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Franken.
Saal im Moorischen Schloss.
Franz.
Der alte Moor.
FRANZ. Aber ist Euch auch
wohl, Vater? Ihr seht so blass.
DER ALTE MOOR. Ganz wohl,
mein Sohn, - was hattest du mir zu sagen?
FRANZ. Die Post ist
angekommen - ein
Brief von unserm Korrespondenten in Leipzig -
DER ALTE MOOR (begierig).
Nachrichten von meinem Sohne Karl?
FRANZ. Hm! Hm! - So ist es.
Aber ich fürchte - ich weiß nicht - ob ich - Eurer Gesundheit? - Ist Euch
wirklich ganz wohl, mein Vater?
DER ALTE MOOR. Wie dem
Fisch im Wasser! Von meinem Sohne schreibt er? - Wie kommst du zu dieser
Besorgnis? Du hast mich zweimal gefragt.
FRANZ. Wenn Ihr krank seid
- nur die leiseste Ahnung habt, es zu werden, so lasst mich - ich will zu
gelegenerer Zeit zu Euch reden. (Halb zu sich.) Diese Zeitung ist
nicht für einen zerbrechlichen Körper.
DER ALTE MOOR. Gott! Gott!
was werd' ich hören?
FRANZ. Lasst mich vorerst
auf die Seite gehn und eine Träne des Mitleids vergießen um meinen
verlornen Bruder - ich sollte schweigen auf ewig - denn er ist Euer Sohn;
ich sollte seine
Schande verhüllen auf ewig - denn er ist mein Bruder. -
Aber Euch
gehorchen, ist meine erste, traurige Pflicht - darum vergebt mir.
DER ALTE MOOR. O Karl!
Karl! wüsstest du, wie deine Aufführung das Vaterherz foltert! wie eine
einzige frohe Nachricht von dir meinem Leben zehen Jahre zusetzen würde -
mich zum Jüngling machen würde - da mich nun jede, ach! - einen Schritt
näher ans Grab rückt!
FRANZ. Ist es das, alter
Mann, so lebt wohl - wir alle würden noch heute die Haare ausraufen über
Eurem Sarge.
DER ALTE MOOR. Bleib! - Es
ist noch um den kleinen kurzen Schritt zu tun - lass ihm seinen Willen! (Indem
er sich niedersetzt.)
Die Sünden seiner Väter werden heimgesucht im dritten und vierten Glied
- lass ihn's vollenden.
FRANZ (nimmt den Brief
aus der Tasche). Ihr kennt unsern Korrespondenten! Seht! Den Finger
meiner rechten Hand wollt ich drum geben, dürft' ich sagen, er ist ein
Lügner, ein schwarzerer, giftiger Lügner - - Fasst Euch!
Ihr vergebt mir, wenn ich Euch den Brief nicht selbst lesen lasse -
Noch dürft Ihr nicht alles hören.
DER ALTE MOOR. Alles, alles
- mein Sohn, du ersparst mir die Krücke.
FRANZ (liest).
»Leipzig, vom 1. Mai. - Verbände mich nicht eine unverbrüchliche Zusage,
dir auch nicht das geringste zu verhehlen, was ich von den Schicksalen
deines Bruders auffangen kann, liebster Freund, nimmermehr würde meine
unschuldige Feder an dir zur Tyrannin geworden sein. Ich kann aus hundert
Briefen von dir abnehmen, wie Nachrichten dieser Art dein brüderliches
Herz durchbohren müssen; mir ist's, als säh' ich dich schon um den
Nichtswürdigen, den
Abscheulichen« - - (Der alte Moor verbirgt sein Gesicht.) Seht,
Vater! ich lese Euch nur das Glimpflichste - »den Abscheulichen in tausend
Tränen ergossen« - ach, sie flossen - stürzten stromweis von dieser
mitleidigen Wange - »mir ist's, als säh' ich schon deinen alten, frommen
Vater totenbleich« - Jesus Maria! Ihr seid's, eh' ihr noch das mindeste
wisset?
DER ALTE MOOR. Weiter!
Weiter!
FRANZ. - »Totenbleich in
seinen Stuhl zurücktaumeln und dem Tage fluchen, an dem ihm zum ersten Mal
Vater entgegengestammelt ward. Man hat mir nicht alles entdecken
mögen, und von dem Wenigen, das ich weiß, erfährst du nur weniges.
