Die
Mutter Friederich
Schillers, Elisabetha Dorothea (13.12.1732 - 29.4.1802) wird als
Tochter des Gastwirts Georg Friedrich Kodweiß (1698 - 1771)
und seiner Frau Anna Maria, geb. Munz
(1698 - 1773), in dem kleinen Städtchen
Marbach am Neckar geboren.
Die Großmutter mütterlicherseits von Friedrich Schiller ist eine
Bauerntochter vom Röhracher Hof in Rietenau. Der Vater Dorotheas, so
der Rufname der Mutter Friedrich Schillers, entstammt einer angesehenen
Familie, die in früheren Zeiten auch schon mal das Bürgermeisteramt
(Schultheißenamt) in der Stadt innegehabt hat. Georg Friedrich Kodweiß hat
es als Wirt des "Goldenen Löwen" in Marbach, den er 1723 erwirbt, zu Ansehen
und einem gewissen Wohlstand gebracht. Wie sein eigener Vater hat auch er
das Bäckerhandwerk erlernt.
Dorotheas Kindheit und Jugend - im Alter von 16 Jahren heiratet sie schon
Johann Caspar
Schiller - ist gewiss geprägt von ihrer Mitarbeit im Gasthof, so
dass für eine schulische Bildung, für Mädchen ohnehin noch nicht üblich,
wenig Zeit bleibt. Die seit 1392 in Marbach existierende Lateinschule, auf
die das heutige
Friedrich-Schiller-Gymnasium
zurückgeht, hat sie jedenfalls nicht besucht, ob sie an einem
Elementarschulunterricht teilgenommen hat, kann nicht gesagt werden.
Wahrscheinlich verdankt sie ihre Bildung wohl nur häuslicher Erziehung und
u. U. den Katechismusstunden eines Pfarrers, so dass sie auch ein Leben lang
mit der Rechtschreibung auf dem Kriegsfuß steht (vgl.
Alt Bd. I, 2004, S.61).
Dorothea kann jedenfalls
lesen, was zu dieser Zeit
noch keine allgemeine Fähigkeit ist. Man geht davon aus, dass um 1770 gerade
mal 15% und 1800 erst ca. 25% aller über sechs Jahre alten Deutschen lesen
kann. (vgl.
Schenda 1970, S.444) Dabei
vollzieht sich schon seit der Jahrhundertwende ein sozialer Wandel in der
Zusammensetzung der lesekundigen Personen. Sind es vordem meist nur die
Geistlichen, Fürsten und Beamte, die lesen können, so zählen um 1750 herum
schon viele Angehörige des Großbürgertums, eine größere Anzahl von
Dienstboten, zahlreiche Handwerker und sogar Großbauern zu dem weiter
wachsenden Kreis von Personen, die mehr oder minder gut lesen können. (vgl.
Schenda 1981, S.20) Im Laufe
des 18. Jahrhunderts, so nimmt man weiter an, geht die Zahl der Analphabeten
von schätzungsweise 80-90% auf ungefähr 50% zurück, "doch darf die Kenntnis
des Alphabets nicht gleichgesetzt werden mit der Fähigkeit, umfangreichere
literarische Texte zu lesen." (Barner
u. a. 1987, S.77) Dennoch: Das
Lesen zieht weitere Kreise,
zumal das aufklärerische Interesse von Bildungsreformen und Fürsten
dahingehend konvergiert, dass Lesen als wichtige Kulturtechnik gilt. Dass
die Landbevölkerung in diesen Prozess einbezogen wird, ist den
Erfordernissen des sich entwickelnden modernen Staates geschuldet, der auch
von diesen Untertanen einfordert, die in Anschlägen und Bekanntmachungen
kundgetanen amtlichen Veröffentlichungen über Gewerberecht und andere
Gesetze oder auch die Einberufung von Soldaten lesend zur Kenntnis zu
nehmen. Die zweckgerichtete Lektüre, ein anderes Lesen ist zunächst nicht
gemeint, steht auch bei den bildungshungrigen Bürgern hoch im Kurs, die den
Wert des Lesens für die Sozialisation des einzelnen nach und nach erkennen.
Die dabei entstehende
Lesesozialisation, von der,
über diese Schicht hinaus, freilich noch lange nicht die Rede sein kann,
folgt einem "Zeitgeist [...], welcher Bildung, Ansammlung von Wissen und die
Annahme von neuen Erkenntnissen propagierte und dem Lesen so die Funktion
und Aufgabe praktischer Lebenshilfe zuwies." (Limmroth-Kranz
1997) In einer moralischen Wochenschrift von 1758 werden diese
Aufgaben des Lesens in einer Art programmatischen Plädoyer niedergelegt.
"Die Seele", heißt es dort, "verschönert sich, und wird durch keine
unangenehme Empfindung an ihre neue Verwandlung erinnert; das Gedächtnis
bereichert sich ohne Mühe; man lernt denken und reden; der Geschmack wird
immer richtiger; und man erstaunt, Einsicht und Witz zu besitzen, ohne
studiert zu haben. Die Sitten werden immer feiner, und der Umgang
lehrreicher, heiterer, angenehmer. Alle diese Vorteile hat man gewiss zu
erwarten, wenn man mit einem noch unverderbten Geschmacke und einem nicht
ganz verfinsterten Verstande, in den Stunden, welche von den Geschäften,
oder den gewählten Zeitvertreiben und Vergnügungen unbesetzt sind, mit
nützlichen und vortrefflichen Schriften bekannt wird".(zit. n.
ebd.) Seit dem Beginn des 18. Jahrhunderts nimmt vor allem die Verbreitung
religiöser Literatur deutlich zu. In den deutschsprachigen Gebieten, in
denen pietistische Strömungen verbreitet sind, erfährt das Lesen zugleich
eine besonders große Aufwertung. Die beobachtbare Lesebegeisterung der
Pietisten kommt aber nicht so sehr aus der lutherischen Bibelorientierung,
die einige, meist geistliche Anhänger dieses Glaubens seit der
Reformationszeit zum Lesen bringt, sondern aus der Kultivierung der
Bibellektüre und dem Singen von Kirchenliedern in mehr oder weniger privatem
Kreis während der so genannten Erbauungsstunden, bei denen die Bibel sowie
geistliche Gesangs- und Andachtsbücher zur Seelenbildung genutzt werden.
