|
Schenke
an den Grenzen von Sachsen.
Karl Moor
in ein Buch vertieft. Spiegelberg trinkend am Tisch.
KARL VON MOOR (legt das
Buch weg). Mir ekelt vor diesem tintenklecksenden Saeculum, wenn ich
in meinem Plutarch lesen von großen Menschen.
SPIEGELBERG (stellt ihm
ein Glas hin und trinkt). Den Josephus musst du lesen.
MOOR. Der lohe Lichtfunke
Prometheus' ist ausgebrannt, dafür nimmt man jetzt die Flamme von
Bärlappenmehl - Theaterfeuer, das keine Pfeife Tabak anzündet. Da krabbeln
sie nun, wie die Ratten auf der Keule des Herkules, und studieren sich das
Mark aus dem Schädel, was das für ein Ding sei, das er in seinen Hoden
geführt hat. Ein französischer Abbé doziert, Alexander sei ein Hasenfuß
gewesen; ein schwindsüchtiger Professor hält sich bei jedem Wort ein
Fläschchen Salmiakgeist vor die Nase und liest ein Kollegium über die
Kraft. Kerls, die in Ohnmacht fallen, wenn sie einen Buben gemacht haben,
kritteln über die Taktik des Hannibals - feuchtohrige Buben fischen
Phrases aus der Schlacht bei Cannä und greinen über die Siege des Scipio,
weil sie sie exponieren müssen.
SPIEGELBERG. Das ist ja
recht alexandrinisch geflennt.
MOOR. Schöner Preis für
euren Schweiß in der Feldschlacht, dass ihr jetzt in Gymnasien lebet und
eure Unsterblichkeit in einem Bücherriemen mühsam fortgeschleppt wird.
Kostbarer Ersatz eures verprassten Blutes, von einem Nürnberger Krämer um
Lebkuchen gewickelt - oder, wenns glücklich geht, von einem französischen
Tragödienschreiber auf Stelzen geschraubt und mit Drahtfäden gezogen zu
werden. Hahaha!
SPIEGELBERG (trinkt).
Lies den Josephus, ich bitte dich drum.
MOOR. Pfui! pfui über das
schlappe Kastraten-Jahrhundert,
zu nichts nütze, als die Taten der Vorzeit wiederzukäuen und die Helden
des Altertums mit Commentationen zu schinden und zu verhunzen mit
Trauerspielen. Die Kraft seiner Lenden ist versiegen gegangen, und nun
muss Bierhefe den Menschen fortpflanzen helfen.
SPIEGELBERG. Tee, Bruder,
Tee!
MOOR. Da verrammeln sie
sich die gesunde Natur mit abgeschmackten Conventionen, haben das Herz
nicht, ein Glas zu leeren, weil sie Gesundheit dazu trinken müssen -
belecken den Schuhputzer, dass er sie vertrete bei Ihro Gnaden, und hudeln
den armen Schelm, den sie nicht fürchten. Vergöttern sich um ein
Mittagessen, und möchten einander vergiften um ein Unterbett, das ihnen
beim Aufstreich überboten wird. - Verdammen den Sadducäer, der nicht
fleißig genug in die Kirche kommt, und berechnen ihren Judenzins am Altare
- fallen auf die Knie, damit sie ja ihren Schlamp ausbreiten können, -
wenden kein Aug' von dem Pfarrer, damit sie sehen, wie seine Perücke
frisiert ist. - Fallen in Ohnmacht, wenn sie eine Gans bluten sehen, und
klatschen in die Hände, wenn ihr Nebenbuhler bankrott von der Börse geht -
- So warm ich ihnen die Hand drückte - »nur noch einen Tag« - Umsonst! -
Ins Loch mit dem Hund! - Bitten! Schwüre! Tränen! (Auf den Boden
stampfend.) Hölle und Teufel!
SPIEGELBERG. Und um so ein
paar tausend lausige Dukaten -
MOOR. Nein, ich mag nicht
daran denken! Ich soll meinen Leib pressen in eine Schnürbrust und meinen
Willen schnüren in Gesetzt. Das Gesetz hat zum Schneckengang verdorben,
was Adlerflug geworden wäre. Das Gesetz hat noch keinen großen Mann
gebildet, aber die Freiheit brütet Kolosse und Extremitäten aus. Sie
verpalissadieren sich ins Bauchfell eines Tyrannen, hofieren der Laune
seines Magens und lassen sich klemmen von seinen Winden. - Ah! dass der
Geist Hermanns noch in der Asche glimmte! - Stelle mich vor ein Heer Kerls
wie ich, und aus Deutschland soll eine Republik werden, gegen die Rom und
Sparta Nonnenklöster sein sollen. (Er wirft den Degen auf den Tisch und
steht auf.)
