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Friedrich Schiller in der Karlsschule (1773 - 1780)

Überblick

 
 

Die frühe Bildungsgeschichte Friedrich Schillers stellt für seinen Biographen Peter-André Alt (Bd. I, 2004, S. 82) den zentralen Zugang zu Leben und Werk des Dichters dar. Dabei nehmen die Erfahrungen Schillers an der Karlsschule die herausragende Rolle ein. Denn die dort gemachten Erfahrungen prägen seinen Intellekt und verschaffen ihm einen Grundbestand von Weltwissen und Fachwissen, die wiederum seine künstlerische Kreativität nachhaltig anspornen und seine literarische Produktivität antreiben. Hier bildet er seine "intellektuelle Identität“ aus, die nach Alt in ihrer individuellen Organisation erfasst sein will, um "den einheitlichen Charakter seines literarischen Werkes an den dichten Linien einer reichen Geistesbiographie erschließen zu können. Sie geht nicht im äußeren Lebenslauf auf, sondern behauptet ihr eigenes Recht als Medium, das Zufall und System, Neigung und Pflicht zusammenspielen lässt.“ (ebd.)
Auch Friedrich Schiller selbst hat viele Jahre, nachdem er die Karlsschule und sein Heimatland Württemberg verlassen hatte, die Bedeutung der Karlsschule für sein literarisches Schaffen betont:

"Ein seltsamer Missverstand der Natur hat mich in meinem Geburtsort zum Dichter verurteilt. Neigung für Poesie beleidigte die Gesetze des Instituts, worin ich erzogen ward, und widersprach dem Plan seines Stifters. Acht Jahre rang mein Enthusiasmus mit der militärischen Regel; aber Leidenschaft für die Dichtkunst ist feurig und stark, wie die erste Liebe, Was sie ersticken sollte, fachte sie an." (Schiller, Ankündigung der Zeitschrift Thalia 1794, zit. n. Alt Bd. I, 2004 S.81)

Die Pläne von Vater Johann Caspar und Sohn Friedrich, bzw. Fritz, wie er allerorten genannt wird, sehen eigentlich eine theologische Laufbahn für den einzigen Sohn der Familie vor. Der Wunsch, einmal ein geistliches Amt auszuüben, kommt bei Friedrich schon sehr früh auf. Im Grunde ist er sich darüber im Klaren, seitdem er Lateinstunden bei dem von ihm bewunderten Pastor Moser in Lorch (1764-66) erteilt bekommt. In seinem Wunsch, Theologie zu studieren, wird er  von seinem Vater und seiner Mutter entschieden unterstützt, so dass sein Weg vorgezeichnet zu sein scheint: "Klosterschule, Stift, ein geistliches Amt" (Lahnstein 1981, S. 41)

Als Friedrich vom württembergischen Herzog 1773 in seine "Militär-Pflanzschule", die Karlsschule, beordert wird, wo ein Theologiestudium nicht möglich ist, lösen sich die beruflichen Zukunftspläne von Vater und Sohn bald in Luft auf. Trotzdem versucht der Vater alles, um seinem Sohn das Kommende zu ersparen. Er wird zweimal beim Herzog vorstellig, um die Sache seines Sohnes, ohne Erfolg freilich, zu vertreten. Gegen seinen und den Willen seines Sohnes muss er Friedrich schließlich an der Karlsschule in die Hände des Herzogs geben. Was sich im Vorfeld seines Einritts in die Karlsschule ereignet, hat das Bild Friedrichs von seinem Vater stark beeinflusst und dieses Bild im Laufe der Zeit immer mehr verklärt. (vgl. Safranski 2004, S.23) Dabei hat Friedrich die väterliche Autorität indessen nie in Frage gestellt. Die ehrfürchtige Verehrung, die er seinem Vater zeitlebens entgegenbringt, rührt aber auch daher, dass sich sein Vater, als der Herzog nach ihm greift, schützend vor seinen Sohn stellt.

