich nur gar zu kurze Zeit gedient. 
Er blieb bald drauf bei Askalon: und war 
Wohl sonst ein lieber Herr.

Nathan. Ja wohl! Ja wohl! 
Dem ich so viel, so viel zu danken habe! 
Der mehr als einmal mich dem Schwert entrissen!

Klosterbruder. 
O schön! So werd't Ihr seines Töchterchens 
Euch um so lieber angenommen haben.

Nathan. 
Das könnt Ihr denken.

Klosterbruder. Nun, wo ist es denn? 
Es ist doch wohl nicht etwa gar gestorben? 
Laßt's lieber nicht gestorben sein! Wenn sonst 
Nur niemand um die Sache weiß: so hat 
Es gute Wege.

Nathan. Hat es?

Klosterbruder. Traut mir, Nathan! 
Denn seht, ich denke so! Wenn an das Gute, 
Das ich zu tun vermeine, gar zu nah 
Was gar zu Schlimmes grenzt: so tu ich lieber 
Das Gute nicht; weil wir das Schlimme zwar 
So ziemlich zuverlässig kennen, aber 
Bei weiten nicht das Gute. War ja wohl 
Natürlich; wenn das Christentöchterchen 
Recht gut von Euch erzogen werden sollte: 
Daß Ihr's als Euer eigen Töchterchen 
Erzögt. Das hättet Ihr mit aller Lieb' 
Und Treue nun getan, und müßtet so 
Belohnet werden? Das will mir nicht ein. 
Ei freilich, klüger hättet Ihr getan; 
Wenn Ihr die Christin durch die zweite Hand 
Als Christin auferziehen lassen: aber 
So hättet Ihr das Kindchen Eures Freunds 
Auch nicht geliebt. Und Kinder brauchen Liebe, 
Wär's eines wilden Tieres Lieb' auch nur, 
In solchen Jahren mehr, als Christentum. 
Zum Christentume hat's noch immer Zeit. 
Wenn nur das Mädchen sonst gesund und fromm 
Vor Euern Augen aufgewachsen ist, 
So blieb's vor Gottes Augen, was es war. 
Und ist denn nicht das ganze Christentum 
Aufs Judentum gebaut? Es hat mich oft 
Geärgert, hat mir Tränen g'nug gekostet, 
Wenn Christen gar so sehr vergessen konnten, 
Daß unser Herr ja selbst ein Jude war.

Nathan. 
Ihr, guter Bruder, müßt mein Fürsprach sein, 
Wenn Haß und Gleisnerei sich gegen mich 
Erheben sollten, wegen einer Tat 
Ah, wegen einer Tat! Nur Ihr, Ihr sollt 
Sie wissen! Nehmt sie aber mit ins Grab! 
Noch hat mich nie die Eitelkeit versucht, 
Sie jemand andern zu erzählen. Euch 
Allein erzähl ich sie. Der frommen Einfalt 
Allein erzähl ich sie. Weil die allein 
Versteht, was sich der gottergebne Mensch 
Für Taten abgewinnen kann.

Klosterbruder. Ihr seid 
Gerührt, und Euer Auge steht voll Wasser?

Nathan. 
Ihr traft mich mit dem Kinde zu Darun. 
Ihr wißt wohl aber nicht, daß wenig Tage 
Zuvor, in Gath die Christen alle Juden 
Mit Weib und Kind ermordet hatten; wißt 
Wohl nicht, daß unter diesen meine Frau 
Mit sieben hoffnungsvollen Söhnen sich 
Befunden, die in meines Bruders Hause, 
Zu dem ich sie geflüchtet, insgesamt 
Verbrennen müssen.

Klosterbruder. Allgerechter!

Nathan. Als 
Ihr kamt, hatt' ich drei Tag' und Nächt' in Asch' 
Und Staub vor Gott gelegen, und geweint. 
Geweint? Beiher mit Gott auch wohl gerechtet, 
Gezürnt, getobt, mich und die Welt verwünscht; 
Der Christenheit den unversöhnlichsten 
Haß zugeschworen

Klosterbruder. Ach! Ich glaub's Euch wohl!

Nathan. 
Doch nun kam die Vernunft allmählich wieder. 
Sie sprach mit sanfter Stimm': »und doch ist Gott! 
Doch war auch Gottes Ratschluß das! Wohlan! 
Komm! übe, was du längst begriffen hast, 
Was sicherlich zu üben schwerer nicht, 
Als zu begreifen ist, wenn du nur willst. 
Steh auf!« Ich stand! und rief zu Gott: ich will! 
Willst du nur, daß ich will! Indem stiegt Ihr 
Vom Pferd, und überreichtet mir das Kind, 
In Euern Mantel eingehüllt. Was Ihr 
Mir damals sagtet; was ich Euch: hab ich 
Vergessen. Soviel weiß ich nur; ich nahm 
Das Kind, trug's auf mein Lager, küßt' es, warf 
Mich auf die Knie und schluchzte: Gott! auf Sieben 
Doch nun schon Eines wieder!

Klosterbruder. Nathan! Nathan! 
Ihr seid ein Christ! Bei Gott, Ihr seid ein Christ! 
Ein beßrer Christ war nie!

Nathan. Wohl uns! Denn was 
Mich Euch zum Christen macht, das macht Euch mir 
Zum Juden! Aber laßt uns länger nicht 
Einander nur erweichen. Hier braucht's Tat! 
Und ob mich siebenfache Liebe schon 
Bald an dies einz'ge fremde Mädchen band, 
Ob der Gedanke mich schon tötet, daß 
Ich meine sieben Söhn' in ihr aufs neue 
Verlieren soll: wenn sie von meinen Händen 
Die Vorsicht wieder fodert, ich gehorche!

Klosterbruder. 
Nun vollends! Eben das bedacht' ich mich 
So viel, Euch anzuraten! Und so hat's 
Euch Euer guter Geist schon angeraten!

Nathan. 
Nur muß der erste beste mir sie nicht 
Entreißen wollen!

Klosterbruder. Nein, gewiß nicht!

Nathan. Wer 
Auf sie nicht größre Rechte hat, als ich, 
Muß frühere zum mind'sten haben

Klosterbruder. Freilich!

Nathan. 
Die ihm Natur und Blut erteilen.

Klosterbruder. So 
Mein ich es auch!

Nathan. Drum nennt mir nur geschwind 
Den Mann, der ihr als Bruder oder Ohm, 
Als Vetter oder sonst als Sipp' verwandt.- 
Ihm will ich sie nicht vorenthalten Sie, 
Die jedes Hauses, jedes Glaubens Zierde 
Zu sein erschaffen und erzogen ward. 
Ich hoff, Ihr wißt von diesem Euern Herrn 
Und dem Geschlechte dessen, mehr als ich.

Klosterbruder. 
Das, guter Nathan, wohl nun schwerlich! Denn 
Ihr habt ja schon gehört, daß ich nur gar 
Zu kurze Zeit bei ihm gewesen.

Nathan. Wißt 
Ihr denn nicht wenigstens, was für Geschlechts 
Die Mutter war? War sie nicht eine Stauffin?

Klosterbruder. 
Wohl möglich! Ja, mich dünkt.

Nathan. Hieß nicht ihr Bruder 
Conrad von Stauffen? und war Tempelherr?

Klosterbruder. 
Wenn mich's nicht trügt. Doch halt! Da fällt mir ein, 
Daß ich vom sel'gen Herrn ein Büchelchen 
Noch hab. Ich zog's ihm aus dem Busen, als 
Wir ihn bei Askalon verscharrten.

