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Mit zahlreichen Reflexionen und Kommentaren nimmt der Ich-Erzähler
Michael Berg in
Bernhard
Schlinks Roman »Der
Vorleser« zum eigenen Fühlen, Denken und Handeln Stellung. Dabei
kreisen seine Überlegungen sehr oft um Vorstellungen eigener Schuld, die er
sich individuell aufgeladen hat oder die im als Angehöriger seiner
Generation aus der NS-Vergangenheit aufgebürdet erscheint. Beides,
persönlich verantwortete und zugeteilte Schuld, fügen sich zu einem Ganzen,
das den Ich-Erzähler letzten Endes daran scheitern lässt, seine
Schuldgefühle wirklich zu verlieren und den Zustand der Betäubung endgültig
zu überwinden. Das
erzählende Ich hat dabei durchaus eine Vorstellung von diesem Zustand,
als es äußert: "Wie sollte es ein Trost sein, dass mein Leiden an meiner
Liebe zu Hanna in gewisser Weise das Schicksal meiner Generation, das
deutsche Schicksal war, dem ich mich nur schlechter entziehen, das ich nur
schlechter überspielen konnte als die anderen." (S.163)
Michaels Schuld basiert auf Schuldgefühlen wegen seines Verrats an
Hanna und auf seinem Schuldbewusstsein und seiner Scham über
die NS-Verbrechen in der jüngeren Vergangenheit, für die er aber als
Nachgeborener keine konkrete Schuld zu tragen hat. Die Schuld des
Ich-Erzählers ist ein Schuldsyndrom, aus dem es nach Ansicht des
Erzählers kein Entkommen gibt, denn auch seine Entdeckung der wahren Motive
für Hannas wortlosen Abschied am Ende der Liebesaffäre, die ihn eigentlich
vom Selbstvorwurf des "Verrats" an ihr entlasten könnte, bleibt wirkungslos.
"Allerdings änderte der Umstand, dass ich sie nicht vertrieben hatte, nichts
daran, dass ich sie verraten hatte, Also blieb ich schuldig. Und wenn ich
nicht schuldig war, weil der Verrat einer Verbrecherin nicht schuldig machen
kann, war ich schuldig, weil ich eine Verbrecherin geliebt hatte." (S.131)
Der Ich-Erzähler gibt dem Leser indes kaum weitere Anhaltspunkte, woher
es kommt, dass er sich in jedem Fall einer Schuld bezichtigt. Vielleicht
lässt sich dies zum Teil durch den Syndromcharakter seiner Schuldgefühle und
seines Schuldbewusstseins erklären. Zum anderen können, wie
Juliane Köster (2000, S. 66) zeigt, aus dem Text drei
Begründungszusammenhänge entwickelt werden.
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Der Ich-Erzähler solidarisiert sich in einem Identifikationsvorgang
mit Hanna auf der Grundlage und als Konsequenz seiner Liebe zu ihr.
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Der Ich-Erzähler verbleibt in der inferioren Komplementärposition,
indem er sich weiter unterwirft und wie gewohnt klein beigibt.
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Der Ich-Erzähler kompensiert damit die fehlende Einsicht Hannas in
ihre Schuld. "In diesem Fall wäre das Beharren auf seiner Schuld Resultat
der Abgrenzung von Hanna und Ausdruck des Wunsches ihr etwas vorzuhaben."
(Köster
2000, S.67)
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