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Aspekte der Erzähltextanalyse: Josef Reding, Im Schwenkkreis des Krans

Worte wie Dolche - Alltagsrassismus auf dem Bau und anderswo

Interpretation

 
FAChbereich Deutsch
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Bausteine

Worte wie Dolche - Alltagsrassismus auf dem Bau und anderswo
Gert Egle (2020)

"(Es) gibt Worte, die wie Dolche zustechen", lässt der Erzähler von Josef Redings Kurzgeschichte "Im Schwenkkreis des Krans" seine Hauptfigur, den auf einer Baustelle arbeitenden Italiener, wenngleich nur in Gedanken äußern und bringt damit in dem Vergleich die ganze erzählte Geschichte auf den Punkt.

Es geht um verbale Gewalt, welcher der als Bauarbeiter tätige Protagonist tagtäglich über sich ergehen lassen muss, ausgeübt von allen anderen, die mit ihm zusammen einen Flugzeughangar errichten sollen. Und zugleich geht es um mehr: Es geht um den ganz alltäglichen Rassismus. Thematisiert wird dabei soziale Praktiken, den der oft verschleiernde, aber dafür eher geläufige Begriff der Ausländerfeindlichkeit nicht wirklich beschreibt, denn worum es geht, "diskriminiert Menschen wegen bestimmter genetisch und/oder kulturell bedingter Merkmale und Eigenarten aus der Position der Macht heraus." (Jäger 2002, S.8)

In seiner 1968 in seinem Buch "»Zwischen den Schranken" erschienenen Kurzgeschichte hat Josef Reding, der in seinen Geschichten immer wieder zeigt, welche "sozialen Konditionen (...) das Verhalten der Menschen bestimmen und deformieren" (Durzak 1980, S.271) den Alltagsrassismus auf einer Baustelle gestaltet, als sich in der ersten ökonomischen Krise der bundesrepublikanischen Wirtschaft erste Risse in der vordergründigen "Willkommenskultur" gegenüber den vordem so dringend benötigten "Gastarbeitern", vor allem aus dem Süden Europas und der Türkei zeigten. Noch jedenfalls war "»Ausländerfeindlichkeit«" noch nicht zu jener "Volksbewegung geworden" (Jäger 2002, S.8), wie man es wohl seit den 1990er Jahren beobachtet hat. Das rassistisches Denken knapp 23 Jahre nach dem Ende des Nationalsozialismus in Deutschland noch immer nicht überwunden war, ist eine Tatsache. Die Auswirkungen solchen Denkens und entsprechender Einstellungen zeigten sich bis heute im »Syndrom gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit (GMF), in dem Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus, Sexismus und andere diskriminierenden sozialen Praktiken zusammenwirken. Und wenn heute gilt, "dass die überwältigende Mehrheit aller Deutschen mehr oder minder stark in rassistische Diskurse verstrickt ist" (ebd.), dann ist und bleibt Redings Geschichte auch weiterhin topaktuell. Zeigt sie doch, wie scheinbar harmlos rassistische Diskriminierungen aus Sicht derer, die sie verwenden, daherkommen, wenn neben sprachlichen Herabsetzungen auch das Betonen der Andersartigkeit von Aussehen, Kultur, Religion, Mentalität und Normen als rassistisch motivierte verbale Gewalt in Form von ▪ Stammtischparolen und populistischen Phrasen im öffentlichen gesellschaftlichen Diskurs hoffähig gemacht werden und nach und nach immer mehr Akzeptanz finden.

Könnte man die Figuren in der Kurzgeschichte von Josef Reding befragen, ob sie ausländerfeindlich oder gar rassistisch eingestellt wären, würden sie wahrscheinlich antworten, was bis heute die meisten tun: Eine solche Verstricktheit in rassistisches Denken würden sie wohl von sich weisen, so wie sich auch heute meist nur exponierte Rechtspopulisten und Wähler und Sympathisanten rechtsextremer Parteien zu solchen Einstellungen offen bekennen. Wer sich rassistisch äußert, muss aber nicht am rechten Rand stehen, denn Alltagsrassismus gibt es auch mitten in unserer Gesellschaft.

"(Es) gibt Worte, die wie Dolche zustechen", das ist die Perspektive eines Opfers alltagsrassistischer Diskriminierung, der von dem, was er täglich sprachlich bzw. in der sprachlichen Kommunikation mit anderen einstecken muss, als tiefe Verletzung erfährt.

