▪
Strukturen
dramatischer Texte
▪
Figurengestaltung
▪
Kontrast-
und Korrespondenzbeziehungen der Figuren
▪
Figurenkonstellation
▪
Überblick
▪ Möglichkeiten
zur Visualisierung von Figurenkonstellationen
▪
Konfiguration
▪
Figurenkonzeption
▪
Figurencharakterisierung
Maria Stuart
ist die Titelfigur in Friedrich Schillers gleichnamigem Trauerspiel, das
am 14., Juli 1800 am Theater von Weimar zum ersten Mal aufgeführt und
Ende April des darauf folgenden Jahres bei Cotta in Göttingen als
Buchausgabe erschienen ist. ▪
Entstanden ist das Theaterstück wohl im Zeitraum von etwa 1782 bis
zur Jahrhundertwende.
Sie ist im 1., 3. und 5. Akt an insgesamt 16 Szenen beteiligt und damit
die Figur mit der größten Bühnenpräsenz. Dabei trifft sie in wechselnden
▪ Konfigurationen mit allen Haupt- und
Nebenfiguren des Dramas zusammen. Da Konfigurationswechsel auch während der Szenen stattfinden,
entspricht die Anzahl der Konfigurationen nicht der Anzahl der Szenen.
-
Maria Stuart, Hanna Kennedy (3) (I,1
- I,4 -
III,1)
-
Maria Stuart, Mortimer (1) (I,6)
-
Maria Stuart, Melvil (1) (V,7)
-
Maria Stuart, Mortimer, Kennedy (3) (I,5
- I,6 -
III,6)
-
Maria Stuart, Kennedy, Paulet (2) (I,2
- III,2)
-
Maria Stuart, Kennedy, Mortimer, Paulet (1) (I,3)
-
Maria Stuart, Burleigh, Paulet, Kennedy (I,7)
-
Maria Stuart, Kennedy, Paulet, Shrewsbury (1) (III,3)
-
Maria Stuart, Elisabeth, Shrewsbury, Leicester, Kennedy, Paulet
(1)(III,4)
-
Maria Stuart, Burleigh, Leicester, Paulet, Melvil (1) (V,8)
-
Maria Stuart, Kennedy, Melvil, Burgoyn, Margareta Kurl, Kammerfrauen
Gertrude und Rosamund, zwei weitere weibliche Bediente, Paulet, Drugeon
Drury (1) (V,6)
-
Maria Stuart, Burleigh, Leicester, Kennedy, Melvil, Margareta Kurl,
Kammerfrauen Gertrude und Rosamund, zwei weitere weibliche Bediente,
Paulet, Sheriff, bewaffnete Männer (1) (V,9)
In einem Brief vom 18. Juni
1799 n Johann Wolfgang von Goethe macht Schiller deutlich, wie sehr
sich seine Arbeit am Stück um die Figur Maria Stuarts drehte und wie
bedeutsam für ihn die weitere Entwicklung der tragischen Momente seines
Stoffes gewesen sind.
"Ich fange jetzt an, bei der Aufführung, mich von der eigentlich
tragischen Qualität meines Stoffes immer mehr zu überzeugen, und
darunter gehört besonders, dass man die Katastrophe gleich in den ersten
Szenen sieht, und indem die Handlung des Stückes sich davon wegzubewegen
scheint, ihr immer näher und näher geführt wird. An der Furcht des
Aristoteles fehlt es also nicht, und das
Mitleiden wird sich auch schon finden.
Meine Maria wird keine weiche Stimmung erregen, es ist meine Absicht
nicht, ich will sie immer als ein physisches Wesen halten, und das
Pathetische muss mehr eine allgemeine tiefe Rührung als ein persönlich
und individuelles Mitgefühl sein. Sie empfindet und erregt keine
Zärtlichkeit, ihr Schicksal ist nur in heftige Passionen zu erfahren und
zu entzünden. Bloß die Amme fühlt Zärtlichkeit für sie." (zit. n.
