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Strukturen
dramatischer Texte
▪
Analytisches Drama
▪ Überblick
▪
Aufbauschema des analytischen
Dramas
▪
Drama der geschlossenen Form
Friedrich
Schillers Stück ▪ Maria Stuart
stellt, weil seine dramatischen Konflikte auf der Vorgeschichte
und darauf beruhen, was während der dramatischen Bühnenhandlung
passiert, einen ▪
Mischtyp zwischen dem ▪
analytischen
(Enthüllungsdrama) und dem ▪
Zieldrama (synthetisches Drama, Entfaltungsdrama) dar.
Als
Enthüllungsdrama liegen auch in diesem Stück das bzw. die
entscheidenden Ereignisse. die die Bühnenhandlung vorantreiben,
im Gegensatz zum ▪
Zieldrama (synthetisches Drama, Entfaltungsdrama) in der
näheren oder ferneren Vorgeschichte, über die der Zuschauer vor
allem in der Exposition im 1. Akt des Dramas informiert wird.
Was in der
Vergangenheit geschehen ist, wird ausgehend von der "im Auftakt
präsentierte(n) Situation im weiteren Verlauf der szenischen
Handlung sukzessive in ihren Bedingungen beleuchtet wird".
Wie das Ganze ausgehen wird, ist "somit bereits vorgezeichnet." (Boehnisch
2012, S.137), was sich in dem ▪
allgemeinen Aufbauschema analytischer
Dramen niederschlägt. Als "Konstruktionsschema" bietet es
sich vor allem für das den Formtyp des geschlossenen Dramas
an.(vgl.
Klotz
1969, S. 41)
Die
grundlegende Besonderheit des analytischen Dramas besteht darin, dass es die vordem "konstitutive
gegenwärtige Gleichzeitigkeit von Darstellung, Dargestelltem und
Rezeption" aufhebt. Damit öffnet es die Rezeption der Leser und
Zuschauer von dem mehr oder weniger identifikatorischen
Nachvollzug des mimetischen Spiels hin zu einer analytischen
Betrachtung des dramatischen Geschehens, weil sie dem Zuschauer
"Momente analytischer Distanz" (Boehnisch
2012, S.137) erlaubt, mit denen das analytische Drama durch
seine "Fluchtlinien in die Vergangenheit" (ebd.)
die Absolutheit des präsentisch-präsentierten dramatischen
Geschehens durchstößt. (vgl.
ebd.) Dabei verseht man unter der Absolutheit des
dramatischen Geschehens die Tatsache, dass es gewöhnlich,
vereinfacht ausgedrückt, einfach irgendwann und irgendwo beginnt
und an einer anderen beliebigen Stelle in der Dramenzukunft
endet, es streng genommen also nur die Dramengegenwart gibt.
Ist die
analytische Struktur des Dramas weitgehend unbestritten, so
gehen die Meinungen darüber, ob die maßgeblichen Figuren des
Stücks während der dramatischen Handlung eine (charakterliche)
Entwicklung nehmen oder nicht, in der
literaturwissenschaftlichen Forschung umstritten. Die meisten
Interpreten machen sich bei ihrer Interpretation des Stückes
eine mehr oder weniger ausgeprägte psychologische
Deutungsperspektive zu eigen, die den Bezug zu Schillers
dramentheoretischen Schriften auf unterschiedliche Art und und
Weise und in unterschiedlichem Maße akzentuieren.
Im Grunde
genommen lässt sich diese Deutungsperspektive von der Auffassung
leiten, dass es sich bei Schillers Drama Maria Stuart um ein
analytisches Charakterdrama handelt, "bei dem die wesentlichen Momente
der Handlung einschließlich der Gerichtsverhandlung gegen die
des Hochverrats angeklagte Maria bereits zu Beginn des Stücks
abgeschlossen sind, so dass das Trauerspiel ganz und gar auf die
unterschiedliche Rezeption und Interpretation dieser Handlungen
konzentriert bleibt" (Vonhoff
2005, S.157). Auch wenn damit noch nichts darüber gesagt
ist, ob die maßgeblichen Charaktere (Figuren) des Dramas im
Stück eine charakterliche Entwicklung durchmachen, wird daraus
der Schluss gezogen, dass "dieses Trauerspiel die innere Entwicklung zum Gegenstand
haben soll" (ebd.,
S.158).
Dem ist
allerdings in neueren Forschungen vor allem mit dem
Hinweis widersprochen worden, dass in dem Stück keine
Entwicklung der Charaktere zur Anschauung gebracht werde,
"sondern ganz im Gegenteil das fortwährende, unter den
dargestellten Umständen nicht zu überwindende Eingeschränktsein
der Charaktere (Figuren) im dramatischen Stück vorgeführt" werde
(ebd.,
S.160)

Insbesondere
die These von einer "Wandlung" oder "Läuterung" Marias (z. B.
Buchwald 1957,
Neis
(1981) 1999 u. a. m.) im Verlauf des dramatischen Geschehens, auch Kern
der These von der "Märtyrertragödie", ist dabei mit akribischer
Textarbeit entgegengearbeitet worden (Guthke
1998/2005, S.439. Dabei wird betont, dass es für
Entwicklung oder Läuterung Marias in ihrem gewöhnlich
verwendeten Sinne im "Text keine eindeutigen Anhaltspunkte
(gibt); zuviel seelisches Auf und Ab bestimmt die Vorgänge.
[...] Tatsächlich nimmt Maria dem Wortlaut nach ja mehrmals, an
verschiedenen Stationen ihres Weges, Abschied von der Welt. Und
wie die unterschiedlichen Deutungen erkennen lassen, legt sich
an mehreren Stellen dieses Weges (nicht immer plausibel) der
Gedanke nahe, dass eine Gewandelte vor uns stehe, ohne dass
zweifelsfrei eindeutig würde, in welchem Moment die
entscheidende Wandlung vollzieht." (ebd.)