Nathan. Nun?

Klosterbruder. 
Es sind Gebete drin. Wir nennen's ein 
Brevier. Das, dacht' ich, kann ein Christenmensch 
Ja wohl noch brauchen. Ich nun freilich nicht 
Ich kann nicht lesen

Nathan. Tut nichts! Nur zur Sache.

Klosterbruder. 
In diesem Büchelchen stehn vorn und hinten, 
Wie ich mir sagen lassen, mit des Herrn 
Selbsteigner Hand, die Angehörigen 
Von ihm und ihr geschrieben.

Nathan. O erwünscht! 
Geht! lauft! holt mir das Büchelchen. Geschwind! 
Ich bin bereit mit Gold es aufzuwiegen; 
Und tausend Dank dazu! Eilt! lauft!

Klosterbruder. Recht gern! 
Es ist Arabisch aber, was der Herr 
Hineingeschrieben. 
(Ab.)

Nathan. Einerlei! Nur her! 
Gott! wenn ich doch das Mädchen noch behalten, 
Und einen solchen Eidam mir damit 
Erkaufen könnte! Schwerlich wohl! Nun, fall' 
Es aus, wie's will! Wer mag es aber denn 
Gewesen sein, der bei dem Patriarchen 
So etwas angebracht? Das muß ich doch 
Zu fragen nicht vergessen. Wenn es gar 
Von Daja käme?

 

[IV,8]

 

Achter Auftritt                    

Daja und Nathan.

 

Daja (eilig und verlegen). 
Denkt doch, Nathan!

Nathan. Nun?

Daja. 
Das arme Kind erschrak wohl recht darüber! 
Da schickt ...

Nathan. Der Patriarch?

Daja. Des Sultans Schwester, 
Prinzessin Sittah ...

Nathan. Nicht der Patriarch?

Daja. 
Nein, Sittah! Hört Ihr nicht! Prinzessin Sittah 
Schickt her, und läßt sie zu sich holen?

Nathan. Wen? 
Läßt Recha holen? Sittah läßt sie holen? 
Nun; wenn sie Sittah holen läßt, und nicht 
Der Patriarch ...

Daja. Wie kommt Ihr denn auf den?

Nathan. 
So hast du kürzlich nichts von ihm gehört? 
Gewiß nicht? Auch ihm nichts gesteckt?

Daja. Ich? ihm?

Nathan. 
Wo sind die Boten?

Daja. Vorn.

Nathan. Ich will sie doch 
Aus Vorsicht selber sprechen. Komm! Wenn nur 
Vom Patriarchen nichts dahintersteckt. 
(Ab.)

Daja. 
Und ich ich fürchte ganz was anders noch. 
Was gilt's? die einzige vermeinte Tochter 
So eines reichen Juden wär' auch wohl 
Für einen Muselmann nicht übel? Hui, 
Der Tempelherr ist drum. Ist drum: wenn ich 
Den zweiten Schritt nicht auch noch wage; nicht 
Auch ihr noch selbst entdecke, wer sie ist! 
Getrost! Laß mich den ersten Augenblick, 
Den ich allein sie habe, dazu brauchen! 
Und der wird sein vielleicht nun eben, wenn 
Ich sie begleite. So ein erster Wink 
Kann unterwegens wenigstens nicht schaden. 
Ja, ja! Nur zu! Itzt oder nie! Nur zu! 
(Ihm nach.)

 

 

FÜNFTER AUFZUG

 

[V,1]

 

Erster Auftritt                    

(Szene: das Zimmer in Saladins Palaste, in welches die Beutel mit Geld getragen worden, die noch zu sehen.)

Saladin und bald darauf verschiedne Mamelucken.

Saladin (im Hereintreten). 
Da steht das Geld nun noch! Und niemand weiß 
Den Derwisch aufzufinden, der vermutlich 
Ans Schachbrett irgendwo geraten ist, 
Das ihn wohl seiner selbst vergessen macht; 
Warum nicht meiner? Nun, Geduld! Was gibt's?

Ein Mameluck. 
Erwünschte Nachricht, Sultan! Freude, Sultan! ... 
Die Karawane von Kahira kommt, 
Ist glücklich da! mit siebenjährigem 
Tribut des reichen Nils.

Saladin. Brav, Ibrahim! 
Du bist mir wahrlich ein willkommner Bote! 
Ha! endlich einmal! endlich! Habe Dank 
Der guten Zeitung.

Der Mameluck (wartend). (Nun? nur her damit!)

Saladin. 
Was wartst du? Geh nur wieder.

Der Mameluck. Dem Willkommnen 
Sonst nichts?

Saladin. Was denn noch sonst?

Der Mameluck. Dem guten Boten 
Kein Botenbrot? So wär' ich ja der erste, 
Den Saladin mit Worten abzulehnen 
Doch endlich lernte? Auch ein Ruhm! der erste, 
Mit dem er knickerte.

Saladin. So nimm dir nur 
Dort einen Beutel.

Der Mameluck. Nein, nun nicht! Du kannst 
Mir sie nun alle schenken wollen.

Saladin. Trotz! 
Komm her! Da hast du zwei. Im Ernst? er geht? 
Tut mir's an Edelmut zuvor? Denn sicher 
Muß ihm es saurer werden, auszuschlagen, 
Als mir zu geben. Ibrahim! Was kommt 
Mir denn auch ein, so kurz vor meinem Abtritt 
Auf einmal ganz ein andrer sein zu wollen? 
Will Saladin als Saladin nicht sterben? 
So mußt' er auch als Saladin nicht leben.

Ein zweiter Mameluck. 
Nun, Sultan! ...

Saladin. Wenn du mir zu melden kommst ...

Zweiter Mameluck. 
Daß aus Ägypten der Transport nun da!

Saladin. 
Ich weiß schon.

Zweiter Mameluck. Kam ich doch zu spät!

Saladin. Warum 
Zu spät? Da nimm für deinen guten Willen 
Der Beutel einen oder zwei.

Zweiter Mameluck. Macht drei!

Saladin. 
Ja, wenn du rechnen kannst! So nimm sie nur.

Zweiter Mameluck. 
Es wird wohl noch ein Dritter kommen, wenn 
Er anders kommen kann.

Saladin. Wie das?

Zweiter Mameluck. Je nu; 
Er hat auch wohl den Hals gebrochen! Denn 
Sobald wir drei der Ankunft des Transports 
Versichert waren, sprengte jeder frisch 
Davon. Der Vorderste, der stürzt'; und so 
Komm ich nun vor, und bleib auch vor bis in 
Die Stadt; wo aber Ibrahim, der Lecker 
Die Gassen besser kennt.

Saladin. Oh, der gestürzte! 
Freund, der gestürzte! Reit ihm doch entgegen.

Zweiter Mameluck. 
Das werd ich ja wohl tun! Und wenn er lebt: 
So ist die Hälfte dieser Beutel sein. 
(Geht ab.)

Saladin. 
Sieh, welch ein guter, edler Kerl auch das! 
Wer kann sich solcher Mamelucken rühmen? 
Und wär' mir denn zu denken nicht erlaubt, 
Daß sie mein Beispiel bilden helfen? Fort 
Mit dem Gedanken, sie zu guter Letzt 
Noch an ein anders zu gewöhnen! ...

Ein dritter Mameluck. Sultan....

Saladin. 
Bist du's, der stürzte?

Dritter Mameluck. Nein. Ich melde nur, 
Daß Emir Mansor, der die Karawane 
Geführt, vom Pferde steigt ...

Saladin. Bring ihn! geschwind! 
Da ist er ja!