Bode 2001,
S,167)
Auch wenn Schiller selbst
eine etwas andere Wirkung seiner Maria-Stuart-Figur auf die
Zuschauerinnen* vorschwebte, dürfte wohl nicht zu leugnen sein, dass die
über eine erotische Ausstrahlung verfügende, attraktive, aber so
unglückliche und ihres Landes vertriebene Königin von Schottland den
Zuschauerinnen - je nach Inszenierung der Figur möchte man allerdings
sagen - als "eine durchaus liebenswerte Gestalt" (Popp
2001, S.60) erscheinen kann. Allerdings ist dies keineswegs sicher,
denn Maria Stuart ist schließlich "von Anfang an keine eindeutig
positive Figur, keine Heldin, die allein zur identifikatorischen
Anteilnahme auffordert." (Zymner
2002, S.107) Sie hat sich, das wird im Lauf der Exposition des I.
Aktes mit verschiedenen
▪
figuralen Techniken der
▪
Figurencharakterisierung
sowohl
▪
explizit und
▪
implizit, im
▪
Eigen- und
▪
Fremdkommentar, zur Anschauung gebracht, "schwerer Verbrechen
schuldig gemacht, [...] als Königin sich wie wie Tyrannin" gebärdet,
fordert aber in der Gefangenschaft "die Einhaltung des Völkerrechts und
die Beachtung der Königswürde" (ebd.)
Wenn es trotzdem bei den
Zuschauerinnen* trotzdem zu Sympathiebezeugungen für Maria kommt, dann
sind sie wohl darin begründet, dass Marias Verfehlungen und die Schuld,
die sie auf sich geladen hat, aus der Vorgeschichte des Dramas
herrühren, als sie sich als Anstifterin des Mordes (▪
15.03.1567) an ihrem
schottischen Ehemann
»Henry
Stuart, Lord Darnley (1546-1567) betätigte, der wiederum
ihren Geliebten, den Sänger ▪
David Rizzio vor ihren Augen hatte ermorden lassen.
So mag es auch
Zuschauerinnen*, die eine gewisse Sympathie für Maria Stuart hegen,
gehen, wie manchen Figuren des Dramas, die der der politisch "ambitionierte(n)
Königin, zu deren Wirkungsmöglichkeiten auch Schönheit und erotische
Attraktivität gehören", die als "»Mittel einer Frau« [...] zugleich auch
Mittel der Monarchin [sind], die ihr so etwas wie eine »rein menschliche
Ausstrahlung« verleihen, so dass die Fehltritte der Königin der schönen
Frau gern verziehen werden, und Taten für die schöne Frau auch immer
Taten für die Königin sind." (Zymner
2002, S.109)
Daneben entsteht
bei ihrem Auftreten im Stück aber wohl auch der Eindruck, dass sie nicht
heuchelt und es bei ihr keinen Unterschied von Sein und Schein gibt, sie
also auf ihre Art mit sich im Reinen bzw. "mit sich selbst eins" ist.
(vgl. (Popp
2001, S.62)
In eine ähnliche Richtung
gehen auch die ▪Charaktereigenschaften,
die Maria Stuart im Drama Schillers immer wieder zugeschrieben
werden.

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Trotz ihrer religiösen Wandlung am Ende des Stückes, welche die ▪
Auseinandersetzung der Interpreten über Erhabenheit und "schöne Seele"
so nachhaltig befeuert hat, ist auch Maria Stuart selbst während der
Dauer ihrer politisch motivierten Inhaftierung in England stets Akteurin
im vermeintlichen Machtpoker um die britische Krone. Das gilt auch, wenn
man die Art und Weise,
wie in ▪
V,7 Marias Beichte als eine Art "symbolische
Verherrlichung der schönen Seele" in Szene gesetzt wird (Alt
2000, Bd., 2, S. 508).
Maria verfolgt ihre
strategischen Ziele in der für die Zeit typischen ▪
Verbindung von Konfessionalität und Macht und bleibt somit immer an
"machttechnische Handlungsmuster gefesselt" (Alt 2000, Bd.2,
S.499f.). Allerdings, so stellt es das Drama dar (▪
Beichtszene V,7), hat sie eigenen
Angaben zufolge in der Zeit ihrer Inhaftierung keine weitere Schuld auf
sich geladen, weswegen man ihr den Prozess machen könnte. Auch wenn sie
von ▪ diversen
Versuchen zu ihrer Befreiung gewusst hat, von den Umsturzplänen ▪
Babingtons und ▪
Parrys und dem Mordanschlag
auf Elisabeth will sie jedenfalls nichts gewusst haben. Die Grundlage
des Prozesses und ihrer Verurteilung, der ▪
Act
for the Queen's Safety (1584), jedenfalls, das macht sie schon im
Gespräch mit ▪
Burleigh
selbstbewusst und argumentationsstark In (▪
I,7) klar, ist jedenfalls für sie nur ein ein Vorwand den
machtpolitischen Konflikt mit ihrer Verurteilung zu einem Ende zu
bringen.
