I,2 »
ERSTER AUFZUG
Erster Auftritt
Hanna Kennedy, Amme der Königin
von Schottland, in heftigem Streit mit Paulet, der im Begriff ist, einen
Schrank zu öffnen. Drugeon Drury, sein Gehilfe, mit Brecheisen.
KENNEDY.
Was macht Ihr, Sir? Welch neue Dreistigkeit!
Zurück von diesem Schrank!
PAULET.
Wo kam der Schmuck her?
Vom obern Stock ward er herabgeworfen,
Der Gärtner hat bestochen werden sollen
Mit diesem Schmuck - Fluch über Weiberlist!
5
Trotz meiner Aufsicht, meinem scharfen Suchen
Noch Kostbarkeiten, noch geheime Schätze!
(Sich über den Schrank machend.)
Wo das gesteckt hat, liegt noch mehr!
KENNEDY.
Zurück, Verwegener!
Hier liegen die
Geheimnisse der Lady1).
PAULET Die eben such ich. (Schriften hervorziehend.)
KENNEDY.
Unbedeutende
10
Papiere, bloße Übungen der Feder,
Des
Kerkers traur´ge Weile zu
verkürzen.
PAULET. In müß´ger Weile schafft der böse Geist.
KENNEDY.
Es sind französische
Schriften.
PAULET. Desto schlimmer!
Die Sprache redet Englands Feind.
15
KENNEDY.
Konzepte
Von Briefen an die Königin von England.KENNEDY.
PAULET. Die überlief'r ich - Sieh! Was schimmert hier?
(Er hat einen geheimen Ressort geöffnet und zieht aus
einem verborgenen Fach Geschmeide hervor.)
Ein königliches Stirnband, reich an Steinen,
Durchzogen mit den Lilien von Frankreich!2)
(Er gibt es seinem Begleiter.)
Verwahrt`s, Drury. Legt`s zu dem
Übrigen! (Drury geht ab.)
20
KENNEDY. O schimpfliche Gewalt, die wir erleiden!
PAULET. Solang sie noch besitzt, kann sie noch schaden,
Denn alles wird Gewehr in
ihrer Hand.
KENNEDY.
Seid gütig, Sir. Nehmt nicht den letzten Schmuck
Aus unserem Leben weg!
Die
Jammervolle
25
Erfreut der Anblick alter Herrlichkeit,
Denn alles andere habt Ihr uns entrissen.
PAULET. Es liegt in guter Hand. Gewissenhaft
Wird es zu seiner Zeit zurückgegeben!
KENNEDY. Wer sieht es
diesen kahlen Wänden
an,
30
Dass eine Königin hier wohnt? Wo ist
Die Himmeldecke über ihrem Sitz?
Muss sie den zärtlich weichgewöhnten Fuß
Nicht auf gemeinen rauen Boden setzen?
Mit groben Zinn3)
- die schlechtste Edelfrau
35
Würd` es verschmähn - bedient man ihre Tafel.
PAULET.
So speiste sie zu Sterlyn ihren Gatten,
Da sie aus Gold mit ihrem Buhlen trank.4)
5)
KENNEDY. Sogar
des Spiegels
kleine Notdurft mangelt.
PAULET. Solang sie noch
ihr eitles Bild beschaut,
40
Hört sie nicht auf, zu hoffen und zu wagen.
KENNEDY.
An Büchern fehlt`s, den Geist zu
unterhalten.
PAULET. Die Bibel ließ man ihr, das
Herz zu bessern.
KENNEDY.
Selbst ihre Laute ward ihr
weggenommen.
PAULET. Weil sie verbuhlte Lieder drauf gespielt.
45
KENNEDY. Ist das ein Schicksal für
die
Weicherzogne,
Die in der Wiege
Königin schon war,6)
Am üpp'gen Hof der Mediceerin
7)
In jeder Freuden Fülle
aufgewachsen!
Es sei genug,
dass man die
Macht ihr nahm,
50
Muss man die armen Flitter ihr missgönnen?
In großes Unglück lehrt ein edles Herz
Sich endlich finden, aber
wehe
tut`s,
Des Lebens kleine Zierden zu entbehren.
PAULET. Sie wenden nur das Herz dem Eiteln zu,
55
Das in sich gehen und bereuen soll.
Ein üppig lastervolles Leben büßt sich
in Mangel und Erniedrigung allein.
KENNEDY.
Wenn ihre zarte Jugend sich verging,
Mag sie`s mit Gott abtun und ihrem Herzen -
60
In England ist kein
Richter über sie.
PAULET.
Sie wird gerichtet ,
wo sie frevelte.8)
KENNEDY. Zum Freveln fesseln sie zu enge Banden.
PAULET.
