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Die frühe Bildungsgeschichte
Friedrich Schillers stellt für seinen Biographen
Peter-André
Alt (Bd. I, 2004, S. 82) den zentralen Zugang zu Leben und Werk
des Dichters dar. Dabei nehmen die Erfahrungen Schillers an der
Karlsschule
die herausragende Rolle ein. Denn die dort gemachten Erfahrungen prägen
seinen Intellekt und verschaffen ihm einen Grundbestand von
Weltwissen und
Fachwissen, die wiederum
seine künstlerische Kreativität nachhaltig anspornen und seine literarische
Produktivität antreiben. Hier bildet er seine "intellektuelle Identität“
aus, die nach Alt in ihrer individuellen Organisation erfasst sein will, um
"den einheitlichen Charakter seines literarischen Werkes an den dichten
Linien einer reichen Geistesbiographie erschließen zu können. Sie geht nicht
im äußeren Lebenslauf auf, sondern behauptet ihr eigenes Recht als Medium,
das Zufall und System, Neigung und Pflicht zusammenspielen lässt.“ (ebd.)
Auch Friedrich Schiller selbst hat viele Jahre, nachdem er die Karlsschule
und sein Heimatland Württemberg verlassen hatte, die Bedeutung der
Karlsschule für sein literarisches Schaffen betont:
"Ein seltsamer Missverstand der Natur hat mich in meinem Geburtsort zum
Dichter verurteilt. Neigung für Poesie beleidigte die Gesetze des Instituts,
worin ich erzogen ward, und widersprach dem Plan seines Stifters. Acht Jahre
rang mein Enthusiasmus mit der militärischen Regel; aber Leidenschaft für
die Dichtkunst ist feurig und stark, wie die erste Liebe, Was sie ersticken
sollte, fachte sie an." (Schiller, Ankündigung der Zeitschrift Thalia 1794,
zit. n.
Alt Bd. I, 2004 S.81)
Die Pläne von Vater
Johann Caspar
und Sohn Friedrich, bzw. Fritz, wie er allerorten genannt wird, sehen
eigentlich eine theologische Laufbahn für den einzigen Sohn der Familie vor.
Der Wunsch, einmal ein geistliches Amt auszuüben, kommt bei Friedrich schon
sehr früh auf. Im Grunde ist er sich darüber im Klaren, seitdem er
Lateinstunden bei dem von ihm
bewunderten
Pastor Moser in
Lorch (1764-66) erteilt bekommt. In seinem Wunsch, Theologie zu studieren, wird
er von seinem Vater und seiner Mutter entschieden
unterstützt, so dass sein Weg vorgezeichnet zu sein scheint: "Klosterschule,
Stift, ein geistliches Amt" (Lahnstein 1981,
S. 41)

Als Friedrich vom württembergischen Herzog
1773 in seine
"Militär-Pflanzschule", die Karlsschule, beordert wird, wo ein
Theologiestudium nicht möglich ist, lösen sich die beruflichen Zukunftspläne
von Vater und Sohn bald in Luft auf. Trotzdem versucht der Vater alles,
um seinem Sohn das Kommende zu ersparen. Er wird zweimal beim Herzog vorstellig,
um die Sache seines Sohnes, ohne Erfolg freilich, zu vertreten. Gegen seinen
und den Willen seines Sohnes muss er Friedrich schließlich an der
Karlsschule in die Hände des Herzogs geben. Was sich im Vorfeld seines
Einritts in die Karlsschule ereignet, hat das Bild Friedrichs von seinem
Vater stark beeinflusst und dieses Bild im Laufe der Zeit immer mehr
verklärt.
(vgl.
Safranski
2004, S.23) Dabei hat Friedrich die väterliche Autorität indessen nie in Frage gestellt.
Die ehrfürchtige Verehrung, die er seinem Vater zeitlebens entgegenbringt, rührt
aber auch daher,
dass sich sein Vater, als der Herzog nach ihm greift, schützend vor seinen
Sohn stellt.
Friedrich will nämlich seit seinem Das
entspricht dem ausgeprägten ökonomischen
Versorgungsdenken des Vaters und ist
in einer Zeit, in der das kulturelle
und gesellschaftliche Leben noch stark von kirchlichen Einflüssen geprägt
ist, nichts Außergewöhnliches.