Gerade auch die als familiäres Ritual gepflegten Erbauungsstunden führen
deshalb auch dazu, dass die wenigen Bücher, die man zu Hause vorhält, immer
wieder gelesen und vorgelesen werden und so manche Texte auch über
Generationen hinweg kaum an Autorität verlieren. So kommt es durchaus vor,
dass ein einziges Buch Lesestoff für ein ganzes Leben bietet.( vgl.
ebd.) Man liest
einzelne Abschnitte oder Kapitel nur zu bestimmten Tageszeiten oder an
bestimmten Tagen des Kirchenjahres wie z.B. im Advent, in der Fastenzeit
oder an Ostern. Erst im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts, als der
Buchmarkt expandiert und die Lesestoffe sich um die Sparte Unterhaltung
erweitern, tritt "an die Stelle der wiederholten, gründlichen Lektüre [...]
die raschere, damit oft oberflächliche Rezeption größerer Textmassen". (Alt Bd. I, 2004,
S.78) Diese Entwicklung vom "intensiven (ein und dieselbe Lektüre ständig
wiederholenden) Lesen" hin zum "extensiven (rasch neue Lektüre
verbrauchenden) Lesen ist bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts weitgehend
abgeschlossen. (vgl.
Engelsing 1970, Sp.958, vgl.
Limmroth-Kranz 1997) (vgl.
auch:
Lesehaltungen,
Lesetechniken)
Dorothea und
ihre Lesestoffe
Dorothea kommt auf diese Weise mit den in ihrer
Zeit dominierenden religiösen Lesestoffen in Berührung, darunter
sicher zahlreiche Kirchenlieder, die besonders populär sind. Mit ihren
Favoriten, den Kirchenliedern
Paul Gerhardts (1607 - 1666)
und den
Oden von
Christian Fürchtegott Gellert (1715-1769) macht sie auch ihren
Sohn Friedrich in jüngstem Alter vertraut.
Heirat mit
Johann Caspar Schiller 1749
1749, im Geburtsjahr von
Johann Wolfgang von Goethe, wird
Dorothea mit
Johann Caspar
Schiller verheiratet, der sich nach
seinen Jahren als
Feldscher seit März 1749 in Marbach niedergelassen hat.
Die Hochzeit der
16jährigen katholischen Gastwirtstochter mit dem neun Jahre älteren,
lutherisch-protestantischen Mann findet am 22.07.1749 statt. Bald danach
tritt Dorothea zum protestantischen Glauben über, was in einer überwiegend
protestantisch geprägten Region keine größeren Probleme bereitet. "Dorle",
wie sie von Johann Caspar Schiller genannt wird, wirkt im Vergleich zu dem welterfahrenen Johann Caspar natürlich provinziell, zumal sie in ihrem Leben
wohl kaum über Marbach hinausgekommen ist.
Das Städtchen zählt nach seiner Zerstörung durch die Franzosen
und die verheerende
Feuersbrunst 1693 nur noch
wenige hundert Einwohner (vgl.
Öllers 2005, S.33).*
Für kurze Zeit
ist Dorothea zum Zeitpunkt ihrer Hochzeit eine
Partie, um die den Neubürger Schiller in Marbach gewiss einige beneiden.
Allerdings ist auch Caspar Schiller mit den
Ersparnissen, die er aus seiner
Militärzeit mitbringt, ein durchaus wohlsituierter Mann. (vgl.
Alt Bd. I, 2004, S. 61)
Schon bald nach der Hochzeit stellt sich
allerdings heraus, dass sein Schwiegervater, der
neben der Gastwirtschaft noch als Inspektor des herzöglichen Floßbauwesens
tätig ist, in so großen finanziellen Schwierigkeiten steckt, dass sein
Ruin kaum aufzuhalten ist. Georg Friedrich Kodweiß, dessen "kaufmännisches
Geschick [...] begrenzt" ist, hat den Ruf in finanziellen Fragen nachgiebig
und inkonsequent zu sein. (Alt Bd. I, 2004, S. 61) Nun hat er sich mit seinen Holzgeschäften so
verspekuliert, dass er von seinen Gläubigern in den finanziellen Ruin
getrieben wird. 1752 ist die persönliche und familiäre Katastrophe da. Mit
seinem ganzen Privatvermögen muss er für sein kaufmännisches Missgeschick
haften, verliert alles und auch der "Goldene Löwe“ kommt unter den Hammer.
Auch
Johann Caspars Hilfe kann das nicht verhindern. Er hatte nämlich, um
dem Schwiegervater finanziell unter die Arme zu greifen, einen Anteil am
"Goldenen Löwen" erworben. Nun besteht allerdings Gefahr, dass die Gläubiger
ihre Ansprüche auch aus seinen Anteilen befriedigen. Gerade noch
rechtzeitig, vor dem Zugriff der Gläubiger, kann er seinen Anteil
weiterveräußern und damit einen Teil seines aus dem Militärdienst nach
Marbach mitgebrachten Vermögens retten. (vgl.
Alt Bd. I, 2004, S. 64)
Man
kann sich unschwer vorstellen, wie die Gefahr, diese Ersparnisse zu
verlieren, Johann Caspar belastet haben mag, der ja gerade erst begonnen
hat, sich in der Stadt bürgerliche Existenz zu schaffen. Diese Zukunftsplanungen sind schnell dahin, als Johann Caspar, "der Aufsteiger", feststellen muss, dass
er in eine Familie hineingeheiratet hat, die sich, gegen alle Erwartungen bei
der Eheschließung, anschickt, sozial deklassiert zu werden. (vgl.
Safranski 2004, S.20)
Der Ruin des
Vaters von Dorothea und die Auswirkungen auf ihre Ehe
Wie sich das auf die junge Ehe von Dorothea mit Johann Caspar ausgewirkt haben
mag, lässt sich ebenfalls nur mutmaßen, da Dorothea auch mit ihren
später erwachsenen Kindern kaum über solche Dinge redet oder sonst irgendwie
schriftliches Zeugnis davon abgelegt hat.
Erst sehr viel später, 1796, als Johann Caspar vor seinem Tod daniederliegt,
beklagt sich Mutter Dorothea in einem Brief vom April bei ihrem Sohn
Friedrich über den Ehemann und hält ihm vor, dass er sich stets
nur um sein eigenes Wohlergehen kümmere; ja, "eine Magd", schreibt
sie, "würde ihm alles versehen, was eine Frau tun könnte." (zit. n .