Auf der
Grundlage dieser Kritik am vermeintlichen "Läuterungsdrama"
Maria Stuart hat sich eine dem Mainstream der
"psychologisierenden Deutungstradition" (Vonhoff
2005, S.162) abgewandte Position entwickelt, die die
Grundstruktur des Dramas mitsamt der Funktion ihrer
kompositorischen Prinzipien wie ▪
Parallelisierung, Kontrastierung und Symmetrierung von Szenen,
Personen, Wechselreden und Positionen anders versteht und sich als
Alternative zu einer ▪
schematischen und schablonenartigen Betrachtung der Tektonik des
Dramas präsentiert.
Diese "in die
Irre" (Guthke
1998, S.420) führende psychologisierende Betrachtung hat, ihren Kritikern zufolge,
auch dazu geführt, dass bestimmte Themen des Dramas auf der
Grundlage ihrer spezifischen Sicht auf die formalästhetischen
Kompositionsprinzipien auch in einer Art "Schwarz-Weiß-Malerei"
einander gegenübergestellt worden seien.
Dafür habe die
Begegnung der Königinnen mit ihrer formalästhetisch "akkurate(n) Antithetik"
in besonderem Maße herhalten müssen: "hier die ethisch geläuterte
Triumphfigur, dort die erbärmliche Verbrecherin, hier die Heilige
und Märtyrerin, dort der Theaterbösewicht, hier die am Ende ihres
Lebens von »irdischen«, »physischen« Motiven nicht mehr erreichbare,
sich nach dem Diktat absoluter Werte bestimmende »Idealistin« in der
makellosen Glorie des »Gewissens«, dort die ganz in den Bezügen der
Welt aufgehende »Realistin«, die sich von 'Macht'-Gelüsten und
Rachsucht treiben lässt unter dem Vorwand unter dem Vorwand des
Volkswohls und der Staatsräson (F.
van Ingen, 1988; G. A. Wells, 1973)". (Guthke ebd.)
Statt die dramatische Rede der
Figuren stets von den psychologischen Dispositionen, Emotionen und
Überlegungen der Figuren und ihrer seelischen Prozesse zu lesen und
damit einer Lesart zu folgen, die der ohnehin fraglichen These
folge, es gehe in diesem Drama " (überhaupt) um die Darstellung von
seelischen Prozessen" (Vonhoff
2005, S.162), müsse man "die Figurenreden
abstrakter" lesen (ebd.,
vgl. auch
Sharpe
1991, S.259f., S.263) Damit ist -
vereinfacht ausgedrückt - gemeint, dass der rhetorischen
Sprachverwendung und ihrer Analyse, die in zahlreichen Szenen des Dramas im
Vordergrund steht, eine weitaus größere Bedeutung zu geben ist.
Dies lässt sich auch in Szene III,4 zeigen.
Diese rhetorische Sprachverwendung wird
auch deutlich, als die beiden Königinnen persönlich
aufeinandertreffen. Voraussetzung für ihr Verständnis ist, dass
man das
dargebotene Geschehen als Rollenspiel der beiden Akteurinnen versteht.
Diese
abstraktere Lesart, die den psychologisierenden Deutungsrahmen
bewusst verlässt, soll dazu beitragen, das Stück, welches immer
wieder "mit einer anderen Deutung des gleichen Zusammenhangs
oder mit einer überraschenden Wendung, die alles zuvor
Dargestellte in Frage stellt" (Vonhoff
2005, S.160), aufwartet, so zu rezipieren, dass die von Schiller
intendierte "Zivilisationskritik" (ebd.,
S.166) an den gesellschaftlichen Widersprüchen seiner Zeit
erfahrbar wird. Die "zivilisationspessimistische Denkfigur" (ebd.,
S.166), die seinem Drama zugrunde liegt, beruhen letztlich auf
in seinen prinzipiell pessimistischen Auffassungen über die
gesellschaftlich-kulturellen Entwicklungspotentiale seiner Zeit,
die er das sentimentalische Zeitalter, nennt. Mit seinen ▪
Erfahrungen der Französischen Revolution und ihrer Bewertung -
kann sie nach Auffassung Schillers den Antagonismus "der
natürlichen Gewalt des Sinnlichen (Stoff)" und der subtilen, aber
deshalb noch gefährlicheren Gewalt des Geistes (Form)" (ebd.,
S.165) nicht überwinden.
Wenn es
Schiller dennoch darum zu tun ist, dass der Zuschauer
"Unterschiede im Ähnlichen" erkennen kann und damit zu
"Erkenntnissen und Einsichten in die analysierte Gesellschaft" (ebd.,
S.162) gelangen kann, muss das Drama auch anhand seiner Figuren
vermitteln können, dass es "(...) eine zivilisationskritische
Bearbeitung des Maria Stuart-Stoffes dar(stellt), geschrieben aus der Perspektive eines an
den Notwendigkeiten des sentimentalischen Geschichtsstandes
Verzweifelnden." (ebd.)
Geht es in
diesem allgemeinen Deutungsrahmen bei der Begegnung der
Königinnen als weniger um eine "wirkliche Darbietung" (ebd.,
S.163)
als um eine "rhetorische Debatte samt Rollenspiel" (ebd.)
dann richtet sich der Fokus der Analyse nicht so sehr auf
eine "psychologisch geführte Auseinandersetzung" (ebd.)
der beiden Königinnen, sondern nimmt die rhetorische
Sprachverwendung und die Grundstruktur des szenischen Spiels als
Rollenspiel in den Blick.