Im "6. Gesichte" (das
sechste Traumgesicht) (1. Aufl. 1640) erzählt die Hauptfigur in ▪
Johann Michael
Moscheroschs (1601-1669) ▪
Philander von Sittewald
von seinem Besuch in der Hölle.
"Hoho! sprach ich, da
giebt es wahrlich Poeten in der Nähe! was ich leicht an den frisch
gebackenen Reimen erkannte. Ich hatte auch kaum das Wort gesagt, da
sah ich einen großen Pferch, in welchem viel tausend Poeten saßen;
sie wurden aber in der Hölle nicht anders als wie Phantasten, Esel
und Narren behandelt. Als ich sie nun genau beschaute, kam einer auf
mich zu und mit dem Finger auf ein nahes Frauenzimmerquartier
zeigend, sprach er: "Was däucht euch? ist's nicht wahr, die Weiber
sind nicht ganze Gehilfinnen des Mannes, sondern nur halbe, weil sie
nicht allezeit um den Mann sind? Ein Theil des Theils! denn die
halbe Zeit, nämlich die Nacht, bringen sie mit Schlafen zu. Noch ein
kleiner Theil des Theils! denn auch am hellen Tag helfen sie zwar
die Männer ausziehen, aber nimmermehr wird man sehen, daß sie
dieselben gern helfen anziehen. Daher ist es unumstößig wahr, daß
die Weiber nur halbe Gehilfinnen des Mannes sind." Wenn ich der
überspitzfindigen, tiefgesuchten Weisheit dieses Poeten länger hätte
Gehör geben wollen, ich glaube sicherlich, er würde tausend
Theilchen nacheinander hergezählt haben. Aber wie? sprach ich: könnt
ihr dergleichen spitze, unnütze, kahle Gedanken und Fragen auch noch
in der Hölle nicht vergessen? Ist euch die Narrheit noch nicht
ausgeschwitzt? Ihr müßt wahrlich auf Erden ein fauler Kunde und ein
lächerlicher Naseweis gewesen sein, weil ihr die Schnacken und
Grillen auch bis hierher behalten habt.
Dieser ging von mir,
und ein anderer, ein Schreibtäfelchen in der Hand, ein
glänzend-schmutziges Käppchen auf dem Kopf, kam auf mich zu und
redete mich ohne weitere Grimassen also an:
Wenn ihr denn mich
wollt fragen rath,
So wollt' ich es euch sagen drat
Und nichts verhehl'n zu dieser Frist;
Das schwör' ich euch ohn' arge List:
Denn ich es all's erfahren han,
Als ich durch die ganz' Welt that gahn.
Von morgen- bis gen abendwärts
Bin ich bekannt ohn' allen Scherz,
Und ist kein' Stadt fast in der Welt,
In der ich nicht war, wie gemeld't.
Auch in der großen Stadt Constant-
Tinoppel, die allen ist bekannt u. s. w. –
Ei so noppele, daß du
deine Ehre vernoppelst, du elender Tropf! daß ich dich ja nicht
länger höre, nopple dich fort und höre auf! sprach ich: denn wenn
ich ohne Strafe und Gefahr in der Hölle lachen könnte, so müßte ich
mir dieser närrischen Verse wegen einen Buckel lachen. Pfui Teufel!
wie kannst du so närrisch sein! du machst allen Poeten einen bösen
Rauch. Wenn das Ding auf Erden geschähe, man würde meinen, es könnte
keiner ein Poet sein, er wäre denn zugleich ein Narr, und es würde
sich einer bald schämen müssen, daß er etwas dichten und reimen
gelernt habe! Meinst du, daß es genug sei, Narren-Reime machen und
die Zeilen mit einem Holz abmessen? O elender Tropf, es gehört ein
anderer Verstand und Kopf zur Poeterei; solche Narren, wie du einer
bist, gehören nicht unter die Zahl der Poeten: rechte Poeten haben
herrlichere Einfälle und bessere Reime, als du sie kannst machen! –
"Ja, ja, sprach ein anderer, der eiserne Fesseln anhatte und viel
härter gestraft wurde wie der vorige: ich hoffte bei der Poeterei
eine bessere Krone verdient zu haben, der ich in derselben
herrlichere Thaten gethan als dieser Reimklotz da; aber – o daß der,
welcher die Poeterei, das Versemachen, Reimen und Grillisiren zu
Anfang erdacht hat, hier an diesem Orte sitzen und höllische Reime
schwitzen möchte!" Du elender Tropf, antwortete ich diesem: das
Versemachen und Reimen an sich selbst ist an deiner Verdammnis nicht
schuld; wenn du solche Gaben nicht zu loser Eitelkeit und
Leichtfertigkeit mißbrauchst, sondern sie zur Ehre und zum Lobe
Gottes, wie viele heilige Männer, verwendet hättest, du wärest
dieser Strafe wohl entronnen. Aber deinesgleichen verführerischen
Schreibern soll es billig so ergehen."
Ich hatte ihn
anfangs, weil er Lateinisch zu mir redete, für Martial, Petronius,
Catullus oder für einen ihresgleichen kitzelgierigen Franzosen
gehalten: aber jetzt fing er an, in deutscher Sprache ein trauriges
Klagegedicht vorzutragen, so daß ich unschwer daraus urtheilen
konnte, er müsse ein geborner Deutscher sein, die zum Theil solche
losen Narretheien, wie auch andere greuliche Laster und Untugenden
den welschen Völkern ablernen. Diese Klage lautete also:
Die Vers', die ich
heuer gedichtet,
Haben mich zum Tod gerichtet;
Meine Reime ohne Zahl,
Die ich oft hätt' sollen meiden.