 

[V,2]

 

Zweiter Auftritt

Emir Mansor und Saladin.

 

Saladin. Willkommen, Emir! Nun, 
Wie ist's gegangen? Mansor, Mansor, hast 
Uns lange warten lassen!

Mansor. Dieser Brief 
Berichtet, was dein Abulkassem erst 
Für Unruh' in Thebais dämpfen müssen: 
Eh, wir es wagen durften abzugehen. 
Den Zug darauf hab ich beschleuniget 
Soviel, wie möglich war.

Saladin. Ich glaube dir! 
Und nimm nur, guter Mansor, nimm sogleich ... 
Du tust es aber doch auch gern? ... nimm frische 
Bedeckung nur sogleich. Du mußt sogleich 
Noch weiter; mußt der Gelder größern Teil 
Auf Libanon zum Vater bringen.

Mansor. Gern! 
Sehr gern!

Saladin. Und nimm dir die Bedeckung ja 
Nur nicht zu schwach. Es ist um Libanon 
Nicht alles mehr so sicher. Hast du nicht 
Gehört? Die Tempelherrn sind wieder rege. 
Sei wohl auf deiner Hut! Komm nur! Wo hält 
Der Zug? Ich will ihn sehn; und alles selbst 
Betreiben. Ihr! ich bin sodann bei Sittah.

 

[V,3]

 

Dritter Auftritt                    

Szene: die Palmen vor Nathans Hause, wo der Tempelherr auf- und niedergeht.

 

Ins Haus nun will ich einmal nicht. – Er wird 
Sich endlich doch wohl sehen lassen! Man 
Bemerkte mich ja sonst so bald, so gern! 
Will's noch erleben, daß er sich's verbittet, 
Vor seinem Hause mich so fleißig finden 
Zu lassen. Hm! ich bin doch aber auch 
Sehr ärgerlich. Was hat mich denn nun so 
Erbittert gegen ihn? Er sagte ja: 
Noch schlüg' er mir nichts ab. Und Saladin 
Hat's über sich genommen, ihn zu stimmen. 
Wie? sollte wirklich wohl in mir der Christ 
Noch tiefer nisten, als in ihm der Jude? 
Wer kennt sich recht? Wie könnt' ich ihm denn sonst 
Den kleinen Raub nicht gönnen wollen, den 
Er sich's zu solcher Angelegenheit 
Gemacht, den Christen abzujagen? Freilich; 
Kein kleiner Raub, ein solch Geschöpf! Geschöpf? 
Und wessen? Doch des Sklaven nicht, der auf 
Des Lebens öden Strand den Block geflößt, 
Und sich davongemacht? Des Künstlers doch 
Wohl mehr, der in dem hingeworfnen Blocke 
Die göttliche Gestalt sich dachte, die 
Er dargestellt? Ach! Rechas wahrer Vater 
Bleibt, trotz dem Christen, der sie zeugte, bleibt 
In Ewigkeit der Jude. Wenn ich mir 
Sie lediglich als Christendirne denke, 
Sie sonder alles das mir denke, was 
Allein ihr so ein Jude geben konnte: 
Sprich, Herz, was wär' an ihr, das dir gefiel? 
Nichts! Wenig! Selbst ihr Lächeln, wär' es nichts 
Als sanfte schöne Zuckung ihrer Muskeln; 
Wär', was sie lächeln macht, des Reizes unwert, 
In den es sich auf ihrem Munde kleidet: 
Nein; selbst ihr Lächeln nicht! Ich hab es ja 
Wohl schöner noch an Aberwitz, an Tand, 
An Höhnerei, an Schmeichler und an Buhler 
Verschwenden sehn! Hat's da mich auch bezaubert? 
Hat's da mir auch den Wunsch entlockt, mein Leben 
In seinem Sonnenscheine zu verflattern? 
Ich wüßte nicht. Und bin auf den doch launisch, 
Der diesen höhern Wert allein ihr gab? 
Wie das? warum? Wenn ich den Spott verdiente, 
Mit dem mich Saladin entließ! Schon schlimm 
Genug, daß Saladin es glauben konnte! 
Wie klein ich ihm da scheinen mußte! wie 
Verächtlich! Und das alles um ein Mädchen? 
Curd! Curd! das geht so nicht. Lenk ein! Wenn vollends 
Mir Daja nur was vorgeplaudert hätte, 
Was schwerlich zu erweisen stünde? Sieh, 
Da tritt er endlich, im Gespräch vertieft, 
Aus seinem Hause! Ha! mit wem! Mit ihm? 
Mit meinem Klosterbruder? Ha! so weiß 
Er sicherlich schon alles! ist wohl gar 
Dem Patriarchen schon verraten! Ha! 
Was hab ich Querkopf nun gestiftet! Daß 
Ein einz'ger Funken dieser Leidenschaft 
Doch unsers Hirns so viel verbrennen kann! 
Geschwind entschließ dich, was nunmehr zu tun! 
Ich will hier seitwärts ihrer warten; ob 
Vielleicht der Klosterbruder ihn verläßt.

 

[V,4]

 

Vierter Auftritt                    

Nathan und der Klosterbruder.

Nathan (im Näherkommen). 
Habt nochmals, guter Bruder, vielen Dank!

Klosterbruder. 
Und Ihr desgleichen!

Nathan. Ich? von Euch? wofür? 
Für meinen Eigensinn, Euch aufzudrängen, 
Was Ihr nicht braucht? Ja, wenn ihm Eurer nur 
Auch nachgegeben hätt'; Ihr mit Gewalt 
Nicht wolltet reicher sein, als ich.

Klosterbruder. Das Buch 
Gehört ja ohnedem nicht mir; gehört 
Ja ohnedem der Tochter; ist ja so 
Der Tochter ganzes väterliches Erbe. 
Je nu, sie hat ja Euch. Gott gebe nur, 
Daß Ihr es nie bereuen dürft, so viel 
Für sie getan zu haben!

Nathan. Kann ich das? 
Das kann ich nie. Seid unbesorgt!

Klosterbruder. Nu, nu! 
Die Patriarchen und die Tempelherren ...

Nathan. 
Vermögen mir des Bösen nie so viel 
Zu tun, daß irgend was mich reuen könnte: 
Geschweige, das! Und seid Ihr denn so ganz 
Versichert, daß ein Tempelherr es ist, 
Der Euern Patriarchen hetzt?

Klosterbruder. Es kann 
Beinah kein andrer sein. Ein Tempelherr 
Sprach kurz vorher mit ihm; und was ich hörte, 
Das klang darnach.

Nathan. Es ist doch aber nur 
Ein einziger itzt in Jerusalem. 
Und diesen kenn ich. Dieser ist mein Freund. 
Ein junger, edler, offner Mann!

Klosterbruder. Ganz recht; 
Der nämliche! Doch was man ist, und was 
Man sein muß in der Welt, das paßt ja wohl 
Nicht immer.

Nathan. Leider nicht. So tue, wer's 
Auch immer ist, sein Schlimmstes oder Bestes! 
Mit Euerm Buche, Bruder, trotz ich allen; 
Und gehe graden Wegs damit zum Sultan.

Klosterbruder. 
Viel Glücks! Ich will Euch denn nur hier verlassen.

Nathan. 
Und habt sie nicht einmal gesehn? Kommt ja 
Doch bald, doch fleißig wieder. Wenn nur heut 
Der Patriarch noch nichts erfährt! Doch was? 
Sagt ihm auch heute, was Ihr wollt.