SPIEGELBERG (aufspringend).
Bravo! Bravissimo! Du bringst mich eben recht auf das Chapitre. Ich will
dir was ins Ohr sagen, MOOR, das schon lang mit mir umgeht, und du bist
der Mann dazu - sauf, Bruder, sauf! - wie wärs, wenn wir Juden würden und
das Königreich wieder aufs Tapet brächten!
MOOR (lacht aus vollem
Halse). Ah! Nun merk ich - nun merk ich - du willst die Vorhaut aus
der Mode bringen, weil der Barbier die deinige schon hat?
SPIEGELBERG. dass dich,
Bärenhäuter! Ich bin freilich wunderbarerweis schon voraus beschnitten.
Aber, sag, ist das nicht ein schlauer und herzhafter Plan? Wir lassen ein
Manifest ausgehen in alle vier Enden der Welt und zitieren nach Palästina,
was kein Schweinefleisch isst. Da beweis ich nun durch triftige
Dokumente, Herodes, der Vierfürst, sei mein Großahnherr gewesen, und so
ferner. Das wird ein Victoria abgeben, Kerl, wenn sie wieder ins Trockene
kommen und Jerusalem wieder aufbauen dürfen. Jetzt frisch mit den Türken
aus Asien, weil's Eisen noch warm ist, und Zedern gehauen aus dem Libanon,
und Schiffe gebaut, und geschachert mit alten Borten und Schnallen das
ganze Volk. Mittlerweile -
MOOR (nimmt ihn lächelnd
bei der Hand). Kamerad! mit den Narrenstreichen ist's nun am Ende.
SPIEGELBERG (stutzig).
Pfui, du wirst doch nicht gar den verlorenen Sohn spielen wollen? Ein
Kerl, wie du, der mit dem Degen mehr auf die Gesichter gekritzelt hat, als
drei Substituten in einem Schaltjahr ins Befehlbuch schreiben! Soll ich
dir von der großen Hundsleiche vorerzählen? Ha! ich muss nur dein eigenes
Bild wieder vor dich rufen, das wird Feuer in deine Adern blasen, wenn
dich sonst nichts mehr begeistert. Weißt du noch, wie die Herren vom
Kollegio deiner Dogge das Bein hatten abschießen lassen, und du zur
Revanche ließest ein Fasten ausschreiben in der ganzen Stadt? Man
schmollte über dein Rescript. Aber du, nicht faul, lässest alles Fleisch
aufkaufen in ganz L.., dass in acht Stund kein Knoch mehr zu nagen ist in
der ganzen Rundung, und die Fische anfangen im Preise zu steigen.
Magistrat und Bürgerschaft düsselten Rache. Wir Bursche frisch heraus zu
siebzehnhundert, und du an der Spitze, und Metzger und Schneider und
Krämer hinterher, und Wirth und Barbierer und alle Zünfte, und fluchen,
Sturm zu laufen wider die Stadt, wenn man den Burschen ein Haar krümmen
wollte. Da ging's aus, wies Schießen zu Hornberg, und mussten abziehen
mit langer Nase. Du lässest Doctores kommen, ein ganzes Konzilium, und
botst drei Dukaten, wer dem Hund ein Rezept schreiben würde. Wir sorgten
die Herren werden zu viel Ehr im Leib haben und Nein sagen, und hattens
schon verabredet, sie zu forcieren. Aber das war unnötig, die Herren
schlugen sich um die drei Dukaten, und kams im Abstreich herab auf drei
Batzen; in einer Stund sind zwölf Rezepte geschrieben, dass das Tier auch
bald drauf verreckte.
MOOR. Schändliche Kerls!
SPIEGELBERG. Der
Leichenpomp wird veranstaltet in aller Pracht, Carmina gabs die schwere
Meng' um den Hund, und zogen wir aus des Nachts gegen Tausend, eine
Laterne in der einen Hand, unsre Raufdegen in der andern, und so fort
durch die Stadt mit Glockenspiel und Geklimper, bis der Hund beigesetzt
war. Drauf gabs ein Fressen, das währt bis an den lichten Morgen, da
bedanktest du dich bei den Herren für das herzliche Beileid und ließest
das Fleisch verkaufen ums halbe Geld. Mort de ma vie! da hatte wir dir
Respekt, wie eine Garnison in einer eroberten Festung -
MOOR. Und du schämst dich
nicht, damit groß zu prahlen? Hast nicht einmal so viel Scham, dich dieser
Streiche zu schämen?
