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Erste Szene
FRANZ VON MOOR (nachdenkend in
seinem Zimmer). Es dauert mir zu lange - der Doktor will, er sei im Umkehren
- das Leben eines Alten ist eine Ewigkeit! - Und nun wär freie, ebene Bahn bis
auf diesen ärgerlichen zähen Klumpen Fleisch, der mir, gleich dem unterirdischen
Zauberhund in den Geistermärchen, den Weg zu meinen Schätzen verrammelt.
Müssen denn aber meine Entwürfe sich unter das eiserne Joch des Mechanismus
beugen? - Soll sich mein hochfliegender Geist an den Schneckengang der
Materie ketten lassen? - Ein Licht ausgeblasen, das ohnehin nur mit den
letzten Öltropfen noch wuchert - mehr ists nicht - Und doch möcht' ich das nicht
gern selbst getan haben, um der Leute willen. Ich möchte ihn nicht gern getötet,
aber abgelebt. Ich möcht' es machen wie der gescheite Arzt, nur umgekehrt. -
Nicht der Natur durch einen Querstreich den Weg verrannt, sondern sie in ihrem
eigenen Gange befördert. Und wir vermögen doch wirklich die Bedingungen des
Lebens zu verlängern, warum sollten wir sie nicht auch verkürzen können?
Philosophen und Mediziner lehren mich, wie treffend die Stimmungen des Geists
mit den Bewegungen der Maschine zusammenlauten. Gichtrische Empfindungen werden
jederzeit von einer Dissonanz der mechanischen Schwingungen begleitet -
Leidenschaften misshandeln die Lebenskraft - der überladene Geist drückt
sein Gehäuse zu Boden - Wie denn nun? - Wer es verstünde, dem Tod diesen
ungebahnten Weg in das Schloss des Lebens zu ebenen? - den Körper vom Geist aus
zu verderben - ha! ein Originalwerk! - wer das zustand brächte? - Ein Werk ohne
Gleichen! - Sinne nach, Moor! - Das wär eine Kunst, dies verdiente, dich zum
Erfinder zu haben. Hat man doch die Giftmischerei beinahe in den Rang einer
ordentlichen Wissenschaft erhoben und die Natur durch Experimente gezwungen ihre
Schranken anzugeben, dass man nunmehr des Herzens Schläge jahrlang vorausrechnet
und zu dem Pulse spricht: bis hieher und nicht weiter!1
- Wer sollte nicht auch hier seine Flügel versuchen?
Und wie ich nun werde zu Werk gehen müssen, diese süße, friedliche Eintracht der
Seele mit ihrem Leibe zu stören? Welche Gattung von Empfindnissen ich werde
wählen müssen? Welche wohl den Flor des Lebens am grimmigsten anfeinden? Zorn?
- dieser heißhungrige Wolf frisst sich zu schnell satt - Sorge? - dieser
Wurm nagt mir zu langsam - Gram? - diese Natter schleicht mir zu träge -
Furcht? - die Hoffnung lässt sich nicht umgreifen - was? sind das all die
Henker des Menschen? - Ist das Arsenal des Todes so bald erschöpft? - (Tiefsinnend.)
Wie? - Nun? - Was? Nein! - Ha! (Auffahrend.) Schreck! - Was kann
der Schreck nicht? - Was kann Vernunft, Religion wider dieses Giganten eiskalte
Umarmung? - Und doch? - Wenn er auch diesem Sturm stünde? - Wenn er? - O so
komme du mir zu Hilfe Jammer, und du Reue, höllische Eumenide,
grabende Schlange, die ihren Fraß wiederkäut und ihren eigenen Kot wieder
frisst; ewige Zerstörerinnen und ewige Schöpferinnen eures Giftes! und du,
heulende Selbstverklagung, die du dein eigen Haus verwüstest und deine
eigene Mutter verwundest - Und kommt auch ihr mir zu Hilfe wohltätige Grazien
selbst, sanftlächelnde Vergangenheit, und du mit dem überquellenden
Füllhorn blühende Zukunft, haltet ihm in euren Spiegeln die Freuden des
Himmels vor, wenn euer fliehender Fuß seinen geizigen Armen entgleitet - So
fall' ich Streich auf Streich, Sturm auf Sturm, dieses zerbrechliche Leben an,
bis den Furientrupp zuletzt schließt - die Verzweiflung! Triumph!
Triumph! - Der Plan ist fertig - schwer und kunstvoll wie keiner - zuverlässig -
sicher - denn (spöttisch) des Zergliederers Messer findet ja keine Spuren
von Wunde oder korrosivischem Gift.
(Entschlossen.) Wohlan denn! (Hermann tritt auf.) Ha! Deus
ex machina! Hermann!
HERMANN. Zu Euren Diensten,
gnädiger Junker!
FRANZ (gibt ihm die Hand). Die du
keinem Undankbaren erweisest.
HERMANN. Ich hab Proben davon.
FRANZ. Du sollst mehr haben mit
nächstem - mit nächstem, Hermann! - Ich habe dir etwas zu sagen, Hermann.
HERMANN. Ich höre mit tausend
Ohren.
FRANZ. Ich kenne dich, du bist
ein entschlossner Kerl - Soldatenherz - Haar auf der Zunge! - Mein Vater hat
dich sehr beleidigt, Hermann!
HERMANN. Der Teufel hole mich,
wenn ich's vergesse!
FRANZ. Das ist der Ton eines
Mannes! Rache geziemt einer männlichen Brust. Du gefällst mir, Hermann. Nimm
diesen Beutel, Hermann. Er sollte schwerer sein, wenn ich erst Herr wäre.
HERMANN. Das ist ja mein ewiger
Wunsch, gnädiger Junker; ich dank' Euch.
FRANZ. Wirklich, Hermann?
wünschest du wirklich, ich wäre Herr? - aber mein Vater hat das Mark eines
Löwen, und ich bin der jüngere Sohn.
HERMANN. Ich wollt', Ihr wär't
der ältere Sohn, und Euer Vater hätte das Mark eines schwindsüchtigen Mädchens.
FRANZ. Ha! wie dich der ältere
Sohn dann belohnen wollte! wie er dich aus diesem unedlen Staub, der sich so
wenig mit deinem Geist und Adel verträgt, ans Licht emporheben wollte! - Dann
solltest du, ganz wie du da bist, mit Gold überzogen werden und mit vier Pferden
durch die Straßen dahinrasseln, wahrhaftig! das solltest du! - Aber ich
vergesse, wovon ich dir sagen wollte - hast du das Fräulein von Edelreich schon
vergessen, Hermann?
HERMANN. Wetter Element! was
erinnert Ihr mich an das?
FRANZ. Mein Bruder hat sie dir
weggefischt.
HERMANN. Er soll dafür büßen!
FRANZ. Sie gab dir einen Korb.
Ich glaube gar, er warf dich die Treppen hinunter.
HERMANN. Ich will ihn dafür in
die Hölle stoßen.
FRANZ. Er sagte: man raune sich
einander ins Ohr, du seist zwischen dem Rindfleisch und Meerrettich gemacht
worden, und dein Vater habe dich nie ansehen können, ohne an die Brust zu
schlagen und zu seufzen: Gott sei mir Sünder gnädig!
HERMANN (wild). Blitz,
Donner und Hagel, seid still!
FRANZ. Er riet dir, deinen
Adelbrief im Aufstreich zu verkaufen und deine Strümpfe damit flicken zu lassen.
HERMANN. Alle Teufel! ich will
ihm die Augen mit den Nägeln auskratzen.
FRANZ. Was? du wirst böse? was
kannst du böse auf ihn sein? was kannst du ihm Böses tun? was kann so eine Ratze
gegen einen Löwen? Dein Zorn versüßt ihm seinen Triumph nur. Du kannst nichts
tun, als deine Zähne zusammenschlagen und deine Wut an trocknem Brote auslassen.
HERMANN (stampft auf den Boden).
Ich will ihn zu Staub zerreiben.
FRANZ (klopft ihm auf die
Achsel). Pfui, Hermann! du bist ein Kavalier. Du musst den Schimpf nicht auf
dir sitzen lassen. Du musst das Fräulein nicht fahren lassen, nein, das musst du
um alle Welt nicht tun, Hermann! Hagel und Wetter! ich würde das Äußerste
versuchen, wenn ich an deiner Stelle wäre.
HERMANN. Ich ruhe nicht, bis ich
ihn und ihn unterm Boden hab.
FRANZ. Nicht so stürmisch,
Hermann! Komm näher - du sollst Amalia haben.
HERMANN. Das muss ich, trutz dem
Teufel! das muss ich!
FRANZ. Du sollst sie haben, sag
ich dir, und das von meiner Hand. Komm näher, sag ich - du weißt vielleicht
nicht, dass Karl so gut als enterbt ist?
HERMANN (näher kommend).
Unbegreiflich! das erste Wort, das ich höre.
FRANZ. Sei ruhig und höre weiter!
du sollst ein andermal mehr davon hören - ja ich sage dir, seit elf Monaten so
gut als verbannt. Aber schon bereut der Alte den voreiligen Schritt, den er
doch, (lachend) will ich hoffen, nicht selbst getan hat. Auch liegt ihm
die Edelreich täglich hart an mit ihren Vorwürfen und Klagen. Über kurz oder
lang wird er ihn in allen vier Enden der Welt aufsuchen lassen, und gute Nacht,
Hermann! wenn er ihn findet. Du kannst ihm ganz demütig die Kutsche halten, wenn
er mit ihr in die Kirche zur Trauung fährt.
HERMANN. Ich will ihn am Kruzifix
erwürgen.
FRANZ. Der Vater wird ihm bald
die Herrschaft abtreten und in Ruhe auf seinen Schlössern leben. Jetzt hat der
stolze Strudelkopf den Zügel in Händen, jetzt lacht er seiner Hasser und Neider
- und ich, der ich dich zu einem wichtigen großen Mann machen wollte, ich
selbst, Hermann, werde tiefgebückt vor seiner Türschwelle -
HERMANN (in Hitze). Nein,
so wahr ich Hermann heiße, das sollt Ihr nicht! wenn noch ein Fünkchen Verstand
in diesem Gehirne glostet, das sollt Ihr nicht!
FRANZ. Wirst du das hindern? Auch
dich, mein lieber Hermann, wird er seine Geißel fühlen lassen, wird dir ins
Angesicht speien, wenn du ihm auf der Straße begegnest, und wehe dir dann, wenn
du die Achsel zuckst oder das Maul krümmst - siehe, so stehts mit deiner
Anwerbung ums Fräulein, mit deinen Aussichten, mit deinen Entwürfen.
HERMANN. Sagt mir, was soll ich
tun?
FRANZ. Höre denn, Hermann, dass
du siehst, wie ich mir dein Schicksal zu Herzen nehme als ein redlicher Freund -
geh - kleide dich um - mach dich ganz unkenntlich, lass dich beim Alten melden,
gib vor, du kämest geraden Wegs aus Böhmen, hättest mit meinem Bruder dem
Treffen bei Prag beigewohnt - hättest ihn auf der Walstatt den Geist aufgeben
sehen -
HERMANN. Wird man mir glauben?
