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(Der Anhang ist der 1782 anonym erschienenen
•
Selbstrezension seines eigenen
Dramas •
"Die
Räuber" (1782 hintangestellt, die
• Friedrich
Schiller in der von
ihm, zusammen mit
seinem Freund
•
Johann Wilhelm Petersen, seinem Lehrer an der
•
Karlsschule
•
Jakob Friedrich Abel und Johann Jakob Atzel,
1782 herausgegebenen Zeitschrift •
»Wirtenbergisches
Repertorium der Litteratur« veröffentlicht. Textgrundlage der
Rezension ist die so genannte •
Trauerspielfassung
des Dramas, die Schiller nach der
Uraufführung in Mannheim am
13.1.1782 (•
Mannheimer
Soufflierbuch 1781/82) als quasi autorisierte Bühnenfassung seines
Stücks bearbeitet.)
"Das Stück ist zu verschiedenen malen in Mannheim
gespielt worden. Ich hoffe meine Leser zu verbinden, wenn ich ihnen
einen Brief mitteile, den mir mein Korrespondent, der dem Schauspiel zu
Gefallen dahin abgereist war, aus Ansuchen darüber geschrieben habe.
Worms, den 15. Jenner [1782.]
Vorgestern endlich ging die Vorstellung der Räuber
des Hrn.
Schiller vor sich. Ich komme soeben von der Reise zurück und
noch warm von dem Eindruck, setze ich mich nieder, Ihnen zu schreiben.
Nun erst muß ich erstaunen, welche unübersteiglich scheinende
Hindernisse der Hr. Präsident von
Dalberg besiegen mußte, um dem
Publikum das Stück auftischen zu können. Der Hr. Verfasser hat es
freilich
für die
Bühne umgearbeitet1, aber wie? Gewiß auch nur für die,
die der tätige Geist Dalbergs beseelt; für alle übrige, die ich
wenigstens kenne, bleibt es, nach wie vor, ein unregelmäßiges Stück.
Unmöglich wars, bei den fünf Akten zu bleiben; der Vorhang fiel zweimal
zwischen den Szenen, damit Machinisten und Schauspieler Zeit gewännen,
man spielte Zwischenakte, und so entstanden
sieben Aufzüge.
Doch das
fiel nicht auf2. Alle Personen erschienen neu gekleidet,
zwei herrliche
Dekorationen waren ganz für das Stück gemacht3, Hr. Danzi hatte auch die
Zwischenakte neu aufgesetzt, so daß nur die Unkosten der ersten
Vorstellung hundert Dukaten betrugen. Das
Haus war ungewöhnlich voll, daß eine große Menge abgewiesen wurde. Das Stück spielte ganze
vier
Stunden, und mich deucht, die Schauspieler hatten sich noch beeilet.
Doch – Sie werden ungeduldig sein, vom Erfolge zu hören. Im ganzen
genommen, tat es die vortrefflichste Wirkung. R. Boeck, als
Räuberhauptmann, erfüllte seine Rolle, so weit es dem Schauspieler
möglich war, immer auf der Folter des Affekts gespannt zu liegen. In der
mitternächtlichen Szene am Turm hört ich ihn noch, neben dem Vater
kniend, mit aller pathetischen Sprache den Mond und die Sterne
beschwören – Sie müssen wissen, daß der Mond, wie ich noch auf keiner
Bühne gesehen, gemächlich über den Theaterhorizont lief und nach Maßgab
seines Laufs ein natürliches schröckliches Licht in der Gegend
verbreitete. –
Schade nur, daß Hr. Boeck für seine Rolle nicht Person
genug hat. Ich hatte mir den Räuber hager und groß gedacht.
Hr. Iffland,
der den Franz vorstellte, hat mir (doch entscheidend soll meine Meinung
nicht sein) am vorzüglichsten gefallen. Ihnen gesteh ich es, diese
Rolle, die gar nicht für die Bühne ist, hatt ich schon für verloren
gehalten, und nie bin ich so angenehm betrogen worden. Iffland hat sich
in den letztern Szenen als Meister gezeigt. Noch hör ich ihn in der
ausdrucksvollen Stellung, die der ganzen laut bejahenden Natur entgegenstund,
das ruchlose Nein sagen und dann wiederum, wie von
einer unsichtbaren Hand gerührt, ohnmächtig umsinken: "Ja! Ja! – droben
einer über den Sternen!“ – Sie hätten ihn sollen sehen auf den Knieen
liegen und beten, als um ihn schon die Gemächer des Schlosses brannten –
Wenn nur Hr. Iffland seine Worte nicht so verschlänge und sich nicht im
Deklamieren so überstürzte! Teutschland wird in diesem jungen Mann noch
einen Meister finden. Hr. Beil, der herrliche Kopf, war ganz Schweizer.
Hr. Meyer spielte den Hermann unverbesserlich, auch
Kosinsky und
Spiegelberg wurden sehr gut getroffen. Madame
Toskani gefiel, mir zum
mindesten, denn sie ist dem Dichter an vielen Orten mißlungen. Toskani
spielte durchaus weich und delikat, auch wirklich mit Ausdruck in den
tragischen Situationen, nur zu viel Theater-Affektationen und ermüdende
weinerlich klagende Monotonie. Der alte Moor konnte unmöglich gelingen,
da er schon von Haus aus durch den Dichter verdorben ist.