SPIEGELBERG. Geh, geh! Du
bist nicht mehr Moor. Weißt du noch, wie tausendmal du, die Flasche in der
Hand, den alten Filzen hast aufgezogen und gesagt: er soll nur drauf los
schaben und scharren, du wollest dir dafür die Gurgel absaufen? - Weißt du
noch? he? weißt du noch? O du heilloser, erbärmlicher Prahlhans! das war
noch männlich gesprochen und edelmännisch, aber -
MOOR. Verflucht seist du,
dass du mich dran erinnerst! verflucht ich, dass ich es sagte! Aber es war
nur im Dampfe des Weins, und mein Herz hörte nicht, was meine Zunge
prahlte.
SPIEGELBERG (schüttelt
den Kopf). Nein! nein! nein! das kann nicht sein. Unmöglich, Bruder,
das kann dein Ernst nicht sein. Sag, Brüderchen, ist es nicht die Noch,
die dich so stimmt? Komm, las dir ein Stückchen aus meinen Bubenjahren
erzählen. Da hatt' ich neben meinem Haus einen Graben, der, wie wenig,
seine acht Schuh breit war, wo wir Buben uns in die Wette bemühten,
hinüber zu springen. Aber das war umsonst. Pflumpf! lagst du, und ward ein
Gezisch und Gelächter über dir, und wurdest mit Schneeballen geschmissen
über und über. Neben meinem Haus lag eines Jägers Hund an einer Kette,
eine so bissige Bestie, die dir die Mädels wie der Blitz am Rockzipfel
hatte, wenn sie sichs versahn und zu nah dran vorbeistrichen. Das war nun
mein Seelengaudium, den Hund überall zu necken, wo ich nur konnte, und
wollt halb krepieren vor Lachen, wenn mich dann das Luder so giftig
anstierte und so gern auf mich losgerannt wär, wenns nur gekonnt hätte. -
Was geschieht? Ein andermal mach ichs ihm auch wieder so und werf ihn
mit einem Stein so derb an die Ripp, dass er vor Wutz von der Kette reißt
und auf mich dar, und ich, wie alle Donnerwetter, reißaus und davon -
Tausend Schwerenot! da ist dir just der vermaledeite Graben dazwischen.
Was zu tun? Der Hund ist mir hart an den Fersen und wütig, also kurz
resolviert - ein Anlauf genommen - drüben bin ich. Dem Sprung hatt' ich
Leib und Leben zu danken; die Bestie hätte mich zu Schanden gerissen.
MOOR. Aber wozu jetzt das?
SPIEGELBERG. Dazu - dass du
sehen sollst, wie die Kräfte wachsen in der Noch. Darum las ich mirs auch
nicht bange sein, wenns aufs Äußerste kommt. Der Mut wächst mit der
Gefahr; die Kraft erhebt sich im Drang. Das Schicksal muss einen großen
Mann aus mir haben wollen, weil's mir so quer durch den Weg streicht.
MOOR (ärgerlich).
Ich wüsste nicht, wozu wir den Mut noch haben sollten, und noch nicht
gehabt hätten.
SPIEGELBERG. So? - Und du
willst also deine Gaben in dir verwittern lassen? dein Pfund vergraben?
Meinst du, deine Stänkereien in Leipzig machen die Grenzen des
menschlichen Witzes aus? Da las uns erst in die große Welt kommen. Paris
und London! - wo man Ohrfeigen einhandelt, wenn man Einen mit dem Namen
eines ehrlichen Mannes grüßt. Da ist es auch ein Seelenjubilo, wenn man
das Handwerk ins Große praktiziert. - Du wirst gaffen! du wirst Augen
machen! Wart, und wie man Handschriften nachmacht, Würfel verdreht,
Schlösser aufbricht und den Koffern das Eingeweid' ausschüttet - das
sollst du noch von Spiegelberg lernen! Die Canaille soll man an den
nächsten besten Galgen aufknüpfen, die bei geraden Fingern verhungern
will.
MOOR (zerstreut).
Wie? Du hast es wohl gar noch weiter gebracht?
SPIEGELBERG. Ich glaube
gar, du setzest ein Misstrauen in mich. Wart, las mich erst warm werden!
du sollst Wunder sehen; dein Gehirnchen soll sich im Schädel umdrehen,
wenn mein kreißender Witz in die Wochen kommt. - (Steht auf, hitzig.)
Wie es sich aufhellt in mir! Große Gedanken dämmern auf in meiner Seele.
Riesenplane gären in meinem schöpferischen Schädel. Verfluchte Schlafsucht
(sich vorn Kopf schlagend), die bisher meine Kräfte in Ketten
schlug, meine Aussichten sperrte und spannte! Ich erwache, fühle, wer ich
bin - wer ich werden muss!
MOOR. Du bist ein Narr. Der
Wein bramarbasiert aus deinem Gehirne.
SPIEGELBERG (hitziger).