FRANZ. Hoho! dafür lass mich
sorgen! Nimm dieses Paket. Hier findest du deine Kommission ausführlich. Und
Dokumente dazu, die den Zweifel selbst glaubig machen sollen - Mach jetzt nur,
dass du fortkommst, und ungesehen! Spring durch die Hintertüre in den Hof, von
da über die Gartenmauer - die Katastrophe dieser Tragikomödie überlass mir!
HERMANN. Und die wird sein: Vivat
der neue Herr, Franciskus von Moor!
FRANZ (streichelt ihm die
Backen). Wie schlau du bist? - denn siehst du, auf diese Art erreichen wir
alle Zwecke zumal und bald. Amalia gibt ihre Hoffnung auf ihn auf. Der Alte
misst sich den Tod seines Sohnes bei, und - er kränkelt - ein schwankendes
Gebäude braucht des Erdbebens nicht, um übern Haufen zu fallen - er wird die
Nachricht nicht überleben - dann bin ich sein einziger Sohn - Amalia hat ihre
Stützen verloren und ist ein Spiel meines Willens - da kannst du leicht denken -
kurz, alles geht nach Wunsch - aber du musst dein Wort nicht zurücknehmen.
HERMANN. Was sagt ihr? (Frohlockend.)
Eh soll die Kugel in ihren Lauf zurückkehren und in dem Eingeweid ihres Schützen
wüten - rechnet auf mich! Lasst nur mich machen - Adieu!
FRANZ (ihm nachrufend).
Die Ernte ist dein, lieber Hermann! - Wenn der Ochse den Kornwagen in die
Scheune gezogen hat, so muss er mit Heu vorlieb nehmen. Dir eine Stallmagd, und
keine Amalia! (Geht ab.)
1Eine
Frau in Paris soll es durch ordentlich angestellte Versuche mit Giftpulver so
weit gebracht haben, dass sie den entfernten Todestag mit ziemlicher
Zuverlässigkeit voraus bestimmen konnte. Pfui über unsere Ärzte, die diese Frau
im Prognostizieren beschämt!
Zweite Szene
Des alten Moors
Schlafzimmer.
Der alte Moor
schlafend in seinem Lehnsessel. Amalia.
AMALIA (sachte
herbeischleichend). Leise, leise! er schlummert. (Sie stellt sich vor den
Schlafenden.) Wie schön, wie ehrwürdig! - ehrwürdig, wie man die Heiligen
malt - nein, ich kann dir nicht zürnen! Weißlockigtes Haupt, dir kann ich nicht
zürnen!
Schlummre sanft, wache froh auf, ich allein will hingehn und leiden.
DER ALTE MOOR (träumend).
Mein Sohn! mein Sohn! mein Sohn!
AMALIA (ergreift seine Hand).
Horch, horch! sein Sohn ist in seinen Träumen.
DER ALTE MOOR. Bist du da? bist
du wirklich? ach! wie siehst du so elend! Sieh mich nicht an mit diesem
kummervollen Blick! ich bin elend genug.
AMALIA (weckt ihn schnell).
Seht auf, lieber Greis! Ihr träumtet nur. Fasst Euch!
DER ALTE MOOR (halb wach).
Er war nicht da? drückt' ich nicht seine Hände? Garstiger Franz! willst du ihn
auch meinen Träumen entreißen?
AMALIA. Merkst du's, Amalia?
DER ALTE MOOR (ermuntert sich).
Wo ist er? wo? wo bin ich? Du da, Amalia?
AMALIA. Wie ist Euch? Ihr
schlieft einen erquickenden Schlummer.
DER ALTE MOOR. Mir träumte von
meinem Sohn. Warum hab ich nicht fortgeträumt? Vielleicht hätte ich Verzeihung
erhalten aus seinem Munde.
AMALIA. Engel grollen nicht - er
verzeiht Euch. (Fasst seine Hand mit Wehmut.) Vater meines Karls! ich
verzeih Euch.
DER ALTE MOOR. Nein, meine
Tochter! diese Totenfarbe deines Angesichts verdammt den Vater. Armes Mädchen!
Ich brachte dich um die Freuden deiner Jugend - o fluche mir nicht!
AMALIA (küsst seine Hand mit
Zärtlichkeit). Euch?
DER ALTE MOOR. Kennst du dieses
Bild, meine Tochter?
AMALIA. Karls! -
DER ALTE MOOR. So sah er, als er
ins sechzehnte Jahr ging. Jetzt ist er anders - Oh, es wütet in meinem Innern -
diese Milde ist Unwillen, dieses Lächeln Verzweiflung - Nicht wahr, Amalia? Es
war an seinem Geburtstage in der Jasminlaube, als du ihn maltest? - Oh meine
Tochter! Eure Liebe machte mich so glücklich.
AMALIA (immer das Aug auf das
Bild geheftet). Nein! nein! er ists n. Bei Gott! Das ist Karl nicht - Hier,
hier (auf Herz und Stirne zeigend). So ganz, so anders. Die träge Farbe
reicht nicht, den himmlischen Geist nachzuspiegeln, der in seinem feurigen Auge
herrschte. Weg damit! dies ist so menschlich! Ich war eine Stümperin.
DER ALTE MOOR. Dieser huldreiche,
erwärmende Blick - wär er vor meinem Bette gestanden, ich hätte gelebt mitten im
Tode! Nie, nie wär ich gestorben!
AMALIA. Nie, nie wärt Ihr
gestorben! Es wär' ein Sprung gewesen, wie man von einem Gedanken auf einen
andern und schönern hüpft - dieser Blick hätt Euch übers Grab hinüber
geleuchtet. Dieser Blick hätt Euch über die Sterne getragen.
DER ALTE MOOR. Es ist schwer, es
ist traurig! Ich sterbe, und mein Sohn Karl ist nicht hier - ich werde zu Grabe
getragen, und er weint nicht an meinem Grabe - Wie süß ists, eingewiegt zu
werden in den Schlaf des Todes von dem Gebet eines Sohnes - das ist
Wiegengesang.
AMALIA (schwärmend). Ja
süß, himmlisch süß ists, eingewiegt zu werden in den Schlaf des Todes von dem
Gesang des Geliebten - vielleicht träumt man auch im Grabe noch fort - ein
langer, ewiger, unendlicher Traum von Karln, bis man die Glocke der Auferstehung
läutet - (aufspringend, entzückt) und von jetzt an in seinen Armen auf
ewig. (Pause. Sie geht ans Klavier und spielt.)
Willst dich, Hektor, ewig
mir entreißen,
Wo des Äaciden mordend
Eisen
Dem Patroklus schrecklich
Opfer bringt?
Wer wird künftig deinen
Kleinen lehren
Speere werfen und die
Götter ehren,
Wenn hinunter dich der
Xanthus schlingt?
DER ALTE MOOR. Ein schönes Lied,
meine Tochter. Das musst du mir vorspielen, eh ich sterbe.
AMALIA. Es ist der Abschied
Andromachas und Hektors - Karl und ich habens oft zusammen zu der Laute
gesungen. (Spielt fort.)
Teures Weib, geh, hol'
die Todeslanze,
lass mich fort zum wilden
Kriegestanze!
Meine Schultern tragen
Ilium.
Über Astyanax unsre
Götter!
Hektor fällt, ein
Vaterlands Erretter,
Und wir sehn uns wider in
Elysium.
(Daniel.)
DANIEL. Es wartet draußen ein
Mann auf Euch. Er bittet, vorgelassen zu werden, er hab Euch eine wichtige
Zeitung.
DER ALTE MOOR. Mir ist auf der
Welt nur etwas wichtig, du weißts, Amalia - ists ein Unglücklicher, der meiner
Hilfe bedarf? Er soll nicht mit Seufzen von hinnen gehn.
AMALIA. Ists ein Bettler, er soll
eilig herauf kommen. (Daniel ab.)
DER ALTE MOOR. Amalia! Amalia!
schone meiner!
AMALIA (spielt fort)
Nimmer lausch' ich deiner
Waffen Schalle,
Einsam liegt dein Eisen
in der Halle,
Priams großer Heldenstamm
verdirbt!
Du wirst hingehn, wo kein
Tag mehr scheinet,
Der Cocytus durch die
Wüsten weinet,
Deine Liebe in dem Lethe
stirbt.
All mein Sehnen, all mein
Denken
Soll der schwarze
Lethefluss ertränken,
Aber meine Liebe nicht!
Horch! der Wilde rast
schon an den Mauern -
Gürte mir das Schwert um,
lass das Trauern!
Hektors Liebe stirbt im
Lethe nicht.
(Franz. Hermann
verkappt. Daniel.)
FRANZ. Hier ist der Mann.
Schreckliche Botschaften, sagt er, warten auf Euch. Könnt Ihr sie hören?
DER ALTE MOOR. Ich kenne nur
eine. Tritt her, mein Freund, und schone mein nicht! Reicht ihm einen Becher
Wein!
HERMANN (mit veränderter
Stimme). Gnädiger Herr! Lasst es einen armen Mann nicht entgelten, wenn er
wider Willen Euer Herz durchbohrt. Ich bin ein Fremdling in diesem Lande, aber
Euch kenn ich sehr gut, Ihr seid der Vater Karls von Moor.
DER ALTE MOOR. Woher weißt du
das?
HERMANN. Ich kannte Euren Sohn -
AMALIA (auffahrend). Er
lebt? lebt? Du kennst ihn? wo ist er? wo, wo? (Will hinwegrennen.)
DER ALTE MOOR. Du weißt von
meinem Sohn?
HERMANN. Er studierte in Leipzig.
Von da zog er, ich weiß nicht wie weit, herum. Er durchschwärmte Deutschland in
die Runde und, wie er mir sagte, mit unbedecktem Haupt, barfuss, und erbettelte
sein Brot vor den Türen. Fünf Monate drauf brach der leidige Krieg zwischen
Preußen und Östreich wieder aus, und da er auf der Welt nichts mehr zu hoffen
hatte, zog ihn der Hall von Friedrichs siegreicher Trommel nach Böhmen. Erlaubt
mir, sagte er zum großen Schwerin, dass ich den Tod sterbe auf dem Bette der
Helden, ich hab keinen Vater mehr! -
DER ALTE MOOR. Sieh mich nicht
an, Amalia!
HERMANN. Man gab ihm eine Fahne.
Er flog den preußischen Siegesflug mit. Wir kamen zusammen unter ein Zelt zu
liegen. Er sprach viel von seinem alten Vater und von bessern, vergangenen Tagen
- und von vereitelten Hoffnungen - uns standen die Tränen in den Augen.
DER ALTE MOOR (verhüllt sein
Haupt in das Kissen). Stille, o stille!
HERMANN. Acht Tage drauf war das
heiße Treffen bei Prag - ich darf Euch sagen, Euer Sohn hat sich gehalten wie
ein wackerer Kriegsmann. Er tat Wunder vor den Augen der Armee. Fünf Regimenter
mussten neben ihm wechseln, er stand. Feuerkugeln fielen rechts und links, Euer
Sohn stand. Eine Kugel zerschmetterte ihm die rechte Hand, Euer Sohn nahm die
Fahne in die linke, und stand -
AMALIA (in Entzückung).