Klosterbruder. Ich nicht. 
Lebt wohl! 
(Geht ab.)

Nathan. Vergeßt uns ja nicht, Bruder! Gott! 
Daß ich nicht hier gleich unter freiem Himmel 
Auf meine Kniee sinken kann! Wie sich 
Der Knoten, der so oft mir bange machte, 
Nun von sich selber löset! Gott! wie leicht 
Mir wird, daß ich nun weiter auf der Welt 
Nichts zu verbergen habe! daß ich vor 
Den Menschen nun so frei kann wandeln, als 
Vor dir, der du allein den Menschen nicht 
Nach seinen Taten brauchst zu richten, die 
So selten seine Taten sind, o Gott!

 

[V, 5]

 

Fünfter Auftritt                    

Nathan und der Tempelherr, der von der Seite auf ihn zukommt.

 

Tempelherr. 
He! wartet, Nathan; nehmt mich mit!

Nathan. Wer ruft? 
Seid Ihr es, Ritter? Wo gewesen, daß 
Ihr bei dem Sultan Euch nicht treffen lassen?

Tempelherr. 
Wir sind einander fehlgegangen. Nehmt's 
Nicht übel.

Nathan. Ich nicht; aber Saladin ...

Tempelherr. 
Ihr wart nur eben fort ...

Nathan. Und spracht ihn doch? 
Nun, so ist's gut.

Tempelherr. Er will uns aber beide 
Zusammen sprechen.

Nathan. Desto besser. Kommt 
Nur mit. Mein Gang stand ohnehin zu ihm.

Tempelherr. 
Ich darf ja doch wohl fragen, Nathan, wer 
Euch da verließ?

Nathan. Ihr kennt ihn doch wohl nicht?

Tempelherr. 
War's nicht die gute Haut, der Laienbruder, 
Des sich der Patriarch so gern zum Stöber 
Bedient?

Nathan. Kann sein! Beim Patriarchen ist 
Er allerdings.

Tempelherr. Der Pfiff ist gar nicht übel: 
Die Einfalt vor der Schurkerei voraus- 
Zuschicken.

Nathan. Ja, die dumme; nicht die fromme.

Tempelherr. 
An fromme glaubt kein Patriarch.

Nathan. Für den 
Nun steh ich. Der wird seinem Patriarchen 
Nichts Ungebührliches vollziehen helfen.

Tempelherr. 
So stellt er wenigstens sich an. Doch hat 
Er Euch von mir denn nichts gesagt?

Nathan. Von Euch? 
Von Euch nun namentlich wohl nichts. Er weiß 
Ja wohl auch schwerlich Euern Namen?

Tempelherr. Schwerlich.

Nathan. 
Von einem Tempelherren freilich hat 
Er mir gesagt ...

Tempelherr. Und was?

Nathan. Womit er Euch 
Doch ein für allemal nicht meinen kann!

Tempelherr. 
Wer weiß? Laßt doch nur hören.

Nathan. Daß mich einer 
Bei seinem Patriarchen angeklagt ...

Tempelherr. 
Euch angeklagt? Das ist, mit seiner Gunst 
Erlogen. Hört mich, Nathan! Ich bin nicht 
Der Mensch, der irgend etwas abzuleugnen 
Imstande wäre. Was ich tat, das tat ich! 
Doch bin ich auch nicht der, der alles, was 
Er tat, als wohlgetan verteid'gen möchte. 
Was sollt' ich eines Fehls mich schämen? Hab 
Ich nicht den festen Vorsatz ihn zu bessern? 
Und weiß ich etwa nicht, wie weit mit dem 
Es Menschen bringen können? Hört mich, Nathan! 
Ich bin des Laienbruders Tempelherr, 
Der Euch verklagt soll haben, allerdings. 
Ihr wißt ja, was mich wurmisch machte! was 
Mein Blut in allen Adern sieden machte! 
Ich Gauch! ich kam, so ganz mit Leib und Seel' 
Euch in die Arme mich zu werfen. Wie 
Ihr mich empfingt -wie kalt wie lau denn lau 
Ist schlimmer noch als kalt; wie abgemessen 
Mir auszubeugen Ihr beflissen wart; 
Mit welchen aus der Luft gegriffnen Fragen 
Ihr Antwort mir zu geben scheinen wolltet: 
Das darf ich kaum mir itzt noch denken, wenn 
Ich soll gelassen bleiben. Hört mich, Nathan! 
In dieser Gärung schlich mir Daja nach, 
Und warf mir ihr Geheimnis an den Kopf 
Das mir den Aufschluß Euers rätselhaften 
Betragens zu enthalten schien.

Nathan. Wie das?

Tempelherr. 
Hört mich nur aus! Ich bildete mir ein, 
Ihr wolltet, was Ihr einmal nun den Christen 
So abgejagt, an einen Christen wieder 
Nicht gern verlieren. Und so fiel mir ein, 
Euch kurz und gut das Messer an die Kehle 
Zu setzen.

Nathan. Kurz und gut? und gut? Wo steckt 
Das Gute?

Tempelherr. Hört mich, Nathan! Allerdings: 
Ich tat nicht recht! Ihr seid wohl gar nicht schuldig. 
Die Närrin Daja weiß nicht was sie spricht 
Ist Euch gehässig sucht Euch nur damit 
In einen bösen Handel zu verwickeln 
Kann sein! kann sein! Ich bin ein junger Laffe, 
Der immer nur an beiden Enden schwärmt; 
Bald viel zuviel, bald viel zuwenig tut 
Auch das kann sein! Verzeiht mir, Nathan.

Nathan. Wenn 
Ihr so mich freilich fasset

Tempelherr. Kurz, ich ging 
Zum Patriarchen! hab Euch aber nicht 
Genannt. Das ist erlogen, wie gesagt! 
Ich hab ihm bloß den Fall ganz allgemein 
Erzählt, um seine Meinung zu vernehmen. 
Auch das hätt' unterbleiben können: ja doch! 
Denn kannt' ich nicht den Patriarchen schon 
Als einen Schurken? Konnt' ich Euch nicht selber 
Nur gleich zur Rede stellen? Mußt' ich der 
Gefahr, so einen Vater zu verlieren, 
Das arme Mädchen opfern? Nun, was tut's? 
Die Schurkerei des Patriarchen, die 
So ähnlich immer sich erhält, hat mich 
Des nächsten Weges wieder zu mir selbst 
Gebracht. Denn hört mich, Nathan; hört mich aus! 
Gesetzt; er wüßt' auch Euern Namen: was 
Nun mehr, was mehr? Er kann Euch ja das Mädchen 
Nur nehmen, wenn sie niemands ist, als Euer. 
Er kann sie doch aus Euerm Hause nur 
Ins Kloster schleppen. Also gebt sie mir! 
Gebt sie nur mir; und laßt ihn kommen. Ha! 
Er soll's wohl bleibenlassen, mir mein Weib 
Zu nehmen. Gebt sie mir; geschwind! Sie sei 
Nun Eure Tochter, oder sei es nicht! 
Sei Christin, oder Jüdin, oder keines! 
Gleichviel! gleichviel! Ich werd Euch weder itzt 
Noch jemals sonst in meinem ganzen Leben 
Darum befragen. Sei, wie's sei!

Nathan. Ihr wähnt 
Wohl gar, daß mir die Wahrheit zu verbergen 
Sehr nötig?

Tempelherr. Sei, wie's sei!

Nathan. Ich hab es ja 
Euch oder wem es sonst zu wissen ziemt 
Noch nicht geleugnet, daß sie eine Christin, 
Und nichts als meine Pflegetochter ist. 
Warum ich's aber ihr noch nicht entdeckt? 
Darüber brauch ich nur bei ihr mich zu 
Entschuldigen.