Wenn ich Ihnen meine Meinung teutsch heraussagen soll –
dieses Stück ist
dem ohnerachtet kein Theaterstück. Nehme ich das Schießen, Sengen,
Brennen, Stechen und dergleichen hinweg, so ist es für die Bühne
ermüdend und schwer. Ich hätte den Verfasser dabei gewünscht, er würde
viel ausgestrichen haben, oder er müßte sehr eigenliebig und zäh sein.
Mir kam es auch vor, es waren zu viele Realitäten hineingedrängt, die
den Haupteindruck belasten. Man hätte drei Theaterstücke daraus machen
können, und jedes hätte mehr Wirkung getan. Man spricht indes langes und
breites davon. Übermäßige Tadler und übermäßige Lober. Wenigstens ist
dies die beste Gewähr für den Geist des Verfassers.
Bald werden wir es
gedruckt haben. Her. Hofkammerrat Schwan, der zur Aufnahme des Stücks
sehr viel beigetragen hatte und ein eifriger Liebhaber davon ist, wird
es herausgeben. Ich habe die Ehre zu sein usf.
N."
(aus: NA XXII, S.309-311, zit. n.
Grawe
1976/2006, S.170-172)
Wort- und
Sacherläuterungen:
1↑ gemeint ist die Fassung des
Mannheimer
Soufflierbuchs 1781/82, das die von Dalberg ziemlich willkürlich
überarbeitete Bühnenfassung der
Uraufführung
am 13.1.1782 im Mannheimer Nationaltheater war
2↑ Die ursprüngliche der Fassung der Erstausgabe (→Schauspielfassung)
war, rein formal gesehen, ganz herkömmlich in fünf Akte eingeteilt, auch
wenn sie gemessen an der
Lehre von den drei Einheiten keine Schauplatzwechsel mehr
signalisieren, die ja schon innerhalb der Akte in den Großszenen
erfolgen. Was Dalberg zur Verwendung von 7 Aufzügen veranlasst, hat
bühnentechnische Gründe, wie
Schmidt (1959, S.172f.) herausgearbeitet hat. Dabei geht es um das
rein technische Verfahren, Bühnenumbauten ohne Durchbrechung der
dramatischen Wirklichkeitsillusion zu bewerkstelligen, wenigstens "die
Verwandlung der gemalten Rahmendekoration zu vereinfachen", was man mit
"einem Wechsel zwischen »kurzer« und »langer Bühne« (Petersen)"
erreichen konnte. Zudem wurde die dramaturgische Bezeichnung
»Aufzug« im 18. Jahrhundert sehr wörtlich genommen und auf die Bewegung
des Vorhangs bezogen. "Was sich zwischen »Aufzug« und Fallen des
Vorhangs auf offener Bühne ereignete, bildete einen zusammengehörigen
Handlungsteil und hieß als solcher eben »Aufzug« oder auch Akt. Etwaige
szenische Verwandlungen innerhalb eines Aufzugs durften daher nicht (wie
dies heute meist geschieht) durch den bei Bildwechsel fallenden Vorhang
gedeckt werden, sondern fanden auf offener Bühne statt. Sinn dieser
Vorschrift war die Wahrung jener künstlerischen Einheit, die dem Aufzug
als sich geschlossenen Abschnitt der dramatischen Dichtung zukommt. […]
Welche Schwierigkeiten allein der Austausch des Mobiliars und der
Versatzstücke bereitete, schildert Otto von Gemmingen sehr anschaulich
in der Vorbemerkung zur dritten Ausgabe seines »Deutschen Hausvaters«:
»Es hat mir manchmal wehe gethan, wenn oft im rührendsten Augenblick
eine laute Pfeife eine Theaterveränderung ankündigte, und dann Thüren
mit Menschenfüßen ankamen, Tische aus dem Theater wie lebendig
heraussprangen und Bäume im Boden wieder zurückkrochen.«"
3↑ Gewöhnlich besitzen die Theater im 18. Jahrhundert kein
speziell und ausschließlich für ein Theaterstück angefertigtes
Bühnenbild. Es gab eine gewisse Sammlung von Grunddekorationen (Säle,
Zimmer, Gärten, Wälder, Städte, Dörfer, Landschaften etc.), die nur im
Ausnahmefall mit Zusatzausstattungen für eine besondere Aufführung
ergänzt werden. Genau rekonstruieren, welche Dekorationen bei der
Bühnenbildgestaltung der Mannheimer Aufführung zum Einsatz gekommen
sind, lässt sich offenbar nicht. (vgl.
Schmidt 1959, S.177.) Ob die Dekoration "Bildersaal" des Mannheimer
Nationaltheaters, die im Zweiten Weltkrieg zerstört worden ist, bis zur Uraufführung der "Räuber" zurückreicht, ist
zumindest fraglich.
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Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
30.10.2023