Was auf den ersten Blick der Soldatennatur
des Vaters zu widersprechen scheint, erklärt sich doch aus der Tatsache,
dass Johann Caspar eine geistliche Karriere in seiner Jugend auch angestrebt
haben mag. Ebenso wichtig jedoch ist auch die Tatsache, dass das Erreichen
eines statusträchtigen geistlichen Amtes dem gleichen sozialen
Aufstiegswillen entspricht, dem der Vater stets gefolgt ist. In diesen
Kreisen pflegt man, insbesondere in Württemberg, einen
Standesstolz und ein Elitebewusstsein, das auf dem hohen intellektuellen
Niveau der Klosterschulen und Predigerseminare des Landes basiert. Und: "Bei der Vergabe von Kirchenämtern entschieden nicht allein
Herkunft und Tradition, sondern auch Leistungskriterien wie Examensnoten,
Begutachtungen und Qualität der besuchten Lehrinstitute." (Alt Bd. I, 2004,
S. 51) Diese bürgerliche Sicht der Dinge muss dem Emporkömmling bürgerlicher
Herkunft Johann Caspar umso mehr gefallen, je mehr er sich im Warten auf
seinen noch immer ausstehenden Sold innerlich in Groll verzehrt und dabei
täglich die Prasserei und Verschwendungssucht des adeligen Hofes vor Augen
hat. Dazu erbittert ihn noch die Arroganz mancher adeliger Offiziere, die er gerne
als "vornehmen Pöbel" bezeichnet (vgl.
Lahnstein 1981, S. 31)
Friedrichs erzwungener Eintritt in die Karlsschule zieht nicht nur einen
Schlussstrich unter die beruflichen Zukunftspläne von Eltern und Sohn,
sondern entzieht den Dreizehnjährigen fortan ganz bewusst dem elterlichen
Einfluss. Gerade in den oft kritischen Jahren seines Heranwachsens in der
Adoleszenz, in der die Kinder in der Pubertät zu Jugendlichen bzw. jungen
Erwachsenen reifen, gerät Friedrich damit in eine Anstalt, die den "totalen
Freiheitsentzug" zum Erziehungsprinzip erklärt (vgl.
ebd., S.48). Was sich am
16.
Januar 1773, dem Tag seiner Übergabe an den Intendanten der Karlsschule, die
in einem Nebenflügel des Karlsschlosses untergebracht ist, nach dem
tränenreichen Abschied von der Mutter, in dem Jungen vorgegangen sein mag,
ist unschwer zu ergründen. Es fällt ihm schwer, in seiner traurigen
Benommenheit, jene "männliche Fassung" zu bewahren, die ihm das
herrschende Modell von Maskulinität eigentlich abverlangt. In jedem Fall
erlebt der Junge diesen Tag wie im Schock, in einem Wechselbad der Gefühle
zwischen Angst und verstohlenem Trotz (vgl.
ebd., S.52, vgl.
Alt Bd. I, 2004, S. 89). Der
Vater, der der gesellschaftlichen Konvention entsprechend, das Kommende wohl
eher emotionslos betrachtet haben mag oder nur innerlich verärgert über den Willkürakt
des Herzogs gewesen sein mag, hat mit dem militärischen Drill der
Erziehungsdiktatur, die auf den Sohn in den folgenden Jahren zukommt, als
Soldat sicher wenig Probleme. Auch wenn er den Sohn fortan kaum mehr zu
Gesicht bekommen soll, weiß er ihn doch, gesellschaftlich betrachtet, in den
besten Händen. Und solange der soziale Aufstieg des Sohnes als Absolvent der
Karlsschule für die Zukunft gesichert zu sein scheint, ist es auch für ihn
zu ertragen, dass sich Herzog Carl Eugen in einem symbolischen Adoptionsakt
zum "neuen" oder zumindest zweiten Vater Friedrichs wie aller anderen
Karlsschüler erklärt. "Kein Cavalier noch Eleve", so steht es in einem
herzöglichen Befehl dieser Zeit, " wird aus dem Hauss gelassen, es wäre
denn, dass Vater oder Mutter tödtlich wäre, alsdann selbiger mit einem
Offizier und einem Aufseher dahin zu schicken ist." Und einem Schüler, der
selbst zu seinem im Sterben liegenden Vater nicht reisen darf, erklärt er
unumwunden: " Tröst Er sich, Ich bin sein Vater -" (zit. n. vgl.