Hektor, Hektor! Hört Ihr's? er stand -
HERMANN. Ich traf ihn am Abend
der Schlacht niedergesunken unter Kugelgepfeife, mit der Linken hielt er das
stürzende Blut, die Rechte hatte er in die Erde gegraben. Bruder! rief er mir
entgegen, es lief ein Gemurmel durch die Glieder, der General sei vor einer
Stunde gefallen - er ist gefallen, sagt ich, und du? - Nun, wer ein braver
Soldat ist, rief er und ließ die linke Hand los, der folge seinem General wie
ich! Bald darauf hauchte er seine große Seele dem Helden zu.
FRANZ (wild auf Hermann
losgehend). Dass der Tod deine verfluchte Zunge versiegle! Bist du hieher
kommen, unserem Vater den Todesstoß zu geben? - Vater! Amalia! Vater!
HERMANN. Es war der letzte Wille
meines sterbenden Kameraden. Nimm dies Schwert, röchelte er, du wirsts meinem
alten Vater überliefern; das Blut seines Sohnes klebt daran; er ist gerochen, er
mag sich weiden. Sag ihm, sein Fluch hätte mich gejagt in Kampf und Tod, ich sei
gefallen in Verzweiflung! Sein letzter Seufzer war Amalia.
AMALIA (wie aus einem
Todesschlummer aufgejagt). Sein letzter Seufzer Amalia.
DER ALTE MOOR (grässlich
schreiend, sich die Haare ausraufend). Mein Fluch ihn gejagt in den Tod!
gefallen in Verzweiflung!
FRANZ (umherirrend im Zimmer).
Oh! was habt Ihr gemacht, Vater? Mein Karl, mein Bruder!
HERMANN. Hier ist das Schwert,
und hier ist auch ein Portrait, das er zu gleicher Zeit aus dem Busen zog! Es
gleicht diesem Fräulein auf ein Haar. Dies soll meinem Bruder Franz, sagte er, -
ich weiß nicht, was er damit sagen wollte.
FRANZ (wie erstaunt). Mir?
Amalias Portrait? Mir, Karl, Amalia? Mir?
AMALIA (heftig auf Hermann
losgehend). Feiler bestochener Betrüger! (Fasst ihn hart an.)
HERMANN. Das bin ich nicht,
gnädiges Fräulein. Sehet selbst, obs nicht Euer Bild ist - Ihr mögts ihm wohl
selbst gegeben haben.
FRANZ. Bei Gott! Amalia, das
deine! Es ist wahrlich das deine!
AMALIA (gibt ihm das Bild
zurück). Mein, mein! O Himmel und Erde!
DER ALTE MOOR (schreiend, sein
Gesicht zerfleischend). Wehe, wehe! mein Fluch ihn gejagt in den Tod!
gefallen in Verzweiflung!
FRANZ. Und er gedachte meiner in
der letzten schweren Stunde des Scheidens, meiner! Englische Seele - da schon
das schwarze Panier des Todes über ihm rauschte - meiner! -
DER ALTE MOOR (lallend).
Mein Fluch ihn gejagt in den Tod, gefallen mein Sohn in Verzweiflung! -
HERMANN. Den Jammer steh' ich
nicht aus. Lebt wohl, alter Herr! (Leise zu Franz.) Warum habt Ihr auch
das gemacht, Junker? (Geht schnell ab.)
AMALIA (aufspringend, ihm nach).
Bleib, bleib! Was waren seine letzten Worte?
HERMANN (zurückrufend).
Sein letzter Seufzer war Amalia. (Ab.)
AMALIA. Sein letzter Seufzer war
Amalia! - Nein, du bist kein Betrüger! So ist es wahr - wahr - er ist tot! -
tot! - (hin und her taumelnd, bis sie umsinkt) tot - Karl ist tot -
FRANZ. Was seh' ich? Was steht da
auf dem Schwert? geschrieben mit Blut - Amalia!
AMALIA. Von ihm?
FRANZ. Seh' ich recht oder träum'
ich? Siehe da mit blutiger Schrift: Franz, verlass meine Amalia nicht.
Sieh doch! sieh doch! - und auf der andern Seite: Amalia, deinen Eid zerbrach
der allgewaltige Tod. - Siehst du nun, siehst du nun? er schriebs mit
erstarrender Hand, schriebs mit dem warmen Blut seines Herzens, schriebs an der
Ewigkeit feierlichem Rande! Sein fliehender Geist verzog, Franz und Amalia noch
zusammen zu knüpfen.
AMALIA. Heiliger Gott! es ist
seine Hand. - Er hat mich nie geliebt! (Schnell ab.)
FRANZ (auf den Boden stampfend).
Verzweifelt! meine ganze Kunst erliegt an dem Starrkopf.
DER ALTE MOOR. Wehe, wehe!
verlass mich nicht, meine Tochter! - Franz, Franz! gib mir meinen Sohn wieder!
FRANZ. Wer wars, der ihm den
Fluch gab? Wer wars, der seinen Sohn jagte in Kampf und Tod und Verzweiflung? -
Oh! er war ein Engel, ein Kleinod des Himmels. Fluch über seine Henker! Fluch,
Fluch über Euch selber! -
DER ALTE MOOR (schlägt mit
geballter Faust wider Brust und Stirn). Er war ein Engel, war Kleinod des
Himmels! Fluch, Fluch, Verderben, Fluch über mich selber! Ich bin der Vater, der
seinen großen Sohn erschlug. Mich liebt' er bis in den Tod! mich zu rächen,
rannte er in Kampf und Tod! Ungeheuer, Ungeheuer! (wütet wider sich selber.)
FRANZ. Er ist dahin, was helfen
späte Klagen? (Höhnisch lachend.) Es ist leichter morden, als lebendig
machen. Ihr werdet ihn nimmer aus seinem Grabe zurückholen.
DER ALTE MOOR. Nimmer, nimmer,
nimmer aus dem Grabe zurückholen. Hin, verloren auf ewig! Und du hast mir den
Fluch aus dem Herzen geschwätzt, du - du - Meinen Sohn mir wieder!
FRANZ. Reizt meinen Grimm nicht.
Ich verlass Euch im Tode! -
DER ALTE MOOR. Scheusal!
Scheusal! schaff mir meinen Sohn wieder! (Fährt aus dem Sessel, will Franzen
an der Gurgel fassen, der ihn zurückschleudert.)
FRANZ. Kraftlose Knochen! ihr
wagt es - Sterbt! Verzweifelt! (Ab.)
DER ALTE MOOR. Tausend Flüche
donnern dir nach! Du hast mir meinen Sohn aus den Armen gestohlen. (Voll
Verzweiflung hin und her geworfen im Sessel.) Wehe, wehe! Verzweifeln, aber
nicht sterben! - Sie fliehen, verlassen mich im Tode - meine guten Engel fliehen
von mir, weichen alle die Heiligen vom eisgrauen Mörder. - Wehe! Wehe! Will mir
keiner das Haupt halten, will keiner die ringende Seele entbinden? Keine Söhne!
keine Töchter! keine Freunde! - Menschen nur - will keiner, allein - verlassen -
Wehe! Wehe! - Verzweifeln, aber nicht sterben!
(Amalia mit verweinten Augen)
DER ALTE MOOR. Amalia! Bote des
Himmels! Kommst du, meine Seele zu lösen?
AMALIA (mit sanfterem Ton).
Ihr habt einen herrlichen Sohn verloren.
DER ALTE MOOR. Ermordet,
willst du sagen. Mit diesem Zeugnis belastet, tret ich vor den Richterstuhl
Gottes.
AMALIA. Nicht also, jammervoller
Greis! der himmlische Vater rückt' ihn zu sich. Wir wären zu glücklich gewesen
auf dieser Welt. - Droben, droben über den Sonnen - Wir sehn ihn wieder.
DER ALTE MOOR. Wiedersehen,
wiedersehen! Oh, es wird mir durch die Seele schneiden ein Schwert - Wenn ich
ein Heiliger ihn unter den Heiligen finde - mitten im Himmel werden durch mich
schauern Schauer der Hölle! im Anschauen des Unendlichen mich zermalmen die
Erinnerung: ich hab meinen Sohn ermordet!
AMALIA. Oh, er wird Euch die
Schmerzerinnerung aus der Seele lächeln! Seid doch heiter, lieber Vater! ich
bins so ganz. Hat er nicht schon den himmlischen Hörern den Namen Amalia
vorgesungen auf der seraphischen Harfe, und die himmlischen Hörer lispelten ihm
leise nach? Sein letzter Seufzer war ja Amalia! Wird nicht sein erster Jubel,
Amalia! sein?
DER ALTE MOOR. Himmlischer Trost
quillt von deinen Lippen! Er wird mir lächeln, sagst du? Vergeben? Du musst bei
mir bleiben, Geliebte meines Karls, wenn ich sterbe.
AMALIA. Sterben ist Flug in seine
Arme. Wohl Euch! Ihr seid zu beneiden. Warum sind diese Gebeine nicht mürb?
warum diese Haare nicht grau? Wehe über die Kräfte der Jugend! Willkommen, du
markloses Alter, näher gelegen dem Himmel und meinem Karl!
(Franz tritt auf.)
DER ALTE MOOR. Tritt her, mein
Sohn! Vergib mir, wenn ich vorhin zu hart gegen dich war! Ich vergebe dir alles.
Ich möchte so gern im Frieden den Geist aufgeben.
FRANZ. Habt Ihr genug um Euren
Sohn geweint? So viel ich sehe, habt Ihr nur einen.
DER ALTE MOOR. Jakob hatte der
Söhne zwölf, aber um seinen Joseph hat er blutige Tränen geweint.
FRANZ. Hum!
DER ALTE MOOR. Geh, nimm die
Bibel, meine Tochter, und lies mir die Geschichte Jakobs und Josephs! Sie hat
mich immer so gerührt, und damals bin ich noch nicht Jakob gewesen.
AMALIA. Welches soll ich Euch
lesen? (Nimmt die Bibel und blättert.)
DER ALTE MOOR. Lies mir den
Jammer des Verlassenen, als er ihn nimmer unter seinen Kindern fand - und
vergebens sein harrte im Kreis seiner elfe - und sein Klagelied, als er vernahm,
sein Joseph sei ihm genommen auf ewig -
AMALIA (liest). »Da nahmen
sie Josephs Rock, und schlachteten einen Ziegenbock, und tauchten den Rock in
das Blut, und schickten den bunten Rock hin, und ließen ihn ihrem Vater bringen,
und sagen: diesen haben wir funden, siehe, obs deines Sohnes Rock sei, oder
nicht?« (Franz geht plötzlich hinweg.) »Er kannte ihn aber und sprach: Es
ist meines Sohnes Rock, ein böses Tier hat ihn gefressen, ein reißend Tier hat
Joseph zerrissen! -«
DER ALTE MOOR (fällt auf
Kissen zurück). Ein reißend Tier hat Joseph zerrissen!
AMALIA (liest weiter).
