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Eine Erscheinung, die sich unter der unübersehbaren Menge ähnlicher
Sächelchen gar sehr auszerichnet, wahrscheinlich noch fortdauern wird,
wenn jene schon in ihr Nichts wieder zurückgegangen sind, noch ehe sie
anfingen, recht zu lebe. Ich glaube, dass sie um deswillen unsere
besondere Aufmerksamkeit verdient. Volle bühende Sprache, Feuer im
Ausdruck und Wortfügung, rascher Ideengang, küne fortreisende Fantasie,
einige hingeworfene, nicht genug überdachte Ausdrüke, poetische
Deklamazionen, und eine Neigung nicht gern einen glänzenden Gedanken zu
unterdrücken, sondern alles zu sagen, was gesagt werden kann, alles das
karakterisirt den Verfasser aks einen jungen Mann, der bei raschem
Kreislauf des Bluts und einer fortreisenden Einbildungskraft, ein warmes
Herz voll Gefül und Drang für die gute Sache hat.
Haben wir
je einen teutschen Shakespear zu erwarten, so ist es dieser. Aber
eben diese grose Hofnung berechtiget uns auch zu gröseren Forderungen,
als die Alltagskost für unsere gewönliche Kraftmänner, und süse
Geisterchen. In der Vorrede sagt der Verfasser, daß er sein Werk nicht
nicht als Schauspiel nach den Regeln des Aristoteles und Batteux,
sondern als dramatisierte Geschichte beurteilt wissen will. [...] Die
Regeln des Arist. sind keine Grillen eines müsigen Kunstrichters, sie
sind von den besten Stüken des Altertums abgezogen, und in der Natur der
Sache, in der Natur unserer Empfindung gegründet. [...] Allein die
Zumutung, in drey Stunden mit meinem Helden einen
Zeitraum
von Jahren zu durchlaufen, in einer Zeitfolge von Augenbliken die Sitten
der Handlungen eines halben Menschenalters zu durchschauen, die
Widersprüche nicht zu bemerken, mit der Leichtigkeit des Dichters über
die Lüken hinwegzuschlüpfen, angewurzelt auf dem Raum eines
Quadratschuhes, Städte zu durchwandern, und auf dem Zaubermantel der
Fantasie im Hui über Länder zu fliegen, ohne eine Fuszehe zu rühren,
ohne unwillig zu fragen, wie hängt das zusammen? wie ging das zu? was
ging hier vor? Kurz, nur um mich zu täuschen, meine Fantasie zu jagen,
meinen Verstand zu betäuben, und meine Sinnen Lügen zu strafen; wär
diese Zumutung weniger widersinnig? Ich weis
es wol, daß es zum beliebten Scheniewesen gehört, auf Regeln aus
Schulgeschwätz zu schimpfen, Aristoteles und Batteux für Dummköpfe zu
halten, über Stock und Stein zu springen und Zaun und Heken
niederzutreten. Aber ich weis auch, daß wir noch noch kurze Zeit so
fortfahren dürfen, um alles, was die besten Köpfe seit jahrhunderten
gebaut haben, niederzureisen, und mit Sturm und Drang, Sing und Sang in
das beliebte Zeitalter der Gothen zurückzukehren. Jedoch zu diesen
wütenden Kraftschenies gehört unser Verfasser noch nicht, und ich hoffe,
daß er sich mit dem Aristoteles noch aussöhne, und uns Meisterstücke der
Kunst liefern wird, die mit Shakespears so oft schon nachgeäften, aber
bis itzt noch unerreichten Schönheiten prangen, ohne durch seine
Ausschweifungen verunstaltet zu werden, zu entkräften. Man lese selbst,
und es wird die Mühe reichlich belonen. Die Karaktere sind gröstenteils
meisterhaft geschildert, kün angelegt, und treu ausgeführt, vorzüglich
Karl Moors Karakter, der ein wahres Meisterstück ist. Franzens kurze
Erzählung in der ersten Szene. [...], lässt uns mit einem Blik die
Geschichte der Kindheit der ungleichen Brüüder übersehen, und aus den
verschiedenen Anlagen begreifen, daß jeder unter solchen Umständen das
werden muste, was er wurde. Franz, der schleichende heuchlerische
Bösewicht, und Karl, der seltne grose Mann, der unter andern
Verbindungen die Bewunderung der Völker gewesen wäre, den man aber auch
itzt als Mörder und Räuber, indem man seine Schadtaten hasst und
verabscheut, noch bewundern, bedauern und lieben mus. Bis an das Ende
bleibt er sich gleich; gleich gros, gleich liebens- und gleich
verabscheungswürdig. Keine seiner auserordentlichen Handlungen kömt ganz
unerwartet, oder, ist unbegreiflich. Alles ist so angelegt, so zwischen
Ursache und Wirkung verbunden, daß es nicht anders kommen konnte. Das