Safranski 2004, S.25)
Vielleicht fühlt sich Johann Caspar von seinem Schwiegervater sogar hinters
Licht geführt. Jedenfalls zieht er aus der ganzen Angelegenheit seine ganz
persönlichen Konsequenzen. In Marbach jedenfalls sieht er unter diesen
Umständen keine Zukunft mehr. Um weiteren Problemen aus dem Weg zu gehen,
tritt er im Januar 1753 wieder in den Militärdienst ein, von dem er weiß,
dass er ihn die meiste Zeit von Ehefrau, Kindern und Schwiegereltern in
Marbach fernhalten wird. Für seine Frau Dorothea beginnt damit eine schwierige Zeit, die sie
allein oder mit der bescheidenen Hilfe ihrer Eltern bewältigen muss. Bis
1756 wohnt sie noch im "Goldenen Löwen", danach drei Jahre in der
Nachbarschaft des Goldenen Löwen, im Beck-Schmid'schen Haus, ab 1759 zur Miete im Erdgeschoss des Hauses
eines Ledergebers namens
Ulrich Schölkopf. Ihre Eltern fristen ihr
ärmliches Dasein von den spärlichen Einkünften, die ihr Vater, gnadenhalber
zum Stadttorwächter in Marbach ernannt, nach Hause bringt. Vom "Goldenen
Löwen" in die kleine Wohnung in dem Häuschen neben dem Stadttor (vgl.
Safranski 2004, S.20), das
und alles andere ist für Georg Friedrich Kodweiß zuviel. Er stirbt als gebrochener Mann im Jahre 1771, seine Frau zwei Jahre
später.
Geburt des
ersten Kindes Christophine 1757
In Marbach bringt Dorothea am
4. September 1757, etwa acht Jahre nach der
Eheschließung, im
Beck-Schmid'schen Haus ihr erstes Kind, Friedrich Schillers ältere
Schwester, Christophine, eigentlich Elisabeth
Christophine Friederike, zur Welt.
Ihr Mann steht zu diesem Zeitpunkt im
Krieg in Schlesien, an seine Abwesenheit muss sich die junge Mutter
gewöhnen. Wenn ihr Mann, sofern es die Kriegsereignisse erlauben, mit seinem
Regiment in Württemberg weilt, reist sie ihm hinterher und nimmt irgendwo in
der Nähe der jeweiligen Militärlager Quartier. Dazwischen lebt sie immer
wieder in Marbach, wo sie sich neben ihrem Kind stets auch um ihre eigenen
Eltern kümmert (vgl.
Öllers 2005, S.36).
Die
gedrückte Stimmung, die sie im Elternhaus vorfindet, ist indessen alles
andere als aufbauend für die junge Mutter, deren soziale Absicherung als
Ehefrau eines Soldaten und eines zum Bettler gewordenen Vaters eben auch
nicht besonders rosig aussieht.
Die Geburt des
zweiten Kindes Friedrich 1759
Im
Herbst 1759 erwartet Dorothea, sie ist mittlerweile 26 Jahre alt ihre nächste Niederkunft. Als die ersten Wehen
einsetzen, ist sie gerade zu Besuch im Militärlager ihres Mannes in der Nähe
von Ludwigsburg. Schleunigst wird sie, Johann Caspar kann sie aus
militärischen Gründen nicht begleiten, nach Marbach zurückgebracht und
entbindet in der Erdgeschosswohnung des Schölkopf'schen Hauses am
10. November 1759 ihr zweites Kind.
Einen
Tag später wird der Knabe auf den Namen
Johann Christoph
Friedrich getauft. Friedrich, so der Rufname, bleibt der einzige
Sohn von Johann Caspar und Dorothea Schiller, die aber noch insgesamt fünf
Töchter haben. Drei von ihnen sterben aber früh, zwei davon sind Opfer der
hohen
Kindersterblichkeit der Zeit. Tochter
Maria Charlotte (geb. 20.11.1768)
stirbt mit fünf Jahren , Tochter Beata Friederike (geb. 4.5.1773) schon als 7
Monate alter Säugling. Ihre jüngste
Tochter Nanette (eigentl.
Karoline Christiane, geb. 8.9.1777) bringt Dorothea im Alter von 44 Jahren
zur Welt, Johann Caspar ist zu diesem Zeitpunkt schon 53 Jahre alt. Das
"Nesthäkchen" Nanette stirbt allerdings 18-jährig am 23. März 1796, wenige Monate vor dem Tod ihres Vaters (7.9.1796).
Eheleben
während des Kriegsdienstes von Johann Caspar
Die desaströsen Kampfhandlungen der württembergischen Truppen im Verlauf des »Siebenjährigen
Krieges (1756-63), an denen
Johann Caspars Regiment seit Sommer 1757 teilnimmt, bringen es mit sich,
dass die württembergischen Regimenter hin und wieder auf heimatlichen Boden
zurückgeführt werden.
So kommt Johann Caspar im Frühjahr 1758 für kurze Zeit
wieder in heimatliche Gefilde, muss aber noch im Sommer des gleichen Jahres
und im
Herbst des darauf folgenden Jahres und im Sommer 1760 noch einmal, in
Sachsen und Thüringen, in die Kampfhandlungen, wenngleich
ohne Erfolge, eingreifen.
Während dieser Zeit bekommen Dorothea und ihre
Kinder Johann Caspar nur selten zu Gesicht. Wenn Johann Caspar, der sich
sich binnen kurzer Zeit wieder zum Regimentsmedicus
(ab 1761 im Range eines Hauptmanns) hochgearbeitet hat, in der Nähe
stationiert ist, lässt er seine Frau mit den Kindern in der Umgebung des
Militärlagers Quartier nehmen. Wohin es die Truppe ihres Mannes, "nach einem
kaum durchdachten Marschplan" (Alt Bd. I, 2004,
S.68), auch immer hinführt, stets wandert sie mit ihrer Tochter Christophine
und dem neugeborenen Friedrich hinterher und richtet sich in der Nähe des
jeweiligen Militärlagers provisorisch ein, sei es 1760 in Würzburg, 1761 in
Urach und Cannstatt oder 1762 in Ludwigsburg.
Es müssen z. T. Unterkünfte
mit miserablen hygienischen Bedingungen gewesen sein, zudem eng und muffig,
jedenfalls nicht so, wie es sich die ehemals aus gutsituierten Verhältnissen
stammende Gastwirtstochter gewünscht haben mag. Es ist eine rundum
"missliche Lebenssituation, die Ruhe und Intimität nie aufkommen lässt" (ebd.),
die die junge
Frau mit ihren Kindern aushalten und, meistens auf sich allein
gestellt, bewältigen muss. Auch wenn sie ihr Schicksal mit anderen Soldatenfrauen teilt, mindert dies nicht die Leistung, die die junge Frau in
dieser Zeit für die Familie mit ihrem abwesenden Vater erbringt.