Dein Bruder scheint nun das Maß seiner Schande erfüllt zu haben; ich
wenigstens kenne nichts über dem, was er wirklich erreicht hat, wenn nicht
sein Genie das meinige hierin übersteigt. Gestern um Mitternacht hatte er
den großen Entschluss, nach
vierzigtausend Dukaten Schulden« - ein hübsches Taschengeld, Vater! -
»nachdem er zuvor die
Tochter eines
reichen Bankiers allhier entjungfert und ihren Galan, einen braven
Jungen von Stand, im Duell auf
den Tod verwundet, mit sieben andern, die er mit in sein Luderleben
gezogen, dem Arm der Justiz zu entlaufen.« - Vater! Um Gotteswillen!
Vater, wie wird Euch?
DER ALTE MOOR. Es ist
genug. Lass ab, mein Sohn!
FRANZ. Ich schone Eurer -
»Man hat ihm Steckbriefe
nachgeschickt, die Beleidigten schreien laut um Genugtuung, ein Preis
ist auf seinen Kopf gesetzt - der Name Moor« - Nein! Meine armen Lippen
sollen nimmermehr einen Vater ermorden! (Zerreißt den Brief.)
Glaubt es nicht, Vater! Glaubt ihm keine Silbe!
DER ALTE MOOR (weint
bitterlich). Mein Name! Mein ehrlicher Name!
FRANZ (fällt ihm um den
Hals.) Schändlicher, dreimal schändlicher Karl! Ahndete mirs nicht,
da er, noch ein Knabe,
den Mädels so nachschlenderte,
mit
Gassenjungen und elendem Gesindel auf Wiesen und Wegen sich
herumhetzte, den Anblick der Kirche, wie ein Missetäter das Gefängnis,
floh und die Pfennige, die er Euch abquälte,
dem ersten dem besten Bettler
in den Hut warf, während dass wir
daheim mit frommen Gebeten und heiligen Predigtbüchern uns erbauten? -
Ahndete mirs nicht, da er die
Abenteuer des Julius
Cäsar und Alexander Magnus und anderer stockfinsterer Heiden lieber
las, als die Geschichte des bußfertigen Tobias? -
Hundertmal hab ichs Euch
geweissagt, denn meine Liebe zu ihm war immer in den Schranken der
kindlichen Pflicht - der Junge wird uns alle noch in Elend und Schande
stürzen! - O, dass er Moors Namen nicht trüge!
dass mein Herz
nicht so warm für ihn schlüge! Die gottlose Liebe, die ich nicht
vertilgen kann, wird mich noch einmal vor Gottes Richterstuhl anklagen.
DER ALTE MOOR. Oh - meine
Aussichten! Meine goldenen Träume!
FRANZ. Das weiß ich wohl.
Das ist es ja, was ich eben sagte. Der
feurige Geist, der in dem
Buben lodert, sagtet Ihr immer, der
ihn für jeden Reiz von Größe und Schönheit so empfindlich macht, -
diese Offenheit, die seine Seele auf dem Auge
spiegelt, diese Weichheit des Gefühls, die ihn bei jedem Leiden in
weinende Sympathie dahinschmelzt, dieser männliche
Mut, der ihn auf den Wipfel hundertjähriger Eichen treibet und über
Gräben und Palisaden und reißende Flüsse jagt, dieser
kindische Ehrgeiz, dieser
unüberwindliche Starrsinn und alle
diese schöne, glänzende Tugenden, die im
Vatersöhnchen keimten, werden ihn dereinst zu einem warmen Freund
eines Freundes, zu einem trefflichen
Bürger, zu einem Helden,
zu einem großen, großen Manne
machen. - Seht Ihr's nun, Vater! - der feurige Geist hat sich entwickelt,
ausgebreitet, herrliche Früchte hat er getragen. Seht diese Offenheit, wie
hübsch sie sich zur Frechheit herumgedreht hat!
seht diese Weichheit, wie zärtlich sie
für Koketten girret, wie so empfindsam für die Reize einer Phryne!