Friedrich will nämlich seit seinem Das entspricht dem ausgeprägten ökonomischen Versorgungsdenken des Vaters und ist in einer Zeit, in der das kulturelle und gesellschaftliche Leben noch stark von kirchlichen Einflüssen geprägt ist, nichts Außergewöhnliches. Was auf den ersten Blick der Soldatennatur des Vaters zu widersprechen scheint, erklärt sich doch aus der Tatsache, dass Johann Caspar eine geistliche Karriere in seiner Jugend auch angestrebt haben mag. Ebenso wichtig jedoch ist auch die Tatsache, dass das Erreichen eines statusträchtigen geistlichen Amtes dem gleichen sozialen Aufstiegswillen entspricht, dem der Vater stets gefolgt ist. In diesen Kreisen pflegt man, insbesondere in  Württemberg, einen Standesstolz und ein Elitebewusstsein, das auf dem hohen intellektuellen Niveau der Klosterschulen und Predigerseminare des Landes basiert. Und: "Bei der Vergabe von Kirchenämtern entschieden nicht allein Herkunft und Tradition, sondern auch Leistungskriterien wie Examensnoten, Begutachtungen und Qualität der besuchten Lehrinstitute." (Alt Bd. I, 2004, S. 51) Diese bürgerliche Sicht der Dinge muss dem Emporkömmling bürgerlicher Herkunft Johann Caspar umso mehr gefallen, je mehr er sich im Warten auf seinen noch immer ausstehenden Sold innerlich in Groll verzehrt und dabei täglich die Prasserei und Verschwendungssucht des adeligen Hofes vor Augen hat. Dazu erbittert ihn noch die Arroganz mancher adeliger Offiziere, die er gerne als "vornehmen Pöbel" bezeichnet (vgl. Lahnstein 1981, S. 31)
Friedrichs erzwungener Eintritt in die Karlsschule zieht nicht nur einen Schlussstrich unter die beruflichen Zukunftspläne von Eltern und Sohn, sondern entzieht den Dreizehnjährigen fortan ganz bewusst dem elterlichen Einfluss. Gerade in den oft kritischen Jahren seines Heranwachsens in der Adoleszenz, in der die Kinder in der Pubertät zu Jugendlichen bzw. jungen Erwachsenen reifen, gerät Friedrich damit in eine Anstalt, die den "totalen Freiheitsentzug" zum Erziehungsprinzip erklärt (vgl. ebd., S.48). Was sich am 16. Januar 1773, dem Tag seiner Übergabe an den Intendanten der Karlsschule, die in einem Nebenflügel des Karlsschlosses untergebracht ist, nach dem tränenreichen Abschied von der Mutter, in dem Jungen vorgegangen sein mag, ist unschwer zu ergründen. Es fällt ihm schwer, in seiner traurigen Benommenheit, jene  "männliche Fassung" zu bewahren, die ihm das herrschende Modell von Maskulinität eigentlich abverlangt. In jedem Fall erlebt der Junge diesen Tag wie im Schock, in einem Wechselbad der Gefühle zwischen Angst und verstohlenem Trotz (vgl. ebd., S.52, vgl. Alt Bd. I, 2004, S. 89). Der Vater, der der gesellschaftlichen Konvention entsprechend, das Kommende wohl eher emotionslos betrachtet haben mag oder nur innerlich verärgert über den Willkürakt des Herzogs gewesen sein mag, hat mit dem militärischen Drill der Erziehungsdiktatur, die auf den Sohn in den folgenden Jahren zukommt, als Soldat sicher wenig Probleme. Auch wenn er den Sohn fortan kaum mehr zu Gesicht bekommen soll, weiß er ihn doch, gesellschaftlich betrachtet, in den besten Händen. Und solange der soziale Aufstieg des Sohnes als Absolvent der Karlsschule für die Zukunft gesichert zu sein scheint, ist es auch für ihn zu ertragen, dass sich Herzog Carl Eugen in einem symbolischen Adoptionsakt zum "neuen" oder zumindest zweiten Vater Friedrichs wie aller anderen Karlsschüler erklärt. "Kein Cavalier noch Eleve", so steht es in einem herzöglichen Befehl dieser Zeit, " wird aus dem Hauss gelassen, es wäre denn, dass Vater oder Mutter tödtlich wäre, alsdann selbiger mit einem Offizier und einem Aufseher dahin zu schicken ist." Und einem Schüler, der selbst zu seinem im Sterben liegenden Vater nicht reisen darf, erklärt er unumwunden: " Tröst Er sich, Ich bin sein Vater -" (zit. n. vgl. Lahnstein 1981, S.48) Herzog Carl Eugen lässt sich diese Praxis auch durch den  Geheimrat und Staatsrechtler Gottfried Daniel Damm von der Universität Tübingen bestätigen, der dem Herzog mit staatsrechtlicher Begründung bescheinigt, "dass die Freiheit des Souveräns, die Bildungswege seiner jüngsten Untertanen zu steuern, möglich Ansprüche der Eltern aufhob". (Alt Bd. I, 2004, S. 137) Dem privaten bürgerlichen Erziehungskonzept wird damit durch das öffentliche, vom Konzept staatlicher Vormundschaft über die Untertanen ausgehende Erziehungsprivileg des Herzogs die Legitimationsgrundlage entzogen.
Wie von den Eltern aller Karlsschüler verlangt, erklären Friedrichs Eltern am 23.9. 1774 daher schriftlich in einem Revers, der in diesem Jahr erstmalig den Eltern der Karlsschüler zur Unterschrift vorgelegt wird,  dass sie ihren Sohn zum Dank für die ihm zuteil gewordene Ausbildung ganz den herzöglichen Diensten überlassen. Als Gegenleistung ist in dem Revers eines Anstellungsgarantie in herzöglichen Diensten festgeschrieben (vgl. Alt Bd. I, 2004, S. 83, 91, s. Abb.)
Die bewusste Entfremdung der Eleven von ihren Eltern durch das herzogliche Erziehungskonzept führt in der Folge dazu, dass Friedrich Schiller in den Karlsschuljahren seine Eltern, insbesondere aber seinen Vater,  nur wenig zu Gesicht bekommt. Die Regeln, die für solche Kontakte vorgesehen sind, verlangen, vor einem Besuch einen schriftlichen und gut begründeten Antrag der Eltern. So bekommt Friedrich vom weiteren Familienleben mit seinen Höhen und Tiefen nur noch per Brief etwas mit oder bei Besuchen der Mutter, die wie die anderen Mütter der Zöglinge offenbar auch, so Karoline von Wolzogen in ihrer Schiller-Biographie aus dem Jahre 1830, sonntags mit den jüngeren Schwestern Friedrichs zu Besuch kommen darf. Für den jungen Schiller bedeutet diese erzwungene und zugleich abrupte Ablösung von seinem Elternhaus und seiner vertrauten Umgebung eine traumatische Erfahrung, die, literarisch verarbeitet, an vielen Stellen seines späteren Werkes als Motiv der verlorenen Kindheit wiederkehrt. (vgl. Alt Bd. I, 2004, S. 89)