gilt auch von Franzens Handlungen. Dessen Karakter ist nicht so schwer,
weil er nicht so zusammengesetzt ist. Er ist blos abscheulich, bleibt
sich aber auch immer gleich. Ob es aber - was der Verfasser auch in
seiner Vorrede, mit sehr viel Zuversicht zu sich selbst, vom Pöbel und
von den Abderiten sagen mang - ob es ein so gänzliches Ungeheuer in der
Natur giebt: das ist eine andere Frage. Er eifert ja selbst wider die
Aufstellung der Ideale, und ich möchte mir doch zeigen lassen, welcher
unter den alten oder neuen Dichtern es gewagt hätte, sein so
vollkommenes Ideal eines menschlichen Ungeheuers aufzustellen. Man legt
schon lange Richardson seinen Lovelace* zur Last: und Lovelace ist doch
gewis ein Heiliger gegen Franzen. War es nicht möglich, daß der
Verfasser ihm alle zur Karakteristik des Stücks nöthige Hauptzüge lies,
und doch einige andere Züge hineinwebte, die ihn der wirklichen
Menschennatur, die nie so ganz, so ununterbrochen bös ist, näher
gebracht hätten? Übrigens bleibt auch dieser Karakter bis an das Ende
sich treu. Auch seine Verzweiflung und Gewissensangst gehören nothwendig
dazu: denn seine niedrig boshafte Seele war zu klein, um auch in der
Bosheit heldenmäsig zu verharren. Was wir von Amalien sehen, ist gut,
ist sehr schön: aber mich dünkt, wir sehen zu wenig von ihr. Eine solche
Hauptperson solte mehr ausgezeichnet, mehr in das hellste Licht
gestellt, von mehreren Seiten gezeigt sein! und das hätte leicht
geschehen können, wenn einige ganz überflüssige Nebenpersonen gang
weggeblieben wären. Dazu gehören die meisten der Räuber. Wozu die ganze
Rotte? zu nichts, als das ganze Stük hier und da langweilig zu machen,
und einige sehr widrige Szenen aufzuführen. Schweizer und Spiegelberg
konten bleiben; dieser, um die Maschine in Bewegung zu setzen, wozu Moor
für sich unfähig war; und jener, um ein würdiger Vertrauter Moors, und
ein Werkzeug seine edeln Sache zu sein. Der alte Moor ist ein guter
zärtlicher Vater, aber ein schwacher Mann, und als dieser spielt er
seine Rolle gut. Aber in Herrmanns Karakter kan ich mich nicht finden.
Er ist boshaft und rachgierig genug, um sich von Franzen zum Werkzeug
der abscheulichen Schandthaten brauchen zu lassen, und unmittelbar
darauf, ohne weitere Veranlassung, der gutherzige Retter der Leidenden.
Zum ersten ist hinlänglicher Grund und Veranlassung da; zum letzten
nicht. Der alte Daniel ist danz überflüssig; denn zu Franzens Vertrauten
schikt er sich durchaus nicht. Wie ar es möglich, das ein so listiger
Böswicht, wie Franz, einen so alten einfältigen frommen Manne so
bedenkliche Auträge geben konnte? Das ist offenbar Widerspruch. Warum
wählt er nicht auch hierzu den Herrmann? Herrmann hatte ihm blutige
Rache gelobt; itzt war es Zeit, Gebrauch davon zu machen. Das war
natürlich, und der Leser wurde einiger langweiliger Szenen zwischen
Daniel und Franz, und Daniel und Karl überhoben. Besonders ist die
Wiedererkennungsszene zwischen den letzten beiden, und Daniels
Kindererzählung, mehr als langweilig, zumal zu einer Zeit, wo es von
Karls Fassung nicht zu erwarten war, daß er Gedult genug haben konte,
das einfältige Gewäsche des kindischen Alten so gelassen anzuhören.
Franzens Monolog [...], wo er seine Bosheit zu bemänteln sucht, scheint
eine Nachamung des schönen Edmundischen Monologs im Lear zu sein, da er
seinen Vater behorcht hat. Er würde ebenso thun, und noch meisterhafter
sein, wenn er kürzer wär, allein er ist gare zu lang gerathen. Eben das
gilt von der Szene von S. 20 an. Spiegelbergs Erzählungen sind nicht nur
überflüssig und langweilig, sondern auch ekelhaft. Wer mag eine so
weitläufige Relazion läppischer Studentenstreiche mit anhören? Die Szene
sollte wenigstens um die Hälfte abgekürzt seyn, und sie wäre noch immer
mehr als hinlänglich, den grosen Entschluß nach und nach reifen zu
lassen. Moors Verzweifelung und wütender Schmerz, und ein flüchtiger
Einfall von Spiegelberg waren hinreichende Triebfedern, mithin der
gröste Teil des unbedeutenden Gewäsches der Übrigen überflüssig. Moors
Verzweiflung von S. 39 an ist vortrefflich, fürchterlich schön.