Spiegelberg , wird es heißen, kannst du hexen, Spiegelberg ? Es ist
Schade, dass du kein General worden bist, Spiegelberg , wird der König
sagen, du hättest die Östreicher durch ein Knopfloch gejagt. Ja, hör' ich
die Dokters jammern, es ist unverantwortlich, dass der Mann nicht die
Medizin studiert hat, er hätte ein neues Kropfpulver erfunden. Ach! und
dass er das Camerale nicht zum Fach genommen hat, werden die Sullys in
ihren Kabinetten seufzen, er hätte aus Steinen Louisdore hervorgezaubert.
Und Spiegelberg wird es heißen in Osten und Westen, und in den Kot mit
euch, ihr Memmen, ihr Kröten, indes Spiegelberg mit ausgespreiteten
Flügeln zum Tempel des Nachruhms emporfliegt.
MOOR. Glück auf den Weg!
Steig du auf Schandsäulen zum Gipfel des Ruhms. Im Schatten meiner
väterlichen Haine, in den Armen meiner Amalia lockt mich ein edler
Vergnügen. Schon die vorige Woche hab ich meinem Vater um Vergebung
geschrieben, hab ihm nicht den kleinsten Umstand verschwiegen, und wo
Aufrichtigkeit ist, ist auch Mitleid und Hilfe. las uns Abschied nehmen,
Moritz. Wir sehen uns heut und nie mehr. Die Post ist angelangt. Die
Verzeihung meines Vaters ist schon innerhalb dieser Stadtmauern.
(Schweizer.. Grimm.
Roller. Schufterle. Razmann treten auf.)
ROLLER. Wisst ihr auch,
dass man uns auskundschaftet?
GRIMM. dass wir keinen
Augenblick sicher sind, aufgehoben zu werden?
MOOR. Mich wundert's nicht.
Es gehe, wie es will! Saht ihr den Schwarz nicht? sagt er euch von keinem
Brief, den er an mich hätte?
ROLLER. Schon lang sucht er
dich, ich vermute so etwas.
MOOR. Wo ist er? wo, wo? (Will
eilig fort.)
ROLLER. Bleib! wir haben
ihn hierher beschieden. Du zitterst? -
MOOR. Ich zittere nicht.
Warum sollt' ich auch zittern? Kameraden! dieser Brief - Freut euch mit
mir! Ich bin der Glücklichste unter der Sonne, warum sollt' ich zittern? (Schwarz
tritt auf.)
MOOR (fliegt ihm
entgegen). Bruder! Bruder! den Brief! den Brief!
SCHWARZ (gibt ihm den
Brief, den er hastig aufbricht). Was ist dir? wirst du nicht wie die
Wand?
MOOR. Meines Bruders Hand!
SCHWARZ. Was treibt denn
der Spiegelberg?
GRIMM. Der Kerl ist
unsinnig. Er macht Gestus wie beim Sankt-Veits-Tanz.
SCHUFTERLE. Sein Verstand
geht im Ring herum. Ich glaub', er macht Verse.
RAZMANN. Spiegelberg! He,
Spiegelberg! - Die Bestie hört nicht.
GRIMM (schüttelt ihn).
Kerl! träumst du, oder -?
SPIEGELBERG (der sich
die ganze Zeit über mit den Pantomimen eines Projektmachers im Stubeneck
abgearbeitet hat, springt wild auf) La bourse ou la vie! (und packt
Schweizern an der Gurgel, der ihn gelassen an die Wand wirft. - Moor lässt
den Brief fallen und rennt hinaus. Alle fahren auf.)
ROLLER (ihm nach).
Moor! wo'naus, Moor? Was beginnst du?
GRIMM. Was hat er? was hat
er? Er ist bleich wie die Leiche.
SCHWEIZER. Das müssen
schöne Neuigkeiten sein! las doch sehen!
ROLLER (nimmt den Brief
von der Erde und liest). »Unglücklicher Bruder!« der Anfang klingt
lustig. »Nur kürzlich muss ich dir melden, dass deine Hoffnung vereitelt
ist. - du sollst hingehen, lässt dir der Vater sagen, wohin dich deine
Schandtaten führen. Auch, sagt, er, werdest du dir keine Hoffnung machen,
jemals Gnade zu seinen Füßen zu erwimmern, wenn du nicht gewärtig sein
wollest, im untersten Gewölb seiner Türme mit Wasser und Brod so lang
traktiert zu werden, bis deine Haare wachsen wie Adlersfedern, und deine
Nägel wie Vogelklauen werden. Das sind seine eigenen Worte. Er befiehlt
mir, den Brief zu schließen. Leb wohl auf ewig! Ich bedaure dich - Franz
von Moor.«
SCHWEIZER. Ein zuckersüßes
Brüderchen! In der Trat! - Franz heißt
die Canaille?