Im Arbeitsbereich zu den pädagogischen Gründungen des württembergischen Herzogs Carl Eugen können Sie sich ausführlich mit der Karlsschule befassen.

Hohe Carlsschule Stuttgart
Carlsschüler in ihrer Uniform, das Bild Herzog Carl Eugens von Württemberg und Gründers der Akademie zeichnend - Ölgemälde um 1775
(Quelle: Bildarchiv des LMZ Baden-Württemberg)

 

 

 

 

 

 

 

 

er seinen Vater,  nur wenig zu Gesicht bekommt. Die Regeln, die für solche Kontakte vorgesehen sind, verlangen, vor einem Besuch einen schriftlichen und gut begründeten Antrag der Eltern. So bekommt Friedrich vom weiteren Familienleben mit seinen Höhen und Tiefen nur noch per Brief etwas mit oder bei Besuchen der Mutter, die wie die anderen Mütter der Zöglinge offenbar auch, so Karoline von Wolzogen in ihrer Schiller-Biographie aus dem Jahre 1830, sonntags mit den jüngeren Schwestern Friedrichs zu Besuch kommen darf. Seine für ihn so wichtige ältere Schwester Christophine darf ihn als heranwachsende junge Frau überhaupt nicht besuchen, den Tod seiner beiden Schwestern Beata Friederike (22.12.1773) und Maria Charlotte (März 1774) erfährt er nur aus Briefen. Zur Beerdigung darf er nicht gehen. Seine Schwester Nanette, die im September 1777 geboren wird,  kann erst drei Jahre später nach seiner Entlassung aus der Akademie zum ersten Mal sehen. Für den jungen Schiller bedeutet diese erzwungene und zugleich abrupte Ablösung von seinem Elternhaus und seiner vertrauten Umgebung eine traumatische Erfahrung, die, literarisch verarbeitet, an vielen Stellen seines späteren Werkes als Motiv der verlorenen Kindheit wiederkehrt. (vgl. Alt Bd. I, 2004, S. 89)

 

Am 13. Juni 1780 stirbt Christoph August von Hoven im Alter von 19 Jahren. Schiller, der ein paar Tage zuvor schon an das Krankenbett seines Freundes gerufen wird, hält mit der Mutter seine Freundes, in der Nacht seines Todes Wacht an seinem Bett. Der Tod seines Freundes nimmt Friedrich sehr mit und stürzt ihn in eine depressive Verstimmung, die wochenlang anhält. (vgl. Alt Bd. I, 2004, S. 171) An den Vater seines Freundes, den Hauptmann Christian Daniel von Hoven (1732-1823) schreibt er drei Tage nach dem Tod einen Brief: "Tausendmal beneidete ich Ihren Sohn wie er mit dem Tod rang, und ich würde mein Leben mit eben der Ruhe statt seiner hingegeben haben, mit welcher ich schlafen gehe. Ich bin noch nicht einundzwanzig Jahr alt, aber ich darf es Ihnen frei sagen, die Welt hat keinen Reiz für mich mehr. Ich freue mich nicht auf die Welt, und jener Tag meines Abschieds aus der Akademie, der mir vor wenigen Jahren ein freundenvoller Festtag würde gewesen sein, wird mir einmal kein frohes Lächeln abgewinnen können. Mit jedem Schritt, den ich an Jahren gewinne, verlier ich immer mehr von meiner Zufriedenheit, je mehr ich dem reifern Alter nähere, desto mehr wünscht ich als Kind gestorben zu sein." (Brief Friedrich Schillers an Hauptmann von Hoven v. 15.6.1780, zit. n. Safranski 2004, S.98)

 

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© Gert Egle, teachSam - 24.02.07

 
   
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