»Und Jakob zerriss seine Kleider, und legte einen Sack um seine Lenden, und trug
Leide um seinen Sohn lange Zeit, und alle seine Söhne und Töchter traten auf,
dass sie ihn trösteten; aber er wollte sich nicht trösten lassen und sprach: Ich
werde mit Leid hinunterfahren -«
DER ALTE MOOR. Hör' auf, hör'
auf! Mir wird sehr übel.
AMALIA (hinzuspringend, lässt
das Buch fallen). Hilf Himmel! Was ist das?
DER ALTE MOOR. Das ist der Tod! -
Schwarz - schwimmt - vor meinen - Augen - ich bitt dich - ruf dem Pastor - dass
er mir - das Abendmahl reiche - Wo ist - mein Sohn Franz?
AMALIA. Er ist geflohen! Gott
erbarme sich unser!
DER ALTE MOOR. Geflohen -
geflohen von des Sterbenden Bette? - Und das all - all - von zwei Kindern voll
Hoffnung - du hast sie - gegeben - hast sie - genommen - - dein Name sei - -
AMALIA (mit einem plötzlichen
Schrei). Tot! Alles tot! (Ab in Verzweiflung.)
(Franz hüpft frohlockend
herein.)
FRANZ. Tot, schreien
sie, tot! Jetzt bin ich Herr. Im ganzen Schlosses zetert es:
tot. - Wie aber, schläft er vielleicht nur? - freilich, ach freilich!
das ist nun freilich ein Schlaf, wo es ewig niemals »Guten Morgen« heißt -
Schlaf und Tod sind nur Zwillinge. Wir wollen einmal die Namen wechseln!
Wackerer, willkommener Schlaf! Wir wollen dich Tod heißen! (Er drückt ihm die
Augen zu.) Wer wird nun kommen und es wagen, mich vor Gericht zu fordern?
oder mir ins Angesicht zu sagen: du bist ein Schurke! Weg denn mit dieser
lästigen Larve von Sanftmut und Tugend! Nun sollt ihr den nackten Franz sehen
und euch entsetzen! Mein Vater überzuckerte seine Forderungen, schuf sein Gebiet
zu einem Familienzirkel um, saß liebreich lächelnd am Tor und grüßte sie Brüder
und Kinder. - Meine Augbraunen sollen über euch herhangen wie Gewitterwolken,
mein herrischer Name schweben wie ein drohender Komet über diesen Gebirgen,
meine Stirne soll euer Wetterglas sein! Er streichelte und koste den Nacken, der
gegen ihn störrig zurückschlug. Streicheln und kosen ist meine Sache nicht. Ich
will euch die zackigten Sporen ins Fleisch hauen und die scharfe Geißel
versuchen. - In meinem Gebiet solls so weit kommen, dass Kartoffeln und Dünnbier
ein Traktament für Festtage werden, und wehe dem, der mir mit vollen, feurigen
Backen unter die Augen tritt! Blässe der Armut und sklavischen Furcht sind meine
Leibfarbe; in diese Liverei will ich euch kleiden! (Er geht ab.)
Dritte Szene
Die böhmischen
Wälder.
Spiegelberg.
Razmann. Räuberhaufen.
RAZMANN. Bist da? bists wirklich?
So lass dich doch zu Brei zusammendrücken, lieber Herzensbruder Moritz!
Willkommen in den böhmischen Wäldern! Bist ja groß worden und stark.
Stern-Kreuz-Bataillon! Bringst ja Rekruten mit einen ganzen Trieb, du
trefflicher Werber!
SPIEGELBERG. Gelt, Bruder? gelt?
Und das ganze Kerl dazu! - Du glaubst nicht, Gottes sichtbarer Segen ist bei
mir: war dir ein armer hungriger Tropf, hatte nichts als diesen Stab, da ich
über den Jordan ging, und jetzt sind unserer achtundsiebenzig, meistens
ruinierte Krämer, rejicierte Magister und Schreiber aus den schwäbischen
Provinzen; das ist dir ein Korps Kerles, Bruder, deliziöse Bursche, sag ich dir,
wo als einer dem andern die Knöpfe von den Hosen stiehlt und mit geladener
Flinte neben ihm sicher ist - und haben vollauf und stehen dir in einem Renommee
vierzig Meilen weit, das nicht zu begreifen ist. Da ist dir keine Zeitung, wo du
nicht ein Artikelchen von dem Schlaukopf Spiegelberg wirst getroffen haben; ich
halte sie mir auch pur deswegen - vom Kopf bis zun Füßen haben sie mich dir
hingestellt, du meinst, du sähst mich; sogar meine Rockknöpfe haben sie nicht
vergessen. Aber wir führen sie erbärmlich am Narrenseil herum. Ich geh letzthin
in die Druckerei, geb vor, ich hätte den berüchtigten Spiegelberg gesehen, und
diktier einem Skrizler, der dort saß, das leibhafte Bild von einem dortigen
Wurmdoktor in die Feder; das Ding kommt um, der Kerl wird eingezogen, parforce
inquiriert, und in der Angst und in der Dummheit gesteht er dir, hol mich der
Teufel! gesteht dir, er sei der Spiegelberg - Donner und Wetter! Ich war
eben auf dem Sprung, mich beim Magistrat anzugeben, dass die Canaille mir meinen
Namen so verhunzen soll - wie ich sage, drei Monat drauf hangt er. Ich musste
nachher eine derbe Prise Tobak in die Nase reiben, als ich am Galgen
vorbeispazierte und den Pseudo-Spiegelberg in seiner Glorie da paradieren sah -
und unterdessen dass Spiegelberg hangt, schleicht sich Spiegelberg ganz sachte
aus den Schlingen und deutet der superklugen Gerechtigkeit hinterrücks
Eselsohren, dass 's zum Erbarmen ist.
RAZMANN (lacht). Du bist
eben noch immer der alte.
SPIEGELBERG. Das bin ich, wie du
siehst, an Leib und Seel. Narr! einen Spaß muss ich dir doch erzählen, den ich
neulich im Cäcilien-Kloster angerichtet habe. Ich treffe das Kloster auf meiner
Wanderschaft so gegen die Dämmerung, und da ich eben den Tag noch keine Patrone
verschossen hatte - du weißt, ich hasse das diem perdidi auf den Tod - so musste
die Nacht noch durch einen Streich verherrlicht werden, und sollts dem Teufel um
ein Ohr gelten! Wir halten uns ruhig bis in die späte Nacht. Es wird mausstill.
Die Lichter gehen aus. Wir denken, die Nonnen könnten jetzt in den Federn sein.
Nun nehm ich meinen Kameraden Grimm mit mir, heiß die andern warten vorm Tor,
bis sie mein Pfeifchen hören würden, - versichere mich des Klosterwächters, nehm
ihm die Schlüssel ab, schleich mich hinein, wo die Mägde schliefen, praktizier
ihnen die Kleider weg, und heraus mit dem Pack zum Tor. Wir gehen weiter von
Zelle zu Zelle, nehmen einer Schwester nach der andern die Kleider, endlich auch
der Äbtissin - Jetzt pfeif ich, und meine Kerls draußen fangen an zu stürmen und
zu hasselieren, als käm der Jüngste Tag, und hinein mit bestialischem Gepolter
in die Zellen der Schwestern - Hahaha! - da hättest du die Hatz sehen sollen,
wie die armen Tierchen in der Finstere nach ihren Röcken tappten und sich
jämmerlich gebärdeten, wie sie zum Teufel waren, und wir indes wie alle
Donnerwetter zugesetzt, und wie sie sich vor Schreck und Bestürzung in Bettlaken
wickelten, oder unter dem Ofen zusammenkrochen wie Katzen, andere in der Angst
ihres Herzens die Stube so besprengten, dass du hättest das Schwimmen drin
lernen können, und das erbärmliche Gezeter und Lamento, und endlich gar die alte
Schnurre, die Äbtissin, angezogen wie Eva vor dem Fall - du weißt, Bruder, dass
mir auf diesem weiten Erdenrund kein Geschöpf so zuwider ist, als eine Spinne
und ein altes Weib, und nun denk dir einmal die schwarzbraune, runzligte,
zottigte Vettel vor mir herumtanzen und mich bei ihrer jungfräulichen
Sittsamkeit beschwören - alle Teufel! ich hatte schon den Ellbogen angesetzt,
ihr die übrig gebliebenen wenigen Edlen vollends in den Mastdarm zu
stoßen - kurz resolviert! entweder heraus mit dem Silbergeschirr, mit dem
Klosterschatz und allen den blanken Tälerchen, oder - meine Kerls verstanden
mich schon - ich sage dir, ich hab aus dem Kloster mehr denn tausend Taler Werts
geschleift, und den Spaß obendrein, und meine Kerls haben ihnen ein Andenken
hinterlassen, sie werden ihre neun Monate dran zu schleppen haben.
RAZMANN (auf den Boden
stampfend). Dass mich der Donner da weg hatte!
SPIEGELBERG. Siehst du? Sag du
mehr, als ob das kein Luderleben ist? und dabei bleibt man frisch und stark, und
das Korpus ist noch beisammen und schwillt dir stündlich wie ein Prälatsbauch -
ich weiß nicht, ich muss was Magnetisches an mir haben, das dir alles
Lumpengesindel auf Gottes Erdboden anzieht wie Stahl und Eisen.
RAZMANN. Schöner Magnet du! Aber
so möcht ich Henkers doch wissen, was für Hexereien du brauchst -
SPIEGELBERG. Hexereien? Braucht
keine Hexereien - Kopf musst du haben! Ein gewisses praktisches Judicium, das
man freilich nicht in der Gerste frisst - denn siehst du, ich pfleg immer zu
sagen: einen honetten Mann kann man aus jedem Weidenstotzen formen, aber zu
einem Spitzbuben wills Grütz - auch gehört dazu ein eigenes Nationalgenie, ein
gewisses, dass ich so sage, Spitzbubenklima, und da rat ich dir, reis du ins
Graubünder Land, das ist das Athen der heutigen Gauner.
RAZMANN. Bruder! man hat mir
überhaupt das ganze Italien gerühmt.
SPIEGELBERG. Ja, ja! man muss
niemand sein Recht vorenthalten, Italien weist auch seine Männer auf, und wenn
Deutschland so fortmacht, wie es bereits auf dem Weg ist, und die Bibel vollends
hinausvotiert, wie es die glänzendsten Aspekten hat, so kann mit der Zeit auch
noch aus Deutschland was Gutes kommen - überhaupt aber, muss ich dir sagen,
macht das Klima nicht sonderlich viel, das Genie kommt überall fort, und das
Übrige, Bruder - ein Holzapfel, weißt du wohl, wird im Paradiesgärtlein selber
ewig keine Ananas - aber dass ich dir weiter sage - wo bin ich stehen geblieben?
RAZMANN. Bei den Kunstgriffen!
