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Schiller, Maria Stuart: Aufbau und Komposition

Ein analytisches Charakterdrama?

 
FAChbereich Deutsch
Glossar Literatur Autorinnen und Autoren Friedrich SchillerBiographie
Werke Dramatische WerkeDie Räuber ● Maria Stuart Überblick Didaktische und methodische Aspekte Entstehungsgeschichte Historischer Hintergrund Stoffgeschichte [ Aufbau und Komposition Pyramidale und symmetrische Komposition Parallelisierung, Kontrastierung und Symmetrierung Spannungskurve   Maria Stuart - ein analytisches Charakterdrama? ] Handlungsverlauf Figurengestaltung Einzelne Figuren Sprachliche Form Interpretationsansätze Aufführungsberichte und - kritiken Bausteine Häufig gestellte Fragen (FAQs)Links ins Internet Lyrische Werke Sonstige Werke Bausteine Links ins Internet  Quickie für Eilige: So analysiert man eine dramatische Szene W-Fragen zur systematischen Szenenanalyse Schreibformen Operatoren im Fach Deutsch
 

Strukturen dramatischer Texte
Analytisches Drama
Überblick
Aufbauschema des analytischen Dramas
Drama der geschlossenen Form

Friedrich Schillers Stück ▪ Maria Stuart stellt, weil seine dramatischen Konflikte auf der Vorgeschichte und darauf beruhen, was während der dramatischen Bühnenhandlung passiert, einen ▪ Mischtyp zwischen dem ▪ analytischen (Enthüllungsdrama) und dem ▪ Zieldrama (synthetisches Drama, Entfaltungsdrama) dar.

Als Enthüllungsdrama liegen auch in diesem Stück das bzw. die entscheidenden Ereignisse. die die Bühnenhandlung vorantreiben, im Gegensatz zum ▪ Zieldrama (synthetisches Drama, Entfaltungsdrama) in der näheren oder ferneren Vorgeschichte, über die der Zuschauer vor allem in der Exposition im 1. Akt des Dramas informiert wird.

Was in der Vergangenheit geschehen ist, wird ausgehend von der "im Auftakt präsentierte(n) Situation im weiteren Verlauf der szenischen Handlung sukzessive in ihren Bedingungen beleuchtet wird". Wie das Ganze ausgehen wird, ist "somit bereits vorgezeichnet." (Boehnisch 2012, S.137), was sich in dem ▪ allgemeinen Aufbauschema analytischer Dramen niederschlägt. Als "Konstruktionsschema" bietet es sich vor allem für das den Formtyp des geschlossenen Dramas an.(vgl. Klotz 1969, S. 41)

Die grundlegende Besonderheit des analytischen Dramas besteht darin, dass es die vordem "konstitutive gegenwärtige Gleichzeitigkeit von Darstellung, Dargestelltem und Rezeption" aufhebt. Damit öffnet es die Rezeption der Leser und Zuschauer von dem mehr oder weniger identifikatorischen Nachvollzug des mimetischen Spiels hin zu einer analytischen Betrachtung des dramatischen Geschehens, weil sie dem Zuschauer  "Momente analytischer Distanz" (Boehnisch 2012, S.137) erlaubt, mit denen das analytische Drama durch seine "Fluchtlinien in die Vergangenheit" (ebd.) die Absolutheit des präsentisch-präsentierten dramatischen Geschehens durchstößt. (vgl. ebd.) Dabei verseht man unter der Absolutheit des dramatischen Geschehens die Tatsache, dass es gewöhnlich, vereinfacht ausgedrückt, einfach irgendwann und irgendwo beginnt und an einer anderen beliebigen Stelle in der Dramenzukunft endet, es streng genommen also nur die Dramengegenwart gibt.

Ist die analytische Struktur des Dramas weitgehend unbestritten, so gehen die Meinungen darüber, ob die maßgeblichen Figuren des Stücks während der dramatischen Handlung eine (charakterliche) Entwicklung nehmen oder nicht, in der literaturwissenschaftlichen Forschung umstritten. Die meisten Interpreten machen sich bei ihrer Interpretation des Stückes eine mehr oder weniger ausgeprägte psychologische Deutungsperspektive zu eigen, die den Bezug zu Schillers dramentheoretischen Schriften auf unterschiedliche Art und und Weise und in unterschiedlichem Maße akzentuieren.

