Als
Friedrich Schillers Vater
Johann Caspar im Dezember
1763 Werbeoffizier in Schwäbisch Gmünd wird,
zieht die Familie von Marbach zunächst für kurze Zeit nach Schwäbisch Gmünd
und, als der Lohn für den Vater ausbleibt, um in das kleine Dorf Lorch, das eineinhalb
Stunden Fußmarsch entfernt von Schwäbisch Gmünd liegt.
Während der folgenden
drei Jahre, die die Familie dort, in der Wohnung über der Schmiede des
Schmiedemeisters Molt wohnt, macht Friedrich im Alter zwischen vier und
sieben Jahren Erfahrungen, die ein Leben lang nachwirken.
Seine
späteren
Erinnerungen daran sind stets verbunden mit einem intensiven Naturerleben
und Gefühlen von Geborgenheit. Lorch ist für ihn so etwas wie das verlorene
Paradies der frühen Kindheit (vgl.
Safranski 2004,
S.21) Erinnerungen daran hat Schiller in seinem späteren literarischen
Schaffen immer wieder verarbeitet. Besonders deutlich kehren diese
"unschuldig scheinenden Traumbilder der Jugend" in den pathetisch überhöhten
Erinnerungen
Karl von Moors an seine verlorene Heimat wieder, die ihm
Friedrich Schiller als einer der Hauptfiguren seines
Dramas "Die Räuber“
(III,2
und
IV,1) in
den Mund legt. (vgl. Alt Bd. I, 2004, S. 70).
In Lorch und seiner Umgebung erleben Friedrich, von vier an, und seine Schwester
Christophine, von sechs Jahren an, so etwas wie ein normales
Familienleben. Dabei muss man sich das Leben, das die Schillers in Lorch und
auch später in Ludwigsburg führen, wie
Buchwald (1959, S.84) betont
als "bürgerlich-beschränkt in dem Sinne vorstellen, dass man zwar an
keinerlei Luxus denken durfte, dass aber auch kein Mangel am Nötigen war."
Die Familie lebt, wenngleich ihre finanzielle Lage angesichts des Verhaltens
Carl Eugens gegenüber seinem Offizier, auch nicht besonders rosig ist eben
so wie viele andere Beamte und Angehörige der gelehrten Stände auch. In
jedem Falle "ist nichts verkehrter als die Vorstellung, in Schillers
Kindheit hätten Armut und Not geherrscht. Was Not ist, das hat er später,
nach seiner Flucht, schmerzlich genug erfahren, so wie er als Zeit der
Unterdrückung immer nur seine Karlsschulzeit empfunden hat.“ (
ebd.)
Vater und Mutter Schiller leben ihren Kinder die Rollenmuster
vor, die in dieser Zeit von Mann und Frau erwartet werden.
Friedrich lernt sehr früh, wer in der Familie das Sagen hat. Es ist, wie in
dieser patriarchalisch strukturierten Welt nicht anders zu erwarten, der
Vater, dessen Autorität unumstritten ist. Dabei fordert
Johann Caspar von Frau und Kindern, was sein eigenes Verständnis von
Pflicht auch ihm abverlangt. Häufig erleben ihn Frau Kinder kompromisslos autoritär und es kommt auch vor, dass sie unter seinen cholerischen Ausbrüchen leiden müssen (vgl.
Lahnstein
1981, S. 11). Friedrich
begreift schnell, dass in seiner Welt gilt, was der Vater sagt, er
diesem, komme, was wolle, zu gehorchen, andernfalls harte Strafen zu
gewärtigen hat. Dass Friedrich seinen Vater aller von ihm ausgehenden
psychischen und physischen Härten zum Trotz liebt, ihm wie einer seiner
Biographen, Rüdiger
Safranski
(2004, S.24), betont, sogar "lebenslang eine fast kindliche
Verehrung" entgegenbringt, scheint nur auf den ersten Blick verwunderlich.