SPIEGELBERG. Ja recht, bei den
Kunstgriffen. So ist dein erstes, wenn du in die Stadt kommst, du ziehst bei den
Bettelvögten, Stadtpatrollanten und Zuchtknechten Kundschaft ein, wer so am
fleißigsten bei ihnen einspreche, die Ehre gebe, und diese Kunden suchst du auf
- ferner nistest du dich in die Kaffeehäuser, Bordelle, Wirtshäuser ein, spähst,
sondierst, wer am meisten über die wohlfeile Zeit, die fünf pro Cent, über die
einreißende Pest der Polizeiverbesserungen schreit, wer am meisten über die
Regierung schimpft, oder wider die Physiognomik eifert und dergleichen. Bruder!
das ist die rechte Höhe! die Ehrlichkeit wackelt wie ein hohler Zahn, du darfst
nur den Pelikan ansetzen - oder besser und kürzer: du gehst und wirfst einen
vollen Beutel auf die offene Straße, versteckst dich irgendwo und merkst dir
wohl, wer ihn aufhebt - eine Weile drauf jagst du hinterher, suchst, schreist
und fragst nur so im Vorbeigehen: haben der Herr nicht etwa einen Geldbeutel
gefunden? Sagt er ja, - nun so hats der Teufel gesehen: leugnet ers aber: der
Herr verzeihen - ich wüsste mich nicht zu entsinnen, - ich bedaure
(aufspringend) Bruder! Triumph, Bruder! Lösch deine Laterne aus, schlauer
Diogenes! - du hast deinen Mann gefunden.
RAZMANN. Du bist ein ausgelernter
Praktikus.
SPIEGELBERG. Mein Gott! als ob
ich noch jemals dran gezweifelt hätte - Nun du deinen Mann in dem Hamen hast,
musst dus auch fein schlau angreifen, dass du ihn hebst! - Siehst du, mein
Sohn! das hab ich so gemacht: - Sobald ich einmal die Fährte hatte, hängt ich
mich meinem Kandidaten an wie eine Klette, saufte Brüderschaft mit ihm, und
notabene! zechfrei musst du ihn halten! da geht freilich ein Schönes drauf, aber
das achtest du nicht - - du gehst weiter, du führst ihn in Spielkompanien und
bei liederlichen Menschern ein, verwickelst ihn in Schlägereien und schelmische
Streiche, bis er an Saft und Kraft und Geld und Gewissen und gutem Namen
bankrott wird; denn incidenter muss ich dir sagen, du richtest nichts aus, wenn
du nicht Leib und Seele verderbst - Glaube mir, Bruder! das hab ich aus meiner
starken Praxi wohl fünfzigmal abstrahiert, wenn der ehrliche Mann einmal aus dem
Nest gejagt ist, so ist der Teufel Meister - der Schritt ist dann so leicht - o
so leicht, als der Sprung von einer Hure zu einer Betschwester. - Horch doch!
was für ein Knall war das?
RAZMANN. Es war gedonnert, nur
fortgemacht!
SPIEGELBERG. Noch ein kürzerer,
besserer Weg ist der, du plünderst deinem Mann Haus und Hof ab, bis ihm kein
Hemd mehr am Leibe hebt, alsdann kommt er dir von selber - lern mich die Pfiffe
nicht, Bruder - frag einmal das Kupfergesicht dort - Schwere Not! den hab ich
schön ins Garn gekriegt - ich hielt ihm vierzig Dukaten hin, die sollt er
haben, wenn er mir seines Herrn Schlüssel in Wachs drücken wollte - denk
einmal! die dumme Bestie tuts, bringt mir, hol mich der Teufel! die Schlüssel
und will jetzt das Geld haben - Monsieur, sagt ich, weiß Er auch, dass ich jetzt
diese Schlüssel gerades Wegs zum Polizeilieutnant trage und Ihm ein Logis am
lichten Galgen miete? - Tausend Sakerment! da hättest du den Kerl sehen sollen
die Augen aufreißen und anfangen zu zappeln wie ein nasser Pudel - - »Um's
Himmels willen, hab der Herr doch Einsicht! ich will - will -« Was will Er? will
Er jetzt gleich den Zopf hinaufschlagen und mit mir zum Teufel gehn? - »O von
Herzen gern, mit Freuden« - Hahaha! guter Schlucker, mit Speck fängt man Mäuse -
Lach' ihn doch aus, Razmann! hahaha!
RAZMANN. Ja, ja, ich muss
gestehen. Ich will mir diese Lektion mit goldenen Ziffern auf meine Hirntafel
schreiben. Der Satan mag seine Leute kennen, dass er dich zu seinem Mäkler
gemacht hat.
SPIEGELBERG. Gelt, Bruder? und
ich denke, wenn ich ihm zehn stelle, lässt er mich frei ausgehen - gibt ja jeder
Verleger seinem Sammler das zehnte Exemplar gratis, warum soll der Teufel so
jüdisch zu Werk gehn? Razmann! ich rieche Pulver -
RAZMANN. Sapperment! ich riechs
auch schon lang. - Gib acht, es wird in der Näh was gesetzt haben! - Ja, ja, wie
ich dir sage, Moritz, du wirst dem Hauptmann mit deinen Rekruten willkommen sein
- er hat auch schon brave Kerl angelockt.
SPIEGELBERG. Aber die meinen! die
meinen! - Pah -
RAZMANN. Nun ja! sie mögen
hübsche Fingerchen haben - aber ich sage dir, der Ruf unsers Hauptmanns hat auch
schon ehrliche Kerl in Versuchung geführt.
SPIEGELBERG. Ich will nicht
hoffen.
RAZMANN. Sans Spaß! und sie
schämen sich nicht, unter ihm zu dienen. Er mordet nicht um des Raubes willen,
wie wir - nach dem Geld schien er nicht mehr zu fragen, sobald ers vollauf
haben konnte, und selbst sein Drittteil an der Beute, das ihn von Rechtswegen
trifft, verschenkt er an Waisenkinder, oder lässt damit arme Jungen von Hoffnung
studieren. Aber soll er dir einen Landjunker schröpfen, der seine Bauern wie das
Vieh abschindet, oder einen Schurken mit goldnen Borten unter den Hammer
kriegen, der die Gesetze falschmünzt und das Auge der Gerechtigkeit übersilbert,
oder sonst ein Herrchen von dem Gelichter - Kerl! da ist er dir in seinem
Element und haust teufelmäßig, als wenn jede Faser an ihm eine Furie wäre.
SPIEGELBERG. Hum! Hum!
RAZMANN. Neulich erfuhren wir im
Wirtshaus, dass ein reicher Graf von Regensburg durchkommen würde, der einen
Prozess von einer Million durch die Pfiffe seines Advokaten durchgesetzt hätte;
er saß eben am Tisch und brettelte. - Wie viel sind unserer? frug er mich, indem
er hastig aufstand; ich sah ihn die Unterlippe zwischen die Zähne klemmen,
welches er nur tut, wenn er am grimmigsten ist - Nicht mehr als fünf! sagt ich -
Es ist genug! sagt er, warf der Wirtin das Geld auf den Tisch, ließ den Wein,
den er sich hatte reichen lassen, unberührt stehen - wir machten uns auf den
Weg. Die ganze Zeit über sprach er kein Wort, lief abseitwärts und allein, nur
dass er uns von Zeit zu Zeit fragte, ob wir noch nichts gewahr worden wären, und
uns befahl, das Ohr an die Erde zu legen. Endlich so kommt der Graf hergefahren,
der Wagen schwer bepackt, der Advokat saß bei ihm drin, voraus ein Reiter,
nebenher ritten zwei Knechte - da hättest du den Mann sehen sollen, wie er, zwei
Terzerolen in der Hand, vor uns her auf den Wagen zusprang! und die Stimme,. mit
der er rief: Halt! - Der Kutscher, der nicht Halt machen wollte, musste vom Bock
herabtanzen; der Graf schoss aus dem Wagen in den Wind, die Reiter flohen - Dein
Geld, Canaille! rief er donnernd - er lag wie ein Stier unter dem Beil - und
bist du der Schelm, der die Gerechtigkeit zur feilen Hure macht? Der Advokat
zitterte, dass ihm die Zähne klapperten, - der Dolch stak in seinem Bauch wie
ein Pfahl im Weinberg - Ich habe das Meine getan! rief er und wandte sich stolz
von uns weg; das Plündern ist eure Sache. Und somit verschwand er im Wald -
SPIEGELBERG. Hum! hum! Bruder,
was ich dir vorhin erzählt habe, bleibt unter uns, er brauchts nicht zu wissen.
Verstehst du?
RAZMANN. Recht, recht, ich
versteh.
SPIEGELBERG. Du kennst ihn ja! Er
hat so seine Grillen. Du verstehst mich.
RAZMANN. Ich versteh, ich
versteh.
(Schwarz in vollem Lauf.)
RAZMANN. Wer da? was gibt's da?
Passagiers im Walde?
SCHWARZ. Hurtig, hurtig! wo sind
die Andern? - Tausendsakerment! Ihr steht da und plaudert! Wisst ihr denn nicht
- Wisst ihr denn gar nicht? - und Roller -
RAZMANN. Was denn? was denn?
SCHWARZ. Roller ist gehangen,
noch vier andere mit.
RAZMANN. Roller? Schwere Not!
seit wann - woher weißt dus?
SCHWARZ. Schon über drei Wochen
sitzt er, und wir erfahren nichts, schon drei Rechtstage sind über ihn gehalten
worden, und wir hören nichts; man hat ihn auf der Tortur examiniert, wo der
Hauptmann sei? - der wackere Bursche hat nichts bekannt; gestern ist ihm der
Prozess gemacht worden, diesen Morgen ist der dem Teufel extra Post zugefahren.
RAZMANN. Vermaledeit! weiß es der
Hauptmann?
SCHWARZ. Erst gestern erfährt
ers. Er schäumt wie ein Eber. Du weißt, er hat immer am meisten gehalten auf
Roller, und nun die Tortur erst - Strick und Leiter sind schon an den Turm
gebracht worden, es half nichts; er selbst hat sich schon in Kapuzinerskutte zu
ihm geschlichen und die Person mit ihm wechseln wollen; Roller schlugs
hartnäckig ab; jetzt hat er einen Eid geschworen, dass es uns eiskalt über die
Leber lief, er wolle ihm eine Todesfackel anzünden, wie sie noch keinem König
geleuchtet hat, die ihnen den Buckel braun und blau brennen soll. Mir ist bang
für die Stadt. Er hat schon lang eine Pike auf sie, weil sie so schändlich
bigott ist, und du weißt, wenn er sagt: ich wills tun! so ists so viel, als
wenns unser einer getan hat.
RAZMANN. Das ist wahr! ich kenne
den Hauptmann. Wenn er dem Teufel sein Wort drauf gegeben hätte, in die Hölle zu
fahren, er würde nie beten, wenn er mit einem halben Vaterunser selig werden
könnte! - Aber ach, der arme Roller! der arme Roller! -
SPIEGELBERG. Memento mori! Aber
das regt mich nicht an. (Trillert ein Liedchen.)
Geh ich vorbei am Rabensteine,
So blinz ich nur das rechte Auge
zu
Und denk, du hängst mir wohl
alleine
Wer ist ein Narr, ich oder du?
RAZMANN (aufspringend). Horch!
ein Schuss. (Schießen und Lärmen.)
SPIEGELBERG. Noch einer!
RAZMANN. Wieder einer! der
Hauptmann! (Hinter der Szene gesungen.)