Rocco, ein Italiener aus Sizilien, arbeitet auf einer Baustelle irgendwo in Deutschland, mit anderen am Bau eines Flugzeughangars. Es ist zwei Tage vor Weihnachten und draußen auf der Baustelle herrscht große Kälte, die den Atem der Arbeiter gefrieren lässt. Als Roccos Hand, weil der Fäustling, den er gegen die Kälte trägt, hochgerutscht ist, an einem metallenen Objekt festklebt und er offenbar einen Moment nicht weiterarbeiten kann, wird er sofort von dem Kranführer Lüpsen aufgefordert, schneller zu arbeiten. Sein Ruf, der von oben aus der Krankanzel Rocco unten erreicht, ist auch sprachlich "von oben" herab formuliert. Ein Befehl mit tadelndem Unterton quasi an den als "Itaker" abgewerteten Rocco, den er nie mit Namen anspricht, "mal'n bisschen" schneller die Stahlträger an den Trossen zu verankern, an denen sie dann hochgezogen werden, um im Rohbau des Flugzeughangars verankert werden zu können. Rocco reißt daraufhin seine festgeklebte Hand vom Metall los, an dem seine Haut hängenbleibt und der Handballen in der Folge zu bluten beginnt. Eine gewiss sehr schmerzhafte Aktion, die und deren Folgen er aber nicht spürt. Wie eine kurze in narratorialer Perspektive Aussage es ausdrückt: "Der größere Schmerz hatte den kleineren geschmückt."

Was ihn wirklich schmerzt, das wird in Innensicht, in der der Erzähler die Gefühle Roccos wiedergibt, formuliert, ist die Anrede als "Itaker", die Rocco innerlich tief verletzt, geradezu "verätzt", jedenfalls weitaus mehr als der abgerissene Hautfetzen an der Hand. Äußerlich aber lässt er sich nichts anmerken, sondern arbeitet weiter. Sein Blick folgt den Stahlträgern, die an ihren Trossen "fast zärtlich" emporgehoben werden, um dann ihren Platz im "Skelett" des Rohbaus zu finden, indem schon Teile des "rotem Fleisch" gleichenden Mauerwerks zu sehen sind. Der Vergleich mit dem roten Fleisch schafft verdeutlicht dabei die figurale Wahrnehmungsperspektive Roccos, aus der das Geschehen beschrieben wird, greift er doch auf, was er an seiner verletzten, blutenden Hand zu sehen bekommen hat.

Spurlos ist die diskriminierende Anrede als Itaker durch Lüpsen, die er wahrscheinlich schon seit er auf der Baustelle arbeitet, über sich hat ergehen lassen, aber nicht an Rocco vorbeigegangen. Was ihn ihm vorgeht, kann er aber nicht vorbringen. Vielleicht traut er sich nicht, vielleicht ist es aber auch in dieser Situation, in der Lüpsen und er sich doch in einiger Distanz zueinander befinden, auch noch keine gute Gelegenheit. So versucht er, mimisch-gestisch auf sich aufmerksam zu machen, indem er Lüpsen ohne jede Aggressivität, nur "traurig", aber "starr ins Gesicht" sieht. Offenbar hofft er, dass ihn Lüpsen darauf anspricht.

Als dieser es nach einiger Zeit bemerkt, kommen Rocco und der Kranführer in einer von diesem angesetzten fünfzehnminütigen Zigarettenpause ins Gespräch, das Lüpsen aber erneut mit seiner Itaker-Anrede beginnt. Er will zwar wissen, ob Rocco Sorgen habe, als dieser dies bejaht, nimmt er dies aber nicht als Anlass, ihn ernsthaft weiter danach zu fragen, sondern schiebt eigentlich eine die möglichen Sorgen von vornherein herunterspielende Bemerkung als Frage hinterher, die im Kern wieder auf eine die Andersartigkeit der Kultur betonende Herabsetzung hinausläuft. So wird der von ihm vielleicht witzig gemeinte Hinweis, dass Rocco wohl die (deutschen) Kartoffeln schwer im Magen liegen, zur Fortsetzung seiner alltagsrassistischen Sprache, die dem als Italiener wohl Teigwaren bevorzugenden Kollegen zu schaffen machen könnten. Hinter dem Spiel mit der Kartoffelunverträglichkeit, lugt, ob ausgesprochen oder nicht, für einen Leser, der das konnotieren kann, das Schimpfwort von den "Spaghettifressern" hervor, mit dem die Italiener gern herabsetzend bezeichnet weden. Rocco nimmt trotz seiner inneren Traurigkeit darüber die Zigarette an, die ihm Lüpsen anbietet. Als sie erneut darauf zu sprechen kommen, setzt Rocco an, Lüpsen mitzuteilen, dass ihm die die herabsetzende Bezeichnung "Itaker" zu schaffen macht. Bevor er allerdings seinen Satz zu Ende sprechen kann, wird das Gespräch vom Zuruf des Bauführers unterbrochen, der Lüpsen befiehlt, sofort weiterzuarbeiten, weil er und Rocco den Monteuren zuletzt die falschen Träger geliefert hätten. So findet das Gespräch und der Versuch Roccos, Lüpsen darauf hinzuweisen, wie sehr er sich von ihm ständig diskriminiert sieht. Rocco ist offenbar enttäuscht darüber, dass Lüpsen nicht das geringste Einfühlungsvermögen zeigt und an ihm alles, was er ihm zu verstehen versucht hatte, wie an einer Elefantenhaut abprallt. Er findet aber auch nicht die Kraft, dies Lüpsen ins Gesicht zu sagen.