Psychologisch gesehen handelt es sich dabei um die in
autoritären Vater-Sohn-Beziehungen
oft stattfindende
Reaktionsbildung, die den
übermächtigen und eigentlich verhassten Vater zu
einem Objekt der Liebe macht, um dem
aussichtslosen Kampf ausweichen zu
können. Das aus Reaktionsbildung entstehende ambivalente Gefühl Friedrichs
in der Beziehung zu seinem Vater hat
Safranski
(2004) so beschrieben: "Gewiss
fürchtete Friedrich seinen Vater,
aber da er ihn auch liebte, wurde aus Furcht Ehrfurcht." (Safranski 2004,
S.23)
Mutter
Dorothea zeigt sich, komplementär dazu, ganz anders. Sie
strahlt die emotionale Wärme aus, die die Kinder in ihrem Aufwachsen
begleiten.
Als Friedrich ab
März 1765 mit fünfeinhalb Jahren in die Elementarschule in
Lorch geht, bekommt er die väterliche Autorität in besonderem Maß zu spüren.
Seine Schul- und Hausarbeiten werden von seinem Vater streng kontrolliert,
Johann Caspar lässt seinen Sohn Gedächtnisübungen machen und nötigt
ihn zu ersten Schreibversuchen. Auch wenn der Vater damit die geistigen
Fähigkeiten seine Sohnes fördert, ist davon auszugehen, dass sich die
Wünsche des Jungen nach fünf bis sechs Stunden in einem monotonen und
"mechanischen Paukbetrieb mit spärlichen Auflockerungen“ (Alt Bd. I, 2004,
S.72) auf alles andere richten als dessen Fortsetzung unter väterlicher
Aufsicht zu Hause.
An das Schwänzen der Schule ist, wenn der Vater daheim ist, natürlich
nicht zu denken, auch wenn die beiden Geschwister sonst schon einmal,
meistens miteinander, der Schule unentschuldigt fern bleiben. (vgl.
Lahnstein
1981, S. 24) Schulschwänzen ist in dieser Zeit noch allgemein
üblich, weil es keine Möglichkeit gibt, die Schulpflicht zu erzwingen
und sich, insbesondere auf dem Land der Widerstand dagegen nicht so einfach
brechen lässt (vgl.
Wehler 1987, S.287). So heißt es in einer Aufzeichnung, die Friedrichs
ältere Schwester diesbezüglich hinterlassen hat: "Nur einmal geschah es,
dass er sich vergaß, es rief ihn nämlich die Nachbarin, die mit der Familie
sehr bekannt war (und
durch deren Haus er immer den Gang nach der Schule
machen musste), er solle einen Augenblick in die Küche kommen. Sie wusste,
dass es sein Lieblingsgericht war, Brei von türkischem Weizen – natürlich
folgte er der Einladung – und war kaum über den Brei geraten, als sein
Vater, der oft zum Nachbarn ging ihm etwas aus der Zeitung mitzuteilen, an
der Küche vorüber ging, ihn aber nicht bemerkte – allein der Arme erschrak
so heftig und rief: Lieber Vater, ich will’s nie wieder tun, nie wieder! Jetzt erst bemerkte ihn der Vater, und sagte nur: nun geh nur nach Hause.
Mit einem entsetzlichen Jammergeschrei verließ er seinen Brei – eilte nach
Hause, bat die Mutter inständig, sie möchte ihn doch bestrafen, ehe der
Vater nach Hause käme, und brachte ihr selbst den Stock.“ (zit. n.
Lahnstein
1981, S.24) Nicht die Prügelstrafe mit dem Stock allein ist es,
die zu denken gibt, zumal körperliche Züchtigung damals zur Erziehung
einfach dazugehört. Das Beispiel wirft vielmehr ein bezeichnendes Licht auf
den zweiten Teil des oben erwähnten Begriffs Ehrfurcht, der Furcht nämlich
vor der strafenden, übermächtigen und gänzlich internalisierten Macht des
Vaters. Und zu dem Vaterbild, das der junge Friedrich entwickelt, gehört auf
der anderen Seite aber auch Bewunderung dafür, wie sich der württembergische
Offizier in der Welt behauptet, und wie er sich, soviel weiß Friedrich aus
den Erzählungen des Vaters, früher
als Husar in den Niederlanden
und später im
Siebenjährigen Krieg (1756 - 63) als
württembergischer Regimentsmedicus behauptet hat.
Mitunter kann Friedrich, wie schon erwähnt, seinen Vater auf einem
eineinhalb bis zweistündigen
Fußmarsch zur Arbeit nach Schwäbisch Gmünd begleiten.
