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Text Friedrich Schiller: Maria Stuart - 1. Akt: Szene 2

Maria im Gespräch mit Paulet, den sie um die Überbringung eines Briefes an Elisabeth bittet


FAChbereich Deutsch
Glossar Literatur Autorinnen und Autoren Friedrich Schiller Biographie
Werke Dramatische WerkeDie Räuber ● Maria Stuart Überblick Didaktische und methodische Aspekte Entstehungsgeschichte Historischer Hintergrund Stoffgeschichte  ▪ Aufbau und Komposition HandlungsverlaufÜberblick Akte und Szenen Inhaltsüberblick Akt- und Szenenschema ● Erster AktAspekte der Aktanalyse Szenenüberblick I,1 [ I,2 - Maria im Gespräch mit Paulet, den sie um die Überbringung eines Briefes an Elisabeth bittet Text I,2 Aspekte der Szenenanalyse Bausteine ] I,3 I,4 I,5 I,6 I,7 I,8 Bausteine  2. Akt 3. Akt 4. Akt 5. Akt Szenenbilder/Illustrationen Figurengestaltung Einzelne Figuren Sprachliche Form Interpretationsansätze Aufführungsberichte und - kritiken Bausteine Häufig gestellte Fragen (FAQs) Links ins Internet Lyrische Werke Sonstige Werke Bausteine Links ins Internet  Quickie für Eilige: So analysiert man eine dramatische Szene W-Fragen zur systematischen Szenenanalyse Schreibformen Operatoren im Fach Deutsch
 

« I,1  -

ERSTER AUFZUG

Zweiter Auftritt

Maria im Schleier, ein Kruzifix in der Hand. Die Vorigen.

KennedY. (ihr entgegeneilend).

O Königin! Man tritt uns ganz mit Füßen,
Der Tyrannei, der Härte wird kein Ziel                                                145
Und jeder neue Tag häuft neue Leiden
Und Schmach auf dein gekröntes Haupt
.

Maria.                                                 Fass dich!

Sag an, was neu geschehen ist?

KennedY                                   Sieh her!

Dein Pult1) ist aufgebrochen, deine Schriften,
Dein einz’ger Schatz, den wir mit Müh gerettet,                                  150
Der letzte Rest von deinem Brautgeschmeide
Aus Frankreich ist in seiner Hand
. Du hast nun
Nichts Königliches mehr, bist ganz beraubt
.

Maria. Beruhige dich, Hanna. Diese Flitter2) machen

Die Königin nicht aus. Man kann uns niedrig                                     155
Behandeln, nicht erniedrigen
. Ich habe
In England mich an viel gewöhnen lernen,
Ich kann auch das verschmerzen. Sir, Ihr habt euch
Gewaltsam zugeeignet, was ich euch
Noch heut zu übergeben willens war.                                                 160
Bei diesen Schriften findet sich ein Brief,
Bestimmt für meine königliche Schwester
Von England
Gebt mir Euer Wort, dass Ihr
Ihn redlich an sie selbst wollt übergeben
Und nicht in Burleighs ungetreue Hand.                                             165

PAULET. Ich werde mich bedenken, was zu tun ist.

Maria. Ihr sollt den Inhalt wissen, Sir. Ich bitte

In diesem Brief um eine große Gunst –
Um eine Unterredung mit ihr selbst,
3)
Die ich mit Augen nie gesehen – Man hat mich                                 170
Vor ein Gericht von Männern vorgefordert,
Die ich als meinesgleichen nicht erkennen
,
Zu denen ich kein Herz mir fassen kann.
Elisabeth ist meines Stammes, meines
Geschlechts und Ranges
– Ihr allein, der Schwester,                        175
Der Königin, der Frau kann ich mich öffnen
.

Paulet. Sehr oft, Mylady, habt Ihr Euer Schicksal

Und Eure Ehre Männern anvertraut,4)
Die Eurer Achtung minder würdig waren.

Maria. Ich bitte noch um eine zweite Gunst,                                     180

Unmenschlichkeit allein kann mir sie weigern.
Schon lange Zeit entbehr ich im Gefängnis
Der Kirche Trost, der Sakramente Wohltat
.5)
Und die mir Kron‘ und Freiheit hat geraubt,
Die meinem Leben selber droht, wird mir                                           185
Die Himmelstüre nicht verschließen wollen.