Doch wusste sie aus diesen engen Banden
Den Arm zu recken in die Welt,9)
die Fackel
65
Des Bürgerkrieges in das Reich zu schleudern
Und
gegen unsere Königin, die Gott
Erhalte, Meuchelrotten zu bewaffnen.
Erregte sie aus diesen Mauern nicht
Den Bösewicht
Parry10)
und den Babington11)
70
Zu der verfluchten Tat des Königsmords?
Hielt
dieses Eisengitter sie
zurück,
Das edle Herz des
Norfolk12) zu umstricken?
Für sie geopfert
fiel das beste Haupt
Auf dieser Insel unterm Henkerbeil -
75
Und schreckte dieses jammervolle Beispiel
Die Rasenden zurück, die sich wetteifernd
Um ihretwillen in den Abgrund stürzen?
Die
Blutgerüste13) füllen sich für sie
Mit immer neuen Todesopfern an,
80
Und das
wird nimmer enden, bis sie selbst,
Die Schuldigste, darauf geopfert ist.
-
O Fluch dem Tag, da dieses Landes Küste
Gastfreundlich diese
Helena14) empfing.
KENNEDY.Gastfreundlich
hätte England sie empfangen?
85
Die Unglückselige, die seit dem Tag,
Da sie den Fuß gesetzt in dieses Land,
Als eine Hilfeflehende, Vertriebne
Bei der Verwandten15)
Schutz zu suchen kam,
Sich wider Völkerrecht und Königswürde
90
Gefangen sieht, in enger Kerkerhaft
Der Jugend schöne
Jahre muss vertrauern -
Die jetzt, nachdem sie alles hat erfahren,
Was das Gefängnis Bittres hat, gemeinen
Verbrechern gleich, vor des Gerichtes Schranken
95
Gefordert wird und
schimpflich angeklagt
Auf Leib und Leben - eine Königin!
PAULET.
Sie kam ins Land als
eine Mörderin,
Verjagt von
ihrem Volk, des Throns entsetzt,
Den sie
mit schwerer
Gräueltat geschändet.
100
Verschworen kam
sie gegen Englands Glück,
Der
spanischen Maria blut`ge Zeiten
Zurückzubringen16),
Engelland katholisch
Zu machen,
an den
Franzmann zu verraten.
Warum
verschmähte sie`s, den Edinburgher
105
Vertrag zu unterschreiben17), ihren
Anspruch
An England aufzugeben und den Weg
Aus diesem Kerker schnell sich aufzutun
Mit einem Federstrich?
Sie wollte lieber
Gefangen bleiben, sich misshandelt sehn,
110
Als dieses Titels leerem Prunk entsagen.
Weswegen tat sie das? Weil sie den Ränken
Vertraut,
den bösen Künsten der Verschwörung,
Und unheilspinnend diese ganze Insel
Aus ihrem Kerker zu erobern hofft.
115
KENNEDY. Ihr spottet, Sir - Zur Härte fügt Ihr noch
den bittern Hohn! Sie hegte solche Träume,
Die hier lebendig eingemauert lebt,
Zu der kein Schall des Trostes, keine Stimme
Der Freundschaft aus der lieben Heimat dringt,
120
Die längst
kein Menschenangesicht mehr schaute
Als ihrer Kerkermeister finstre Stirn,
Die erst seit kurzem einen neuen Wächter
Erhielt in eurem rauen Anverwandten18),
Von neuen Stäben sich umgittert sieht -
125
PAULET. Kein Eisengitter schützt vor ihrer List.
Weiß ich, ob diese Stäbe nicht durchfeilt,
Nicht dieses Zimmers Boden, diese Wände,
Von außen fest, nicht hohl von innen sind
Und den Verrat einlassen, wenn ich schlafe?
130
Fluchvolles Amt, das mir geworden ist,
Die unheilbrütend Listige zu hüten.
Vom
Schlummer19) jagt die Furcht mich auf, ich gehe
Nachts um, wie ein gequälter Geist, erprobe
Des Schlosses Riegel und der Wächter Treu`
135
Und sehe zitternd jeden Morgen kommen,
Der meine Furcht wahr machen kann. Doch wohl mir!
Wohl! Es
ist Hoffnung, dass es bald nun endet.
Denn lieber möcht` ich der Verdammten Schar
Wachstehend an der Höllenpforte hüten,
140
Als diese ränkevolle Königin.20)
KENNEDY.
Da kommt sie selbst!
PAULET.
Den Christus in der Hand,21)
Die Hoffart22) und die
Weltlust in dem Herzen.
