Im "6. Gesichte" (das
sechste Traumgesicht) (1. Auf. 1640) erzählt die Hauptfigur in ▪
Johann Michael
Moscheroschs (1601-1669) ▪
Philander von Sittewald
von seinem Besuch in der Hölle.
"Darauf ging ich fort durch ein enges, finsteres Gäßchen nach
einem großen ummauerten Platz, da ich hörte, daß mich einer mit
Namen rief. Doch ich kehrte um mit solchem Schrecken, daß mir der
kalte Schweiß ausbrach, denn ich wurde eines Menschen gewahr, der
war übel zugerichtet und geberdete sich elendiglich sowohl wegen des
dicken Gestanks, als wegen der greifbaren Flammen, die ihn umgaben.
"Ihr, Herr, höret ihr nicht! rief der Armselige; kennet ihr mich
nicht, Philander? Ich bin Ocus Bocus, der Buchdrucker, der die
Druckerei gehabt hat, die ihr wohl kennt!" – Ist das möglich? sagte
ich. "Ja freilich, antwortete er, ich bin es selbst." Wer sollte das
gedacht haben! Der elende Tropf meinte, ich sollte mich mehr
verwundert und und bekümmert haben als ich that. Aber ich wunderte
mich viel mehr ernstlich über die große wahrhaftige Gerechtigkeit
Gottes, der ja einem jeden Unbußfertigen den verübten Frevel zu
rechter Zeit nicht unvergolten läßt. So auch diesem, dessen Buch-
oder Kramladen ein rechtes Hurenhaus von Büchern war, wo Zucht und
Ehrbarkeit verhöhnt und verlästert wurden; der alle garstigen,
zotigen Lumpenbücher und Schriften gedruckt und verlegt hatte; durch
dessen unergründliche Geldsucht allein die heutige einfältige,
unbedachtsame Jugend so manche Scharteken der Fastnachtspredigten,
Gartengesellschaft, Rollwagen, Amadis, Schäfereien und anderer mit
äußerstem Aergernis liest. Er aber sprach: "Was hilft's? Das ist der
Buchhändler und Drucker Lohn; denn wir werden verdammt nicht nur
unserer eigenen sondern auch anderer Leute böser Werke willen,
insonderheit aber vieler, die aus dem Griechischen, Lateinischen und
Welschen in unsere Muttersprache übersetzt worden sind; so daß
heutiges Tages ein Lakai oder Stallknecht eher den Virgilius, des
Ovidius de arte amandi, Romane u. s. w. in der Hand hat, als ein
Paradiesgärtlein, Habermann, Rosengärtlein oder ein anderes
herrliches Gebetbuch." Der Elende hätte immer so fort geplaudert,
wenn nicht ein Teufel, der das Geschwätz zu hören müde wurde, ihm
den Athem mit einem flammenden, rauchenden Käse gestopft hätte,
dessen stinkender Geruch mich forttrieb; und ich dachte bei mir:
Behüte Gott! wird man also tractirt um fremder Leute böser Werke
willen, wie wird es dann denen ergehen, die solche losen Bücher und
Schriften selbst machen und an den Tag kommen lassen. – Ich hörte
ein Rufen: es ist eine große Fähigkeit in den Büchern sowohl zu
Gutem als zu Bösem; zu Gutem, indem oft einer durch ein tugendhaftes
Büchlein tugendhaft, durch ein züchtiges züchtig, durch ein
gottseliges gottselig, durch ein heiliges heilig wird; dagegen aber
auch durch ein schandbares schandbar, durch ein unkeusches unkeusch,
durch ein gottloses gottlos, durch ein heidnisches heidnisch, durch
ein teuflisches teuflisch und an Leib und Seele verdorben wird.
Durch Büchsen ist manch
Herz getroffen,
Durch Schifffahrt sind
viel Leut' ersoffen.
Durch Bücher viel' zur
Höll' geloffen.
Beim Hinweggehen zupfte mich ein anderer am Arm, daß ich über die
Maßen erschrak. Mein Gott! was für Schrecken und Noth ist da an
allen Orten! Ich fragte, wer er wäre? "Helft mir, helft mir, ich
ersticke! sprach er, so daß ich meinte, er hing an einem Strange,
ich würde dann den Dieb aus Mitleiden abgeschnitten haben. "Nein,
nein, sprach er; ich hänge nicht und doch muß ich ersticken, denn
ich fühle inwendig meine Schmerzen." Was ist dir denn? fragte ich;
hast du etwa zu gierig gegessen? "O weh, nein! nicht gierig
gegessen, sondern gedruckt. Ich bin auch ein Buchdrucker und im
Drucken so vortheilsüchtig und gierig gewesen, daß ich mir nicht
habe genügen lassen an denjenigen Schriften und Büchern, die man mir
in das Haus gebracht hat, sondern ich habe auch des Vortheils willen
andere Bücher zum Schaden und Nachtheil ihrer Verleger nachgedruckt.
