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Schiller, Die Räuber -  Rezeptionsgeschichte

Die Wirkung der "Räuber" auf die Zeitgenossen

Franz Schnatz (1914)

 
 

(119) Für Schillers Zeitgenossen lag in den Räubern nach ihrer ganzen ethisch-tragischen Fragestellung und Beantwortung etwas wohltuend Befreiendes, denn man fühlte sich todelend unter dem Übermut der Begierden. Die Dichtung, welche an zwei Gestalten zeigt, wie der Mensch sich in seinen verschiedenen Entwicklungsstufen zur sittlichen Weltordnung verhält, wirkte wie ein lauter Aufschrei der allgemeinsten Missstimmung, welche die Gemüter niederdrückte. Denn wenn die Gewalt triumphiert und die Unterdrückung des Schwachen Regel ist, wird die Frage nach der sittlichen Ordnung der Dinge brennend. Sind nur Gewalt und Willkür allmächtig? Oder durchwalten sittliche Kräfte und Gesetze die Menschenwelt, vor deren geltender Macht auch die Gewaltigsten sich beugen müssen? Spricht die Tyrannei das letzte Wort, dann ist jedes Widerstreben zwecklos. Besteht dagegen eine sittliche Weltordnung in eherner Festigkeit gegenüber der entarteten Gesellschaft, so ist's der Mühe wert, für sie einzutreten, ja als Märtyrer für sie zu leiden, in der Hoffnung, dass kommende Zeiten für die Gegenwart Unmögliches aufs Neue wirklich und wahr machen. Aus diesem bangen (120) Zwiespalt sehnte man sich heraus. Mag des Dichters Herzblut die Gestalten seines Dramas durchpulsen, in den Brüdern Moor wüten unverkennbar die gesellschaftlichen Strömungen und extrem verschiedenen Geistesrichtungen der damaligen, zerfahrenen Zeit gegeneinander, wie sie den Menschen jener Tage nur schwer zur inneren Harmonie durchdringen ließen. Die Dichtung ist genährt und durchtränkt von den widerstreitenden Lebensstimmungen jener Zeit, da beschränktes Philistertum und genialisches Drängen, rohe Genusssucht und opferwillige Begeisterung, einklemmende Tradition und schrankenloser Subjektivismus, idealistische Gesinnung und materialistisches Denken, überschwängliches Gefühl und nüchterne Vernünftelei, empfindsamer Mystizismus und blasphemischer Nihilismus in unversöhnlichem Widerspruch und Widerstreit aufeinander prallten. [...] Aufwühlende, befreiende Kräfte strömten  in der Tat von diesem Drama aus, das so mannhaft kühn den Schleier wegriss von den faulen Zuständen, von der Verlogenheit und Tünche der entnervten Gesellschaft, und so unerbittlich scharf die Geißel schwang über die skrupellosen Rechtsverdreher und niederträchtigen Menschenschinder, über das Geschmeiß der Schmeichler und Günstlinge, über die Schurken mit goldenen Borden und begehrlichen Landjunker, über scheinheilige Pfaffen und bestechliche Advokaten. Fürwahr, eine politisch-soziale Tat! [...]
Leider bleiben die Leser vielfach in stofflichen Eindrücken befangen und waren bei ihrer leidenschaftlichen Sympathie mit dem im Drama entfesselten Freiheitsgeist weniger zur rein ästhetischen Kontemplation geneigt und selten bereit, sich (121) auf die vom Dichter gewollte und gegebene tragische Lösung zu besinnen. Wer in den Räubern nur ein revolutionäres Tendenzstück sieht und in ihnen lediglich den wilden, trotzigen Geist der Zerstörung fühlt, ist weder zum vollen künstlerischen Verständnis der Dichtung noch zur Erfassung der wahren Meinung und wirklichen Absicht Schillers hindurchgedrungen. [...]

(aus: Schnatz 1914, S.119-121, Originalseitenangaben im Text in runden Klammern)

      
    
   Arbeitsanregungen:
  1. Arbeiten Sie heraus, worauf nach Ansicht des Autors der große Erfolg der "Räuber" zurückzuführen ist.

  2. Visualisieren Sie Ihre Ergebnisse in einer anschaulichen Art und Weise.

 →Operatorenkatalog des Landes Baden-Württemberg)

 
     
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