Im Grunde genommen lässt sich diese Deutungsperspektive von der Auffassung leiten, dass es sich bei Schillers Drama Maria Stuart um ein analytisches Charakterdrama handelt, "bei dem die wesentlichen Momente der Handlung einschließlich der Gerichtsverhandlung gegen die des Hochverrats angeklagte Maria bereits zu Beginn des Stücks abgeschlossen sind, so dass das Trauerspiel ganz und gar auf die unterschiedliche Rezeption und Interpretation dieser Handlungen konzentriert bleibt" (Vonhoff 2005, S.157). Auch wenn damit noch nichts darüber gesagt ist, ob die maßgeblichen Charaktere (Figuren) des Dramas im Stück eine charakterliche Entwicklung durchmachen, wird daraus der Schluss gezogen, dass "dieses Trauerspiel die innere Entwicklung zum Gegenstand haben soll" (ebd., S.158).

Dem ist allerdings in neueren Forschungen vor allem mit dem Hinweis widersprochen worden, dass in dem Stück keine Entwicklung der Charaktere zur Anschauung gebracht werde, "sondern ganz im Gegenteil das fortwährende, unter den dargestellten Umständen nicht zu überwindende Eingeschränktsein der Charaktere (Figuren) im dramatischen Stück vorgeführt" werde (ebd., S.160)

 

 

 

Insbesondere die These von einer "Wandlung" oder "Läuterung" Marias (z. B. Buchwald 1957, Neis (1981) 1999 u. a. m.) im Verlauf des dramatischen Geschehens, auch Kern der These von der "Märtyrertragödie", ist dabei mit akribischer Textarbeit entgegengearbeitet worden (Guthke 1998/2005, S.439. Dabei wird betont, dass es für Entwicklung oder Läuterung Marias in ihrem gewöhnlich verwendeten Sinne im "Text keine eindeutigen Anhaltspunkte (gibt); zuviel seelisches Auf und Ab bestimmt die Vorgänge. [...] Tatsächlich nimmt Maria dem Wortlaut nach ja mehrmals, an verschiedenen Stationen ihres Weges, Abschied von der Welt. Und wie die unterschiedlichen Deutungen erkennen lassen, legt sich an mehreren Stellen dieses Weges (nicht immer plausibel) der Gedanke nahe, dass eine Gewandelte vor uns stehe, ohne dass zweifelsfrei eindeutig würde, in welchem Moment die entscheidende Wandlung vollzieht." (ebd.)

Auf der Grundlage dieser Kritik am vermeintlichen "Läuterungsdrama" Maria Stuart hat sich eine dem Mainstream der "psychologisierenden Deutungstradition" (Vonhoff 2005, S.162) abgewandte Position entwickelt, die die Grundstruktur des Dramas mitsamt der Funktion ihrer kompositorischen Prinzipien wie ▪ Parallelisierung, Kontrastierung und Symmetrierung von Szenen, Personen, Wechselreden und Positionen anders versteht und sich als Alternative zu einer ▪ schematischen und schablonenartigen Betrachtung der Tektonik des Dramas präsentiert.

Diese "in die Irre" (Guthke 1998, S.420) führende psychologisierende Betrachtung hat, ihren Kritikern zufolge, auch dazu geführt, dass bestimmte Themen des Dramas auf der Grundlage ihrer spezifischen Sicht auf die formalästhetischen Kompositionsprinzipien auch in einer Art "Schwarz-Weiß-Malerei" einander gegenübergestellt worden seien.