Tempelherr. Das sollt Ihr auch bei ihr 
Nicht brauchen. Gönnt's ihr doch, daß sie Euch nie 
Mit andern Augen darf betrachten! Spart 
Ihr die Entdeckung doch! Noch habt Ihr ja, 
Ihr ganz allein, mit ihr zu schalten. Gebt 
Sie mir! Ich bitt Euch, Nathan; gebt sie mir! 
Ich bin's allein, der sie zum zweiten Male 
Euch retten kann und will.

Nathan. Ja konnte! konnte! 
Nun auch nicht mehr. Es ist damit zu spät.

Tempelherr. 
Wieso? zu spät?

Nathan. Dank sei dem Patriarchen ...

Tempelherr. 
Dem Patriarchen? Dank? ihm Dank? wofür? 
Dank hätte der bei uns verdienen wollen? 
Wofür? wofür?

Nathan. Daß wir nun wissen, wem 
Sie unverwandt; nun wissen, wessen Händen 
Sie sicher ausgeliefert werden kann.

Tempelherr. 
Das dank' ihm wer für mehr ihm danken wird!

Nathan. 
Aus diesen müßt Ihr sie nun auch erhalten; 
Und nicht aus meinen.

Tempelherr. Arme Recha! Was 
Dir alles zustößt, arme Recha! Was 
Ein Glück für andre Waisen wäre, wird 
Dein Unglück! Nathan! Und wo sind sie, diese 
Verwandte?

Nathan. Wo sie sind?

Tempelherr. Und wer sie sind?

Nathan. 
Besonders hat ein Bruder sich gefunden, 
Bei dem Ihr um sie werben müßt.

Tempelherr. Ein Bruder? 
Was ist er, dieser Bruder? Ein Soldat? 
Ein Geistlicher? Laßt hören, was ich mir 
Versprechen darf.

Nathan. Ich glaube, daß er keines 
Von beiden oder beides ist. Ich kenn 
Ihn noch nicht recht.

Tempelherr. Und sonst?

Nathan. Ein braver Mann 
Bei dem sich Recha gar nicht übel wird 
Befinden.

Tempelherr. Doch ein Christ! Ich weiß zuzeiten 
Auch gar nicht, was ich von Euch denken soll: 
Nehmt mir's nicht ungut, Nathan. Wird sie nicht 
Die Christin spielen müssen, unter Christen? 
Und wird sie, was sie lange g'nug gespielt, 
Nicht endlich werden? Wird den lautern Weizen, 
Den Ihr gesät, das Unkraut endlich nicht 
Ersticken? Und das kümmert Euch so wenig? 
Dem ungeachtet könnt Ihr sagen Ihr? 
Daß sie bei ihrem Bruder sich nicht übel 
Befinden werde?

Nathan. Denk ich! hoff ich! Wenn 
Ihr ja bei ihm was mangeln sollte, hat 
Sie Euch und mich denn nicht noch immer?

Tempelherr. Oh! 
Was wird bei ihm ihr mangeln können! Wird 
Das Brüderchen mit Essen und mit Kleidung, 
Mit Naschwerk und mit Putz, das Schwesterchen 
Nicht reichlich g'nug versorgen? Und was braucht 
Ein Schwesterchen denn mehr? Ei freilich: auch 
Noch einen Mann! Nun, nun, auch den, auch den 
Wird ihr das Brüderchen zu seiner Zeit 
Schon schaffen; wie er immer nur zu finden! 
Der Christlichste der Beste! Nathan, Nathan! 
Welch einen Engel hattet Ihr gebildet, 
Den Euch nun andre so verhunzen werden!

Nathan. 
Hat keine Not! Er wird sich unsrer Liebe 
Noch immer wert genug behaupten.

Tempelherr. Sagt 
Das nicht! Von meiner Liebe sagt das nicht! 
Denn die läßt nichts sich unterschlagen; nichts. 
Es sei auch noch so klein! Auch keinen Namen! 
Doch halt! Argwohnt sie wohl bereits, was mit 
Ihr vorgeht?

Nathan. Möglich; ob ich schon nicht wüßte, 
Woher?

Tempelherr. Auch eben viel; sie soll sie muß 
In beiden Fällen, was ihr Schicksal droht, 
Von mir zuerst erfahren. Mein Gedanke, 
Sie eher wieder nicht zu sehn, zu sprechen, 
Als bis ich sie die Meine nennen dürfe, 
Fällt weg. Ich eile ...

Nathan. Bleibt! wohin?

Tempelherr. Zu ihr! 
Zu sehn, ob diese Mädchenseele Manns genug 
Wohl ist, den einzigen Entschluß zu fassen, 
Der ihrer würdig wäre!

Nathan. Welchen?

Tempelherr. Den: 
Nach Euch und ihrem Bruder weiter nicht 
Zu fragen

Nathan. Und?

Tempelherr. Und mir zu folgen; wenn 
Sie drüber eines Muselmannes Frau 
Auch werden müßte.

Nathan. Bleibt! Ihr trefft sie nicht. 
Sie ist bei Sittah, bei des Sultans Schwester.

Tempelherr. 
Seit wenn? warum?

Nathan. Und wollt Ihr da bei ihnen 
Zugleich den Bruder finden: kommt nur mit.

Tempelherr. 
Den Bruder? welchen? Sittahs oder Rechas?

Nathan. 
Leicht beide. Kommt nur mit! Ich bitt Euch, kommt!

(Er führt ihn fort.)

 

[V,6]

 

Sechster Auftritt                    

(Szene: in Sittahs Harem.)

Sittah und Recha in Unterhaltung begriffen.

Sittah. 
Was freu ich mich nicht deiner, süßes Mädchen! 
Sei so beklemmt nur nicht! so angst! so schüchtern! 
Sei munter! sei gesprächiger! vertrauter!

Recha. 
Prinzessin....

Sittah. Nicht doch! nicht Prinzessin! Nenn 
Mich Sittah, deine Freundin, deine Schwester. 
Nenn mich dein Mütterchen! Ich könnte das 
Ja schier auch sein. So jung! so klug! so fromm! 
Was du nicht alles weißt! nicht alles mußt 
Gelesen haben!

Recha. Ich gelesen? Sittah, 
Du spottest deiner kleinen albern Schwester. 
Ich kann kaum lesen.

Sittah. Kannst kaum, Lügnerin!

Recha. 
Ein wenig meines Vaters Hand! Ich meinte, 
Du sprächst von Büchern.

Sittah. Allerdings! von Büchern.

Recha. 
Nun, Bücher wird mir wahrlich schwer zu lesen!

Sittah. Im Ernst?

Recha. In ganzem Ernst. Mein Vater liebt 
Die kalte Buchgelehrsamkeit, die sich 
Mit toten Zeichen ins Gehirn nur drückt, 
Zu wenig.

Sittah. Ei, was sagst du! Hat indes 
Wohl nicht sehr unrecht! Und so manches, was 
Du weißt ... ?

Recha. Weiß ich allein aus seinem Munde 
Und könnte bei dem meisten dir noch sagen, 
Wie? wo? warum? er mich's gelehrt.

Sittah. So hängt 
Sich freilich alles besser an. So lernt 
Mit eins die ganze Seele.

Recha. Sicher hat 
Auch Sittah wenig oder nichts gelesen!

Sittah. 
Wieso? Ich bin nicht stolz aufs Gegenteil. 
Allein wieso? Dein Grund! Sprich dreist. Dein Grund?