Bringen mich in diese Qual,
Die ich in der Höll' muß leiden.
Also sich die Narren
quälen,
Daß darf keine Silbe fehlen:
Drum zu reimen auf ein' Schnur,
Hab' dem Leser zu Gefallen
Ich gesagt: die wär' ein' Hur' –
So doch war die frömmst' von allen.
Oftmals stiegen mir
die Grillen
Einen Reim recht auszufüllen,
Welcher ausging auf ein Helm:
Sich zu schicken in das Lesen
Sprach ich: jener war ein Schelm, –
Der doch Biedermann gewesen.
Als ich von dem Meer
that fragen,
Wie sich da die Winde jagen,
Und nichts reimen konnt auf Sud:
Nur den Wohlklang zu erzwingen
Sagt' ich: ein Christ wär' ein Jud',
Und ein Esel könnte singen.
Was ich wollt'
zusammenflicken,
Das mußt' sich in Reime schicken,
Es wär' gleich Katz' oder Hund,
Tod und Leben, Hoffnung, Zweifel,
Himmel, Höll', ja Engel, Teufel.
Dem Patrone zum
Belieben
Hab' ich oftmals das geschrieben.
Welches doch erlogen war,
Hab' gelobt, was war zu schelten;
Jetzt muß ich's ohn' Zeit und Jahr
Ewig in der Höll' entgelten.
Nehmt Exempel ihr
Poeten!
Seht in welch grausamen Nöthen
Wir hier sitzen in der Glut!
Cerberus indessen brummet.
Denn wir haben einen Muth,
Der von Lucifer herkommet.
Wie könnte doch
närrischere Thorheit und thorheitlichere Narrheit erfunden werden
als diese: die Hölle verdienen durch Versemachen und doch in der
Hölle selbst noch nicht aufhören zu reimen? Man kann wohl sagen, es
muß der Rest der Poeterei tief in deine Seele gefressen haben, weil
das höllische Feuer denselben nicht kann ablösen. Ich halte es für
eine von den unnützesten Arbeiten, einen Versemacher klüger machen
zu wollen: [...]
"Es ist eine recht
phantastische Begeisterung in den Poeten, sprach ein Teufel: denn
während andere ihre Sünden bejammern und Mord darüber schreien, da
singen, sagen und erzählen die Poeten die ihrigen an allen Orten,
als ob sie es recht gut getroffen hätten; treiben Hurerei im Sinn
(wie arme Juden den Wucher) mit irgend einer Clorinda, Lesbia,
Thalia, Rosamunda, Florinda, Cassandra, Flora, Laura und führen sie
in ihren Versen und Liedern auf goldenen Wagen und Kutschen daher,
als ob sie Fürstinnen oder Göttinnen wären; wissen die goldenen
Haare, die kristallene Stirn, die sternfunkelnden Augen, die
Perl-Zähne, den Korallen-Mund, die zuckersüßen Worte nicht genugsam
zu beschreiben, wie der thörichte Maler Aubelin, während doch
bisweilen alle diese Herrlichkeiten eine stinkende, kahle Vieh- oder
Küchenmagd kaum entwerfen können, und sie mit all diesem
eingebildeten Reichthum und dieser Pracht nicht ein Pfund Brot zu
bezahlen wissen oder einen Schuhflecken dafür aufsetzen lassen
können. Außerdem ist es unmöglich, daß man eines Poeten Heimat,
Glauben und Religion recht erfahren kann: sie nennen sich zwar
heutiges Tages alle Christen, aber sie haben irrige, verketzerte
Seelen. Ihre Gedanken sind arabisch und schwärmen in den dortigen
einsamen Wüsten herum wie eine Mücke in einer Trommel. Ihre
Schriften, Worte und Gebete sind ohne Maß und Zahl – denn sie zahlen
nicht leicht und sind des Borgens besser gewohnt.
Doch weil ich an
einem poetischen Fieber vorzeiten auch etwas krank gelegen war und
in Furcht stand, es möchte [...]"
Wunderliche und warhafftige Gesichte Philanders von Sittewald,
das ist Straff-Schrifften Hanß-Michael Moscherosch von Wilstädt. In
welchen Aller Weltwesen, Aller Mänschen Händel . als in einem
Spiegel dargestellet und gesehen werden. Von Ihme zum letztern mahl
auffgelegt, vermehret, gebessert, mit Bildnussen gezieret, und . in
Truck gegeben. 2 Tle. in 1 Band. Straßburg, J. Ph. Mülbe u. J.
Städel 1650. 8°. 23 Bll., 709 S., 12 Bll.; 7 Bll., 931 (recte 911)
S., mit 2 gest. Titeln, 7 (st. 8) Kupfertafeln, 2
Poträt-Kupfertafeln, 1 (ganzs.) Textkupfer u. 25 (1 ganzs.)
Textholzschnitten, Prgt. d. Zt., in der sprachlich erneuerten
Fassung von Karl Müller 1883
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
31.12.2024