▪
Methodenrepertoire zur
szenischen Erarbeitung von Dramentexten
▪
Strukturen dramatischer Texte
▪
Exposition im Drama der
geschlossenen Form
▪
Allgemeine Expositionsanalyse
▪
Aspektorientierte Expositionsanalyse
▪
Perspektiven
und Perspektivenstrukturen im dramatischen Text
▪
Parallelisierung, Kontrastierung und Symmetrierung von Szenen,
Personen, Wechselreden und Positionen
▪
Analyse einer dramatischen Szene
In
der
▪
zweiten Szene des
▪
1. Aktes von ▪ Friedrich Schillers Drama
▪ Maria Stuart, tritt ▪
Maria zum ersten Mal auf. Sie setzt sich mit ihrem Wächter ▪
Amias Paulet über ihre Haftbedingungen und den Fortgang des gegen sie
angestrengten Prozesses auseinander und bittet ihn zugleich, einen
Brief ▪
Elisabeth
persönlich zu übergeben. In diesem Brief, über dessen Inhalt Maria ihren
Wächter informiert, bittet sie Elisabeth ▪
um eine persönliche Unterredung (V 168f.).
Die Szene erfüllt
wichtige Aufgaben im Rahmen der Exposition des Dramas. Dabei
geht es um die unmittelbare Vorgeschichte, darunter die Tatsache, dass
man sie über den Ausgang des schon vor ▪
vier Wochen gegen sie angestrengten Prozesses (V 216) im Unklaren
lässt. Die Informationen, die der Zuschauer dadurch über das Geschehen
erhält, erfolgen dabei weitgehend handlungsintern und in Form eines mehr
oder weniger echten Dialogs zwischen Maria und Paulet.

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Die expositionelle Informationsvergabe bezieht sich dabei auf die
Vorgeschichte, die Gegenwart und und die Zukunft des dramatischen
Geschehens. Sie verweisen neben ihres der
analytischen Struktur
des
Gesamtdramas geschuldeten dominanten ▪
Zukunftsbezugs auf einzelne Momente der
▪
Vorgeschichte (präteritaler Expositionsbezug)
und geben dem Zuschauer zahlreiche ▪
Informationen über die Dramengegenwart (präsentischer Expositionsbezug)
und ihre Deutung durch die Akteure.
Während die Exposition in der vorausgehenden ersten Szene des Dramas
allerdings aus der sogenannten "Domestikenperspektive",
der Perspektive Bediensteter, und zwar der Nebenfiguren, der Amme
Marias, Hanna Kennedy, und ihres Wächters, Amias Paulet, erfolgt, ist es
nun die Hauptfigur Maria Stuart selbst, die mit ihren Äußerungen dem
Zuschauer einen ersten Einblick über ihre Sicht der Dinge gibt.

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Charakteristisch für die strukturbildende "Unruhe" des Stückes, das immer
wieder "mit einer anderen Deutung des gleichen Zusammenhangs oder mit
einer überraschenden Wendung, die alles zuvor Dargestellte in Frage
stellt" (Vonhoff
2005, S.160), ist auch Schillers Gestaltung der ▪
Perspektivenstruktur
seines Dramas. Sie hat neben den verschiedenen Handlungsumschwüngen,
welche die Handlung immer wieder für eine Zeitlang in andere Richtung
voranzureiben scheinen, einen großen Anteil daran hat, dass das ziemlich
handlungsarme Stück immer wieder "dramatisiert" wird und dem Zuschauer
einiges abverlangt.