Paulet. Auf Euren Wunsch wird der Dechant6) des Orts –

Maria. (unterbricht ihn lebhaft).

Ich will nichts vom Dechanten. Einen Priester
Von meiner eigenen Kirche fordre ich
.7)
– Auch Schreiber und Notarien8) verlang ich,                                     190
Um meinen letzten Willen aufzusetzen.
Der Gram,9) das lange Kerkerelend nagt
An meinem Leben
. Meine Tage sind
Gezählt, befürcht ich
, und ich achte mich
Gleich einer Sterbenden
.

Paulet.                              Das tut Ihr wohl,                                     195

Das sind Betrachtungen, die Euch geziemen.10)

Maria. Und weiß ich, ob nicht eine schnelle Hand11)

Des Kummers langsames Geschäft beschleunigt?
Ich will mein Testament aufsetzen, will
Verfügung treffen über das, was mein ist.                                          200

Paulet. Die Freiheit habt Ihr. Englands Königin

Will sich mit Eurem Raube nicht bereichern.

Maria. Man hat von meinen treuen Kammerfrauen,

Von meinen Dienern mich getrennt - Wo sind sie?

Was ist ihr Schicksal? Ihrer Dienste kann ich                                    205

Entraten12), doch beruhigt will ich sein,

Dass die Getreun nicht leiden und entbehren.

Paulet. Für Eure Diener ist gesorgt. (Er will gehen.)

Maria. Ihr geht, Sir? Ihr verlasst mich abermals,

Und ohne mein geängstigt fürchtend Herz                                         210

Der Qual der Ungewissheit zu entladen.

Ich bin, dank Eurer Späher Wachsamkeit,

Von aller Welt geschieden, keine Kunde13)

Gelangt zu mir durch diese Kerkermauern,

Mein Schicksal liegt in meiner Feinde Hand.                                      215

Ein peinlich langer Monat ist vorüber,14)

Seitdem die vierzig Kommissarien15)

In diesem Schloss mich überfallen, Schranken 16)

Errichtet, schnell, mit unanständiger Eile,

Mich unbereitet, ohne Anwalts Hilfe,                                                  220

Vor ein noch nie erhört Gericht gestellt,

Auf schlaugefasste schwere Klagepunkte

Mich, die Betäubte, Überraschte, flugs

Aus dem Gedächtnis Rede stehen lassen -17)

Wie Geister kamen sie und schwanden wieder.                                 225

Seit diesem Tage schweigt mir jeder Mund,

Ich such umsonst in Eurem Blick zu lesen,

Ob meine Unschuld, meiner Freunde Eifer,

Ob meiner Feinde böser Rat gesiegt.

Brecht endlich Euer Schweigen - lasst mich wissen,                          230

Was ich zu fürchten, was zu hoffen habe.

Paulet. (nach einer Pause).

Schließt Eure Rechnung mit dem Himmel ab.

Maria. Ich hoffe auf seine Gnade, Sir - und hoffe

Auf strenges Recht von meinen ird`schen Richtern.

Paulet. Recht soll Euch werden. Zweifelt nicht daran.                      235

Maria. Ist mein Prozess entschieden, Sir?

Paulet.                                                Ich weiß nicht.

Maria. Bin ich verurteilt?

Paulet.                           Ich weiß nichts, Mylady.

Maria. Man liebt hier rasch zu Werk zu gehen. Soll mich

Der Mörder überfallen, wie die Richter?

Paulet. Denkt immerhin, es sei so, und er wird Euch                        240

In bessrer Fassung dann, als diese, finden.

Maria. Nichts soll mich in Erstaunen setzen, Sir,

Was ein Gerichtshof in Westminsterhall18),

Den Burleighs Hass und Hattons Eifer19) lenkt,

Zu urteln20) sich erdreiste - Weiß ich doch,                                        245

Was Englands Königin wagen darf zu tun.

Paulet. Englands Beherrscher brauchen nichts zu scheuen

Als ihr Gewissen und ihr Parlament.