Hier schlängelt sich die
Rems durch Wiesen, Auen und Hügel, auf denen Tannen stehen. In dieser seit
der Stauferzeit burgenbewehrten Landschaft
mit dem Hohenstaufergrab hoch oben auf dem Klosterberg gibt es vieles, was die Phantasie des Jungen anregt. Auf
dem Weg beschreibt ihm sein Vater die durchwanderte Landschaft und
erzählt ihm allerlei sagenhafte Geschichten. (Alt Bd. I, 2004,
S.70)
Diese Geschichten kann Friedrich phantasievoll weiterspinnen. Gewiss
wird sein Vater auch von seiner
abenteuerlichen Zeit in den Niederlanden
erzählt haben, die ihm so viel bedeuten. Wie sehr den Jungen die
"Heldentaten“ seines Vaters beeindrucken, wenn dieser lebendig und
anschaulich davon erzählt, macht eine Anekdote sichtbar, die "durch ein paar
Generationen im Meiningischen weitererzählt“ worden ist. Friedrich Schiller
soll nach seiner Flucht aus Stuttgart, während seines Aufenthaltes in
Bauerbach, wo er aus Angst vor Repressalien zwischen 1782 und 1783 unter
einem Decknamen lebt, in einem Gespräch mit einem wegen seiner doppelten
Berufsausübung als Kantor und Gerichtsaktuar etwas großspurig auftretenden
Mann geäußert haben: "Ich kenne einen Mann, der in seiner Jugend den
Siebenjährigen Krieg mitmachte. Im Winter 1757 stand er als Fähnrich in den
böhmischen Winterquartieren. Da das in jener traurigen Zeit herrschende
Faulfieber die Ärzte hinweggerafft hatte, fungierte mein Freund, der eine
Zeitlang chirurgische Studien gemacht hatte, als Arzt. Da hierauf der
Regimentskommandeur regelmäßige Gottesdienste anordnete, aber weder ein
Vorsänger noch ein Geistlicher da war, so übernahm mein Freund auch zugleich
das Amt eines Kantors und Feldpredigers. Wenn ich etwas zu befehlen hätte,
so würde ich darauf dringen, dass jeder Geistliche und Schullehrer sich
soviel als möglich medizinische Kenntnisse erwürbe, damit sie nicht bloß für
das Seelenheil ihrer Beichtkinder, sondern in dringenden Fällen auch für
deren leibliche Gesundheit tätig sein könnten.“ (zit. n.
Buchwald 1959, S.47) Der
Mann, von dem die Rede ist, ist sein Vater, den er wegen Wahrung seiner
falschen Identität natürlich nicht erwähnen kann.
Auch bei
den bis in die Ludwigsburger Zeit hineinreichenden Morgen- und
Abendandachten, deren regelmäßige Durchführung dem Vater besonders am Herzen
liegt, zeigt sich Friedrich als besonders aufmerksamer Zuhörer und bewundert den
Vater, wenn dieser hin und wieder eigene Gebetstexte verfasst. (Alt Bd. I, 2004,
S.71)
Die erwachende Religiosität Friedrichs orientiert sich zunächst
dennoch weniger an der "Religion des Verstandes“ (Safranski 2004,
S. 30), wie sie sein Vater vertritt.
Insgesamt gesehen entwickelt sich Friedrichs Schillers Verhältnis zu
seinem Vater in dieser Phase seines Lebens, in einer Ambivalenz von
Gefühlen, wie sie wohl die meisten Vater-Sohn-Beziehungen seiner Zeit
ausgezeichnet haben. Väterliche Autorität, väterliches Erziehungshandeln und
die von Vater repräsentierte Welt vermitteln eben, auch wenn man unter
ihnen leiden muss "ein Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit" (Safranski 2004,
S.23), verhelfen zu Orientierung in einer von autoritären Strukturen
geprägten Gesellschaft.
Die erwachende Religiosität Friedrichs findet in der Person der
Mutter Dorothea größere Resonanz als beim Vater.
Sie lebt ihm eine
Frömmigkeit vor, die er, da sie echt auf ihn wirkt, nachempfinden kann. Sie ist
den
pietistischen Strömungen der Zeit mehr zuneigt als ihr Mann, der solchen
Gefühlskultivierungen stets skeptisch gegenübersteht. Ihre "Religion des
Herzens“ nährt sich aus dem Empfindsamen und Poetischen der Religion (vgl.
ebd., S.18) und äußert sich
in ihren Vorlieben für die pietistischen Andachtsbücher »Johann
Albrecht Bengels (1687-1752), in ihrer Freude, geistliche Lieder auswendig zu rezitieren (vgl.
ebd., S.30) und ihrer Lektüre
der Gesangbuchtexte von Luther,
Gerhardt und
Gellert, die sie ihrem Sohn nahe
bringt (vgl.