Die Polyperspektivität miteinander "konkurrierender" Figurenperspektiven,
die Schillers Drama mit seinen vielfältigen Kontrast- und
Korrespondenzbeziehungen auszeichnen, dienen dabei nicht nur der
Spannungserzeugung, sondern verlangen "vom Zuschauer eine stetige
Aufmerksamkeit und die fortgesetzte Bereitschaft zur Revision seines
Urteils." (Vonhoff
2005, S.160) Um sich in dieser "perspektivische(n) Abschattung"
(Pfister 1977,
S.90) des jeweiligen Blickwinkels zurechtzufinden, bietet Schiller über
die formalästhetischen Prinzipien der ▪
Komposition seines Dramas wie z. B. ▪
Parallelisierung, Kontrastierung und Symmetrierung von Szenen,
Personen, Wechselreden und Positionen Strukturen an, mit deren Hilfe
sich der Zuschauer in den miteinander "konkurrierenden"
Figurenperspektiven und den "Extremen und Polaritäten", den
"dramatischen Umschlägen und gehäuften Effekte" (Sautermeister
1992/2005, S.288) orientieren kann. Ob und inwieweit sich auf diesem
Weg in dieser ▪
geschlossenen, zum Teil auch ▪
offen wirkenden Perspektivenstruktur, die ▪
auktorial intendierte Rezeptionsperspektive zweifelsfrei ermitteln
lässt, ist Gegenstand der literaturwissenschaftlichen Forschung.
Um sich nicht in den in der vorigen Szene I,1 dargebotenen ▪
dramatischen
Figurenperspektiven zu verfangen, muss sich der Zuschauer rasch von
Domestikenperspektive ▪
Hanna Kennedys
und ▪
Amias Paulets
lösen (Hanna spricht in I,1 von der "Jammervolle(n)",
V 25 und "Unglücksselige(n)"
V,86 und Paulet hingegen von der "unheilbrütend Listige(n)", V, 132
und der "ränkevollen
Königin", V.141). So kann er mit dem erstmaligen Auftreten ▪
Maria Stuarts durchaus erkennen, dass Hanna
eigentlich "ungebührlich parteiisch, fast schwärmerisch" (Vonhoff
2005, S.161) in ihrem Urteil ist und Paulet, sich nicht wie zu
Beginn beim Aufbrechen von Marias Pult, als brutal oder skrupellos
herausstellt, sondern als durchaus verständig, in einer Weise, dass er
auch von Maria als "Sachwalter" akzeptiert wird. (vgl.
ebd.)
Und: "Anders als Paulet mutmaßte, betritt Maria Stuart die Bühne mit
disziplinierter Schwermut. Todesahnungen überschatten ihre Hoffnung auf
eine Unterredung mit Englands Königin Elisabeth und auf ein gerechtes
Urteil des englischen Parlaments." (Sautermeister
1992/2005, S.286)
Schiller zeigt sich gerade in der dramaturgisch gezielt eingesetzten
strukturbildenden "Unruhe" in dem sonst weitgehend handlungsarmen Stück
(Vonhoff
2005, S.161) als Meister der "Strategie des Überraschens,
Überrumpelns und der dramatischen Täuschung" (Sautermeister
1992/2005, S.286), die er immer wieder als Mittel auktorialer
Rezeptionslenkung zur Spannungserzeugung verwendet.
Dies zeigt sich an verschiedenen weiteren Stellen des Dramas. Im konkreten
Fall des unmittelbaren Handlungskontexts von Szene I,2 geschieht dies
unter anderem dadurch, dass die geplante Rettungsaktion Mortimers die
Situation "postwendend (dramatisiert)" (ebd.)
"Mortimer, der
anscheinend rohe Neffe des Gefängniswärters, enthüllt sich als
Ästhet, diensteifriger Bote und Parteigänger Marias: das Urteil
des Parlaments laute auf Tod und Hinrichtung, wovor er sie zu
retten gedenken. Die Furcht des Theaterpublikums vor der
Katastrophe und die Hoffnung auf das Gelingen des Rettungsplans
halten einander die Waage. Dieses unschlichtbare
Spannungsverhältnis lebenszerstörender und lebenserhaltender
Kräfte beutet Schiller sorgfältig aus." (ebd.)