I,2 »
1
Lady: Anrede für die Königin bzw. für eine adelige Dame
2
»Lilien
von Frankreich: seit 1779 Wappen der französischen Könige
mit drei goldenen Lilien auf blauem Grund
3
»Zinngeschirr
statt Silbergeschirr gilt nicht als standesgemäß für eine
Königin
4
Maria Stuarts Ehemann
»Henry Stuart, Lord Darnley (1546-1567), mit dem sie seit
dem 28.7.1565 verheiratet ist, zog der nach der »Ermordung
Rizzios, des Privatsekretärs, Vertrauten und nach Darnley
Meinung auch Liebhabers Marias und der Taufe des Kronprinzen
James (1556) zu seinem Vater nach Glasgow zurück.
Daraufhin ließ Maria alles Silbergeschirr durch Zinngeschirr
ersetzen. »James
Stuart (1566–1625),
ab 1567 als Jakob VI. König von Schottland, ab 1603 als Jakob I.
auch König von England; ▪
Zeittafel 1566
5
Buhlen = Liebhaber
6
"Die in der Wiege
Königin schon war": »Maria
Stuart (1542-1587) wird fünf Tage nach ihrer Geburt
(8.12.1548) am 12.12.1548 nach dem Tod ihres Vaters, »Jakob
V. (1512-1542), Königin von Schottland
7
"Am üpp'gen Hof der
Mediceerin": gemeint ist der französische Königshof in der
Zeit von »Katharina
von Medici (1519-1589), die als Witwe »Heinrichs
II. (1519-1559) die Politik in Frankreich zwischen 1559 und
1589 bestimmte, während zugleich ihre als schwach geltenden
Söhne »Franz
II. (1544-1560), Maria Stuarts Ehemann, »Karl
IX. (1550-1574, ab 1560 König von Frankreich) und »Heinrich
III. (1551-1589, ab 1574 König von Frankreich) als Könige
amtierten; der Hof Katharinas bzw. der französische Königshof
stand in Europa im Ruf, der prächtigste und kultivierteste
Renaissance-Hof zu sein, der aber auch für seine Dekadenz in
Verruf geriet. Maria Stuart lebte 1538-1561; sie
kommt im Alter von fünf Jahren an den luxuriösen französischen
Hof Heinrichs II. von Frankreich und Katharina von Médicis
und wird dortmit dem französischen Dauphin Franz, dem späteren
»Franz II. von Frankreich (1544-1560) verlobt und wächst mit diesem
gemeinsam von
Kindheit an auf; schon bald bindet beide eine echte Zuneigung
aneinander. Zugleich steht Maria damit unter der Obhut ihrer
mütterlichen Verwandtschaft in Frankreich, dem einflussreichen
Adelsgeschlecht der Guise.sie wächst in der behüteten Atmosphäre des französischen Hofes
auf, nimmt häufig an Jagd- und Tanzgesellschaften teil, zugleich
erhält sie eine ausgezeichnete Bildung, lernt Latein, Italienisch,
Spanisch und etwas Griechisch. Französisch wird nun zu ihrer
Muttersprache und sie selbst wird eher nach einem französischen,
denn einem schottischen Frauenbild erzogen; sie wächst zu einer dem Ideal der Renaissance geradezu ideal
entsprechenden Schönheit und Attraktivität heran. ist groß und
schlank, hat rot-blondes Haar und viel bewunderte bernsteinfarbene Augen. Dazu
kommt noch ihr Sinn für Literatur und Musik. Als sie
▪
1561die französische Krone verliert, kehrt sie nach
Schottland zurück;
8
"In England
....wo sie frevelte": Nach Ansicht Marias hat England über
sie als souveräne Königin Schottlands kein Recht, über sie zu
richten, während sich die englische Regierung mit dem "Act für
the Queen`s Safety" ein Gesetz geschaffen hatte, das die
Verfolgung von Taten, mit denen der englischen Königin nach dem
Leben getrachtet wurden, ebenso ermöglichte, wie die
Verurteilung derer, zu deren Gunsten dies geschah; außerdem ging
man in England davon aus, dass sich Maria Stuart bei ihrer
Flucht nach England, freiwillig den englischen Gesetzen
unterworfen habe.