So klettert Lüpsen wieder die Leiter zu seiner Krankanzel hinauf, muss sich dabei noch einmal vom Bauführer, den wohl auch Rocco für einen Antreiber hält, sagen lassen, er solle sich beeilen. Zugleich sieht Rocco aber auch, dass Lüpsen, der sich ihm gegenüber ja immer aufspielt, dem Bauführer gegenüber ohne Widerworte einfach klein bei gibt. Dann bemerkt Rocco, wie Lüpsen auf der Leiter "mit fahlem Gesicht" plötzlich zu schwanken beginnt und aufgrund eines Schwächeanfalls aus etwa fünf bis sechs Metern ("aus dreifacher Mannshöhe") herabzustürzen droht. Sofort ist, wie der narratoriale Erzähler an dieser Stelle ausführt, Rocco zur Stelle und kann den herunterfallenden Kranführer gerade noch rechtzeitig auffangen. Rocco kommt unter dem Kranführer zu liegen, hat sich aber bei der Rettungsaktion offenbar selbst an der Schulter verletzt. Zunächst ist er offensichtlich vom Aufprall auf dem Boden nicht weniger benommen, wie Lüpsen, der auf ihm liegt, dabei stöhnt und mit den Armen herumrudert.

Was und wie er wahrnimmt, was um ihn herum passiert, ein Beispiel für die figurale perzeptive Perspektive aus Sicht Roccos, vermittelt den Eindruck, als sei während der Zeit seiner Benommenheit, die Zeit quasi stehengeblieben oder aber zumindest so zerdehnt, dass er am Boden nur den Stummel seiner kurz zuvor ausgespuckten Zigarette und ihre ruhig emporsteigenden graugelben Rauchfäden wahrnimmt und am Ende sogar "fast enttäuscht", aber auch wieder klarer sieht, wie etliche Monteure und der Bauführer die beiden am Boden Liegenden umringen.

Doch während sie Lüpsen wieder helfen aufzustehen, ihn stützen und abklopfen, sich alles intensiv um ihn kümmern, spielt das, was Rocco getan hat und wie es ihm nach dem Aufprall auf dem Boden geht, für die Umstehenden keine Rolle. Lapidar hält der Erzähler fest, dass "auch" Rocco aufgeholfen wurde, der sich selbst aber auch nicht äußert. So ergreift Lüpsen, sobald er wieder einigermaßen klar sieht, das Wort, beschreibt, was ihm widerfahren ist ("Mir ist der Film gerissen") und spielt die Ursache für seinen Schwächeanfall herunter. Nicht die Tatsache, dass er sich kurz zuvor noch darüber aufgeregt hatte, wie der Bauführer in herumkommandiert und zur Arbeit angetrieben hat, sondern die Zigarette auf den nüchternen Magen muss dafür herhalten, was ihm passiert ist. Immerhin weiß er, wem er unter Umständen sogar sein Leben zu verdanken hat, als er sich Rocco zuwendet und ihm ausdrücklich dafür dankt. Dass sein Dank durch die erneute Ansprache Roccos als Itaker aber für diesen geradezu entwertet ist, erkennt er nicht. Dieser unterbricht Lüpsen, der anhebt, zu sagen, wie er ihm seine Rettungstat vergelten will, und schlägt in die Hand ein, die ihm Lüpsen als gestischen Ausdruck seines Dankes reicht.