Die Nürnberger henken keinen,
Sie hätten ihn denn vor.
(Da capo.)
SCHWEIZER. Roller (hinter der
Szene). Holla ho! Holla ho!
RAZMANN. Roller! Roller! Holen
mich zehn Teufel!
SCHWEIZER. ROLLER (hinter der
Szene). Razmann! Schwarz! Spiegelberg! Razmann!
RAZMANN. Roller! Schweizer!
Blitz, Donner, Hagel und Wetter! (Fliegen ihm entgegen.)
(Räuber Moor zu Pferd.
Schweizer. Roller. Grimm. Schufterle. Räubertrupp mit Kot und Staub bedeckt
treten auf.)
RÄUBER MOOR (vom Pferd
springend). Freiheit! Freiheit! - - Du bist im Trocknen, Roller! - Führ meinen
Rappen ab, Schweizer, und wasch ihn mit Wein. (Wirft sich auf die Erde.) Das
hat gegolten!
RAZMANN (zu Roller). Nun, bei der
Feueresse des Plutos! bist du vom Rad auferstanden?
SCHWARZ. Bist du sein Geist? oder
bin ich ein Narr? oder bist dus wirklich?
ROLLER (in Atem). Ich bins.
Leibhaftig. Ganz. Wo glaubst du, dass ich herkomme?
SCHWARZ. Da frag die Hexe! Der
Stab war schon über dich gebrochen.
ROLLER. Das war er freilich, und
noch mehr. Ich komme recta vom Galgen her. lass mich nur erst zu Atem kommen.
Der Schweizer wird dir erzählen. Gebt mir ein Glas Branntenwein! - du auch
wieder da, Moritz? Ich dachte, dich wo anders wiederzusehen - Gebt mir doch
ein Glas Branntenwein! meine Knochen fallen auseinander - o mein Hauptmann! wo
ist mein Hauptmann?
SCHWARZ. Gleich, gleich! - so sag
doch, so schwätz doch! wie bist du davon gekommen? wie haben wir dich wieder?
Der Kopf geht mir um. Vom Galgen her, sagst du?
ROLLER (stürzt eine Flasche Branntenwein hinunter). Ah! das schmeckt, das brennt ein! - Grades Wegs vom
Galgen her, Sag ich. Ihr steht da und gafft und könnts nicht träumen - ich war
auch nur drei Schritte von der Sackermentsleiter, auf der ich in den Schoß
Abrahams steigen sollte - so nah, so nah - war dir schon mit Haut und Haar auf
die Anatomie verhandelt! hättest mein Leben um'n Prise Schnupftabak haben
können. Dem Hauptmann dank ich Luft, Freiheit und Leben.
SCHWEIZER. Es war ein Spaß, der
sich hören lässt. Wir hatten den Tag vorher durch unsre Spionen Wind gekriegt,
der Roller liege tüchtig im Salz, und wenn der Himmel nicht bei Zeit noch
einfallen wollte, so werde er morgen am Tag - das war heut - den Weg alles
Fleisches gehen müssen - Auf! sagt der Hauptmann, was wiegt ein Freund nicht? -
Wir retten ihn, oder retten ihn nicht, so wollen wir ihm wenigstens doch eine
Todesfackel anzünden, wie sie noch keinem König geleuchtet hat, die ihnen den
Buckel braun und blau brennen soll. Die ganze Bande wird aufgeboten. Wir
schicken einen Expressen an ihn, ders ihm in einem Zettelchen beibrachte, das
er ihm in die Suppe warf.
ROLLER. Ich verzweifelte an dem
Erfolg.
SCHWEIZER. Wir passten die Zeit
ab, bis die Passagen leer waren. Die ganze Stadt zog dem Spektakel nach, Reiter
und Fußgänger durcheinander und Wagen, der Lärm und der Galgenpsalm johlten weit.
Jetzt, sagt der Hauptmann, brennt an, brennt an! Die Kerl flogen wie Pfeile,
steckten die Stadt an dreiunddreißig Ecken zumal in Brand, werfen feurige Lunten
in die Nähe des Pulverturms, in Kirchen und Scheunen - Mordbleu! es war keine
Viertelstunde vergangen, der Nordostwind, der auch seinen Zahn auf die Stadt
haben muss, kam uns trefflich zu statten und half die Flamme bis hinauf in die
obersten Giebel jagen. Wir indes Gasse auf Gasse nieder, wie Furien - Feuerjo!
Feuerjo! durch die ganze Stadt - Geheul - Geschrei - Gepolter - fangen an die
Brandglocken zu brummen, knallt der Pulverturm in die Luft, als wär die Erde
mitten entzwei geborsten, und der Himmel zerplatzt, und die Hölle zehntausend
Klafter tief versunken.
ROLLER. Und jetzt sah mein
Gefolge zurück - da lag die Stadt wie Gomorrha und Sodom, der ganze Horizont war
Feuer, Schwefel und Rauch, vierzig Gebirge brüllten den infernalischen Schwank
in die Rund herum nach, ein panischer Schreck schmeißt Alle zu Boden - jetzt
nutz ich den Zeitpunkt, und risch, wie der Wind! - ich war losgebunden, so nah
wars dabei - da meine Begleiter versteinert wie Loths Weib zurückschaun.
Reißaus! zerrissen die Haufen! davon! Sechzig Schritte weg werf' ich die Kleider
ab, stürze mich in den Fluss, schwimm unterm Wasser fort, bis ich glaubte,
ihnen aus dem Gesichte zu sein. Mein Hauptmann schon parat mit Pferden und
Kleidern - so bin ich entkommen. Moor! Moor! möchtest du bald auch in den
Pfeffer geraten, dass ich dir Gleiches mit Gleichem vergelten kann!
RAZMANN. Ein bestialischer
Wunsch, für den man dich hängen sollte - aber es war ein Streich zum Zerplatzen.
ROLLER. Es war Hilfe in der Not;
ihr könnts nicht schätzen. Ihr hättet sollen - den Strick um den Hals - mit
lebendigem Leibe zu Grabe marschieren, wie ich, und die sackermentalischen
Anstalten und Schinderszeremonien, und mit jedem Schritt, den der scheue Fuß
vorwärts wankte, näher und fürchterlich näher die verfluchte Maschine, wo ich
einlogiert werden sollte, im Glanz der schrecklichen Morgensonne steigend, und
die lauernden Schindersknechte und die grässliche Musik - noch raunt sie in
meinen Ohren - und das Gekrächze hungriger Raben, die an meinem halbfaulen
Antezessor zu Dreißigen hingen, und das alles, alles - und obendrein noch der
Vorschmack der Seligkeit, die mir blühte! - Bruder, Bruder! und auf einmal die
Losung zur Freiheit - Es war ein Knall, als ob dem Himmelsfass ein Reif
gesprungen wäre - Hört, Canaillen! ich sag euch, wenn man aus dem glühenden Ofen
ins Eiswasser springt, kann man den Abfall nicht so stark fühlen, als ich, da
ich am andern Ufer war.
SPIEGELBERG (lacht). Armer
Schlucker! Nun ists ja verschwitzt. (Trinkt ihm zu.) Zur glücklichen
Wiedergeburt!
ROLLER (wirft sein Glas weg).
Nein, bei allen Schätzen des Mammons! ich möchte das nicht zum zweiten Mal
erleben. Sterben ist etwas mehr als Harlekinssprung, und Todesangst ist ärger
als Sterben.
SPIEGELBERG. Und der hüpfende
Pulverturm - merkst dus jetzt, Razmann? - drum stank auch die Luft so nach
Schwefel stundenweit, als würde die ganze Garderobe des Molochs unter dem
Firmament ausgelüftet - Es war ein Meisterstreich, Hauptmann! ich beneide dich
drum.
SCHWEIZER. Macht sich die Stadt
eine Freude daraus, meinen Kameraden wie ein verhetztes Schwein abtun zu sehen,
was, zum Henker! sollten wir uns ein Gewissen daraus machen, unserem Kameraden
zu lieb die Stadt draufgehen zu lassen? Und nebenher hatten unsere Kerls noch
das gefundene Fressen, über den alten Kaiser zu plündern. - Sagt einmal, was
habt ihr weggekapert?
EINER VON DER BANDE. Ich hab mich
während des Durcheinanders in die Stephanskirche geschlichen und die Borten vom
Altartuch abgetrennt; der liebe Gott da, sagt ich, ist ein reicher Mann und kann
ja Goldfäden aus einem Batzenstrick machen.
SCHWEIZER. Du hast wohl getan -
was soll auch der Plunder in einer Kirche? Sie tragens dem Schöpfer zu, der
über den Trödelkram lachet, und seine Geschöpfe dürfen verhungern. - Und du,
Spangeler - wo hast du dein Netz ausgeworfen?
EIN ZWEITER. Ich und Bügel haben
einen Kaufladen geplündert und bringen Zeug für unser fünfzig mit.
EIN DRITTER. Zwei goldene
Sackuhren habe ich weggebixt, und ein Dutzend silberne Löffel dazu.
SCHWEIZER. Gut, gut. Und wir
haben ihnen eins angerichtet, dran sie vierzehn Tage werden zu löschen haben.
Wenn sie dem Feuer wehren wollen, so müssen sie die Stadt durch Wasser ruinieren
- Weißt du nicht, Schufterle, wie viel es Tote gesetzt hat?
SCHUFTERLE. Drei und achtzig,
sagt man. Der Turm allein hat ihrer sechzig zu Staub zerschmettert.
RÄUBER MOOR (sehr ernst).
Roller, du bist teuer bezahlt.
SCHUFTERLE. Pah! pah! was heißt
aber das? - ja, wenns Männer gewesen wären - aber da warens Wickelkinder, die
ihre Laken vergolden, eingeschnurrte Mütterchen, die ihnen die Mücken wehrten,
ausgedörrte Ofenhocker, die keine Türe mehr finden konnten - Patienten, die nach
dem Doktor winselten, der in seinem gravitätischen Trab der Hatz nachgezogen war
- Was leichte Beine hatte, war ausgeflogen, der Komödie nach, und nur der
Bodensatz der Stadt blieb zurück, die Häuser zu hüten.
MOOR. Oh der armen Gewürme!
Kranke, sagst du, Greise und Kinder? -
SCHUFTERLE. Ja zum Teufel! und
Kindbetterinnen dazu, und hochschwangere Weiber, die befürchteten, unterm
lichten Galgen zu abortieren; junge Frauen, die besorgten, sich an den
Schindersstückchen zu versehen und ihrem Kind im Mutterleib den Galgen auf den
Buckel zu brennen - Arme Poeten, die keinen Schuh anzuziehen hatten, weil sie
ihr einziges Paar in die Mache gegeben, und was das Hundsgesindel mehr ist; es
lohnt sich der Mühe nicht, dass man davon redt. Wie ich von ungefähr so an einer
Baracke vorbei gehe, hör ich drinnen ein Gezeter, ich guck hinein, und wie
ichs beim Lichte besehe, was wars? Ein Kind wars, noch frisch und gesund, das
lag auf dem Boden unterm Tisch, und der Tisch wollte eben angehen - Armes
Tierchen, sagt ich, du verfrierst ja hier, und warfs in die Flamme -
MOOR. Wirklich, Schufterle? - Und
diese Flamme brenne in deinem Busen, bis die Ewigkeit grau wird! - Fort.