Dafür habe die Begegnung der Königinnen mit ihrer formalästhetisch "akkurate(n) Antithetik" in besonderem Maße herhalten müssen: "hier die ethisch geläuterte Triumphfigur, dort die erbärmliche Verbrecherin, hier die Heilige und Märtyrerin, dort der Theaterbösewicht, hier die am Ende ihres Lebens von »irdischen«, »physischen« Motiven nicht mehr erreichbare, sich nach dem Diktat absoluter Werte bestimmende »Idealistin« in der makellosen Glorie des »Gewissens«, dort die ganz in den Bezügen der Welt aufgehende »Realistin«, die sich von 'Macht'-Gelüsten und Rachsucht treiben lässt unter dem Vorwand unter dem Vorwand des Volkswohls und der Staatsräson (F. van Ingen, 1988; G. A. Wells, 1973)". (Guthke ebd.)

Statt die dramatische Rede der Figuren stets von den psychologischen Dispositionen, Emotionen und Überlegungen der Figuren und ihrer seelischen Prozesse zu lesen und damit einer Lesart zu folgen, die der ohnehin fraglichen These folge, es gehe in diesem Drama " (überhaupt) um die Darstellung von seelischen Prozessen" (Vonhoff 2005, S.162), müsse man "die Figurenreden abstrakter" lesen (ebd., vgl. auch Sharpe 1991, S.259f., S.263) Damit ist - vereinfacht ausgedrückt - gemeint, dass der rhetorischen Sprachverwendung und ihrer Analyse, die in zahlreichen Szenen des Dramas im Vordergrund steht, eine weitaus größere Bedeutung zu geben ist. Dies lässt sich auch in Szene III,4 zeigen.

Diese rhetorische Sprachverwendung wird auch deutlich, als die beiden Königinnen persönlich aufeinandertreffen. Voraussetzung für ihr Verständnis ist, dass man das dargebotene Geschehen als Rollenspiel der beiden Akteurinnen versteht.

Diese abstraktere Lesart, die den psychologisierenden Deutungsrahmen bewusst verlässt, soll dazu beitragen, das Stück, welches immer wieder "mit einer anderen Deutung des gleichen Zusammenhangs oder mit einer überraschenden Wendung, die alles zuvor Dargestellte in Frage stellt" (Vonhoff 2005, S.160), aufwartet, so zu rezipieren, dass die von Schiller intendierte "Zivilisationskritik" (ebd., S.166) an den gesellschaftlichen Widersprüchen seiner Zeit erfahrbar wird. Die "zivilisationspessimistische Denkfigur" (ebd., S.166), die seinem Drama zugrunde liegt, beruhen letztlich auf in seinen prinzipiell pessimistischen Auffassungen über die gesellschaftlich-kulturellen Entwicklungspotentiale seiner Zeit, die er das sentimentalische Zeitalter, nennt. Mit seinen ▪ Erfahrungen der Französischen Revolution und ihrer Bewertung - kann sie nach Auffassung Schillers den Antagonismus "der natürlichen Gewalt des Sinnlichen (Stoff)" und der subtilen, aber deshalb noch gefährlicheren Gewalt des Geistes (Form)" (ebd., S.165) nicht überwinden.

Wenn es Schiller dennoch darum zu tun ist, dass der Zuschauer "Unterschiede im Ähnlichen" erkennen kann und damit zu "Erkenntnissen und Einsichten in die analysierte Gesellschaft" (ebd., S.162) gelangen kann, muss das Drama auch anhand seiner Figuren vermitteln können, dass es "(...) eine zivilisationskritische Bearbeitung des Maria Stuart-Stoffes dar(stellt), geschrieben aus der Perspektive eines an den Notwendigkeiten des sentimentalischen Geschichtsstandes Verzweifelnden."  (ebd.)

Geht es in diesem allgemeinen Deutungsrahmen bei der Begegnung der Königinnen als weniger um eine "wirkliche Darbietung" (ebd., S.163) als um eine "rhetorische Debatte samt Rollenspiel" (ebd.) dann richtet sich der Fokus der Analyse nicht so sehr auf eine "psychologisch geführte Auseinandersetzung" (ebd.) der beiden Königinnen, sondern nimmt die rhetorische Sprachverwendung und die Grundstruktur des szenischen Spiels als Rollenspiel in den Blick.

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Aufbauschema des analytischen Dramas
Drama der geschlossenen Form

Gert Egle, zuletzt bearbeitet am: 29.05.2021

   
 

 
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