SPIEGELBERG (sachte
herbeischleichend). Von Wasser und Brod ist die Rede? Ein schönes
Leben! Da hab ich anders für euch gesorgt! Sagt ichs nicht, ich müsst
am Ende für euch alle denken?
SCHWEIZER. Was sagt der
Schafskopf? der Esel will für uns alle denken?
SPIEGELBERG. Hasen,
Krüppel, lahme Hunde seid ihr Alle, wenn ihr das Herz nicht habt, etwas
Großes zu wagen!
ROLLER. Nun, das wären wir
freilich, du hast recht! - aber wird es uns auch aus dieser vermaledeiten
Lage reißen, was du wagen wirst? wird es? -
SPIEGELBERG (mit einem
stolzen Gelächter). Armer Tropf! aus dieser Lage reißen? hahaha! - aus
dieser Lage reißen? - und auf mehr raffiniert dein Fingerhut voll Gehirn
nicht? und damit trabt deine Mähre zum Stalle? Spiegelberg müsste ein
Hundsfott sein, wenn er mit dem nur anfangen wollte. Zu Helden, sag ich
dir, zu Freiherrn, zu Fürsten, zu Göttern wirds euch machen!
RAZMANN. Das ist viel auf
einen Hieb, wahrlich! Aber es wird wohl eine halsbrechende Arbeit sein!
den Kopf wirds wenigstens kosten.
SPIEGELBERG. Es will nichts
als Mut, denn was den Witz betrifft, den nehm ich gern über mich. Mut sag ich, Schweizer! Mut, Roller, Grimm, Razmann, Schufterle! Mut! -
SCHWEIZER. Mut? Wenns nur
das ist - Mut hab ich genug, um barfuss mitten durch die Hölle zu gehn.
SCHUFTERLE. Mut genug,
mich unterm lichten Galgen mit dem leibhaftigen Teufel um einen armen
Sünder zu balgen.
SPIEGELBERG. So gefällt
mirs! Wenn ihr Mut habt, tret' Einer auf und sag: er habe noch etwas zu
verlieren, und nicht alles zu gewinnen! -
SCHWARZ. Wahrhaftig, da
gäb's Manches zu verlieren, wenn ich Das verlieren wollte, was ich noch zu
gewinnen habe!
RAZMANN. Ja, zum Teufel!
und Manches zu gewinnen, wenn ich Das gewinnen wollte, was ich nicht
verlieren kann.
SCHUFTERLE. Wenn ich Das
verlieren müsste, was ich auf Borgs auf dem Leibe trage, so hätt' ich
allenfalls morgen nichts mehr zu verlieren.
SPIEGELBERG. Also denn! (Er
stellt sich mitten unter sie mit beschwörendem Ton.) Wenn noch ein
Tropfen deutschen Heldenbluts in euren Adern rinnt - kommt! Wir wollen uns
in den böhmischen Wäldern niederlassen, dort eine Räuberbande
zusammenziehen und - Was gafft ihr mich an? - ist euer bisschen Mut schon
verdampft?
ROLLER. Du bist wohl nicht
der erste Gauner, der über den hohen Galgen weggesehen hat - und doch -
Was hätten wir sonst noch für eine Wahl übrig?
SPIEGELBERG. Wahl? Was?
Nichts habt ihr zu wählen! Wollt ihr im Schuldturm stecken und
zusammenschnurren, bis man zum jüngsten Tag posaunt? wollt ihr euch mit
der Schaufel und Haue um einen Bissen trocken Brod abquälen? wollt ihr an
der Leute Fenster mit einem Bänkelsängerlied ein mageres Almosen
erpressen? oder wollt ihr zum Kalbsfell schwören - und da ist erst noch
die Frage, ob man euren Gesichtern traut - und dort unter der
milzsüchtigen Laune eines gebieterischen Korporals das Fegfeuer zum Voraus
abverdienen? oder bei klingendem Spiel nach dem Takt der Trommel spazieren
gehn? oder im Gallioten-Paradies das ganze Eisen-Magazin Vulkans hinterher
schleifen? Seht, das habt ihr zu wählen, da ist alles beisammen, was ihr
wählen könnt!
ROLLER. So unrecht hat der
Spiegelberg eben nicht. Ich hab auch meine Plane schon zusammen gemacht,
aber sie treffen endlich auf eins. Wie wärs, dacht' ich, wenn ihr euch
hinsetztet und ein Taschenbuch, oder einen Almanach, oder so was Ähnlichs
zusammensudeltet und um den lieben Groschen rezensiertet, wies wirklich
Mode ist?
SCHUFTERLE. Zum Henker! ihr
ratet nah zu meinen Projekten. Ich dachte bei mir selbst, wenn du ein
Pietist würdest und wöchentlich deine Erbauungsstunden hieltest?