Ungeheuer! lass dich nimmer unter meiner Bande sehen! - Murrt ihr? Überlegt ihr?
- Wer überlegt, wenn ich befehle? - Fort mit ihm, sag ich - Es sind noch mehr
unter euch, die meinem Grimm reif sind. Ich kenne dich, Spiegelberg. Aber ich
will nächstens unter euch treten und fürchterlich Musterung halten. (Sie
gehen zitternd ab.)
(Moor allein,
heftig auf und ab gehend.)
Höre sie nicht, Rächer im Himmel! - Was kann ich
dafür? was kannst du dafür, wenn deine Pestilenz, deine Teuerung, deine Wasserfluten den Gerechten mit dem Bösewicht auffressen? Wer kann der Flamme
befehlen, dass sie nicht auch durch die gesegneten Saaten wüte, wenn sie das
Genist der Hornissel zerstören soll? - O pfui über den Kindermord! den
Weibermord! - den Krankenmord! Wie beugt mich diese Tat! Sie hat meine schönsten
Werke vergiftet - Da steht der Knabe, schamrot und ausgehöhnt vor dem Auge des
Himmels, der sich anmaßte, mit Jupiters Keule zu spielen, und Pygmäen
niederwarf, da er Titanen zerschmettern sollte - Geh! geh! du bist der Mann
nicht, das Rachschwert der obern Tribunale zu regieren, du erlagst bei dem
ersten Griff - Hier entsag ich dem frechen Plan, gehe, mich in irgend eine Kluft
der Erde zu verkriechen, wo der Tag vor meiner Schande zurücktritt. (Er will
fliehen.)
RÄUBER (eilig.) Sieh dich vor, Hauptmann! Es spukt! Ganze Haufen
böhmischer Reiter schwadronieren um Holz herum - der höllische Blaustrumpf muss
ihnen verträtscht haben -
NEUE RÄUBER. Hauptmann, Hauptmann! Sie haben uns die
Spur abgelauert - rings ziehen ihre etliche tausend einen Kordon um den mittlern
Wald.
NEUE RÄUBER. Weh, weh, weh! Wir sind gefangen, gerädert, wir sind
gevierteilt! Viele tausend Husaren, Dragoner und Jäger sprengen um die Anhöhe und
halten die Luftlöcher besetzt. (Moor geht ab.)
(Schweizer. Grimm. Roller.
Schwarz. Schufterle. Spiegelberg. Razmann. Räubertrupp.)
SCHWEIZER. Haben wir sie aus den
Federn geschüttelt? Freu dich doch, Roller! Das hab ich mir lange gewünscht,
mich mit so Kommissbrotrittern herumzuhauen - Wo ist der Hauptmann? Ist die
ganze Bande beisammen? Wir haben doch Pulver genug?
RAZMANN. Pulver die schwere Meng.
Aber unser sind achtzig in allem, und so immer kaum einer gegen ihrer Zwanzig.
SCHWEIZER. Desto besser! und lass
es fünfzig gegen meinen großen Nagel sein - Haben sie so lang gewartet, bis wir
ihnen die Streu unterm Arsch angezündet haben - Brüder, Brüder! so hats keine
Not. Sie setzen ihr Leben an zehn Kreuzer, fechten wir nicht für Hals und
Freiheit? - Wir wollen über sie her wie die Sündflut und auf ihre Köpfe
herabfeuern wie Wetterleuchten - Wo, zum Teufel! ist dann der Hauptmann?
SPIEGELBERG. Er verlässt uns in
dieser Not. Können wir denn nicht mehr entwischen?
SCHWEIZER. Entwischen?
SPIEGELBERG. Oh! warum bin ich
nicht geblieben in Jerusalem!
SCHWEIZER. So wollt'ich doch,
dass du im Kloak ersticktest, Dreckseele du! Bei nackten Nonnen hast du ein
großes Maul, aber wenn du zwei Fäuste siehst, - Memme, zeige dich jetzt, oder
man soll dich in eine Sauhaut nähen und durch Hunde verhetzen lassen.
RAZMANN. Der Hauptmann, der
Hauptmann!
(Moor langsam vor sich.)
MOOR. Ich habe sie vollends ganz
einschließen lassen, jetzt müssen sie fechten wie Verzweifelte. (Laut.) Kinder!
Nun gilts! Wir sind verloren, oder wir müssen fechten wie angeschossene Eber.
SCHWEIZER. Ha! ich will ihnen mit
meinen Fangern den Bauch schlitzen, dass ihnen die Kutteln schuhlang
herausplatzen! - Führ uns an, Hauptmann! Wir folgen dir in den Rachen des
Todes.
MOOR. Ladet alle Gewehre! Es
fehlt doch an Pulver nicht?
SCHWEIZER (springt auf). Pulver
genug, die Erde gegen den Mond zu sprengen!
RAZMANN. Jeder hat fünf Paar
Pistolen geladen, Jeder noch drei Kugelbüchsen dazu.
MOOR. Gut, gut! Und nun muss ein
Teil auf die Bäume klettern, oder sich ins Dickicht verstecken und Feuer auf sie
geben im Hinterhalt -
SCHWEIZER. Da gehörst du hin,
Spiegelberg!
MOOR. Wir andern, wie Furien,
fallen ihnen in die Flanken.
SCHWEIZER. Darunter bin ich, ich!
MOOR. Zugleich muss jeder sein
Pfeifchen hören lassen, im Wald herumjagen, dass unsere Anzahl schrecklicher
werde; auch müssen alle Hunde los und in ihre Glieder gehetzt werden, dass sie
sich trennen, zerstreuen und euch in den Schuss rennen. Wir drei, Roller,
Schweizer und ich, fechten im Gedränge.
SCHWEIZER. Meisterlich,
vortrefflich! - Wir wollen sie zusammenwettern, dass sie nicht wissen, wo sie
die Ohrfeigen herkriegen. Ich habe wohl ehe eine Kirsche vom Maul weggeschossen.
lass sie nur anlaufen. (Schufterle zupft Schweizern, dieser nimmt den Hauptmann
beiseite und spricht leise mit ihm.)
MOOR. Schweig!
SCHWEIZER. Ich bitte dich -
MOOR. Weg! Er dank es seiner
Schande, sie hat ihn gerettet. Er soll nicht sterben, wenn ich und mein
Schweizer sterben und mein Roller. lass ihn die Kleider ausziehen, so will ich
sagen, er sei ein Reisender, und ich habe ihn bestohlen - Sei ruhig, Schweizer!
Ich schwöre darauf, er wird doch noch gehangen werden.
(Pater tritt auf.)
PATER (vor sich, stutzt). Ist Das
das Drachennest? - Mit eurer Erlaubnis, meine Herren! Ich bin ein Diener der
Kirche, und draußen stehen Siebenzehnhundert, die jedes Haar auf meinen Schläfen
bewachen.
SCHWEIZER. Bravo! bravo! Das war
wohlgesprochen, sich den Magen warm zu halten.
MOOR. Schweig, Kamerad! - Sagen
Sie kurz, Herr Pater! Was haben Sie hier zu tun?
PATER. Mich sendet die hohe
Obrigkeit, die über Leben und Tod spricht - Ihr Diebe - ihr Mordbrenner, - ihr
Schelmen - giftige Otterbrut, die im Finstern schleicht und im Verborgenen
sticht - Aussatz der Menschheit - Höllenbrut, - köstliches Mahl für Raben und
Ungeziefer - Kolonie für Galgen und Rad -
SCHWEIZER. Hund! hör auf zu
schimpfen, oder - (Er drückt ihm den Kolben vors Gesicht.)
MOOR. Pfui doch, Schweizer! du
verdirbst ihm ja das Konzept - er hat seine Predigt so brav auswendig gelernt -
Nur weiter, mein Herr! - »für Galgen und Rad?«
PATER. Und doch, feiner
Hauptmann! Herzog der Beutelschneider! Gaunerkönig! Großmogul aller Schelmen
unter der Sonne! - Ganz ähnlich jenem ersten abscheulichen Rädelsführer, der
tausend Legionen schuldloser Engel in rebellisches Feuer fachte und mit sich
hinab in den tiefen Pfuhl der Verdammung zog - das Zetergeschrei verlassener
Mütter heult deinen Fersen nach, Blut saufst du wie Wasser, Menschen wägen auf
deinem mörderischen Dolch keine Luftblase auf. -
MOOR. Sehr wahr, sehr wahr! Nur
weiter!
PATER. Was? sehr wahr, sehr wahr?
Ist das auch eine Antwort?
MOOR. Wie, mein Herr? drauf haben
Sie sich wohl nicht gefasst gemacht? Weiter, nur weiter! Was wollten Sie weiter
sagen?
PATER (im Eifer). Entsetzlicher
Mensch! hebe dich weg von mir! Picht nicht das Blut des ermordeten Reichsgrafen
an deinen verfluchten Fingern? Hast du nicht das Heiligtum des Herrn mit
diebischen Händen durchbrochen und mit einem Schelmengriff die geweihten Gefäße
des Nachtmahls entwandt? Wie? hast du nicht Feuerbrände in unsere
gottesfürchtige Stadt geworfen? und den Pulverturm über die Häupter guter
Christen herabgestürzt? (mit zusammengeschlagenen Händen.) Gräuliche, gräuliche
Frevel, die bis zum Himmel hinaufstinken, das jüngste Gericht waffnen, dass es
reißend daherbricht! Reif zur Vergeltung, zeitig zur letzten Posaune!
MOOR. Meisterlich geraten bis
hieher! aber zur Sache! Was lässt mir der hochlöbliche Magistrat durch Sie kund
machen?
PATER. Was du nie wert bist, zu
empfangen - Schau um dich, Mordbrenner! was nur dein Auge absehen kann, bist du
eingeschlossen von unsern Reitern - hier ist kein Raum zum Entrinnen mehr - so
gewiss Kirschen auf diesen Eichen wachsen, und diese Tannen Pfirsiche tragen, so
gewiss werdet ihr unversehrt diesen Eichen und diesen Tannen den Rücken kehren.
MOOR. Hörst dus wohl, Schweizer?
- Aber nur weiter!
PATER. Höre denn, wie gütig, wie
langmütig das Gericht mit dir Böswicht verfährt: wirst du jetzt gleich zum Kreuz
kriechen und um Gnade und Schonung flehen, siehe, so wird dir die Strenge selbst
Erbarmen, die Gerechtigkeit eine liebende Mutter sein - sie drückt das Auge bei
der Hälfte deiner Verbrechen zu und lässt es - denk doch! - und lässt es bei
dem Rade bewenden.
SCHWEIZER. Hast dus gehört,
Hauptmann? Soll ich hingehn und diesem abgerichteten Schäferhund die Gurgel
zusammenschnüren, dass ihm der rote Saft aus allen Schweißlöchern sprudelt? -
ROLLER. Hauptmann! - Sturm,
Wetter und Hölle! - Hauptmann! - wie er die Unterlippe zwischen die Zähne
klemmt! Soll ich diesen Kerl das Oberst zu unterst unters Firmament wie einen
Kegel aufsetzen?