Wie sich
die weitgehend "vaterlose Zeit" (Aufenanger
2006, S.14), die bis zum Ende des "Wanderlebens" im Dezember 1763
anhält, auf die psychische und psychosoziale Entwicklung der Kinder
ausgewirkt hat, lässt sich im einzelnen natürlich kaum ermitteln.
Immerhin
führt Friedrich Schillers ältere Schwester Christophine, die häufigen
Fieberschübe und Krampfanfälle ihres jüngeren Bruders auf die äußeren
Umstände dieses Lebens zurück. (vgl.
Alt Bd. I, 2004, S.68) Auch
wenn diese Frage vom heutigen Standpunkt aus kaum mehr geklärt werden kann,
spricht
einiges für den von der Schwester
behaupteten Zusammenhang. Jedenfalls lernen die ersten beiden
Kinder in ihren ersten Lebensjahren so richtig nur die Mutter, und damit die
weibliche Seite ihrer Familie kennen. Vielleicht prägt Dorothea damit auch
ihren Sohn Friedrich in seiner frühen Kindheit so, dass er eine große
"Neigung sowohl zur Mutter als auch zur älteren Schwester" ausbildet, die
auch später "die Wahl der Frauen, die er in sein Leben lassen will,"
bestimmen wird. (Aufenanger
2006, S.15) Unter Umständen geht dies sogar soweit, dass er in
den Frauen seines Lebens immer wieder "das Abbild von Mutter und Schwester"
suchen wird. (ebd.)
So sehr Dorothea auch bemüht sein mag, sie kann ihren beiden Kindern
Christophine und Friedrich in den ersten Jahren ihres Lebens kein Familienleben
bieten, das Wärme und Geborgenheit vermittelt.
Familienleben
in Lorch ab 1764
Erst als Johann Caspar nach
dem Ende des Krieges im Dezember
1763 zum
Werbeoffizier
in Schwäbisch Gmünd
ernannt wird, kann die Familie mit dem Vater zusammenleben und kehrt damit
zur bürgerlichen Normalität zurück.
Das Familienleben, das im benachbarten Lorch, wohin die Familie Anfang 1764 zieht, steht dennoch, zumindest
finanziell gesehen, unter keinem günstigen Stern. Vater Johann Caspar, der
in den folgenden drei Jahren zuständig für die Aushebung von Rekruten und ihre Ausbildung
ist, erhält nämlich während dieser Jahre wegen eines vermeintlichen
Buchungsfehlers
keinerlei Sold. Er muss seine Familie, die in Lorch zunächst im Gasthof zur Sonne
unterkommt, danach in eine Wohnung über der Schmiede des Schmiedemeisters Molt
zieht (vgl.
Lahnstein 1981, S. 24) von
seinen Ersparnissen unterhalten.
Und nicht nur das: Wenn Johann Caspar zu
Hause ist, sitzen auch die beiden ihm unterstellten Unteroffiziere am Tisch,
die der Hauptmann auch noch zu verköstigen hat. (vgl.
Lahnstein 1981, S. 24)
Dass
am 24. Januar 1766 dann noch das dritte Kind, Tochter Luise Dorothea
Katharina, zur Welt kommt, ist sicherlich für Dorothea und Johann Caspar in
ihrer schwierigen wirtschaftlichen Lage nicht nur ein Freudenereignis. Dass
das dritte Kind erst etwas mehr als sechs Jahre nach der Geburt Friedrichs
das Licht der Welt erblickt, mag beiden daher auch als Segen erschienen
sein, denn dass zwischen den Geburten der Kinder so lange Zwischenräume
liegen, ist in einer Zeit, in der es noch keine vernünftige Familienplanung
gibt, keineswegs selbstverständlich.
Gewiss wirkt sich die ignorante Behandlung des
dennoch immer loyal zum Herzog stehenden Johann Caspar auch auf dessen
Gemütsverfassung aus. Seine Unzufriedenheit und seinen
Ärger bekommen die Ehefrau und die Kinder immer wieder zu spüren, denen der
cholerische (vgl.
ebd., S. 11) und "zur
Heftigkeit neigende Mann" (Öllers
2005, S.36) häufig das Leben und ein freundliches Miteinander
schwer macht.
Dorothea, die Johann Caspar ein Leben lang "untertan" ist (ebd.),
hat es schwer mit ihrem Mann, den sie nun nach Jahren relativer
Selbständigkeit, als den unumstrittenen Patriarchen in der Familie kennen
lernt und ertragen muss. Dorothea, die ihre Haushaltsarbeiten sicher und
zuverlässig verrichtet, bekommt ebenso wie die Kinder den ausgeprägt
strengen und pedantischen Ordnungssinn ihres Mannes zu spüren, mit dem er
seine Arbeit wie auch seine Familie zu organisieren pflegt (vgl.
Alt Bd. I, 2004, S. 74).
Nach
seinem Willen werden Rituale wie die tägliche Morgen- und Abendandacht
inszeniert und sein Verständnis von Pflicht setzt er kompromisslos Frau und
Kindern gegenüber durch. (vgl.
Lahnstein 1981, S. 11)
Diesem willensstarken und energischen Mann hat seine Frau Dorothea, die, in dieser Zeit zumindest, als
sanft, fromm und liebevoll gilt (vgl.
ebd.,
vgl.
Safranski 2004,
S.24) wenig entgegenzusetzen. In Lorch und später führt sie im wesentlichen
das Leben, das von einer Frau ihrer sozialen Lage gesellschaftlich verlangt
ist.
Sie arbeitet unentwegt im Haushalt, hält dem Mann, dessen Leben sich
vor allem außer Hauses abspielt, den Rücken frei, versorgt die Kinder, muss
sich ihrem Mann unterordnen und sich ihm auch sexuell willfährig verhalten,
hat dadurch zahlreiche Schwangerschaften und Geburten.
Sie muss sich dem
Willen ihres Mannes, so wie es in der patriarchalischen Gesellschaft der
Zeit üblich ist, unterwerfen und entwickelt keine über die konventionelle
Rollenbiographie hinausgehenden Vorstellungen von einem eigenen Leben. Und
auch da, wo sie eigene Vorstellungen über die Zukunft ihrer Töchter
artikuliert, scheitert sie an andersgearteten Vorstellungen ihres Mannes.