9 "Doch
wusste sie aus diesen engen Banden / Den Arm zu recken in die
Welt": Bis ins Jahr 1586 hatte Maria Stuart
Verbindungen zu Korrespondenten, die bis ins Ausland reichten;
was diese ihr in Briefen mitteilten, wurde vom englischen
Geheimdienst aber abgefangen, entsprechende Geheimcodes wurden
entschlüsselt und später im Prozess gegen Maria verwendet
10
William P. Parry: Agent des englischen
Geheimdienstes; ihm gelingt es, unter der Aufsicht von »William
Cecil (1521-158), Baron von Burleigh und »Francis
Walsingham (1532-1590), in Kreise katholischer Verschwörer
einzudringen und plant (angeblich) mit Marias Agentern in
Frankreich, »Thomas
Morgan, Elisabeth I. zu töten. Morgans Korrespondenz mit
Papst Gregor XIII. wurde aufgedeckt und Elisabeth I. zur
Kenntnis gebracht. Ohne Unterstüzung von Cecil oder Walsingham
wollte Parry daraufhin einen weiteren Coup landen: Sein Opfer
sollte dieses Mal Edmund Neville sein, einer von Walsinghams
Agenten, der ebenfalls unter Verdacht stand, ein Doppelagent zu
sein; doch dieser drehte, als Parry ihn dazu überreden wollte,
Elisabeth I. zu ermorden, den Spieß um und zeigte Parry
bei der englischen Regierung an; so wurden am Ende beide 1558
verhaftet und landeten im Tower von London.
11
»Anthony
B, Babington (1561-1586): Anführer einer Gruppe junger
katholischer Verschwörer, die unter dem Einfluss von Marias
Agenten in Frankreich, »Thomas
Morgan, und dem Priester
John Ballard, Elisabeth I. töten und Maria Stuart auf den
englischen Thron bringen wollten; die entsprechenden
Briefwechsel zwischen Maria und Babington kamen in die Hände des
englischen Geheimdienstes, der von Anfang an über die sogenannte
Babington-Verschwörung bestens im Bilde war; am 18. September
1586 wurden Babington und seine dreizehn Mitverschwörer wegen
Hochverrats zum Tode verurteilt und die ersten sieben
Verschwörer, unter ihnen Anthony Babington, John Ballard und
Chidiock Tichborne, wurden zwei Tage später am 20. September
1586 hingerichtet; obwohl Maria Stuart ihre Beteiligung am
Mordkomplott gegen Elisabeth I. bestritt, war die
Babington-Verschwörung ein wesentliches Moment für die Eröffnung
des Prozesses gegen Maria Stuart, die am 8. Februar 1587
enthauptet wurde.
12
»Thomas
Howard (1538-1572), 4. Herzog von Norfolk: einziger »Herzog
und und als als solcher höchster Adeliger Englands; Protestant,
aber auch Besitzer großer Ländereien im vorwiegend katholischen,
nördlichen Landesteil Englands; plante Maria Stuart zu heiraten
und unternahm dafür mehrere Versuche, sie zu befreien; 1572
hingerichtet
13
Blutgerüste = für Hinrichtungen aufgestellte Holzpodien und
-gerüste
14
»Helena:
Figur der griechischen Mythologie; ihre Entführung durch den
trojanischen Prinzen »Paris
löste den »Trojanischen
Krieg aus; Helena galt als die schönste Frau ihrer Zeit;
ihre Schönheit soll so groß gewesen sein, dass jeder Mann, der
Helena sah, sie besitzen wollte.
15
"Bei der Verwandten Schutz zu
suchen kam": Maria Stuart war eine Urenkelin, Elisabeth I.,
eine Enkelin
Heinrichs VII. von England (1457-1509); daher war Elisabeth
Marias Tante
16
"Der
spanischen Maria blut`ge Zeiten / Zurückzubringen":
Elisabeths I. ältere Halbschwester und Vorgängerin auf dem
englischen Thron (1553-1558) »Maria
I. (1516-1558), die eine Tochter »Heinrichs
VIII. (1491-1547) und dessen erster Frau »Katharina
von Aragon (1485-1536) war; Maria I. war die Ehefrau des
spanischen Königs »Philipp
II. (1527-1598); sie führt in England den Katholizismus
wieder ein und bekannte Protestanten verfolgen
17 »Edinburgher
Vertrag (1560): beendete 1560 die jahrhundertealte
»Auld Alliance zwischen Schottland und Frankreich; die
Klauseln des Vertrages vom 6. Juli 1560 sehen vor, dass
Frankreich seine Truppen aus Schottland abzieht und die
Herrschaft Elisabeths I. über England anerkennt; die
achtzehnjährige Maria Stuart, die zu dieser Zeit noch in
Frankreich geblieben war, weigerte sich, den Vertrag zu
unterzeichnen;
18 "Erhielt
in eurem rauen Anverwandten": gemeint ist ▪
Amias Paulets Neffe ▪
Mortimer
19 Schlummer
= Schlaf
20
Ränke =
Machenschaften, (böse) Planungen
21
"Den Christus in der Hand":
Maria Stuart trägt bei ihrem Erscheinen einen Rosenkranz, an dem
ein Jesus-Kreuz hängt -
Implizite Bühnenanweisung
22
Hoffart = edler Stolz, Übermut