Alt Bd. I, 2004, S.78).
Christophine erinnert sich später an einen Spaziergang der Kinder mit der
Mutter von Lorch nach Marbach zu den Großeltern, in dessen Verlauf sich
zeigt, auf welche Weise die Mutter die pietistische Empfindsamkeit ihrer
Kinder fördern will. Die Mutter wählt dabei den Weg über einen Berg. „Es war
ein schöner Ostermontag“, notiert Friedrich Schillers ältere Schwester,
"und
die Mutter teilte uns unterwegs die Geschichte von den zwei Jüngern mit,
denen auf ihrer Wanderung nach Emmaus Jesus zugesellt hatte. Ihre Rede und
Erzählung wurde immer begeisterter, und als wir auf den Berg kamen, waren
wir alle so gerührt, dass wir niederknieten und beteten. Dieser Berg wurde
uns zum Tabor.“ (zit. n.
Safranski 2004,
S. 30) Was uns heute möglicherweise daran befremdet, ist den Pietisten der
Zeit Programm: über Gebet und Gesang zur Versenkung in Gott gelangen und in
solchen Momenten schon jene Seligkeit erfahren, die der Seele sonst erst im
Himmel zuteil werden kann (vgl.
Alt Bd. I, 2004, S. 53)
Mutter Dorothea, die über ihre Frömmigkeit hinaus allgemein als warmherzig,
sanft und liebevoll gilt (vgl.
Safranski 2004,
S.24), gewinnt die Zuneigung ihres Sohnes auch durch ihre im Vergleich zu
ihrem Mann weitaus größere Toleranz und ihre emotionale Spontaneität. Mehr
als einmal deckt sie den kleinen Friedrich vor seinem Vater, wenn er
irgendetwas "verbrochen“ hat, was den Zorn des Vaters auf ihn ziehen kann
(vgl.
Alt Bd. I, 2004, S. 69). So
solidarisieren sich die beiden auch gegen den Vater, unter dessen
kompromisslos pedantischer Prinzipienreiterei und seinen gelegentlichen cholerischen
Ausbrüchen (vgl.
Lahnstein
1981, S. 11) sicher auch beide zu leiden haben.
Insgesamt
scheint Friedrich in seiner Mutter eine Frau erlebt zu haben, die ihm
Zugänge zu einer relativ entspannten, von überzogenen Disziplinanforderungen
entlasteten Gefühlskultur verschafft hat. Sein ganzes Leben lang wird er
eine starke emotionale Bindung an die Mutter bewahren. Vielleicht, so
vermutet sein Biograph Peter André
Alt (Bd. I, 2004, S.69),
rührt auch aus dieser emotionalen Bindung an die Mutter jenes erotische
Interesse an älteren Frauen wie Dorothea Vischer oder
Henriette von Wolzogen,
das er in seiner
Adoleszenz entwickelt.
Ab März 1765 geht der junge Friedrich also in die
Elementarschule von Lorch.
In Württemberg ist der Besuch dieser Volksschule auch über einhundert Jahre
nach Einführung der allgemeinen Schulpflicht im Land (1649) noch immer
keineswegs selbstverständlich, da bis dahin wohl kaum mehr als die Hälfte
der Kinder überhaupt statistisch erfasst sind (vgl.
Wehler
1987, S.287, vgl.
Alt Bd. I, 2004, S. 72). Was
im internationalen Vergleich zwar sehr gut gewesen ist, bedeutet allerdings
auch, dass die Mehrheit der Schülerinnen und Schüler entweder überhaupt
keine Schule besucht oder aber schlicht durch Abwesenheit glänzt, weil es
keine Möglichkeit gibt, die Schulpflicht zu erzwingen und sich, insbesondere
auf dem Land der Widerstand dagegen nicht so einfach brechen lässt (vgl.