Dieser findet ihre Wünsche nach einer höheren Bildung und Teilnahme der
Töchter am gesellschaftlichen Leben nämlich gleichermaßen unschicklich wie
finanziell zu teuer und unnötig (vgl.
ebd., S.25)
In anderen wichtigen Fragen der Kindererziehung, wie in Grundfragen der religiösen
Erziehung, sind sich Dorothea und Johann Caspar allerdings weitgehend einig.
Der autoritäre
Erziehungsstil des Vaters ist aber nicht immer nach dem Geschmack der
Mutter. Während sich ihr Mann seinen Kindern gegenüber wohl so
"unsentimental, kurz, streng, distanziert, von Disziplin und Gehorsam,
Arbeit und Prügel bestimmt" (Nipperdey
4. Aufl. 1987, S. 117) zeigt, wie dies in diesem Familientypus
damals noch üblich ist, strahlt Dorothea, die Mutter, komplementär
dazu, die emotionale Wärme aus, die ihre Kinder beim Aufwachsen erfahren.
Mutter Dorothea gewinnt die Zuneigung ihrer Kinder auch durch ihre im Vergleich zu
ihrem Mann weitaus größere Toleranz und ihre emotionale Spontaneität.
Dorothea und
ihr Sohn Friedrich
Mehr
als einmal deckt sie den kleinen Friedrich vor seinem Vater, wenn er
irgendetwas "verbrochen“ hat, was den Zorn des Vaters auf ihn ziehen kann
(vgl.
Alt Bd. I, 2004, S. 69). So
solidarisieren sich die beiden auch gegen den Vater, unter dessen
kompromisslos pedantischer Prinzipienreiterei und seinen gelegentlichen cholerischen
Ausbrüchen (vgl.
Lahnstein
1981, S. 11) sicher beide hin und wieder zu leiden haben.
Insgesamt
scheint Friedrich in seiner Mutter eine Frau erlebt zu haben, die ihm
Zugänge zu einer relativ entspannten, von überzogenen Disziplinanforderungen
entlasteten Gefühlskultur verschafft hat. Sein ganzes Leben lang wird er
eine starke emotionale Bindung an die Mutter bewahren.
Ob gerade Friedrich
den Vater mehr geliebt hat als die Mutter, wie
Norbert Öllers (2005, S.36)
vermutet, und Dorothea darunter gelitten habe, erscheint dagegen eher
zweifelhaft. Dahinter steckt wohl die Vorstellung, dass Friedrichs später
gemachte Äußerungen Ausdruck einer "echten" Liebe zu seinem Vater, und nicht
Ausdruck seiner
ambivalenten "Ehrfurcht" dem autoritären
Vater gegenüber sind (vgl. (Safranski 2004,
S.23).
Geht man dagegen von der These einer besonders stark ausgeprägten
emotionalen Bindung Friedrichs an die Mutter aus, könnte auch sein später
sichtbares erotisches Interesse an älteren Frauen wie Dorothea Vischer oder
Henriette von Wolzogen darauf zurückzuführen sein. (vgl.
Alt Bd. I, 2004, S. 69)
Dorotheas
pietistischen religiösen Überzeugungen
Die besonders starke Bindung Dorotheas zu ihren Kindern Friedrich und
Christophine entsteht in der Kindheit der beiden aber vor allem durch die
tiefe Religiosität, die Dorothea ihren Kindern vorlebt. Ihre Frömmigkeit,
die einem heutzutage schon wie "Bigotterie" (Öllers
2005, S.36) erscheinen kann, wirkt jedenfalls auf die Kinder,
insbesondere wohl auf Friedrich echt, und beeinflusst Tochter und Sohn sehr.
Sie ist
den pietistischen Strömungen der Zeit mehr zuneigt als ihr Mann, der solchen
Gefühlskultivierungen stets skeptisch gegenübersteht.
Die Pietisten stellen
eine Frömmigkeitsbewegung dar, die sich von der protestantischen Amtskirche
seit Jacob Speners Niederlegung ihrer Überzeugungen in seiner Schrift "Pia
Desideria" (1675) unter anderem im schwäbischen Raum entwickelt. Darin
führt Spener, der eigentliche Begründer des Pietismus, den seiner Ansicht
nach verderbten Zustand der Amtskirche darauf zurück, dass es ihr an
lebendigem Glauben fehle. Um wieder dahin zu kommen, müsse die Erziehung
verbessert und die Bibellektüre intensiviert werden. (vgl.
Vierhaus 1987, S.439) Schon
früh zeigt sich damit auch der Doppelcharakter des Pietismus als religiöse
Bewegung und als Bildungsbewegung.
Den Pietismus mit seiner "Betonung des
gottseligen Lebens des einzelnen" (ebd.,
S.440) trennt indessen nicht so viel von rationalistischen
Strömungen der Zeit, wie es zunächst Anschein hat. Ebenso wenig wie
Aufklärung und Empfindsamkeit nur in ihrer Gegensätzlichkeit betrachtet
werden dürfen, verhält es sich mit dem Rationalismus und Pietismus.
"In
beiden", so betont Vierhaus (ebd.,
S.438ff.)," erfolgte die Freisetzung und Ermächtigung des
Menschen zu selbständigem Denken und Fühlen, nicht in bewusstem Gegensatz
zur christlichen Offenbarungsreligion, sondern [...] in Übereinstimmung mit
ihr." Insofern stellt der Pietismus "keine Reaktion auf die Aufklärung,
sondern eine Parallelbewegung", dar, die ebenso wie diese "zur
Säkularisierung des Denkens und Verhaltens, aber auch zur
Selbstvergewisserung des Menschen beitragen, indem sie ihn zur
Selbständigkeit des Denkens und Empfindens ermuntern." (ebd.,
S.438ff.)