GRIMM. Getroffen! und wenn
das nicht geht, ein Atheist! Wir könnten die vier Evangelisten auf's Maul
schlagen, ließen unser Buch durch den Schinder verbrennen, und so ging's
reißen ab.
RAZMANN. Oder zögen wir
wider die Franzosen zu Felde - ich kenne einen Doktor, der sich ein Haus
aus purem Quecksilber gebauet hat, wie das Epigramm auf der Haustüre
lautet.
SCHWEIZER (steht auf und
gibt Spiegelberg die Hand.) Moritz, du bist ein großer Mann! - oder es
hat ein blindes Schwein eine Eichel gefunden.
SCHWARZ. Vortreffliche
Plane! honette Gewerbe! Wie doch die großen Geister sympathisieren! Jetzt
fehlte nur noch, dass wir Weiber und Kupplerinnen würden, oder gar unsere
Jungferschaft zu Markte trieben.
SPIEGELBERG. Possen!
Possen! Und was hindert's, dass ihr nicht das Meiste in Einer Person sein
könnt? Mein Plan wird euch immer am höchsten poussieren, und da habt ihr
noch Ruhm und Unsterblichkeit! Seht, arme Schlucker! auch so weit muss man
hinausdenken! auch auf den Nachruhm, das süße Gefühl von Unvergesslichkeit
-
ROLLER. Und obenan in der
Liste der ehrlichen Leute! Du bist ein Meisterredner, Spiegelberg, wenns
drauf ankommt, aus einem ehrlichen Mann einen Hallunken zu machen - Aber
sag doch einer, wo der Moor bleibt?
SPIEGELBERG. Ehrlich, sagst
du? Meinst du, du seist nachher weniger ehrlich, als du jetzt bist? Was
heißt du ehrlich? Reichen Filzen ein Drittheil ihrer Sorgen vom Hals
schaffen, die ihnen nur den goldnen Schlaf verscheuchen, das stockende
Geld in Umlauf bringen, das Gleichgewicht der Güter wieder herstellen, mit
einem Wort, das goldne Alter wieder zurückrufen, dem lieben Gott von
manchem lästigen Kostgänger helfen, ihm Krieg, Pestilenz, teure Zeit und
Dokters ersparen - siehst du, das heiß' ich ehrlich sein, das heiß' ich
ein würdiges Werkzeug in der Hand der Vorsehung abgeben, - und so bei
jedem Braten, den man isst, den schmeichelhaften Gedanken zu haben: den
haben dir deine Finten, dein Löwenmut, deine Nachtwachen erworben - von
Groß und Klein respektiert zu werden -
ROLLER. Und endlich gar bei
lebendigem Leibe gen Himmel fahren und trotz Sturm und Wind, trotz dem
gefräßigen Magen der alten Urahne Zeit unter Sonn' und Mond und allen
Fixsternen schweben, wo selbst die unvernünftigen Vögel des Himmels, von
edler Begierde herbeigelockt, ihr himmlisches Concert musizieren, und die
Engel mit Schwänzen ihr hochheiliges Synedrium halten? nicht wahr? - und
wenn Monarchen und Potentaten von Motten und Würmern verzehrt werden, die
Ehre haben zu dürfen, von Jupiters königlichem Vogel Visiten anzunehmen? -
Moritz, Moritz, Moritz! nimm dich in Acht! nimm dich in Acht vor dem
dreibeinigten Tiere!
SPIEGELBERG. Und das
schreckt dich, Hasenherz? Ist doch schon manches Universalgenie, das die
Welt hätte reformieren können, auf dem Schindanger verfault, und spricht
man nicht von so Einem Jahrhunderte, Jahrtausende lang, da mancher König
und Kurfürst in der Geschichte überhüpft würde, wenn sein
Geschichtsschreiber die Lücke in der Sukzessionsleiter nicht scheute und
sein Buch dadurch nicht um ein paar Oktavseiten gewönne, die ihm der
Verleger mit barem Gelde bezahlt - Und wenn dich der Wanderer so hin und
her fliegen sieht im Winde - der muss auch kein Wasser im Hirn gehabt
haben, brummt er in den Bart und seufzt über die elenden Zeiten.
SCHWEIZER (klopft ihn
auf die Achsel). Meisterlich, Spiegelberg! meisterlich! Was, zum
Teufel, steht ihr da und zaudert?
SCHWARZ. Und las es auch
Prostitution heißen - was folgt weiter? Kann man nicht auf den Fall immer
ein Pülverchen mit sich führen, das Einen so im Stillen über den Acheron
fördert, wo kein Hahn darnach kräht! Nein, Bruder Moritz! dein Vorschlag
ist gut. So lautet auch mein Katechismus.
SCHUFTERLE. Blitz! Und der
meine nicht minder. Spiegelberg, du hast mich geworben.