Shakespear läßt seinen Lear nicht rührender, nicht fürchterlicher rasen.
Die erste Szene des zweiten Akts ist herrlich, und Franzens Überredung
Herrmanns ein Meisterstück der Kunst. Die dritte Szene ist zu gedehnt,
und das Räubergeschwätz ekelhaft. Spiegelbergs Erzälung hat keine
Verbindung mit dem Stük, und die Geschichte mit dem Nonnenkloster ist zu
schändlich, ist beleidigend. Überhaupt solte der Verfasser hier und da
mehr über sich wachen, damit ihm nicht zuweilen Ausdrücke entwischten,
die jedem zärtlichen Ohr beleidigend seyn müssen. Ich mag sie nicht
auszeichnen, um nicht denselben Fehler zu begehen. So bedient er sich
einiger Provinzialausdrüke, die an einigen Orten Teutschlands ganz
unverständlich sind, z. E. Weidenstoz, Aufstreich, jolen, zettern,
bretteln etc. So ist sein Wiz zuweilen gesucht, und abenteuerlich.
[...] Moor's Rue über das Unglück, der durch ihn angezündeten Stadt ist
rührend. [...] Kossinki's Anwerbung ist Episode, die mit dem Stük in gar
keiner Verbindung steht, aber um Karls willen mir so reizend, daß ich
ganze Bände dafür hingebe. Sie Szene von Moors Zusammenkunft mit Amalien
ist hinreisend schön. Das Räuberlied in der fünften Szene des vierten
Akts und ein Teil ihrer Unterhaltung hätte wol wegbleiben können. Aber
der darauf folgende Monolog Moors: Glaubt ihr, ich werde zittern?
Geister meiner Erwürgten! ich werde nicht zittern etc. Warum hat ein
Perillus einen Ochsen aus mir gemacht, daß die Menschheit in meinem
glühenden Bauche bratet? Und: "Zeit und Ewigkeit - gekettet an ein ander
durch ein einzig Moment! Grauser Schlüssel, der das Gefängniß des Lebens
hinter mir schliest, und vor mir aufriegelt die Behausung der ewigen
Nacht . sage mir etc." Kaum kan ich mich enthalten die ganze Stelle
abzuschreiben, sie ist sicher so schön, wo nicht schöner noch als,
Hamlets berühmter Monolog vom Sein und Nichtsein. Doch ich müste beinahe
das ganze Stück ausschreiben, wenn ich alle vortrefliche Stellen
anmerken wolte. Die Szene, wo Moor seinen Vater entdekt, und Rache
schwört, ist fürchterlich. - Im fünften Akt gefäält mir bei Franzens
Verzweiflung sein Traum nicht; denn ich glaube kein Drama, sondern
einige Kapitel aus der Offenbarung Johannis zu lesen; völlig derselbe
Ton. Pastor Moser ist auch eine überflüssige Person: denn sein Besuch
bewirkt nichts. Er bringt nicht die mindeste Veränderung in dem
Gemütszustand des Verzweifelnden hervor: was soll er also? Seine
Unterhaltung selbst macht uns keinen sonderlichen Begrif von ihm, da er
weder den Menschenkenner, noch den Menschenfreund, noch den Philosophen,
sondern den im ungewönlichen Alltagston donnernden Gesezprediger macht.
Amaliens Ermordung scheint mir ruhig vollzogen zu werden; und das Ende
der ganzen Szene sollte wol überhaupt mehr zusammengedrängt, und kürzer
abgebrochen werden, um den Leser nicht vor dem Ende schon erkalten zu
lassen. - Ich bin weitläuftig gewesen: aber ich glaube, eine so seltne
Erscheinung im dramatischen Fach verdient es. Ein Verfasser, dessen
erstes Produkt sich schon so sehr auszeichnet, mus, wenn er aufmerksam
auf sich ist, und die Bemerkungen kunstverständiger Freunde benutzt, mit
Riesenschritten zu Vollkommenheit fortschreiten, und das Publikum zu
grosen Erwartungen berechtigen. Nur wünschte ich noch, daß er beidem
Studio Shakespears weniger den Göz, als Lessings Werke studiren mögte,
da das Feuer seines Genies ohnehin mehr eines Zügels als der Sporn
bedarf. - e"
(aus:
Grawe 1976/2002, S.174-179)
* Lovelace = Figur aus dem Roman "Clarissa" von »Samuel
Richardson (1689-1761)
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