Recha. 
Sie ist so schlecht und recht; so unverkünstelt; 
So ganz sich selbst nur ähnlich ...

Sittah. Nun?

Recha. Das sollen 
Die Bücher uns nur selten lassen! sagt 
Mein Vater.

Sittah. O was ist dein Vater für 
Ein Mann!

Recha. Nicht wahr?

Sittah. Wie nah er immer doch 
Zum Ziele trifft!

Recha. Nicht wahr? Und diesen Vater

Sittah. 
Was ist dir, Liebe?

Recha. Diesen Vater

Sittah. Gott! 
Du weinst?

Recha. Und diesen Vater Ah! es muß 
Heraus! Mein Herz will Luft, will Luft ...

(Wirft sich, von Tränen überwältiget, zu ihren Füßen.)

Sittah. Kind, was 
Geschieht dir? Recha?

Recha. Diesen Vater soll 
Soll ich verlieren!

Sittah. Du? verlieren? ihn? 
Wie das? Sei ruhig! Nimmermehr! Steh auf!

Recha. 
Du sollst vergebens dich zu meiner Freundin, 
Zu meiner Schwester nicht erboten haben!

Sittah. 
Ich bin's ja! bin's! Steh doch nur auf! Ich muß 
Sonst Hilfe rufen.

Recha (die sich ermannt und aufsteht). 
Ah! verzeih! vergib! 
Mein Schmerz hat mich vergessen machen, wer 
Du bist. Vor Sittah gilt kein Winseln, kein 
Verzweifeln. Kalte, ruhige Vernunft 
Will alles über sie allein vermögen. 
Wes Sache diese bei ihr führt, der siegt!

Sittah. 
Nun dann?

Recha. Nein; meine Freundin, meine Schwester 
Gibt das nicht zu! Gibt nimmer zu, daß mir 
Ein andrer Vater aufgedrungen werde!

Sittah. 
Ein andrer Vater? aufgedrungen? dir? 
Wer kann das? kann das auch nur wollen, Liebe?

Recha. 
Wer? Meine gute böse Daja kann 
Das wollen, will das können. ja; du kennst 
Wohl diese gute böse Daja nicht? 
Nun, Gott vergeb' es ihr! belohn' es ihr! 
Sie hat mir so viel Gutes, so viel Böses 
Erwiesen!

Sittah. Böses dir? So muß sie Gutes 
Doch wahrlich wenig haben.

Recha. Doch! recht viel, 
Recht viel!

Sittah. Wer ist sie?

Recha. Eine Christin, die 
In meiner Kindheit mich gepflegt; mich so 
Gepflegt! Du glaubst nicht! Die mir eine Mutter 
So wenig missen lassen! Gott vergelt' 
Es ihr! Die aber mich auch so geängstet! 
Mich so gequält!

Sittah. Und über was? warum? 
Wie?

Recha. Ach! die arme Frau ich sag dir's ja 
Ist eine Christin; muß aus Liebe quälen; 
Ist eine von den Schwärmerinnen, die 
Den allgemeinen, einzig wahren Weg 
Nach Gott zu wissen wähnen!

Sittah. Nun versteh ich!

Recha. 
Und sich gedrungen fühlen, einen jeden, 
Der dieses Wegs verfehlt, darauf zu lenken. 
Kaum können sie auch anders. Denn ist's wahr, 
Daß dieser Weg allein nur richtig führt: 
Wie sollen sie gelassen ihre Freunde 
Auf einem andern wandeln sehn, der ins 
Verderben stürzt, ins ewige Verderben? 
Es müßte möglich sein, denselben Menschen 
Zur selben Zeit zu lieben und zu hassen. 
Auch ist's das nicht, was endlich laute Klagen 
Mich über sie zu führen zwingt. Ihr Seufzen, 
Ihr Warnen, ihr Gebet, ihr Drohen hätt' 
Ich gern noch länger ausgehalten; gern! 
Es brachte mich doch immer auf Gedanken, 
Die gut und nützlich. Und wem schmeichelt's doch 
Im Grunde nicht, sich gar so wert und teuer, 
Von wem's auch sei, gehalten fühlen, daß 
Er den Gedanken nicht ertragen kann, 
Er müss' einmal auf ewig uns entbehren!

Sittah. 
Sehr wahr!

Recha. Allein allein das geht zu weit! 
Dem kann ich nichts entgegensetzen; nicht 
Geduld, nicht Überlegung; nichts!

Sittah. Was? wem?

Recha. 
Was sie mir eben itzt entdeckt will haben.

Sittah. 
Entdeckt? und eben itzt?

Recha. Nur eben itzt! 
Wir nahten, auf dem Weg hierher, uns einem 
Verfallnen Christentempel. Plötzlich stand 
Sie still; schien mit sich selbst zu kämpfen; blickte 
Mit nassen Augen bald gen Himmel, bald 
Auf mich. Komm, sprach sie endlich, laß uns hier 
Durch diesen Tempel in die Richte gehn! 
Sie geht; ich folg ihr, und mein Auge schweift 
Mit Graus die wankenden Ruinen durch. 
Nun steht sie wieder; und ich sehe mich 
An den versunknen Stufen eines morschen 
Altars mit ihr. Wie ward mir? als sie da 
Mit heißen Tränen, mit gerungnen Händen 
Zu meinen Füßen stürzte ...

Sittah. Gutes Kind!

Recha. 
Und bei der Göttlichen, die da wohl sonst 
So manch Gebet erhört, so manches Wunder 
Verrichtet habe, mich beschwor; mit Blicken 
Des wahren Mitleids mich beschwor, mich meiner 
Doch zu erbarmen! Wenigstens, ihr zu 
Vergeben, wenn sie mir entdecken müsse, 
Was ihre Kirch' auf mich für Anspruch habe.

Sittah. 
(Unglückliche! Es ahnte mir!)

Recha. Ich sei 
Aus christlichem Geblüte; sei getauft; 
Sei Nathans Tochter nicht; er nicht mein Vater! 
Gott! Gott! Er nicht mein Vater! Sittah! Sittah! 
Sieh mich aufs neu' zu deinen Füßen ...

Sittah. Recha! 
Nicht doch! steh auf! Mein Bruder kömmt! steh auf!

 

[V,7]

 

Siebenter Auftritt                   

Saladin und die Vorigen.

Saladin. 
Was gibt's hier, Sittah?

Sittah. Sie ist von sich! Gott!

Saladin. 
Wer ist's?

Sittah. Du weißt ja ...

Saladin. Unsers Nathans Tochter? 
Was fehlt ihr?

Sittah. Komm doch zu dir, Kind! Der Sultan ...

Recha (die sich auf den Knien zu Saladins Füßen schleppt, den Kopf zur Erde gesenkt). 
Ich steh nicht auf! nicht eher auf! mag eher 
Des Sultans Antlitz nicht erblicken! eher 
Den Abglanz ewiger Gerechtigkeit 
Und Güte nicht in seinen Augen, nicht 
Auf seiner Stirn bewundern...

Saladin. Steh ... steh auf!

Recha. 
Eh' er mir nicht verspricht...

Saladin. Komm! ich verspreche ... 
Sei was es will!

Recha. Nicht mehr, nicht weniger, 
Als meinen Vater mir zu lassen; und 
Mich ihm! Noch weiß ich nicht, wer sonst mein Vater 
Zu sein verlangt; verlangen kann. Will's auch 
Nicht wissen. Aber macht denn nur das Blut 
Den Vater? nur das Blut?