Seht dieses feurige Genie, wie es das Öl
seines Lebens in sechs Jährchen so rein weggebrannt hat, dass er bei
lebendigem Leibe umgeht, und da kommen die Leute und sind so unverschämt
und sagen: c'est l'amour qui a fait ça! Ah! seht doch diesen kühnen,
unternehmenden Kopf, wie er Plane schmiedet und ausführt, vor denen die
Heldentaten eines
Cartouches und Howards verschwinden! - Und wenn erst diese prächtigen
Keime zur vollen Reife erwachsen - was lässt sich auch von einem so zarten
Alter Vollkommenes erwarten? - Vielleicht, Vater, erlebt Ihr noch die
Freude, ihn an der Fronte eines Heeres zu erblicken, das in der heiligen
Stille der Wälder residieret und
dem müden Wanderer seine Reise um die Hälfte der Bürde erleichtert -
vielleicht könnt Ihr noch, eh Ihr zu Grabe geht, eine Wallfahrt nach
seinem Monumente tun, das er sich zwischen Himmel und Erden errichtet -
vielleicht, o Vater, Vater, Vater -
seht Euch nach einem andern
Namen um, sonst deuten Krämer und Gassenjungen mit Fingern auf Euch,
die Euren Herrn Sohn auf dem Leipziger Marktplatz im Porträt gesehen
haben.
DER ALTE MOOR. Und auch du,
mein Franz, auch du? O meine Kinder! wie sie nach meinem Herzen zielen!
FRANZ.
Ihr seht, ich kann auch witzig sein, aber mein Witz ist Skorpionstich.
- Und dann der trockne Alltagsmensch,
der kalte, hölzerne Franz, und wie
die Titelchen alle heißen mögen, die Euch der Kontrast zwischen ihm und
mir mocht' eingegeben haben, wenn er
Euch auf dem Schloße saß, oder in die Backen zwickte - der wird einmal
zwischen seinen Grenzsteinen sterben und modern und vergessen
werden, wenn der Ruhm dieses Universalkopfs von einem Pole zum andern
fliegt - Ha! mit gefaltnen Händen dankt dir, o Himmel! der kalte,
trockne, hölzerne Franz - dass er nicht ist, wie dieser!
DER ALTE MOOR. Vergib mir,
mein Kind; zürne nicht auf einen Vater, der sich in seinen Planen betrogen
findet. Der Gott, der mir durch Karln Tränen zusendet, wird sie durch
dich, mein Franz, aus meinen Augen wischen.
FRANZ. Ja, Vater, aus Euren
Augen soll er sie wischen. Euer Franz wird sein Leben dran setzen, das
Eurige zu verlängern. Euer Leben ist das Orakel, das ich vor Allem zu Rate
ziehe über dem, was ich tun will; der Spiegel, durch den ich alles
betrachte -
keine Pflicht ist mir so heilig, die ich nicht zu brechen bereit bin,
wenns um Euer kostbares Leben zu tun ist. - Ihr glaubt mir das?
DER ALTE MOOR. Du hast noch
große Pflichten auf dir, mein Sohn - Gott segne dich für das, was du mir
warst und sein wirst!
FRANZ.
Nun sagt mir einmal - wenn Ihr diesen Sohn nicht den Euren nennen müsstet,
Ihr wärt ein glücklicher Mann?
DER ALTE MOOR. Stille! o
stille! da ihn die Wehmutter mir brachte, hub ich ihn gen Himmel und rief:
Bin ich nicht ein glücklicher Mann?
FRANZ. Das sagtet ihr. Nun,
habt Ihrs gefunden? Ihr beneidet den schlechtesten Eurer Bauren, dass er
nicht Vater ist zu diesem - Ihr habt Kummer, so lang Ihr diesen Sohn habt.
Dieser Kummer wird wachsen mit Karln. Dieser Kummer wird Euer Leben
untergraben.
DER ALTE MOOR. Oh! er hat
mich zu einem achtzigjährigen Manne gemacht.
FRANZ. Nun also -
wenn Ihr dieses Sohnes
Euch entäußertet?
DER ALTE MOOR (auffahrend).
Franz! Franz! was sagst du?
FRANZ. Ist es nicht diese
Liebe zu ihm, die Euch all den Gram macht? Ohne diese Liebe ist er für
Euch nicht da. Ohne diese strafbare, diese verdammliche Liebe ist er Euch
gestorben - ist er Euch nie geboren. Nicht Fleisch und Blut, das Herz
macht uns zu Vätern und Söhnen. Liebt Ihr ihn nicht mehr, so ist diese
Abart auch Euer Sohn nicht mehr, und wär er aus Eurem Fleische
geschnitten. Er ist Euer Augapfel gewesen bisher; nun aber, ärgert dich
dein Auge, sagt die Schrift, so reiß es aus. Es ist besser, einäugig gen
Himmel, als mit zwei Augen in die Hölle. Es ist besser, kinderlos gen
Himmel, als wenn Beide, Vater und Sohn, in die Hölle fahren. So spricht
die Gottheit.