Für einen Moment, so scheint es, bleibt ihm ein kleines Zeitfenster, indem wieder zeitdehnend in einem inneren Monolog Roccos, erzählt wird, was ihm in diesem Moment durch den Kopf geht. Was er denkt, zeigt, wie innerlich aufgewühlt und aufgebracht er darüber ist, dass Lüpsen, selbst jetzt nicht zu einer Sprache findet, die auf rassistische Diskriminierung verzichtet. Seine Traurigkeit, die ihn noch ein paar Minuten zuvor deshalb ergriffen, ihn aber keineswegs aggressiv hatte werden lassen, ist einer, wenngleich nur in Gedanken durchgespielten Gewaltbereitschaft gewichen, mit der er die nächste direkt ausgesprochene Diskriminierung durch Lüpsen beantworten will. Seine Vorahnung, Lüpsen könne ihn in einer gönnerhaften Geste vor allen Umstehenden zum Dank an Weihnachten zu sich nach Hause einladen und diese Einladung, wie immer an den "Itaker" adressieren, lässt ihn im Wut aufsteigen, noch ehe die Einladung, so wie er es geahnt hat, von Lüpsen tatsächlich so ausgesprochen wird. Rocco stellt Lüpsen aber nur in Gedanken zur Rede und seine (rhetorische) Frage an diesen, ob er "gemein" oder (bloß) "dumm" sei, bleibt dementsprechend unausgesprochen und ungehört.

Was dann passiert, wird aus der Perspektive der Zuschauer, der "schweigenden Mehrheit" erzählt. Die umstehenden Monteure können nicht verstehen, weshalb Rocco Lüpsen mit der Faust ins Gesicht schlägt, als er die Weihnachtseinladung an den "Itaker" ausgesprochen hat. Zwei kurze Fragen, als kollektive erlebte Rede der Monteure gestaltet, bringen das zum Ausdruck. Aber auch Lüpsen selbst scheint die Welt nicht zu verstehen, schimpft auf den "Itaker", der offenbar "wahnsinnig" geworden sei, und schreit ihm, der Richtung Baubaracke geht, noch eine Beleidigung hinterher ("du blöder Hund"), weil dieser das "Weihnachtsgeschenk", das er ihm machen wollte, auf diese Weise ausgeschlagen habe.

Rocco hat indessen aber eine Entscheidung gefällt. Er reagiert auf den Zuruf nicht, kommentiert oder rechtfertigt damit auch nicht mit Worten, was er gerade getan hat, sondern packt in der warmen Bretterbude seine Arbeitssachen zusammen, um die Baustelle, offenkundig für immer, zu verlassen. Dabei symbolisiert die Wärme, die der "bullernde Kanonenofen" im Innern der Baubaracke verbreitet, auch die Veränderung, die damit in Rocco selbst vorgegangen ist. In der Kälte draußen ist auch unter der anhaltenden rassistischen Diskriminierung seine Selbstachtung eingefroren, dort hat er sich selbst kaum mehr gespürt, selbst die Verletzung seiner Hand bereitete ihm keine Schmerzen mehr. Draußen auf der Baustelle herrscht die seelische Kälte, die die alltagsrassistischen sozialen Praktiken der anderen fördert und auch deren Selbstwahrnehmung einfriert. Mit dem Schmerz seiner verletzten Hand, die Rocco in der Baubaracke  "endlich" spürt, hat er selbst eine Entscheidung gefällt, sich weiterer rassistischer Diskriminierung (auf dieser Baustelle und überall) nicht mehr auszusetzen. Das "Endlich", mit dem die Kurzgeschichte endet, ist zugleich ein Verweis auf die Zukunft, der aber vage und offen bleibt, weil nicht sichtbar wird, wie, außer dass die Opfer, in diesem Fall Rocco, im System des Alltagsrassismus nicht mehr mitspielen.

Von den Figuren, die in der Kurzgeschichte vorkommen, macht allein Rocco eine Entwicklung durch: Während er zunächst, mehr oder weniger passiv, die rassistischen Diskriminierungen durch Lüpsen hinnimmt, hat er diese Einstellung am Ende überwunden. Alle anderen, Lüpsen, der Bauführer und die Monteure bleiben in ihre alltagsrassistischen Vorstellungen verstrickt, ohne dass ihnen dies in irgendeiner Weise bewusst zu sein scheint.