Saladin (der sie aufhebt). 
Ich merke wohl! 
Wer war so grausam denn, dir selbst dir selbst 
Dergleichen in den Kopf zu setzen? Ist 
Es denn schon völlig ausgemacht? erwiesen?

Recha. 
Muß wohl! Denn Daja will von meiner Amm' 
Es haben.

Saladin. Deiner Amme!

Recha. Die es sterbend 
Ihr zu vertrauen sich verbunden fühlte.

Saladin. 
Gar sterbend! Nicht auch faselnd schon? Und wär's 
Auch wahr! Jawohl: das Blut, das Blut allein 
Macht lange noch den Vater nicht! macht kaum 
Den Vater eines Tieres! gibt zum höchsten 
Das erste Recht, sich diesen Namen zu 
Erwerben! Laß dir doch nicht bange sein! 
Und weißt du was? Sobald der Väter zwei 
Sich um dich streiten: laß sie beide; nimm 
Den dritten! Nimm dann mich zu deinem Vater!

Sittah. 
O tu's! o tu's!

Saladin. Ich will ein guter Vater, 
Recht guter Vater sein! Doch halt! mir fällt 
Noch viel was Bessers bei. Was brauchst du denn 
Der Väter überhaupt? Wenn sie nun sterben? 
Beizeiten sich nach einem umgesehn, 
Der mit uns um die Wette leben will! 
Kennst du noch keinen? ...

Sittah. Mach sie nicht erröten!

Saladin. 
Das hab ich allerdings mir vorgesetzt. 
Erröten macht die Häßlichen so schön: 
Und sollte Schöne nicht noch schöner machen? 
Ich habe deinen Vater Nathan; und 
Noch einen einen noch hierher bestellt. 
Errätst du ihn? Hierher! Du wirst mir doch 
Erlauben, Sittah?

Sittah. Bruder!

Saladin. Daß du ja 
Vor ihm recht sehr errötest, liebes Mädchen!

Recha. 
Vor wem? erröten? ...

Saladin. Kleine Heuchlerin! 
Nun, so erblasse lieber! Wie du willst 
Und kannst!

(Eine Sklavin tritt herein und nahet sich Sittah.)

Sie sind doch etwa nicht schon da?

Sittah (zur Sklavin). 
Gut! laß sie nur herein. Sie sind es, Bruder!

 

[V,8]

 

Letzter Auftritt                    

Nathan und der Tempelherr zu den Vorigen.

Saladin. 
Ah, meine guten lieben Freunde! Dich, 
Dich, Nathan, muß ich nur vor allen Dingen 
Bedeuten, daß du nun, sobald du willst, 
Dein Geld kannst wieder holen lassen!

Nathan. Sultan!

Saladin. 
Nun steh ich auch zu deinen Diensten

Nathan. Sultan!

Saladin. 
Die Karawan' ist da. Ich bin so reich 
Nun wieder, als ich lange nicht gewesen. 
Komm, sag mir, was du brauchst, so recht was Großes 
Zu unternehmen! Denn auch ihr, auch ihr, 
Ihr Handelsleute, könnt des baren Geldes 
Zuviel nie haben!

Nathan. Und warum zuerst 
Von dieser Kleinigkeit? Ich sehe dort 
Ein Aug' in Tränen, das zu trocknen, mir 
Weit angelegner ist. (Geht auf Recha zu.) 
Du hast geweint? 
Was fehlt dir? bist doch meine Tochter noch?

Recha. 
Mein Vater! ...

Nathan. Wir verstehen uns. Genug! 
Sei heiter! Sei gefaßt! Wenn sonst dein Herz 
Nur dein noch ist! Wenn deinem Herzen sonst 
Nur kein Verlust nicht droht! Dein Vater ist 
Dir unverloren!

Recha. Keiner, keiner sonst!

Tempelherr. 
Sonst keiner? Nun! so hab ich mich betrogen. 
Was man nicht zu verlieren fürchtet, hat 
Man zu besitzen nie geglaubt, und nie 
Gewünscht. Recht wohl! recht wohl! Das ändert, Nathan, 
Das ändert alles! Saladin, wir kamen 
Auf dein Geheiß. Allein, ich hatte dich 
Verleitet; itzt bemüh dich nur nicht weiter!

Saladin. 
Wie gach nun wieder, junger Mann! Soll alles 
Dir denn entgegenkommen? Alles dich 
Erraten?

Tempelherr. Nun du hörst ja! siehst ja, Sultan!

Saladin. 
Ei wahrlich! Schlimm genug, daß deiner Sache 
Du nicht gewisser warst!

Tempelherr. So bin ich's nun.

Saladin. 
Wer so auf irgendeine Wohltat trotzt, 
Nimmt sie zurück. Was du gerettet, ist 
Deswegen nicht dein Eigentum. Sonst wär' 
Der Räuber, den sein Geiz ins Feuer jagt, 
So gut ein Held wie du!

(Auf Recha zugehend, um sie dem Tempelherrn zuzuführen.)

      Komm, liebes Mädchen, 
Komm! Nimm's mit ihm nicht so genau. Denn wär' 
Er anders; wär' er minder warm und stolz: 
Er hätt' es bleibenlassen, dich zu retten. 
Du mußt ihm eins fürs andre rechnen. Komm! 
Beschäm ihn! tu, was ihm zu tun geziemte! 
Bekenn ihm deine Liebe! trage dich ihm an! 
Und wenn er dich verschmäht; dir's je vergißt, 
Wie ungleich mehr in diesem Schritte du 
Für ihn getan, als er für dich ... Was hat 
Er denn für dich getan? Ein wenig sich 
Beräuchern lassen! ist was Rechts! so hat 
Er meines Bruders, meines Assad, nichts! 
So trägt er seine Larve, nicht sein Herz. 
Komm, Liebe ...

Sittah. Geh! geh, Liebe, geh! Es ist 
Für deine Dankbarkeit noch immer wenig; 
Noch immer nichts.

Nathan. Halt Saladin! halt Sittah!

Saladin. 
Auch du?

Nathan. Hier hat noch einer mitzusprechen...

Saladin. 
Wer leugnet das? Unstreitig, Nathan, kömmt 
So einem Pflegevater eine Stimme 
Mit zu! Die erste, wenn du willst. Du hörst, 
Ich weiß der Sache ganze Lage.

Nathan. Nicht so ganz! 
Ich rede nicht von mir. Es ist ein andrer; 
Weit, weit ein andrer, den ich, Saladin, 
Doch auch vorher zu hören bitte.

Saladin. Wer?

Nathan. 
Ihr Bruder!

Saladin. Rechas Bruder?

Nathan. Ja!

Recha. Mein Bruder? 
So hab ich einen Bruder?

Tempelherr (aus seiner wilden, stummen Zerstreuung auffahrend). 
Wo? wo ist 
Er, dieser Bruder? Noch nicht hier? Ich sollt' 
Ihn hier ja treffen.

Nathan. Nur Geduld!

Tempelherr (äußerst bitter). Er hat 
Ihr einen Vater aufgebunden: wird 
Er keinen Bruder für sie finden?

Saladin. Das 
Hat noch gefehlt! Christ! ein so niedriger 
Verdacht wär' über Assads Lippen nicht 
Gekommen. Gut! fahr nur so fort!

Nathan. Verzeih 
Ihm! Ich verzeih ihm gern. Wer weiß, was wir 
An seiner Stell', in seinem Alter dächten! 
(Freundschaftlich auf ihn zugehend.) 
Natürlich, Ritter! Argwohn folgt auf Mißtraun! 
Wenn Ihr mich Eures wahren Namens gleich 
Gewürdigt hättet ...