DER ALTE MOOR. Du willst,
ich soll meinen Sohn verfluchen?
FRANZ. Nicht doch! nicht
doch! - Euren Sohn sollt Ihr nicht verfluchen. Was heißt Ihr Euren Sohn? -
dem Ihr das Leben gegeben habt, wenn er sich auch alle ersinnliche Mühe
gibt, das Eurige zu verkürzen?
DER ALTE MOOR. Oh, das ist
allzuwahr! das ist ein Gericht über mich. Der Herr hat's ihm geheißen.
FRANZ. Seht Ihr's, wie
kindlich Euer Busenkind an Euch handelt. Durch Eure väterliche Teilnehmung
erwürgt er Euch, mordet Euch durch Eure Liebe, hat Euer Vaterherz selbst
bestochen, Euch den Garaus zu machen. Seid Ihr einmal nicht mehr, so ist
er Herr Eurer Güter, König seiner Triebe. Der Damm ist weg; und der Strom
seiner Lüste kann jetzt freier dahin brausen. Denkt Euch einmal an seine
Stelle! Wie oft muss er den Vater unter die Erde wünschen - wie oft den
Bruder - die ihm im Lauf seiner Exzesse so unbarmherzig im Weg stehen? Ist
das aber Liebe gegen Liebe? ist das kindliche Dankbarkeit gegen väterliche
Milde, wenn er dem geilen Kitzel eines Augenblicks zehn Jahre Eures Lebens
aufopfert? wenn er den Ruhm seiner Väter, der sich schon sieben
Jahrhunderte unbefleckt erhalten hat, in einer wollüstigen Minute aufs
Spiel setzt? Heißt Ihr das Euren Sohn? Antwortet! heißt Ihr das einen
Sohn?
DER ALTE MOOR. Ein
unzärtliches Kind! ach! aber mein Kind doch! mein Kind doch!
FRANZ. Ein allerliebstes,
köstliches Kind, dessen ewiges Studium ist, keinen Vater zu haben - O dass
Ihr's begreifen lerntet! dass Euch die Schuppen fielen vom Auge! Aber Eure
Nachsicht muss ihn in seinen Liederlichkeiten befestigen, Euer Vorschub
ihnen Rechtmäßigkeit geben. Ihr werdet freilich den freilich von seinem
Haupte laden; auf Euch, Vater, auf Euch wird der Fluch der Verdammnis
fallen.
DER ALTE MOOR. Gerecht!
sehr gerecht! - Mein, mein ist alle Schuld!
FRANZ. Wie viele Tausende,
die voll sich gesoffen haben vom Becher der Wollust, sind durch Leiden
gebessert worden! Und ist nicht der körperliche Schmerz, der jedes Übermaß
begleitet, ein Fingerzeig des göttlichen Willens? Sollte ihn der Mensch
durch seine grausame Zärtlichkeit verkehren? Soll der Vater das ihm
anvertraute Pfand auf ewig zu Grunde richten? - Bedenkt, Vater, wenn Ihr
ihn seinem Elend auf einige Zeit preisgeben werdet, wird er nicht entweder
umkehren müssen und sich bessern? oder er wird auch in der großen Schule
des Elends ein Schurke bleiben, und dann - wehe dem Vater, der die
Rathschlüsse einer höheren Weisheit durch Verzärtlung zernichtet! - Nun,
Vater?
DER ALTE MOOR. Ich will ihm
schreiben, dass ich meine Hand von ihm wende.
FRANZ. Da taut Ihr recht
und klug daran.
DER ALTE MOOR. dass er
nimmer vor meine Augen komme.
FRANZ. Das wird eine
heilsame Wirkung tun.
DER ALTE MOOR (zärtlich).
Bis er anders worden!
FRANZ. Schon recht! schon
recht - Aber, wenn er nun kommt mit der Larve des Heuchlers, Euer Mitleid
erweint, Eure Vergebung sich erschmeichelt und morgen hingeht und Eurer
Schwachheit spottet im Arm seiner Huren? - Nein, Vater! Er wird freiwillig
wiederkehren, wenn ihn sein Gewissen rein gesprochen hat.