Lahnstein 1981, S.48) Herzog Carl Eugen lässt sich diese Praxis auch durch
den Geheimrat und Staatsrechtler Gottfried Daniel Damm von der
Universität Tübingen bestätigen, der dem Herzog mit staatsrechtlicher
Begründung bescheinigt, "dass die Freiheit des Souveräns, die Bildungswege
seiner jüngsten Untertanen zu steuern, möglich Ansprüche der Eltern aufhob".
(Alt Bd. I, 2004,
S. 137) Dem privaten bürgerlichen Erziehungskonzept wird damit durch das
öffentliche, vom Konzept staatlicher Vormundschaft über die Untertanen
ausgehende Erziehungsprivileg des Herzogs die Legitimationsgrundlage
entzogen.

Wie von den Eltern aller Karlsschüler verlangt, erklären Friedrichs
Eltern am 23.9. 1774 daher schriftlich in einem Revers, der in diesem Jahr
erstmalig den Eltern der Karlsschüler zur Unterschrift vorgelegt wird, dass sie ihren Sohn zum Dank für die ihm
zuteil gewordene Ausbildung ganz den herzöglichen Diensten überlassen. Als
Gegenleistung ist in dem Revers eines Anstellungsgarantie in herzöglichen
Diensten festgeschrieben (vgl.
Alt Bd. I, 2004, S. 83, 91,
s. Abb.)
Die bewusste Entfremdung der Eleven von ihren Eltern durch
das herzogliche Erziehungskonzept führt in der Folge dazu, dass Friedrich
Schiller in den Karlsschuljahren seine Eltern, insbesondere aber seinen
Vater, nur wenig zu
Gesicht bekommt. Die Regeln, die für solche Kontakte vorgesehen sind,
verlangen, vor einem Besuch einen schriftlichen und gut begründeten Antrag
der Eltern. So bekommt Friedrich vom weiteren Familienleben mit seinen Höhen
und Tiefen nur noch per Brief etwas mit oder bei Besuchen der Mutter, die
wie die anderen Mütter der Zöglinge offenbar auch, so
Karoline von Wolzogen in ihrer
Schiller-Biographie aus dem Jahre 1830, sonntags mit den jüngeren
Schwestern Friedrichs zu Besuch kommen darf. Für den jungen Schiller bedeutet diese erzwungene und
zugleich abrupte Ablösung von seinem Elternhaus und seiner vertrauten
Umgebung eine traumatische Erfahrung, die, literarisch verarbeitet, an
vielen Stellen seines späteren Werkes als
Motiv der verlorenen Kindheit
wiederkehrt. (vgl.
Alt Bd. I, 2004,
S. 89)

Im Arbeitsbereich zu den
pädagogischen Gründungen des württembergischen Herzogs Carl Eugen
können Sie sich ausführlich mit der Karlsschule befassen.