RAZMANN. Du hast, wie ein
anderer Orpheus, die heulende Bestie, mein Gewissen, in den Schlaf
gesungen. Nimm mich ganz, wie ich da bin!
GRIMM. Sic omnes
consentiunt ego non dissentio. Wohlgemerkt, ohne Komma. Es ist ein
Aufstreich in meinem Kopf: Pietisten - Quacksalber - Rezensenten und
Jauner! Wer am meisten bietet, der hat mich. Nimm diese Hand, Moritz!
ROLLER. Und auch du,
Schweizer? (Gibt Spiegelberg die rechte Hand.) Also verpfänd' ich
meine Seele dem Teufel.
SPIEGELBERG. Und deinen
Namen den Sternen! Was liegt daran, wohin auch die Seele fährt? Wenn
Scharen vorausgesprengter Kuriere unsere Niederfahrt melden, dass sich die
Satane festtäglich herausputzen, sich den tausendjährigen Ruß aus den
Wimpern stäuben, und Myriaden gehörnter Köpfe aus der rauchenden Mündung
ihrer Schwefel-Kamine hervorwachsen, unsern Einzug zu sehen? Kameraden! (aufgesprungen)
frisch auf, Kameraden! was in der Welt wiegt diesen Rausch des Entzückens
auf? Kommt, Kameraden!
ROLLER. Sachte nur! sachte!
Wohin? Das Tier muss auch seinen Kopf haben, Kinder!
SPIEGELBERG (giftig).
Was predigt der Zauderer? Stand nicht der Kopf schon, eh noch ein Glied
sich regte? Folgt, Kameraden!
ROLLER. Gemach, sag ich.
Auch die Freiheit muss ihren Herrn haben. Ohne Oberhaupt ging Rom und
Sparta zu Grunde.
SPIEGELBERG (geschmeidig).
Ja - haltet - Roller sagt recht. Und das muss ein erleuchteter Kopf sein.
Versteht ihr? Ein feiner, politischer Kopf muss das sein. Ja, wenn ich
mirs denke, was ihr vor einer Stunde waret, was ihr jetzt seid, - durch
Einen glücklichen Gedanken seid - Ja, freilich, freilich müsst ihr einen
Chef haben - Und wer diesen Gedanken entsponnen, sagt, muss das nicht ein
erleuchteter politischer Kopf sein?
ROLLER. Wenn sichs hoffen
ließe - träumen ließe - Aber ich fürchte, er wird es nicht tun.
SPIEGELBERG. Warum nicht?
Sags keck heraus, Freund! - So schwer es ist, das kämpfende Schiff gegen
die Winde zu lenken, so schwer sie auch drückt, die Last der Kronen -
sags unverzagt, Roller! - vielleicht wird er's doch tun.
ROLLER. Und leck ist das
Ganze, wenn er's nicht taut. Ohne den Moor sind wir Leib ohne Seele.
SPIEGELBERG (unwillig
von ihm weg). Stockfisch!
MOOR (tritt herein in
wilder Bewegung und läuft heftig im Zimmer auf und nieder, mit sich
selber.) Menschen - Menschen! falsche, heuchlerische Krokodilbrut!
Ihre Augen sind Wasser! ihre Herzen sind Erz! Küsse auf den Lippen!
Schwerter im Busen! Löwen und Leoparden füttern ihre Jungen, Raben tischen
ihren Kleinen auf dem Aas, und Er, Er - Bosheit hab ich dulden gelernt,
kann dazu lächeln, wenn mein erboster Feind mir mein eigen Herzblut
zutrinkt - aber wenn Blutliebe zur Verräterin, wenn Vaterliebe zur Megäre
wird: und so fange Feuer, männliche Gelassenheit! verwilde zum Tiger,
sanftmütiges Lamm! und jede Faser recke sich auf zu Grimm und Verderben!
ROLLER. Höre, Moor! Was
denkst du davon? Ein Räuberleben ist doch auch besser, als bei Wasser und
Brod im untersten Gewölbe der Türme?
MOOR. Warum ist dieser
Geist nicht in einen Tiger gefahren, der sein wütendes Gebiss in
Menschenfleisch haut? Ist das Vatertreue? Ist das Liebe für Liebe? Ich
möchte ein Bär sein und die Bären des Nordlands wider dies mörderische
Geschlecht anhetzen - Reue und keine Gnade! Oh ich möchte den Ocean
vergiften, dass sie den Tod aus allen Quellen saufen! Vertrauen,
unüberwindliche Zuversicht, und kein Erbarmen!
ROLLER. So höre doch, Moor,
was ich dir sage!