Wehler 1987, S.287) Der
Unterricht, der meistens in einer einzigen Klasse oder in einer mehrere
Jahrgänge übergreifenden Klasse stattfindet, wird, in der Regel im
Nebenerwerb, von Dienstleuten oder ärmeren Handwerkern erteilt, die selbst
nur acht Jahre die Elementarschule besucht haben. Wenn der Pfarrer, der oft
genug, die Rolle des Elementarlehrers spielt, diese lästige Aufgabe
delegiert, dann treten Küster, Dienstboten, Witwen oder auch irgendwelche
gescheiterten Existenzen an ihre Stelle. (vgl.
ebd.)
Von dem, was ein derartiger Elementarlehrer verdient, kann er jedoch nicht
leben, ohne Nebenerwerb geht es nicht. Da ihre pädagogischen und
didaktischen Kenntnisse nicht minder gering sind, gestaltet sich ihr
Paukbetrieb monoton und erschöpft sich in stupidem Auswendiglernen. Wer sich
diesem Drill toten Wissens während des fünf- bis sechsstündigen Unterrichts
nicht hingibt, es gar wagt zu stören, bekommt zu spüren, was die schwarze
Pädagogik in der Schule wie zu Hause an Erziehungsmaßnahmen bereithält:
Ohrfeigen, Schläge mit einem Stock auf die Hand (Tatzen) oder „eine Tracht
Prügel“ mit
dem Stock. (vgl.
Alt Bd. I, 2004 S.70)
Dass der Schulmeister,
Präzeptor Johannes Christoph Schmid, ein "fauler und nachlässiger
Mensch“ und schon seit 40 Jahren im Amt ist (Lahnstein
1981, S. 24), wird den Anregungsgehalt seiner Unterrichtsstunden
für den begabten und ehrgeizigen jungen Friedrich auch nicht gerade erhöht
haben.
So lassen auch Berichte des Schuldekans eigentlich kein gutes Haar an ihm,
wenn es u. a. heißt: "Übrigens aber sollte er freilich munterer und
aufgeweckter in seinem Informieren sein. Es gehet ihm wie vielen, welche
ihren Beruf nicht anders als eine Fron zu traktieren und immer wünschen,
dass ihre Arbeit bald fertig wäre.“ An anderer Stelle heißt es über ihn
lapidar: "Im Informieren träg und in der Zucht nachlässig.“ Die
Verwarnungen, die ihm fast jährlich erteilt werden, gehen schließlich so
weit, dass man 1768, zwei Jahre nach dem Wegzug der Familie Schiller nach
Ludwigsburg, ernsthaft an eine Amtsenthebung denkt. Doch sein Tod macht
diese Maßnahme überflüssig.
Trotz alledem, was in der Elementarschule in Lorch gelernt wird, entspricht
in etwa dem, was auch die "teutsche Schule“ in der
Residenzstadt den Kindern
beibringen will: »auswendig schreiben und Briefe lesen«. "Das war“, so
betont
Buchwald (1959, S.86), "die
höchste Stufe, die man damals erreichen konnte. Denn der Unterricht begann
mit dem Lesen der Druckschrift nach einem mühseligen und primitiven
Verfahren. Das diente dem wichtigsten Ziele der Volksschule: dem Bibellesen.
Dann kam das Schreiben, das durch das Nachmalen von Vorlagen bewerkstelligt
wurde. Und darauf erst konnten jene zuerst genannten höchsten Fähigkeiten
einsetzen, Daneben ging ein umfangreiches Memorieren des Katechismus samt
»Sprüchen, Psalmen und Gebeten« her nach einem »Neuen Biblischen
Schatzkästlein«, das amtlich eingeführt war. Mit dem Rechnen gelangte man
allenfalls bis zum kleinen Einmaleins. Das, was wir als Unterrichtsmethode
zu bezeichnen pflegen, muss man sich an den Schulen vor Pestalozzi ganz
hinwegdenken. Der Lehrer beschränkte sich darauf abzufragen, was die Kinder
irgendwie lernten, und verlieh seinen Forderungen mit dem Stock den nötigen
Nachdruck.“
Da fordern die nachmittäglichen
Lateinstunden beim Dorfpfarrer, an
denen er, kaum sechs Jahre alt, im Kreis von dessen Kindern teilnehmen darf,
dem aufmerksamen, wissbegierigen und gelehrigen Jungen weitaus mehr ab und
heben ihn aus dem Kreis der anderen Kinder seiner Elementarschule heraus.