Dass im Gegensatz zu den
machtstrategischen Absichten Maria Stuarts sich ihre, vor allem noch
sehr jungen männlichen Verehrer deshalb zu immer sehr risikoreichen
Befreiungsaktionen der offenbar sehr anziehend auf sie wirkenden Maria
hinreißen lassen, wird vor allem an ▪
Mortimer dargestellt, dessen
▪ religiöse Wandlung zum Katholiken schon ästhetisch überformt (I,6)
wird und Maria später auch sexuell bedrängt (▪
III,6)
Von besonderer Bedeutung
ist auch Maria Stuarts Verhältnis zu
▪
Robert Dudley, Graf von
Leicester. Leicester, der früher einmal mit ihr verlobt
gewesen ist, beginnt mit ihr während ihrer Inhaftierung wieder brieflich
Kontakt aufnimmt (Szenen ▪ IV,4, ▪
IV,5. ▪
IV,6), schenkt sie ihm erneut ihr Vertrauen und hofft darauf, dass
sie mit seiner Hilfe der Haft entfliehen kann, um ihr Leben angesichts
der drohenden Verurteilung retten zu können. So ist es ja auch
Leicester, der Elisabeth zum Treffen mit Maria überredet (▪
III,4). So nimmt es auch kein Wunder,
dass sie in Leicester, dessen eigentliche Absichten sie nicht
durchschaut, nicht nur ihren möglichen Retter, sondern auch Geliebten
sieht. (▪ V,9). Auf dem Weg zur
Hinrichtung, an der Leicester auf Geheiß Elisabeths teilnehmen muss,
gesteht sie ihm, dass sie ihn geliebt habe und nach der Befreiung habe
heiraten wollen. Durch seinen Verrat an ihrer gleichberechtigten Liebe,
könne er sich nun wieder vor
Elisabeth auf die Knie begeben, um die Gunst ihres stolzen Herzens
zu erlangen. Sie wünsche ihm dabei freilich nicht, dass das, was er
als Lohn anstrebe, nicht zuletzt Strafe für ihn werde.
In der Begegnung der
beiden Königinnen (▪ III,4) trifft
Maria - dramaturgisch der Höhepunkt in der ▪
Komposition des Dramas und seines ▪
Spannungsverlaufs - treffen die
beiden weiblichen Widersacherinnen das einzige Mal direkt aufeinander.

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In kaum einer anderen
Szene wird deutlich, wie stark Maria Stuart von ihren Emotionen geprägt
ist, die bis dahin nur über die ▪
Exposition der Vorgeschichte (präteritaler Expositionsbezug)
"ins Bild" gelangt sind. Bis zu ihrem Treffen mit Elisabeth (▪
III,4) zeichnet sie sich nämlich vor
allem durch ihre Affektkontrolle und ihre argumentative Sachlichkeit in
der Auseinandersetzung mit ihrer Lage aus. Am Ende lässt sie sich, als
Elisabeth ihren Triumph über sie auskostet, als zutiefst Verletzte zur
Beleidigung Elisabeths als "Bastard" hinreißen, die den englischen Thron
nur als Tochter der wegen Ehebruchs hingerichteten ▪
Anne Boleyn
bestiegen habe. Mit den Worten, sie selbst sei die rechtmäßige Königin
von England, besiegelt sie - trotz einiger Verwicklungen als ▪
retardierende Elemente des Dramas im Rahmen der fallenden Handlung
(Rettungsversuch Mortimers, Leicesters Pläne zur Rettung - Geständnis
des Schreibers Kurl) ihr eigenes Schicksal.
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Kontrast-
und Korrespondenzbeziehungen der Figuren
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Figurenkonstellation
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Figurenkonzeption
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Figurencharakterisierung
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
23.10.2023