In Württemberg ist der Einfluss des Pietismus auf das religiöse Leben und
die Mentalität breiterer Bevölkerungsschichten besonders stark ausgeprägt. Man wendet
sich in diesen Kreisen gegen die Bibelfixierung der lutherischen Amtskirche
und setzt dem eine individuell mögliche, sinnlich-emotionale Glaubenserfahrung entgegen, spricht sich folgerichtig gegen die
hierarchischen Strukturen der Amtskirche aus und organisiert sich in einer
dem Urchristentum verpflichteten Laienbewegung, in der jeder Gläubige die
sonst Pfarrern bzw. Geistlichen vorbehaltenen liturgischen Handlungen
vornehmen kann. So kultiviert sich die "pietistische Sozietät als
Gefühlsgemeinschaft, die ihre konfessionellen Überzeugungen durch stärker
affektiv getönte Rituale jenseits des reinen Wortglaubens zum Ausdruck
bringt." (Alt Bd. I, 2004,
S. 53)
Man glaubt demzufolge, durch Gebet und Gesang eine Versenkung in Gott
zu erlangen, die einem solche Momente der Glückseligkeit bereiten können,
die sonst nur der geläuterten Seele im Himmel zuteil werden könne. Zur
pietistisch motivierten Glaubenspraxis gehören u. a. Erbauungsstunden im
privaten Kreis, in denen eine affektiv besetzte Bibellektüre und Gebete, vor
allem aber das Singen von Kirchenliedern Gerhard Teerstegens, Nikolaus
Ludwig von Zinzendorfs, Philipp Friedrich Hillers und Christoph Carl Ludwig
von Pfeils gehören, allesamt Autoren, deren Lieder noch bis heute in den
Gesangbüchern der evangelischen Kirche zu finden sind. (vgl.
ebd.,
S. 52ff.)
Neben solchen Texten macht Dorothea, die auch gerne in
pietistischen Andachtsbüchern des schwäbischen Theologen »Johann
Albrecht Bengel (1687-1752) liest, ihre Kinder bei ihren privaten
Erbauungsstunden oder den Morgen- und Abendandachten mit den
Gesangbuchtexten Luthers,
Gerhardts und
Gellerts bekannt, die man in gemeinsamer Runde auswendig lernt.
(vgl.
ebd., S. 78.)
Johann Caspar
Schiller, der wohl "mit dem stärker rational gestützten auf, auf geistliche
Erkenntnis zielenden Pietismus Bengels" (ebd.,
S. 55) sicher noch mehr verbinden kann als mit dem "ins Mystische
gesteigerten Blut- und Wundenkult Zinzendorfs" (ebd.)
kommt die Frömmigkeit seiner Frau wohl übertrieben vor, auch wenn er mit
seiner Frau in religiösen Grundfragen übereinstimmt.
"Sich dem Willen Gottes
hinzugeben, sich ihm würdig zu zeigen, um von ihm angenommen zu werden und
dafür Verzicht auf die Genüsse des Lebens zu üben" (Aufenanger
2006, S.17) ist ihr gemeinsames religiöses Fundament, das sie
auch an ihre Kinder weitergeben. So bereitet es ihnen offenbar wenig
Probleme, wenn sich Dorothea eher vom Empfindsamen und Poetischen der
Religion angezogen fühlt, während Johann Caspar eher "an einen Gott, der für
die Menschen sorgt, wenn sie den Mut haben, für sich selbst zu sorgen"
glaubt (Safranski
2004, S.18).
Dorothea jedenfalls vermittelt ihren Kindern eine
Religion "des Herzens", während Johann Caspar eher einer "Religion des
Verstandes" folgt (ebd.,
S.30).
Die früh erkennbaren oder früh erzeugten religiösen Neigungen
Friedrichs werden durch die Religiosität von Vater und Mutter gefördert.
Während der Vater wohl schon eher die geistliche Laufbahn vor Augen hat, die
er für Friedrich plant, beherrscht das Verhältnis von Dorothea und ihrem
Sohn in religiösen Dingen wohl der gemeinsame, in tiefem religiösen
Empfinden verwurzelte, pietistisch geprägte Glaube.
Christophine erinnert
sich später an einen Spaziergang mit der Mutter von Lorch nach Marbach zu den Großeltern, in dessen Verlauf sich
zeigt, auf welche Weise die Mutter die pietistische Empfindsamkeit ihrer
Kinder fördern will. Die Mutter wählt dabei den Weg über einen Berg. "Es war
ein schöner Ostermontag“, notiert Friedrich Schillers ältere Schwester,
"und
die Mutter teilte uns unterwegs die Geschichte von den zwei Jüngern mit,
denen auf ihrer Wanderung nach Emmaus Jesus zugesellt hatte. Ihre Rede und
Erzählung wurde immer begeisterter, und als wir auf den Berg kamen, waren
wir alle so gerührt, dass wir niederknieten und beteten. Dieser Berg wurde
uns zum Tabor.“ (zit. n.
Safranski 2004,
S. 30) Hier zeigt sich auch ein erzählerisches Talent
Dorotheas. Zugleich wird deutlich, was die pietistische Versenkung in Gott
auszulösen vermag.
Familienleben
in Ludwigsburg ab 1766
Als Johann Caspar 1766 auf eigenen Wunsch in die
Residenzstadt Ludwigsburg
versetzt wird, bessert sich glücklicherweise auch die finanzielle Lage der
Familie, da Johann Caspar fortan wieder Sold bezieht und - allerdings Jahre
später - auch einen Teil seiner in der Vergangenheit nicht erhaltenen
Einkünfte erstattet bekommt.
Sicher stellt der Umzug der Familie nach
Ludwigsburg im gleichen Jahr auch für Dorothea eine große Umstellung dar.
Hier in der Residenz- und Garnisonsstadt gibt es ein öffentliches Leben, an
dem der Offizier mit seiner Frau teilnimmt. Der "jähe Wechsel von der Natur in
die Kultur" (Safranski
2004, S.26) "von der idyllischen Weltabgeschiedenheit" Lorchs (ebd.,
S.26) mitten hinein in das städtische Treiben der Residenzstadt des Herzogs
von Württemberg ist auch für Dorothea eine Herausforderung, zumal sie sich
auf öffentlichem Parkett nicht gerade wohl fühlt und bei solchen Anlässen
eher schüchtern und ängstlich wirkt (vgl.
Safranski 2004, S.24).
Sie
ist insofern nicht unbedingt eine Frau zum Repräsentieren oder Angeben im
gesellschaftlichen Umfeld des Offiziers. Solange sich die Kontakte auf eher
privater Ebene pflegen lassen, scheint sie allerdings keine Schwierigkeiten
zu haben. Nach dem Umzug der Familie in das neu errichtetes Haus des
Hofbuchdruckers Christoph Friedrich Cotta zu Beginn des Jahres 1767gibt es
offenbar auch einen mehr oder minder regen Kontakt mit der Familie Hoven,
die im gleichen Haus wohnt, und der Arztfamilie Elwert. (vgl.