Was die Gerechtigkeit gesprochen, furchtlos,

Vor aller Welt wird es die Macht vollziehn.                                         250

 

1  Pult = tischartiges Gestell, mit schräger Platte zum Schreiben und Lesen, hier mit einer abschließbaren Schublade oder einem abschließbaren Aufsatz
2  Flitter = (abwertend) billiger, wertloser Schmuck
3  "eine Unterredung mit ihr selbst" Bemerkung verweist voraus auf die im Drama später stattfindende ▪ Begegnung der beiden Königinnen (III.4); historischer Hintergrund: Während ihrer ganzen Inhaftierung in England hat Maria Stuart tatsächlich bis kurz vor ihrem Tod mit verschiedenen Briefen immer wieder um ein persönliches Gespräch mit Elisabeth nachgesucht, zu dem es aber aufgrund der politischen Umstände nie gekommen ist.
4  "Eure Ehre Männern anvertraut / Die Eurer Achtung minder würdig waren" ´wahrscheinlich Anspielung auf ihre Beziehung zu dem Sänger David Rizzio während ihrer Ehe mit »Henry Stuart, Lord Darnley (1546-1567)
5  "Schon lange Zeit entbehr ich im Gefängnis / Der Kirche Trost, der Sakramente Wohltat": Historischer Hintergrund: Maria Stuart war es seit dem 21.1587 versagt, ihren römisch-katholischen Kaplan du Préau zu empfangen
6  
Dechant = ein vom Bischof ernannter Kirchenbeamter, der den einzelnen Ortspfarrern übergeordnet war
7  "Einen Priester / Von meiner eigenen Kirche fordre ich": die katholische Maria Stuart ist im protestantischen England Elisabeths in Haft und verlangt einen Priester der römisch-katholischen Kirche für sich
8   "Schreiber und Notarien": Professionelle Schreiber und vom Staat bestellte Amtspersonen die befugt sind, Rechtsdokumente abzufassen und zu beglaubigen
9   Gram = großer und tief gehender Kummer, anhaltende Betrübnis
10  "geziemen" = gemäß sein; jemandem aufgrund seiner Stellung, Eigenschaften o. ä. gebühren

11  "eine schnelle Hand ....": Anspielung Marias auf ihre Sorge, Opfer eines Anschlages, Meuchelmordes zu werden

12  "Ihrer Dienste kann ich / Entraten": auf ihre Dienste kann ich verzichten
13  "Kunde" = Nachricht, Information
14  "Ein peinlich langer Monat ist vorüber": Historischer Hintergrund: Das Gericht tagt über Maria Stuarts Schicksal im Oktober 1586. Nachdem die ersten Richter schon am 9.10.1586 auf Schloss Fotheringhay, wo Maria Stuart gefangen gehalten wurde, eingetroffen waren, begann die offizielle Verhandlung am 15.10. Dementsprechend liegen also zwischen der Verhandlung und der Hinrichtung Maria Stuarts vier Monate, die Schiller in seinem Drama ganz im Sinne der ▪ Tragödientheorie von Aristoteles des 18. Jahrhunderts auf wenige Tage verkürzt.
15  "die vierzig Kommissarien": Das Gericht, das im Oktober 1586 über Maria Stuart tagte bestand aus insgesamt 45 Richtern; 42 von ihnen gaben ihre Stimme ab, davon sprachen alle bis auf eine einzige Ausnahme Maria schuldig.
16  "Schranken errichtet": Geländer, mit dem die Richter von der Anklagebank getrennt sind

17 "Aus dem Gedächtnis Rede stehen lassen": Maria Stuart bezieht sich hier darauf, dass sie von 8Sir Christopher Hatton (1540-91), einem Günstling Elisabeths und gleichzeitig seit 1587 Lordkanzler des Reiches und dem Vorsitzenden des Gerichts gegen Maria Stuart überredet worden war, die Anklage anzuhören und vor dem Gericht auszusagen; im späteren ▪ Gespräch mit Burleigh  (I,7, ▪ V 708ff.) kommt Maria Stuart noch einmal darauf zurück
18  "Gerichtshof in Westminsterhall": Sitz des Parlaments und der obersten Gerichte; hier wurde am 25.1586 das Todesurteil gegen Maria Stuart gefällt.
19 "Hattons Eifer":  Sir Christopher Hatton (1540-91), Günstling Elisabeths und gleichzeitig seit 1587 Lordkanzler des Reiches und Vorsitzender des Gerichts gegen Maria Stuart
20  "urteln" = urteilen

Gert Egle, zuletzt bearbeitet am: 29.05.2021

 

Gert Egle, zuletzt bearbeitet am: 29.05.2021

 
 

 
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