Der Erzähler thematisiert nicht, wie Rocco sein Leben in der Fremde sieht, sondern zeigt letztendlich nur, wie die anderen ihn sehen. Als Opfer alltagsrassistischer Diskriminierung hat er ein feines Gespür dafür entwickelt, mit welchen sozialen Praktiken dies sichtbar wird. Er weiß, dass hinter jedem noch so freundlich daherkommenden Versuch Lüpsens, italienisch zu sprechen ("avanti", "prego") die gleiche Herausstellung der Andersartigkeit des Italieners steht, die auch mit seinen so scherzhaft vorgebrachten Bemerkungen über die vermeintliche "Karoffelunverträglichkeit" Roccos verbunden sind. Und auch die Tatsache, dass keiner der Umstehenden nach dem Unfall Worte findet, Roccos großartige Rettungstat anzuerkennen, geschweige denn, sich um ihn überhaupt zu kümmern, führt ihm in ganz harmlos daherkommenden Handlungen vor Augen, dass er in diesem sozialen Umfeld stets ein Mensch zweiter Klasse bleiben wird.

Die offenbar von allen geteilte Bezeichnung "Itaker", eine »ethnophaulistische Abwertung für Italiener, setzt den alltagsrassistischen sozialen Praktiken eigentlich nur die Krone auf. Solche pejorativen Ausdrücke gibt es in vielen Sprachen und auch die Deutschen werden z. B. im englischen Sprachraum oft als »Krauts, »Huns, bezeichnet. Und auch mit dem Begriff der Kartoffel verbindet sich eine auch bei italienischen Migranten seit den 1960er Jahren quasi als Retourkutsche gegen das deutsche Schimpfwort  des italienischen "Spaghettifressers" durchaus gebräuchliche ethnophaulistische Herabsetzung als "Kartoffelfresser".  Und ab den 2000er Jahren findet der "Kartoffelfresser" auch als Schimpfwort Eingang in die migrantisch geprägte Jugendsprache, und als Spiel mit der Bezeichnung taucht der Begriff auch in ironischer Brechung zur Fremd- und Selbstbezeichnung sogar im deutschsprachigen Hip-Hop auf. (vgl. »Wikipedia)

Im Falle Roccos hat die ethnophaulistische Abwertung allerdings System. Die Bezeichnung "Itaker" ist, auch wenn die Kurzgeschichte nur den überschaubaren sozialen Raum im Schwenkkreis des Krans auf der Baustelle des Flugzeughangars gestaltet, eines der "Worte, die wie Dolche zustechen", wenn sie ein System der Andersartigkeit und im »Syndrom gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit (GMF) etablieren sollen und von den Betroffenen als solches erfahren werden. Dass die Opfer der rassistischen Diskriminierung dabei, ähnlich wie Rocco, aus wirtschaftlichen oder sonstigen Gründen, kaum Möglichkeiten haben, sich dagegen zu wehren, ist Rocco nicht vorzuhalten, der in der sozialen Hierarchie der Baustelle als Hilfsarbeiter, der den Kran bestückt" ganz unten steht und um sich herum Menschen erlebt, die es ja alle, ihrem eigenen Selbstverständnis nach, gut mit dem Ausländer meinen.

Sie alle, Lüpsen, der Bauführer und die Monteure sind in alltagsrassistisches Denken und Handeln sicher mehr verstrickt als ihnen selbst bewusst ist, jedenfalls gibt der Text keine Hinweise darauf, dass ihr sprachliches und soziales Handeln eine irgendeine Ideologie rechten Zuschnitts gebunden ist. Sie sind Akteure in einem sozialen System des Alltagsrassismus, der mitten in der Gesellschaft zu finden ist. Dabei spielt es eigentlich keine Rolle, ob es um die liebgewordenen "Mohrenköpfe", den "Nickneger" früher in den Kirchen, oder um ethnophaulistische Abwertungen geht. Auch vermeintlich harmlose Fragen an "Nichtweiße" in Deutschland, woher sie den "ursprünglich stammen" oder gar Bemerkungen wie "dafür sprechen Sie aber sehr gut Deutsch" sind für den- oder diejenige, die sie immer wieder hören müssen, oft "Worte, die wie Dolche zustechen", weil sie auf ihre Andersartigkeit abheben.

Gert Egle, zuletzt bearbeitet am: 19.10.2020

 
 

 
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