Alt Bd. I, 2004, S.74) Über
solche Kontakte hinaus, begleitet Dorothea ihren Mann öfters ins
Hoftheater der nahe gelegenen herzöglichen Residenz Carl Eugens, um sich die dort
aufgeführten italienischen Singspiele und Opern anzusehen.
Früher Tod
dreier Töchter
Dorothea Schiller bringt in dieser Zeit weitere Kinder zur Welt und muss den
frühen Tod dreier Töchter verarbeiten. Auch wenn ein solches Schicksal
angesichts der hohen
Kindersterblichkeit der Zeit nichts
Außergewöhnliches darstellt, die Menschen also gewissermaßen darauf
eingestellt und daran gewöhnt sind, handelt es sich doch stets um einen
schmerzhaften Verlust. Die Kindersterblichkeit ist bis um 1800 herum in
Mitteleuropa noch sehr hoch und beträgt in manchen Gemeinden nach annähernd
50%, wobei in schlechten sozialen Verhältnissen sogar noch von einem weitaus
höheren Anteil auszugehen ist.
Dennoch Mutter Dorothea muss einige
dieser Schicksalsschläge verkraften. Tochter Maria Charlotte, in Ludwigsburg am 20.11.1768
geboren, stirbt 1174 mit fünf Jahren an einer Lungenentzündung (29.3.1774),
Beata Friederike, am 4.5.1773 geboren,
überlebt kaum 7
Monate und stirbt an einer Genickstarre (22.12.1773). Ihre jüngste
Tochter "Nanette" (geb. 8.9.1777), "Nachzüglerin" und "Nesthäkchen"
der Familie, stirbt 23. März 1796 mit nur 18 Jahren an
einem Nervenfieber.
Dorothea und
Friedrichs erzwungener Eintritt in die Karlsschule von Herzog Eugen von
Württemberg
Ans Herz gegangen ist Mutter Dorothea sicher, dass ihr Sohn Friedrich auf
Geheiß von Herzog Carl Eugen der Familie entrissen wird und vom 16. Januar
1773 an in die Karlsschule und ihr Internat umziehen muss.
Gewiss ist es ein
tränenreicher Abschied, den die beiden voneinander nehmen. Sie weiß, dass sie
ihren Sohn künftig nur noch wenig zu Gesicht bekommen wird, denn das
herzogliche Erziehungskonzept, das die bewusste Entfremdung der Söhne von
ihren Eltern vorsieht, bestimmt auch die Regeln, nach denen sich die
spärlichen Kontaktmöglichkeiten der Karlsschüler zu ihren leiblichen Eltern
zu vollziehen haben. Nur ab und zu an Sonntagen darf sie ihn mit
seinen jüngeren Schwestern besuchen, wie
Karoline von Wolzogen in ihrer
Schiller-Biographie aus dem Jahre 1830 notiert.
Umzug der
Familie auf die Solitude
Nachdem Johann Caspar Schiller mit seiner Ernennung zum Intendanten der
herzöglichen Hofgärtnerei Anfang Dezember 1775 endlich sein berufliches
Glück gemacht zu haben scheint, bringt der Umzug der Familie in die kleine
Dienstwohnung in der
Solitude, dem Jagd- und Repräsentationsschloss des Herzogs,
Dorothea sicher kaum Vorteile.
Ihr Mann beschäftigt sich fortan so intensiv
mit der Verwaltung und Bewirtschaftung der Hofgärtnerei und seiner
Baumschule, dass er Dorothea mit ihren Kindern - Nanette wird sogar erst in
dieser Wohnung geboren - offenkundig so vernachlässigt, dass sich Dorothea
sogar in einem Brief -
wie schon eingangs erwähnt
-
über das Verhalten ihres Mannes bei ihrem Sohn Friedrich beklagt.
Als ihr Sohn Friedrich am 15. Dezember 1780 endlich aus der Militärakademie
entlassen wird und zum Regimentsmedicus im Grenadierregiment Augé in
Stuttgart befohlen wird, ist auch Dorothea über die dürftige Bezahlung des
Sohnes für seine Dienste enttäuscht, zumal auch sie im September 1774 jenes
Revers des Herzogs gezwungenermaßen unterschrieben hat, mit dem die Eltern
ihren Sohn "gänzlich den Diensten des Herzoglichen Württembergischen Hauses"
übergeben haben. Mit dieser erbärmlichen Gegenleistung des Herzogs, die den
Sohn weiterhin von der Unterstützung des Vaters abhängig macht, hat auch sie
nicht gerechnet.
Immerhin nach Jahren der erzwungenen Entfremdung kommt es
jetzt wieder häufiger zu persönlichen Begegnungen Friedrichs mit seiner
Familie, die etwa
eineinhalb Stunden Fußmarsch von ihm entfernt auf der Solitude wohnt. Aber auch für
solche Besuche muss er um Urlaub nachsuchen. Auf seinen Besuchen in den folgenden knapp eineinhalb
Jahren bringt Friedrich auch häufiger Freunde mit, die die warmherzige Gastfreundschaft
von Friedrichs Mutter Dorothea zuschätzen wissen. (vgl.
Lahnstein 1981, S.87)
Dorothea und
Friedrich nach dessen Flucht aus Württemberg 1782
Die Flucht Friedrichs aus Württemberg am 22. September 1782 trennt Dorothea
und mit ihr die Familie wieder vom Sohn. So freut sie sich natürlich, als Friedrich 1783 wieder in
ihre Nähe, nach Mannheim zieht, wo er einen Ein-Jahres-Vertrag als
Theaterdichter unterschrieben hat. Inwieweit Dorothea die Vorwurfshaltung
ihres Mannes gegenüber ihrem Sohn in diesen Jahren geteilt hat, lässt sich
nur vermuten. Anzunehmen ist, dass sie die Härte, mit der dieser den Sohn
immer wieder angegangen ist, nicht oder in jedem Falle nicht zur Gänze
unterstützt hat.
Besuch
Dorotheas bei ihrem Sohn Friedrich 1792 in Jena
Erst 10 Jahre später wird sie ihren Sohn wieder sehen, als sie mit ihrer
Tochter Nanette von Mitte September bis Anfang Oktober 1792 zu ihm nach Jena
reist, wo er inzwischen mit Charlotte von Lengefeld seit zweieinhalb Jahren
verheirat lebt und wo er seit 1790 eine Professur für Geschichte an der
Universität der Stadt innehat.