Lateinkenntnisse sind zu dieser Zeit wichtigster Grundpfeiler höherer
Bildung und so beginnt man allgemein sehr früh damit, entsprechend
talentierten Kindern grammatikalische Regeln beizubringen und sie unzählige
Vokabeln lernen zu lassen.
Pastor Philipp Ulrich Moser, 1720
geboren, ist ein, das belegen alle Quellen (vgl.
Buchwald 1959, S.88f.), außergewöhnlicher Mann. Was ihm die jährlichen Visitationsberichte
bescheinigen, er sei »ein weitläufig belesener und tiefsinniger Mann« lässt
sich fast beliebig fortführen. Mal wird ihm Gelehrtheit attestiert, mal
seine Bibliothek als die beste der Diözese gerühmt., kurzum alle Urteile
münden in eine äußerst positive Würdigung dieses Mannes. Und auch die
wissenschaftliche Literatur unserer Tage bestätigt dieses Urteil stets aufs
Neue. Mal gilt er als bescheiden, gelehrt, ganz der Innerlichkeit zugewandt,
als "unerschrockener Kämpfer gegen Unrecht und Unsittlichkeit“ (vgl.
Buchwald 1959, S. 90), mal als gütiger und aufrechter Mann, (vgl.
Lahnstein
1981, S. 25) oder als "aufgeklärter Theologe“ und versierter
Pädagoge (vgl.
Alt Bd. I, 2004, S. 71)
Er ist ein Schüler
»Johann Albrecht Bengels (1687 - 1752), sieht sich im guten
Sinne als pietistisch orthodoxer Lutheraner, der sich in seinen
Veröffentlichungen aber stets gegen extreme Auffassungen im religiösen
Denken und Verhalten verwehrt, wenn sich diese zu sehr in rationalistische
oder spiritualistische Konzepte versteigen. So verzichtet er auch im
regelmäßigen Bibelunterricht, den er von Amts wegen den Lorcher
Kindern erteilt, auf pietistisch überzogene Frömmelei und bringt seinen
Schülerinnen und Schülern Religiöses in besonders anschaulicher Weise
nahe. (vgl. ebd.)
Was ihm aber darüber hinaus die Bewunderung seiner Schüler, namentlich
Friedrichs, einbringt, ist sein außergewöhnliches Talent als Prediger.
Wortgewaltig und anschaulich, dazu noch didaktisch gut strukturiert, hält er
seine Predigten, die nicht nur die Kinder in ihren Bann schlagen. Für
Friedrich haben seine Predigten den Rang von Initiationserlebnissen, die er
eben auch im Rollenspiel zu Hause verarbeitet. (vgl.
Alt Bd. I, 2004, S. 71) Die
kindlichen Predigerübungen, die Friedrich durchführt, legen jedenfalls ein
beredtes Zeugnis darüber ab, wie tief ihn die Religiosität und
Persönlichkeit des Pastors beeindrucken und die in seiner Familie ohnehin
gepflegte Frömmigkeit eine weitere Bestärkung erhält. Sein Vater und die
ältere Schwester Christophine erinnern sich später daran, wie er zu Hause
Pfarrer spielt und Gottesdienst abhält. "Von meinem Vater“ schreibt
Christophine, "aber wurde er zum Geistlichen bestimmt und er selbst zeigte
von früher Jugend an Neigung für diesen Stand, als Knabe von 6, 7 Jahren
trat er oft mit einer schwarzen Schürze umgeben auf einen Stuhl und predigte
uns; alles musste aufmerksam zuhören, bei dem geringsten Mangel an Andacht
wurde er sehr heftig; der Gegenstand der Predigt war etwas, was sich
wirklich zugetragen hatte, oft auch ein geistlich Lied oder Spruch, worüber
er nach seiner Art eine Auslegung machte, er selbst war immer ganz eifrig
und zeigte da schon Lust und Mut, die Wahrheit zu sagen. Aber immer war er
gut, sanft und nachgiebig gegen seine Schwestern …“ (zit. n.
Lahnstein
1981, S. 35)
Für Friedrich Schiller wird Pastor Moder jedenfalls zum bewunderten Vorbild,
und so scheint es dem Jungen klar, dass er werden will, was Pfarrer Moser
ist (vgl.
Buchwald 1959, S.91).