MOOR. Es ist unglaublich,
es ist ein Traum, eine Täuschung - So eine rührende Bitte, so eine
lebendige Schilderung des Elends und der zerfließenden Reue - die wilde
Bestie wär in Mitleid zerschmolzen! Steine hätten Tränen vergossen, und
doch - man würde es für ein boshaftes Pasquill aufs Menschengeschlecht
halten, wenn ichs aussagen wollte - und doch, doch - oh dass und durch
die ganze Natur das Horn des Aufruhrs blasen könnte, Luft, Erde und Meer
wider das Hyänengezücht ins Treffen zu führen!
GRIMM. Höre doch, höre! vor
Rasen hörst du ja nicht.
MOOR. Weg, weg von mir! Ist
dein Name nicht Mensch! Hat dich das Weib nicht geboren? - Aus meinen
Augen, du mit dem Menschengesicht! - Ich habe ihn so unaussprechlich
geliebt! so liebte kein Sohn; ich hätte tausend Leben für ihn - (Schäumend
auf die Erde stampfend.) Ha! - wer mir jetzt ein Schwert in die Hand
gäb', dieser Otterbrut eine brennende Wunde zu versetzen! wer mir sagte,
wo ich das Herz ihres Lebens erzielen, zermalmen, zernichten! - Er sei
mein Freund, mein Engel, mein Gott - ich will ihn anbeten!
ROLLER. Eben diese Freunde
wollen ja wir sein, las dich doch weisen!
SCHWARZ. Komm mit uns in
die böhmischen Wälder! Wir wollen eine Räuberbande sammeln, und du - (Moor
stiert ihn an.)
SCHWEIZER. Du sollst unser
Hauptmann sein! Du musst unser Hauptmann sein!
SPIEGELBERG (wirft sich
wild in einen Sessel). Sklaven und Memmen!
MOOR. Wer blies dir das
Wort ein? Höre, Kerl! (indem er Schwarzen hart ergreift) das hast
du nicht aus deiner Menschenseele hervorgeholt! Wer blies dir das Wort
ein? Ja, bei dem tausendarmigen Tod! das wollen wir! das müssen wir! der
Gedanke verdient Vergötterung - Räuber und Mörder! - So wahr meine Seele
lebt, ich bin euer Hauptmann!
ALLE (mit lärmendem
Geschrei). Es lebe der Hauptmann!
SPIEGELBERG (aufspringend,
vor sich). Bis ich ihm hinhelfe!
MOOR. Siehe, da fällt's wie
der Star von meinen Augen, was für ein Thor ich war, dass ich ins Käfig
zurück wollte! - Mein Geist dürstet nach Taten, mein Atem nach Freiheit. -
Mörder, Räuber! - mit diesem Wort war das Gesetz unter meine Füße gerollt
- Menschen haben Menschheit vor mir verborgen, da ich an Menschheit
appellierte, weg denn von mir, Sympathie und menschliche Schonung! - Ich
habe keinen Vater mehr, ich habe keine Liebe mehr, und Blut und Tod soll
mich vergessen lehren, dass mir jemals etwas teuer war! - Kommt, kommt! -
Oh ich will mir eine fürchterliche Zerstreuung machen - es bleibt dabei,
ich bin euer Hauptmann! und Glück zu dem Meister unter euch, der am
wildesten sengt, am grässlichsten mordet, denn ich sage euch, er soll
königlich belohnt werden - Tretet her um mich ein Jeder, und schwöret mir
Treue und Gehorsam zu bis in den Tod! - Schwört mir das bei dieser
männlichen Rechte!
ALLE (geben ihm die Hand).
Wir schwören dir Treu und Gehorsam bis in den Tod!
MOOR. Nun, und bei dieser
männlichen Rechte schwör' ich euch hier, treu und standhaft euer Hauptmann
zu bleiben bis in den Tod! Den soll dieser Arm gleich zur Leiche machen,
der jemals zagt oder zweifelt, oder zurücktritt! Ein Gleiches widerfahre
mir von Jedem unter euch, wenn ich meinen Schwur verletze! Seid ihr's
zufrieden? (Spiegelberg läuft wütend auf und nieder.)
ALLE (mit aufgeworfenen
Hüten). Wir sind's zufrieden.
MOOR. Nun denn, so lasst
uns gehn! Fürchtet euch nicht vor Tod und Gefahr, denn über uns waltet ein
unbeugsames Fatum! Jeden ereilet endlich sein Tag, es sei auf dem weichen
Kissen von Flaum, oder im rauhen Gewühl des Gefechts, oder auf offenem
Galgen und Rad! Eins davon ist unser Schicksal! (Sie gehen ab.)
SPIEGELBERG (ihnen
nachsehend, nach einer Pause). Dein Register hat ein Loch. Du hast das
Gift weggelassen. (Ab.)
►Text
der Szene im
pdf-Format auf teachSam-CDROM bzw. teachSam-DVDROM (mit
Zeilennummerierung) |
|