Tempelherr. Wie?

Nathan. Ihr seid kein Stauffen!

Tempelherr. 
Wer bin ich denn?

Nathan. Heißt Curd von Stauffen nicht!

Tempelherr. 
Wie heiß ich denn?

Nathan. Heißt Leu von Filnek.

Tempelherr. Wie?

Nathan. 
Ihr stutzt?

Tempelherr. Mit Recht! Wer sagt das?

Nathan. Ich; der mehr, 
Noch mehr Euch sagen kann. Ich straf indes 
Euch keiner Lüge.

Tempelherr. Nicht?

Nathan. Kann doch wohl sein, 
Daß jener Nam' Euch ebenfalls gebührt.

Tempelherr. 
Das sollt' ich meinen! (Das hieß Gott ihn sprechen!)

Nathan. 
Denn Eure Mutter die war eine Stauffin. 
Ihr Bruder, Euer Ohm, der Euch erzogen, 
Dem Eure Eltern Euch in Deutschland ließen, 
Als, von dem rauhen Himmel dort vertrieben, 
Sie wieder hierzulande kamen: Der 
Hieß Curd von Stauffen; mag an Kindes Statt 
Vielleicht Euch angenommen haben! Seid 
Ihr lange schon mit ihm nun auch herüber- 
Gekommen? Und er lebt doch noch?

Tempelherr. Was soll 
Ich sagen? Nathan! Allerdings! So ist's! 
Er selbst ist tot. Ich kam erst mit der letzten 
Verstärkung unsers Ordens. Aber, aber 
Was hat mit diesem allen Rechas Bruder 
Zu schaffen?

Nathan. Euer Vater ...

Tempelherr. Wie? auch den 
Habt Ihr gekannt? Auch den?

Nathan. Er war mein Freund.

Tempelherr . 
War Euer Freund? Ist's möglich, Nathan! ...

Nathan. Nannte 
Sich Wolf von Filnek; aber war kein Deutscher ...

Tempelherr. 
Ihr wißt auch das?

Nathan. War einer Deutschen nur 
Vermählt; war Eurer Mutter nur nach Deutschland 
Auf kurze Zeit gefolgt ...

Tempelherr. Nicht mehr! Ich bitt 
Euch! Aber Rechas Bruder? Rechas Bruder ...

Nathan. 
Seid Ihr!

Tempelherr. Ich? ich ihr Bruder?

Recha. Er mein Bruder?

Sittah. 
Geschwister!

Saladin. Sie Geschwister!

Recha (will auf ihn zu). Ah! mein Bruder!

Tempelherr (tritt zurück). 
Ihr Bruder!

Recha (hält an, und wendet sich zu Nathan). 
Kann nicht sein! nicht sein! Sein Herz 
Weiß nichts davon! Wir sind Betrüger! Gott!

Saladin (zum Tempelherrn). 
Betrüger? wie? Das denkst du? kannst du denken? 
Betrüger selbst! Denn alles ist erlogen 
An dir: Gesicht und Stimm' und Gang! Nichts dein! 
So eine Schwester nicht erkennen wollen! Geh!

Tempelherr (sich demütig ihm nahend). 
Mißdeut auch du nicht mein Erstaunen, Sultan! 
Verkenn in einem Augenblick', in dem 
Du schwerlich deinen Assad je gesehen, 
Nicht ihn und mich! (Auf Nathan zueilend.) 
Ihr nehmt und gebt mir, Nathan! 
Mit vollen Händen beides! Nein! Ihr gebt 
Mir mehr, als Ihr mir nehmt! unendlich mehr! 
(Recha um den Hals fallend.) 
Ah! meine Schwester! meine Schwester!

Nathan. Blanda 
Von Filnek.

Tempelherr. Blanda? Blanda? Recha nicht? 
Nicht Eure Recha mehr? Gott! Ihr verstoßt 
Sie! gebt ihr ihren Christennamen wieder! 
Verstoßt sie meinetwegen! Nathan! Nathan! 
Warum es sie entgelten lassen? sie!

Nathan. 
Und was? O meine Kinder! meine Kinder! 
Denn meiner Tochter Bruder wär' mein Kind 
Nicht auch, sobald er will? 
(Indem er sich ihren Umarmungen überläßt, tritt Saladin mit unruhigem Erstaunen zu seiner Schwester.)

Saladin. Was sagst du, Schwester?

Sittah. 
Ich bin gerührt ...

Saladin. Und ich, ich schaudere 
Vor einer größern Rührung fast zurück! 
Bereite dich nur drauf, so gut du kannst.

Sittah. 
Wie?

Saladin. Nathan, auf ein Wort! ein Wort!

(Indem Nathan zu ihm tritt, tritt Sittah zu dem Geschwister, ihm ihre Teilnahme zu bezeigen; und Nathan und Saladin sprechen leiser.)

Hör! hör doch, Nathan! Sagtest du vorhin 
Nicht ?

Nathan. Was?

Saladin. Aus Deutschland sei ihr Vater nicht 
Gewesen; ein geborner Deutscher nicht. 
Was war er denn? Wo war er sonst denn her?

Nathan. 
Das hat er selbst mir nie vertrauen wollen. 
Aus seinem Munde weiß ich nichts davon.

Saladin. 
Und war auch sonst kein Frank? kein Abendländer?

Nathan. 
Oh! daß er der nicht sei, gestand er wohl. 
Er sprach am liebsten Persisch ...

Saladin. Persisch? Persisch? 
Was will ich mehr? Er ist's! Er war es!

Nathan. Wer?

Saladin. 
Mein Bruder! ganz gewiß! Mein Assad! ganz 
Gewiß!

Nathan. Nun, wenn du selbst darauf verfällst: 
Nimm die Versichrung hier in diesem Buche!

(Ihm das Brevier überreichend.)

Saladin (es begierig aufschlagend). 
Ah! seine Hand! Auch die erkenn ich wieder!

Nathan. 
Noch wissen sie von nichts! Noch steht's bei dir 
Allein, was sie davon erfahren sollen!

Saladin (indes er darin geblättert). 
Ich meines Bruders Kinder nicht erkennen? 
Ich meine Neffen meine Kinder nicht? 
Sie nicht erkennen? ich? Sie dir wohl lassen? 
(Wieder laut.) 
Sie sind's! Sie sind es, Sittah, sind's! Sie sind's! 
Sind beide meines ... deines Bruders Kinder! 
(Er rennt in ihre Umarmungen.)

Sittah (ihm folgend). 
Was hör ich! Konnt's auch anders, anders sein!

Saladin (zum Tempelherrn). 
Nun mußt du doch wohl, Trotzkopf, mußt mich lieben! 
(Zu Recha.) 
Nun bin ich doch, wozu ich mich erbot? 
Magst wollen, oder nicht!

Sittah. Ich auch! ich auch!

Saladin (zum Tempelherrn zurück). 
Mein Sohn! mein Assad! meines Assads Sohn!

Tempelherr. 
Ich deines Bluts! So waren jene Träume, 
Womit man meine Kindheit wiegte, doch 
Doch mehr als Träume! 
(Ihm zu Füßen fallend.)

Saladin (ihn aufhebend). 
Seht den Bösewicht! 
Er wusste was davon, und konnte mich 
Zu seinem Mörder machen wollen! Wart!

(Unter stummer Wiederholung allseitiger Umarmungen fällt der Vorhang.)

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Gert Egle, zuletzt bearbeitet am: 05.05.2021

 
 

 
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