Noch in Lorch ist, wie schon erwähnt, die zwei Jahre ältere Schwester Christophine die
wichtigste Spielgefährtin Friedrichs. Mit ihr streift er auf eigene Faust
durch die nähere Umgebung. Daneben gibt es wohl noch Beziehungen zu anderen
Spielkameraden, über die man von zwei Jungen abgesehen jedoch nicht viel
weiß. Das ist zu einen
Karl Philipp Conz, drei Jahre jünger als Friedrich,
mit dessen Familie die Schillers befreundet sind. Der Vater von Karl ist
Amtsschreiber oben im Kloster, wo er mit seiner Familie wohnt. Der gerade
mal halb so alte kleine Conz hat Friedrich gewiss nie seine Führungsrolle in
ihrer Beziehung streitig gemacht. Er wird später Professor an der Tübinger
Universität, die freundschaftliche Zuneigung beider wird auch im späteren
Leben erhalten bleiben. Während seines Aufenthaltes in Ludwigsburg 1793
werden sich die beiden Männer noch einmal häufiger sehen (vgl.
Alt Bd. II, 2004, S. 66) und
Conz wird als Mitarbeiter in Schillers von 1792 bis 1795 herausgegebenen
Literaturzeitschrift "Neue Thalia“ mit eigenen lyrischen Texten in
Erscheinung treten (vgl.
ebd. S.196).Conz bleibt auch
stets Bewunderer des literarischen Schaffens
seines Lorcher Jugendfreundes.
In einer 1782 in Stäudlins Schwäbischem Musenalmanach veröffentlichten Ode
lässt er die gemeinsamen Kindheitserlebnisse in hymnisch-anschaulichen
Bildern wiederaufleben und wendet sich voller Bewunderung am Ende direkt an
den Freund:
„[…]
Und o wie du schon da
Manche kindischen Freuden
Mit mir theiltest!
Da noch schlummernd in uns
Ruhte der Funken, der jetzt
Aufzulodern begann und bald
Ausschlagen wird zur Flamme!“
(zit. n.
Lahnstein
1981, S. 27)
Neben Karl Philipp Conz freundet sich Friedrich ab 1765 auch
mit dem Sohn des Lorcher Pfarrers, Christoph Ferdinand Moser an.
Peter
Lahnstein
(1981, S. 26) hat die Lorcher Zeit Friedrich Schillers sehr
anschaulich, wie folgt, zusammengefasst: "Bei aller Skepsis gegen den schönen
Schein, die unserer Zeit gemäß ist, bei aller Einsicht in den Beruf des
Vaters und in die wirtschaftliche Notlage der Familie, bei aller Abneigung
gegen den Stock als Erziehungsmittel – sollten wir darüber hinwegsehen, wie
viel Wärme, behagliche Vertraulichkeit dieses Kind umgeben haben, als es
fünf, sechs sieben Jahre alt war? Wie gut war der Ort für kindliche Neugier
und langsam wachsende Unternehmungslust: der weite Grasgarten und der
vorbeieilende Bach, Schmiedfeuer und Pinkepank, Häuser und Gärten
freundlicher Nachbarn, der nahe Wald und droben das Kloster mit seinen
Geheimnissen. Die vom Vater gehaltene Morgenandacht, an die der kleine Junge
seine eindringlichen Fragen knüpft; die schwärmerisch fromme Mutter, die ihn
mit Versen von Gellert und Paul Gerhart vertraut macht; der
Sonntagsgottesdienst, der bewunderte Lehrer auf der Kanzel; und wenn man,
was sich eigentlich nicht schickt, umherguckt: die biblischen Bilder, mit
denen die Empore bemalt ist. Die vertraute Schwester, die Spielkameraden
ringsum … im Kloster droben, wo dessen Vater tätig ist, wohnt der kleine
Conz, zwar kaum vier, wo man selber bald sieben ist, aber doch ein Freund.“
Als die Familie Schiller Lorch Ende 1766 verlässt und nach Ludwigsburg
umzieht, steht für Vater Johann Caspar längst fest, wohin die weitere
schulische Bildung seines einzigen Sohnes führen soll. Am Ende soll er
protestantischer Geistlicher werden und damit auf diese Art und Weise auch
den aus eigener Kraft vollzogenen sozialen Aufstieg der Schillers nachhaltig
unter Beweis stellen.
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
10.02.2022