DER ALTE MOOR. So will ich
ihm das auf der Stelle schreiben.
FRANZ. Halt! noch ein Wort,
Vater! Eure Entrüstung, fürchte ich, möchte Euch zu harte Worte in die
Feder werfen, die ihm das Herz zerspalten würden - und dann - glaubt Ihr
nicht, dass er das schon für Verzeihung nehmen werde, wenn Ihr ihn noch
eines eigenhändigen Schreibens wert haltet? Darum wirds besser sein, Ihr
überlasst das Schreiben mir.
DER ALTE MOOR. Tu das, mein
Sohn. - Ach, es hätte mir doch das Herz gebrochen! Schreib ihm - -
FRANZ (schnell).
Dabei bleibts also?
DER ALTE MOOR. Schreib ihm,
dass ich tausend blutige Tränen, tausend schlaflose Nächte - aber bring
meinen Sohn nicht zur Verzweiflung!
FRANZ. Wollt Ihr Euch nicht
zu Bette legen, Vater? Es griff Euch hart an.
DER ALTE MOOR. Schreib ihm,
dass die väterliche Brust - Ich sage dir, bring meinen Sohn nicht zur
Verzweiflung! (Geht traurig ab.)
FRANZ (mit Lachen ihm
nachsehend). Tröste dich, Alter! du wirst ihn nimmer an diese Brust
drücken; der Weg dazu ist ihm verrammelt, wie der Himmel der Hölle - Er
war aus deinen Armen gerissen, ehe du wusstest, dass du es wollen könntest
- Da müsst ich ein erbärmlicher Stümper sein, wenn ichs nicht einmal so
weit gebracht hätte, einen Sohn vom Herzen des Vaters loszulösen, und wenn
er mit ehernen Banden daran geklammert wäre - Ich hab einen magischen
Kreis von Flüchen um dich gezogen, den er nicht überspringen soll - Glück
zu, Franz! weg ist das Schoßkind - der Wald ist heller. Ich muss diese
Papiere vollends aufheben, wie leicht könnte Jemand meine Handschrift
kennen? (Er liest die zerrissenen Briefstücke zusammen.) Und Gram wird
auch den Alten bald fortschaffen, - und ihr muss ich diesen Karl aus dem
Herzen reißen, wenn auch ihr halbes Leben dran hängen bleiben sollte. Ich
habe große Rechte, über die Natur ungehalten zu sein, und bei meiner Ehre,
ich will sie geltend machen. - Warum bin ich nicht der Erste aus
Mutterleib gekrochen? warum nicht der Einzige? Warum musste sie mir diese
Bürde von Hässlichkeit aufladen? gerade mir? Nicht anders, als ob sie bei
meiner Geburt einen Rest gesetzt hätte. Warum gerade mir die Lappländersnase? gerade mir dieses Mohrenmaul? diese Hottentottenaugen?
Wirklich, ich glaube, sie hat von allen Menschensorten das Scheußliche auf
einen Haufen geworfen und mich daraus gebacken. Mord und Tod! Wer hat ihr
die Vollmacht gegeben, jenem dieses zu verleihen und mir vorzuenthalten?
Könnte ihr Jemand darum hofieren, eh er entstund? oder sie beleidigen, eh
er selbst wurde? Warum ging sie so parteilich zu Werke? Nein! nein! ich
Tu' ihr Unrecht. Gab sie uns doch Erfindungsgeist mit, setzte uns nackt
und armselig ans Ufer dieses großen Ozeans Welt - Schwimme, wer schwimmen
kann, und wer zu plump ist, geh unter! Sie gab mir nichts mit; wozu ich
mich machen will, das ist nun meine Sache. Jeder hat gleiches Recht zum
Größten und Kleinsten; Anspruch wird an Anspruch, Trieb an Trieb und Kraft
an Kraft zernichtet. Das Recht wohnet beim Überwältiger, und die Schranken
unserer Kraft sind unsere Gesetze. Wohl gibt es gewisse gemeinschaftliche
Pacta, die man geschlossen hat, die Pulse des Weltzirkels zu treiben.