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Überblick
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Erziehung und militärischer Drill
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Lehr- und Unterrichtspraxis
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Privatleben - Fehlanzeige
-
Ständische Ungleichheit
-
Umzug nach Stuttgart 1775
-
Quellen
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Textauswahl
-
Gustav Hauber, Der Herzog und die Karlsschule (1907
-
Gustav Hauber, Aufnahmevoraussetzungen und Schullaufbahn an der
Karlsschule (1907)
-
Gustav Hauber, Die finanzielle und privatrechtliche Stellung
der Eleven der Karlsschule (1907)
-
Gustav Hauber, Schülerstatistik (1907)
-
Gustav Hauber, Stadtstudierende an der Karlsschule (1907)
-
Gustav Hauber, Die Lehrer der Karlsschule (1907)
-
Gustav Hauber, Besondere Merkmale der Karlsschule (1907)
-
Gustav Hauber, Der militärische Charakter der Karlsschule
(1907)
-
Gustav Hauber, Über das Gemeinschaftsgefühl der Eleven (1907)
-
Gustav Hauber, Religionsunterricht (1907)
-
Gustav Hauber, Deutschunterricht
(1907)
-
Gustav Hauber, Alte Sprachen (1907)
-
Gustav Hauber, Neue Sprachen (1907)
-
Gustav Hauber, Geschichts- und Geographieunterricht (1907)
-
Gustav Hauber, Mathematik und Physik (1907)
-
Gustav Hauber, Philosophieunterricht (1907)
-
Gustav Hauber, Sportunterricht (1907)
-
Gustav Hauber, Berufliche Ausbildung (1907)
-
Gustav Hauber, Kunstunterricht (1907)
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Bausteine
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Hohe Carlsschule Stuttgart
Carlsschüler in ihrer Uniform, das Bild Herzog Carl Eugens von
Württemberg und Gründers der Akademie zeichnend - Ölgemälde um 1775
(Quelle:
Bildarchiv
des LMZ Baden-Württemberg)

er seinen Vater, nur wenig zu
Gesicht bekommt. Die Regeln, die für solche Kontakte vorgesehen sind,
verlangen, vor einem Besuch einen schriftlichen und gut begründeten Antrag
der Eltern. So bekommt Friedrich vom weiteren Familienleben mit seinen Höhen
und Tiefen nur noch per Brief etwas mit oder bei Besuchen der Mutter, die
wie die anderen Mütter der Zöglinge offenbar auch, so
Karoline von Wolzogen in ihrer
Schiller-Biographie aus dem Jahre 1830, sonntags mit den jüngeren
Schwestern Friedrichs zu Besuch kommen darf. Seine für ihn so wichtige ältere
Schwester Christophine darf ihn als heranwachsende junge Frau überhaupt
nicht besuchen, den Tod seiner beiden Schwestern Beata Friederike
(22.12.1773) und Maria Charlotte (März 1774) erfährt er nur aus Briefen. Zur
Beerdigung darf er nicht gehen. Seine Schwester Nanette, die im September
1777 geboren wird, kann erst drei Jahre später nach seiner Entlassung aus der Akademie zum
ersten Mal sehen. Für den jungen Schiller bedeutet diese erzwungene und
zugleich abrupte Ablösung von seinem Elternhaus und seiner vertrauten
Umgebung eine traumatische Erfahrung, die, literarisch verarbeitet, an
vielen Stellen seines späteren Werkes als
Motiv der verlorenen Kindheit
wiederkehrt. (vgl.
Alt Bd. I, 2004, S. 89)
Am 13. Juni 1780
stirbt
Christoph
August von Hoven im Alter von 19 Jahren. Schiller, der ein paar Tage
zuvor schon an das Krankenbett seines Freundes gerufen wird, hält mit der
Mutter seine Freundes, in der Nacht seines Todes Wacht an seinem Bett. Der
Tod seines Freundes nimmt Friedrich sehr mit und stürzt ihn in eine
depressive Verstimmung, die wochenlang anhält. (vgl.
Alt Bd. I, 2004, S. 171) An den Vater seines Freundes, den
Hauptmann Christian
Daniel von Hoven (1732-1823) schreibt er drei Tage nach dem Tod einen
Brief: "Tausendmal beneidete ich Ihren Sohn wie er mit dem Tod rang, und ich
würde mein Leben mit eben der Ruhe statt seiner hingegeben haben, mit
welcher ich schlafen gehe. Ich bin noch nicht einundzwanzig Jahr alt, aber
ich darf es Ihnen frei sagen, die Welt hat keinen Reiz für mich mehr. Ich
freue mich nicht auf die Welt, und jener Tag meines Abschieds aus der
Akademie, der mir vor wenigen Jahren ein freundenvoller Festtag würde
gewesen sein, wird mir einmal kein frohes Lächeln abgewinnen können. Mit
jedem Schritt, den ich an Jahren gewinne, verlier ich immer mehr von meiner
Zufriedenheit, je mehr ich dem reifern Alter nähere, desto mehr wünscht ich
als Kind gestorben zu sein." (Brief Friedrich Schillers an Hauptmann von
Hoven v. 15.6.1780, zit. n.
Safranski 2004, S.98)
(wird weiter bearbeitet!)
© Gert Egle, teachSam - 24.02.07 |
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