Mit ihrem Sohn und seiner Frau reisen sie am
25. September 1792 nach Rudolstadt. Dort halten sie sich eine Weile auf dem
Gut der seit 1775 verwitweten Mutter von Schillers Frau, Luise Juliane
Eleonore Friederike von Lengefeld (1743-1823) auf, von wo Mutter Schiller
und Tochter Nanette am 10.10.1792 wieder ihre Heimreise antreten. Darüber,
wie sich das Verhältnis der Mutter zu ihrem Sohn und dessen Frau in dieser
Zeit gestaltet, lässt sich offenbar nicht viel sagen. Lediglich "der
möblierte Poetenhaushalt soll," wie Buchwald in seiner Schillerbiographie
erwähnt, "der tüchtigen Hausfrau von der Solitüde wenig nach ihrem Herzen
gewesen sein." (Buchwald
1959, S.565)
Ob es zu ernsthaften Problemen gekommen ist,
insbesondere auch mit der Schwiegertochter, die aus Alter und verschiedenen
Standes- und Lebensgewohnheiten resultieren, wie zugleich von ihm angedeutet
wird, muss aber wohl bezweifelt werden, wenn man berücksichtigt, dass
Schillers Frau Charlotte darüber "beglückt" nach Dresden berichtet. (vgl.
ebd.)
Wiedersehen mit
Friedrich anlässlich des 70. Geburtstags von Johann Caspar 1793
Ein Jahr später, als Friedrich sich mit seiner hochschwangeren
Frau Charlotte anlässlich des 70. Geburtstag seines Vaters (1793) von
Jena aus auf die Reise nach Württemberg begibt, wird es
zu einem persönlichen Wiedersehen mit dem Rest der Familie, natürlich wieder mit Mutter Dorothea,
Vater Johannes Caspar und den jüngeren Geschwistern kommen.
Während ihn der
Vater und seine Schwester Luise schon Mitte August außerhalb des
württembergischen Territoriums, auf dem Boden der Freien Reichsstadt
Heilbronn besuchen, bekommt ihn die Mutter erst im September wieder zu sehen, als
er die württembergische Grenze übertritt und sich für einige Zeit in
Ludwigsburg niederlässt.
Dort kommt es in der Zeit vom September 1793 an bis
zum Umzug der jungen Familie - Friedrich Schillers erster Sohn Karl
Friedrich Ludwig ist am 14. 9. 93 in Ludwigsburg geboren - am 15. 3.94
nach Stuttgart zu mehreren Besuchen.
Am 6. Mai des gleichen Jahres reist Friedrich mit seiner Frau Lotte und
seinem etwa halbjährigen ersten Sohn Karl nach Jena zurück. Als
er sich von seinen Eltern verabschiedet, ahnt vielleicht auch Dorothea
schon, dass es kein
Wiedersehen mehr geben wird.
Tod des
Ehemanns Johann Caspar Friedrich 1796
Als Johann Caspar ernsthaft, vermutlich an
Prostata-Krebs (vgl.
Öllers
2005, S.35), erkrankt und am 7.
September 1796 stirbt, ist es der zweite Schicksalsschlag, der Dorothea in
diesem Jahr trifft.
Kaum zwei Monate ist es nämlich her, dass ihre blutjunge
Tochter Nanette, möglicherweise an einer tuberkulösen Rippenfellentzündung
oder an Typhus (vgl.
ebd.
2005, S.35), qualvoll gestorben ist (vgl.
ebd.).
Friedrich, der von dem
Tod seines Vaters erst ein paar Tage später
erfährt, verzichtet in einem Brief an seine Mutter am 19. September 1796 zugunsten seiner
Mutter Dorothea auf sein Erbteil mit den Worten: "Alles, was Sie zu einem
gemächlichen Leben brauchen, muss Ihnen werden, beste Mutter, und es ist
hinfort meine Sache, dass keine Sorge Sie mehr drückt." (zit. n.
Wais 2005, S. 220)
Die alternde
Dorothea
Über die alternde Dorothea Schiller gibt es nicht viel zu berichten.
Sie darf mit ihrer noch unversorgten Tochter danach ab der Jahreswende
1796/97 im Leonberger Schloss wohnen. Dort erhält sie freie Wohnung und eine
Pension von hundert Gulden, halb in Bargeld, halb in Naturalien. (vgl.
Sting 2005, S.547)
Allerdings scheint sie ihre freundliche und sanftmütige Lebensart verloren
zu haben, denn wie
Norbert Öllers (2005, S.37)
feststellt, ist sie im Alter wehleidig, hypochondrisch und verbittert
gewesen und hat das ihr von anderen zugefügte Schicksal immer wieder
bejammert.
Am
29. April 1802 stirbt sie in Cleversulzbach, wo sie von ihrer
Tochter Luise und ihrem Schwiegersohn in den letzten Monaten ihres Lebens
gepflegt wird, wahrscheinlich an Gebärmutterkrebs (vgl.
ebd.,
S.35).
Als ihr Sohn
davon erfährt, notiert er in der gleichen nüchternen Art und Weise, wie er
auch sonst solche persönlichen Aufzeichnungen aufschreibt, nachträglich in
seinen Kalender: "Und starb meine Mutter in Schwaben, alt 68 Jahr 4 Monate."
In einem Brief an seine Schwester Christophine spricht er aber auch dem
Schmerz an, den er bei seinen Erinnerungen an die "liebevolle immer für ihre
Kinder sorgsame Mutter" (zit. n.
Alt Bd. II, 2004, S. 417)
spürt.
Und an seinen Schwager in
Neckarsulzach schreibt Friedrich Schiller
etwa zur gleichen Zeit voller Dankbarkeit: "Möge der Himmel der teuren
Abgeschiedenen alles mit reichen Zinsen vergelten, was sie im Leben gelitten
und für die ihrigen getan." Und weiter: "Nie werde ich mich meiner
verewigten Mutter erinnern, ohne zugleich das Andenken desjenigen zu segnen,
der ihr ihre letzten Leidenstage so gütig erleichterte." (zit. n.
Öllers
2005, S.27ff.) Der selbstkritische Ton, der in diesen Äußerungen
mitschwingt, ist nicht zu überhören.
*Nach
Öllers (2005, S.33) leben in
Marbach zu dieser Zeit "knapp 250" Einwohner; Die Internet-Enzyklopädie
Wikipedia (http://de.wikipedia.org/wiki/Marbach_am_Neckar, 04.03.07) gibt die
folgenden Zahlen an: "Nach 1.478 Einwohnern im Jahr 1692 werden 1695 nur
noch 609 gezählt."
Autor: Gert Egle
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
10.02.2022
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