Sobald ich gesehen, daß irgend ein Werk gut abging, so habe ich
dasselbe in ein anderes Format gebracht, oder mit anderer Schrift,
oder verändert, verketzert und vermehrt zu höchster Beschimpfung des
Buchschreibers aufgelegt, um den Gewinn mir zuzuziehen. Dabei aber
habe ich nicht bedacht, ob Gott oder der Christenheit damit gedient
wäre, sondern einzig und allein, wie ich mir damit Reichthum sammeln
könnte. O helft mir, ich ersticke!" Was Teufels hast du denn im
Hals? fragte ich. "Einen Nachdruckteufel, einen Buchteufel, ein
feuriges Buch, das ich unlängst einem ehrlichen Manne zum Verdruß
und Schaden nachgedruckt habe; deswegen habe ich die christliche
Liebe außer Acht gelassen und bin des Gewinnes willen des Teufels
geworden." – Daß dir's dann der Teufel segne!sagte ich darauf. Warum
hast du dir nicht an dem genügen lassen, was dein ist? Hast du denn
nicht Gottes Gebot vor dir gehabt ›du sollst nicht stehlen‹? "O
wehe! rief er; sprecht nur nicht von Stehlen, sonst komme ich ganz
von Sinnen, ich habe es zuvor gewußt! O daß der Geiz verdammt wäre,
der mich zu solcher Thorheit gereizt hat! Verflucht sei die Stunde,
in der ich solchen Frevel begangen habe! Ach mein Freund, nimm mir
nur das Geld aus den Augen, das Gold, das ich durch dieses
Nachdrucken gewonnen! Wenn mir dieses aus Gesicht und Gedanken wäre,
so möchte ich vielleicht Linderung der Schmerzen fühlen." Wo hast du
es denn? fragte ich. "Da, da, da!" sprach er und wies mir mit dem
Finger ein Gewölbe, wo etliche Kisten voll standen. Ich nahm eine
Hand voll heraus um zu sehen, was es für Münze wäre. Aber es zerrann
mir unter den Händen und verschwand in der Luft. Als der unselige
Kerl sah, daß sein vermeintlich gesammelter Reichthum nicht besser
gedeihen sollte, fuhr er in die Höhe, als ob er bersten wollte,
stellte sich wie ein Hund oder eine Katze, denen ein Knochen quer in
den Hals gekommen ist, und trieb es mit den lächerlichen,
possierlichen Sprüngen eine gute Weile, bis er wie todt zu Boden
fiel, und ihm die helle Flamme in Form von griechischen Buchstaben
zum Halse hinausfuhr. – Dies Gesicht giebt mir Ursach, alle
ehrliebenden Drucker zu vermahnen, daß sie sich ja, außer was zu
unzweifelhafter Beförderung der Ehre Gottes und des Nächsten
vonnöthen und erlaubt ist, ernstlich enthalten nachzudrucken, damit
sie an dergleichen Büchern dermaleinst nicht, wie dieser Armselige,
am feurigen Galgen ersticken oder dasjenige wieder ausspeien müssen,
was sie zuvor sich und den Ihrigen zu ewigem Fluch und Untergang
gewonnen haben. Denn ›das ist der Wille Gottes, daß niemand zu weit
greife noch vervortheile seinen Bruder im Handel; denn der Herr ist
der Rächer über das Alles.‹"
Wunderliche und warhafftige Gesichte Philanders von Sittewald,
das ist Straff-Schrifften Hanß-Michael Moscherosch von Wilstädt. In
welchen Aller Weltwesen, Aller Mänschen Händel . als in einem
Spiegel dargestellet und gesehen werden. Von Ihme zum letztern mahl
auffgelegt, vermehret, gebessert, mit Bildnussen gezieret, und . in
Truck gegeben. 2 Tle. in 1 Band. Straßburg, J. Ph. Mülbe u. J.
Städel 1650. 8°. 23 Bll., 709 S., 12 Bll.; 7 Bll., 931 (recte 911)
S., mit 2 gest. Titeln, 7 (st. 8) Kupfertafeln, 2
Poträt-Kupfertafeln, 1 (ganzs.) Textkupfer u. 25 (1 ganzs.)
Textholzschnitten, Prgt. d. Zt., in der sprachlich erneuerten
Fassung von Karl Müller 1883
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
31.12.2024