SCHWEIZER. Mir! mir! lass mich
knien, vor dir niederfallen! Mir lass die Wollust, ihn zu Brei zusammenzureiben!
(Pater schreit.)
MOOR. Weg von ihm! Wag es
Keiner, ihn anzurühren! - (Zum Pater, indem er seinen Degen zieht.) Sehen Sie,
Herr Pater! hier stehn Neunundsiebenzig, deren Hauptmann ich bin, und weiß
keiner auf Wink und Kommando zu fliegen oder nach Kanonenmusik zu tanzen, und
draußen stehen Siebenzehnhundert, unter Musketen ergraut - aber hören Sie nun!
so redet Moor, der Mordbrenner Hauptmann: Wahr ists, ich habe den Reichsgrafen
erschlagen, die Dominikuskirche angezündet und geplündert, hab Feuerbrände in
eure bigotte Stadt geworfen und den Pulverturm über die Häupter guter Christen
herabgestürzt - aber das ist noch nicht alles. Ich habe noch mehr getan. (Er
streckt seine rechte Hand aus.) Bemerken Sie die vier kostbaren Ringe, die ich
an jedem Finger trage? - Gehen Sie hin und richten Sie Punkt für Punkt den
Herren des Gerichts über Leben und Tod aus, was Sie sehen und hören werden -
diesen Rubin zog ich einem Minister vom Finger, den ich auf der Jagd zu den
Füßen seines Fürsten niederwarf. Er hatte sich aus dem Pöbelstaub zu seinem
ersten Günstling emporgeschmeichelt, der Fall seines Nachbars war seiner Hoheit
Schemel - Tränen der Waisen huben ihn auf. Diesen Demant zog ich einem Finanzrat
ab, der Ehrenstellen und Ämter an die Meistbietenden verkaufte und nicht
trauernden Patrioten von seiner Türe stieß. - Diesen Achat trag ich einem
Pfaffen Ihres Gelichters zur Ehre, den ich mit eigener Hand erwürgte, als er auf
offener Kanzel geweint hatte, dass die Inquisition so in Zerfall käme - ich
könnte Ihnen noch mehr Geschichten von meinen Ringen erzählen, wenn mich nicht
schon die paar Worte gereuten, die ich mit Ihnen verschwendet habe -
PATER. O Pharao! Pharao!
MOOR. Hört ihrs wohl? Habt ihr
den Seufzer bemerkt? Steht er nicht da, als wollte er Feuer vom Himmel auf die
Rotte Korah herunter beten, richtet mit einem Achselzucken, verdammt mit einem
christlichen Ach! - Kann der Mensch denn so blind sein? Er, der die hundert
Augen des Argus hat, Flecken an seinem Bruder zu spähen, kann er so gar blind
gegen sich selbst sein? - Da donnern sie Sanftmut und Duldung aus ihren Wolken,
und bringen dem Gott der Liebe Menschenopfer, wie einem feuerarmigen Moloch -
predigen Liebe des Nächsten, und fluchen den achtzigjährigen Blinden von ihren
Türen hinweg - stürmen wider den Geiz, und haben Peru um goldner Spangen willen
entvölkert und die Heiden wie Zugvieh vor ihre Wagen gespannt. - Sie zerbrechen
sich die Köpfe, wie es doch möglich gewesen wäre, dass die Natur hätte können
einen Ischariot schaffen, und nicht der Schlimmste unter ihnen würden den
dreieinigen Gott um zehn Silberlinge verraten. - O über euch Pharisäer, euch
Falschmünzer der Wahrheit, euch Affen der Gottheit! Ihr scheut euch nicht, vor
Kreuz und Altären zu knien, zerfleischt eure Rücken mit Riemen und foltert euer
Fleisch mit Fasten; ihr wähnt mit diesen erbärmlichen Gaukeleien Demjenigen
einen blauen Dunst vorzumachen, den ihr Toren doch den Allwissenden nennt,
nicht anders, als wie man der Großen am bittersten spottet, wenn man ihnen
schmeichelt, dass sie die Schmeichler hassen; ihr pocht auf Ehrlichkeit und
exemplarischen Wandel, und der Gott, der euer Herz durchschaut, würde wider den
Schöpfer ergrimmen, wenn er nicht eben Der wäre, der das Ungeheuer am Nilus
erschaffen hat. - Schafft ihn aus meinen Augen!
PATER. Dass ein Bösewicht noch so
stolz sein kann!
MOOR. Nicht genug - Jetzt will er
stolz reden. Geh hin und sage dem hochlöblichen Gericht, das über Leben und Tod
würfelt - Ich bin kein Dieb, der sich mit Schlaf und Mitternacht verschwört und
auf der Leiter groß und herrisch tut - Was ich getan habe, werd ich ohne
Zweifel einmal im Schuldbuch des Himmels lesen; aber mit seinen erbärmlichen
Verwesern will ich kein Wort mehr verlieren. Sag ihnen, mein Handwerk ist Wiedervergeltung - Rache ist mein Gewerbe. (Er kehrt ihm den Rücken zu.)
PATER. Du willst also nicht
Schonung und Gnade? - Gut, mit dir bin ich fertig. (Wendet sich zu der Bande.)
So höret denn ihr, was die Gerechtigkeit euch durch mich zu wissen tut! - Werdet
ihr jetzt gleich diesen verurteilten Missetäter gebunden überliefern, seht, so
soll euch die Strafe eurer Gräuel bis auf das letzte Andenken erlassen sein -
die heilige Kirche wird euch verlorne Schafe mit erneuerter Liebe in ihren
Mutterschoß aufnehmen, und jedem unter euch soll der Weg zu einem Ehrenamt offen
stehn. (Mit triumphierendem Lächeln.) Nun, nun? Wie schmeckt das, Majestät? -
Frisch also! Bindet ihn, und seid frei!
MOOR. Hört ihrs auch? Hört ihr?
Was stutzt ihr? Was steht ihr verlegen da? Sie bietet euch Freiheit, und ihr
seid wirklich schon ihre Gefangenen. - Sie schenkt euch das Leben, und das ist
keine Prahlerei, denn ihr seid wahrhaftig gerichtet - Sie verheißt euch Ehren
und Ämter, und was kann euer Los anders sein, wenn ihr auch obsiegt, als
Schmach und Fluch und Verfolgung. - Sie kündigt euch Versöhnung vom Himmel an,
und ihr seid wirklich verdammt. Es ist kein Haar an keinem unter euch, das nicht
in die Hölle fährt. Überlegt ihr noch? Wankt ihr noch? Ist es so schwer,
zwischen Himmel und Hölle zu wählen? Helfen Sie doch, Herr Pater!
PATER (vor sich). Ist der Kerl
unsinnig? - (Laut.) Sorgt ihr etwa, dass dies eine Falle sei, euch lebendig zu
fangen? - Lest selbst, hier ist der Generalpardon unterschrieben. (Er gibt
Schweizern ein Papier.) Könnt ihr noch zweifeln?
MOOR. Seht doch, seht doch! Was
könnt ihr mehr verlangen? - Unterschrieben mit eigener Hand - es ist Gnade über
alle Grenzen - oder fürchtet ihr wohl, sie werden ihr Wort brechen, weil ihr
einmal gehört habt, dass man Verrätern nicht Wort hält? - O seid außer Furcht!
Schon die Politik könnte sie zwingen, Wort zu halten, wenn sie es auch dem Satan
gegeben hätten. Wer würde ihnen in Zukunft noch Glauben beimessen? Wie würden
sie je einen zweiten Gebrauch davon machen können? - Ich wollte drauf schwören,
sie meinens aufrichtig. Sie wissen, dass ich es bin, der euch empört und
erbittert hat; euch halten sie für unschuldig. Eure Verbrechen legen sie für
Jugendfehler, für Übereilungen aus. Mich allein wollen sie haben, ich allein
verdiene zu büßen. Ist es nicht so, Herr Pater?
PATER. Wie heißt der Teufel, der
aus ihm spricht? - Ja freilich, freilich ist es so - der Kerl macht mich
wirbeln.
MOOR. Wie, noch keine Antwort?
denkt ihr wohl gar mit den Waffen noch durchzureißen? Schaut doch um euch,
schaut doch um euch! das werdet ihr doch nicht denken, das wäre jetzt kindische
Zuversicht. - Oder schmeichelt ihr euch wohl gar, als Helden zu fallen, weil ihr
saht, dass ich mich aufs Getümmel freute? - Oh glaubt das nicht! Ihr seid nicht
Moor. - Ihr seid heillose Diebe! elende Werkzeuge meiner größeren Plane, wie der
Strick verächtlich in der Hand des Henkers! - Diebe können nicht fallen, wie
Helden fallen. Das Leben ist den Dieben Gewinn, dann kommt was Schreckliches
nach - Dieben haben das Recht, vor dem Tode zu zittern. - Höret, wie ihre Hörner
tönen! Sehet, wie drohend ihre Säbel daher blinken! Wie? noch unschlüssig? seid
ihr toll? seid ihr wahnwitzig? - Es ist unverzeihlich! Ich dank euch mein Leben
nicht, ich schäme mich eures Opfers!
PATER (äußerst erstaunt). Ich
werde unsinnig, ich laufe davon! Hat man je von so was gehört?
MOOR. Oder fürchtet ihr wohl, ich
werde mich selbst erstechen und durch einen Selbstmord den Vertrag zernichten,
der nur an dem Lebendigen haftet? Nein, Kinder, das ist eine unnütze Furcht.
Hier werf ich meinen Dolch weg, und meine Pistolen, und dies Fläschchen mit
Gift, das mir noch wohlkommen sollte - ich bin so elend, dass ich auch die
Herrschaft über mein Leben verloren habe - Was, noch unschlüssig? Oder glaubt
ihr vielleicht, ich werde mich zur Wehr setzen, wenn ihr mich binden wollt?
Seht! hier bind ich meine rechte Hand an diesen Eichenast, ich bin ganz
wehrlos, ein Kind kann mich umwerfen - Wer ist der erste, der seinen Hauptmann
in der Not verlässt?
ROLLER (in wilder Bewegung). Und
wenn die Hölle uns neunfach umzingelte! (Schwenkt seinen Degen.) Wer kein Hund
ist, rette den Hauptmann!
SCHWEIZER (zerreißt den Pardon
und wirft die Stücke dem Pater ins Gesicht). In unsern Kugeln Pardon! Fort,
Canaille, Sag dem Senat, der dich gesandt hat, du träfst unter Moors Bande
keinen einzigen Verräter an. - Rettet, rettet den Hauptmann!
ALLE (lärmen). Rettet, rettet,
rettet den Hauptmann!
MOOR (sich losreißend, freudig).
Jetzt sind wir frei - Kameraden! Ich fühle eine Armee in meiner Faust - Tod oder
Freiheit! Wenigstens sollen sie Keinen lebendig haben! (Man bläst zum Angriff.
Lärm und Getümmel. Sie gehen ab mit gezogenem Degen.)
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