Im "6. Gesichte" (das
sechste Traumgesicht) (1. Aufl. 1640) erzählt die Hauptfigur in ▪
Johann Michael
Moscheroschs (1601-1669) ▪
Philander von Sittewald
von seinem Besuch in der Hölle.
"Unfern davon sah ich
ein verschlossenes Zimmer; und als ich nahe kam, sprach einer zu
mir: "Hier wirst du sehen die Art und Weise vorwitziger,
leichtsinniger und hoffärtiger Weiber." Und ich sah einen Haufen
Weiber, die im Gesicht aussahen, als hätten sie sich schröpfen,
picken oder hacken lassen: denn an allen Stellen, die sie gern
wollten beschaut haben, waren sie mit schwarzen, kleinen
Pflästerchen und mit runden, langen, breiten, schmalen, spitzen
Mücklein, Flöhen und andern possirlichen zum Anblick dringenden, zum
Zugriff zwingenden Mannsfallen beklebt. Einige schabten sich das
Angesicht mit einem Glas; andere
rupften sich mit Pech die langen
Augenbrauen aus; andere, welche keine Augenbrauen hatten, malten
solche mit etwas Schwärze an; andere behängten sich mit falschem
Haar und wollten die Leute damit überreden, daß sie schön gelbes
Haar hätten und jung wären; andere ließen sich Zähne von Elfenbein
einsetzen, um ihre schwarzen, häßlichen, stinkenden Zähne los zu
werden; andere kauten Zimmetrinden, Nägelein oder Zucker von Verdun
um ihren giftigen Athem zu vertreiben; andere gingen auf ellenhohen
Schuhen, damit sie groß scheinen, weit um sich sehen und desto
tiefer fallen möchten;
andere besahen sich im Spiegel hinten und
vorn, und wenn sie ihre Ungestalt merkten, gaben sie dem Spiegel die
Schuld, schalten deswegen auf die Stadt und Herren von Venedig,
welche nicht mehr so schönes Glas machten wie vor zwanzig oder
dreißig Jahren; andere bedeckten ihre Gesichter mit einem Krepp, Zindel Taffet oder Flor, damit man meinen sollte, ein schöner Unflat
stecke dahinter; andere, damit sie
ihre Schandflecken und kupferrothen Habichtsgesichter
zieren möchten,
schämten sich nicht,
mit weiblichen unreinen Tüchern sich alle Morgen zu reiben, zu
wischen und zu waschen: – und so tausenderlei lose Stückchen mehr,
welche alle doch den Wust und Unflat nicht verbergen konnten.
Ich
vermochte auch vor Gestank nicht mehr zu bleiben und sprach zu mir
selbst: Ist es wohl immer möglich, daß das
weibliche Herz so
arglistig und vortheilsüchtig sein soll, seine Verdammnis auf so
viel tausenderlei Wege auch noch in der Verdammnis zu suchen, zu
vermehren und größer zu machen? Denn meines Erachtens hätten die
Teufel selbst nicht losere Stücke erdenken können. [...]"
Wunderliche und warhafftige Gesichte Philanders von Sittewald,
das ist Straff-Schrifften Hanß-Michael Moscherosch von Wilstädt. In
welchen Aller Weltwesen, Aller Mänschen Händel . als in einem
Spiegel dargestellet und gesehen werden. Von Ihme zum letztern mahl
auffgelegt, vermehret, gebessert, mit Bildnussen gezieret, und . in
Truck gegeben. 2 Tle. in 1 Band. Straßburg, J. Ph. Mülbe u. J.
Städel 1650. 8°. 23 Bll., 709 S., 12 Bll.; 7 Bll., 931 (recte 911)
S., mit 2 gest. Titeln, 7 (st. 8) Kupfertafeln, 2
Poträt-Kupfertafeln, 1 (ganzs.) Textkupfer u. 25 (1 ganzs.)
Textholzschnitten, Prgt. d. Zt., in der sprachlich erneuerten
Fassung von Karl Müller 1883
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
31.12.2024