Ehrlicher Name! - wahrhaftig eine reichhaltige Münze, mit der sich
meisterlich schachern lässt, wer's versteht, sie gut auszugeben. Gewissen
- o ja, freilich! ein tüchtiger Lumpenmann, Sperlinge von Kirschbäumen
wegzuschrecken! - auch das ein gut geschriebener Wechselbrief, mit dem
auch der Bankerottierer zur Noch noch hinauslangt. In der Trat sehr
lobenswürdige Anstalten, die Narren im Respekt und den Pöbel unter dem
Pantoffel zu halten, damit die Gescheiten es desto bequemer haben. Ohne
Anstand, recht schnakische Anstalten! Kommen mir vor wie die Hecken, die
meine Bauern gar schlau um ihre Felder herumführen, dass ja kein Hase
drüber setzt, ja beileibe kein Hase! - Aber der gnädige Herr gibt seinem
Rappen den Sporn und galoppiert weich über der weiland Ernte. Armer Hase!
Es ist doch eine jämmerliche Rolle, der Hase sein zu müssen auf dieser
Welt - Aber der gnädige Herr braucht Hasen! Also frisch drüber hinweg! Wer
nichts fürchtet, ist nicht weniger mächtig, als Der, den alles fürchtet.
Es ist jetzt Mode, Schnallen an den Beinkleidern zu tragen, womit man sie
nach Belieben weiter und enger schnürt. Wir wollen uns ein Gewissen nach
der neuesten Façon anmessen lassen, um es hübsch weiter aufzuschnallen,
wie wir zulegen. Was können wir dafür? Geht zum Schneider! Ich habe Langes
und Breites von einer so genannten Blutliebe schwatzen gehört, das einem
ordentlichen Hausmann den Kopf heiß machen könnte - Das ist dein Bruder! -
das ist verdolmetscht: er ist aus eben dem Ofen geschossen worden, aus dem
du geschossen bist - also sei er dir heilig! - Merkt doch einmal diese
verzwickte Konsequenz, diesen possierlichen Schluss von der Nachbarschaft
der Leiber auf die Harmonie der Geister, von eben derselben Heimat zu eben
derselben Empfindung, von einerlei Kost zu einerlei Neigung. Aber weiter -
es ist dein Vater! er hat dir das Leben gegeben, du bist sein Fleisch,
sein Blut - also sei er dir heilig! Wiederum eine schlaue Konsequenz! Ich
möchte doch fragen, warum hat er mich gemacht? doch wohl nicht gar aus
Liebe zu mir, der erst ein Ich werden sollte? Hat er mich gekannt, ehe er
mich machte? Oder hat er mich gedacht, wie er mich machte? Oder hat er
mich gewünscht, da er mich machte? Wusste er, was ich werden würde? Das
wollt ich ihm nicht raten, sonst möcht' ich ihn dafür strafen, dass er
mich doch gemacht hat! Kann ichs ihm Dank wissen, dass ich ein Mann
wurde? So wenig, als ich ihn verklagen könnte, wenn er ein Weib aus mir
gemacht hätte. Kann ich eine Liebe erkennen, die sich nicht auf Achtung
gegen mein Selbst gründet? Konnte Achtung gegen mein Selbst vorhanden
sein, das erst dadurch entstehen sollte, davon es die Voraussetzung sein
muss? Wo steckt denn nun das Heilige? Etwa im Actus selber, durch den ich
entstund? - Als wenn dieser etwas mehr wäre, als viehischer Prozess zur
Stillung viehischer Begierden? Oder steckt es vielleicht im Resultat
dieses Actus, das doch nichts ist, als eiserne Notwendigkeit, die man so
gern wegwünschte, wenns nicht auf Unkosten von Fleisch und Blut geschehen
müsste? Soll ich ihm etwa darum gute Worte geben, dass er mich liebt? Das
ist eine Eitelkeit von ihm, die Schoßsünde aller Künstler, die sich in
ihrem Werk kokettieren, wär es auch noch so hässlich. - Sehet also, das
ist die ganze Hexerei, die ihr in einen heiligen Nebel verschleiert, unsre
Furchtsamkeit zu missbrauchen. Soll auch ich mich dadurch gängeln lassen,
wie einen Knaben? Frisch also! mutig ans Werk! - Ich will alles um mich
her ausrotten, was mich einschränkt, dass ich nicht Herr bin. Herr muss
ich sein, dass ich das mit Gewalt ertrotze, wozu mir die Liebenswürdigkeit
gebricht. (Ab.)
►Text
der Szene im
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