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Szenenschema
• Szenenüberblick 4. Akt
• Text: Vierter Akt
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Gesamttext
/Recherche/Leseversion)
Vierter
Akt
Fünfte
Szene
Nahgelegener Wald.
Nacht. Ein altes verfallenes Schloss in der Mitte.
[4.5.1]
Die Räuberbande
gelagert auf der Erde.
DIE RÄUBER (singen)
Stehlen, morden, huren, balgen
Heißt bei uns nur die Zeit
zerstreun.
Morgen hangen wir am Galgen,
Drum Lasst uns heute lustig sein.
Ein freies Leben führen wir,
Ein Leben voller Wonne;
Der Wald ist unser Nachtquartier,
Bei Sturm und Wind hantieren wir,
Der Mond ist unsre Sonne,
Mercurius ist unser Mann,
Ders Praktizieren trefflich kann.
Heut laden wir bei Pfaffen uns ein,
Bei masten Pächtern morgen;
Was drüber ist, da lassen wir
fein
Den lieben Herrgott sorgen.
Und
haben wir im Traubensaft
Die Gurgel ausgebadet,
So machen wir uns Mut und Kraft
Und mit dem Schwarzen
Brüderschaft,
Der in der Hölle bratet.
Das
Wehgeheul geschlagner Väter,
Der bangen Mütter Klaggezeter,
Das Winseln der verlassnen Braut
Ist Schmaus für unsre
Trommelhaut!
Ha! wenn sie euch unter dem Beile so zucken,
Ausbrüllen wie Kälber, umfallen
wie Mucken,
Das kitzelt unsern Augenstern,
Das schmeichelt unsern Ohren
gern.
Und wenn mein Stündlein kommen nun,
Der Henker soll es holen!
So haben wir halt unsern Lohn
Und schmieren unsre Sohlen,
Ein Schlückchen auf den Weg vom
heißen Traubensohn,
Und hurra rax dax!
gehts, als
flögen wir davon.
SCHWEIZER. Es wird Nacht, und der
Hauptmann noch nicht da!
RAZMANN. Und versprach doch
Schlag acht Uhr wieder bei uns einzutreffen.
SCHWEIZER. Wenn ihm Leides
geschehen wäre - Kameraden! wir zünden an und morden den Säugling.
SPIEGELBERG (nimmt Razmann
beiseite). Auf ein Wort, Razmann.
SCHWARZ (zu Grimm). Wollen wir
nicht Spionen ausstellen?
GRIMM. Lass du ihn! Er wird einen
Fang tun, dass wir uns schämen müssen.
SCHWEIZER. Da brennst du dich,
beim Henker! Er ging nicht von uns wie einer, der einen Schelmenstreich im
Schild führt. Hast du vergessen, was er gesagt hat, als er uns über die Heide
führte? - »Wer nur eine Rübe vom Acker stiehlt, dass ichs erfahre, Lässt seinen
Kopf hier, so wahr ich Moor heiße.« - Wir dürfen nicht rauben.
RAZMANN (leise zu Spiegelberg).
Wo will das hinaus - rede deutscher!
SPIEGELBERG. Pst! Pst! - Ich weiß
nicht, was du oder ich für Begriffe von Freiheit haben, dass wir an einem Karrn
ziehen, wie Stiere, und dabei wunderviel von Independenz deklamieren - Es
gefällt mir nicht.
SCHWEIZER (zu Grimm). Was wohl
dieser Windkopf hier an der Kunkel hat?
RAZMANN (leise zu Spiegelberg).
Du sprichst vom Hauptmann? -
SPIEGELBERG. Pst doch! Pst! - Er
hat so feine Ohren unter uns herumlaufen - Hauptmann, sagst du? wer hat ihn zum
Hauptmann über uns gesetzt, oder hat er nicht diesen Titel usurpiert, der von
Rechtswegen mein ist? - Wie, legen wir darum unser Leben auf Würfel - baden
darum alle Milzsuchten des Schicksals aus, dass wir am Ende noch von Glück
sagen, die Leibeigenen eines Sklaven zu sein? - Leibeigene, da wir Fürsten sein
könnten? - Bei Gott! Razmann - das hat mir niemals gefallen.
SCHWEIZER (zu den andern). Ja -
du bist mir der rechte Held. - Frösche mit Steinen breit zu schmeißen - schon
der Klang seiner Nase, wenn er sich schnäuzte, könnte dich durch ein Nadelöhr
jagen -
SPIEGELBERG (zu Razmann). Ja -
und Jahre schon dicht ich darauf: es soll anders werden. Razmann - - wenn du
bist, wofür ich dich immer hielt - Razmann! man vermisst ihn - gibt ihn halb
verloren - Razmann, mich deucht, seine schwarze Stunde schlägt - Wie? nicht
einmal röter wirst du, da dir die Glocke zur Freiheit läutet? Hast nicht einmal
so viel Mut, einen kühnen Wink zu verstehen?
RAZMANN. Ha, Satan! worin
verstrickst du meine Seele?
SPIEGELBERG. Hats gefangen? -
Gut! so folge! Ich hab mirs gemerkt, wo er hinschlich - Komm! Zwei Pistolen
fehlen selten, und dann - so sind wir die Ersten, die den Säugling erdrosseln.
(Er will ihn fortreißen.)
SCHWEIZER (zieht wütend sein
Messer). Ha, Bestie! Eben recht erinnerst du mich an die böhmischen Wälder! -
Warst du nicht die Memme, die anhub zu schnadern, als sie riefen: der Feind
kommt? Ich hab damals bei meiner Seele geflucht - Fahr hin, Meuchelmörder! (Er
sticht ihn tot.)
[4.5.2] Räuber (in Bewegung). Mordjo!
Mordjo! - Schweizer - Spiegelberg - Reißt sie auseinander! -
SCHWEIZER (wirft das Messer über
ihn). Da! - und so krepier du - Ruhig, Kameraden - Lasst euch den Bettel nicht
unterbrechen - Die Bestie ist dem Hauptmann immer giftig gewesen und hat keine
Narbe auf ihrer ganzen Haut - Noch einmal, gebt euch zufrieden - Ha! über den
Racker - Von hinten her will er Männer zu Schanden schmeißen? Männer von hinten
her! - Ist uns darum der helle Schweiß über die Backen gelaufen, dass wir aus
der Welt schleichen wie Hundsfötter? Bestie du! Haben wir uns darum unter Feuer
und Rauch gebettet, dass wir zuletzt wie Ratten verrecken?
GRIMM. Aber zum Teufel - Kamerad
- was hattet ihr mit einander? - Der Hauptmann wird rasend werden.
SCHWEIZER. Dafür lass mich sorgen
- Und du, Heilloser (zu Razmann), du warst sein Helfershelfer, du! - Pack dich
aus meinen Augen - der Schufterle hat's auch so gemacht; aber dafür hängt er
jetzt auch in der Schweiz, wies ihm mein Hauptmann prophezeit hat - (Man
schießt.)
SCHWARZ (aufspringend). Horch,
ein Pistolenschuss! (Man schießt wieder.) Noch einer! Holla! der Hauptmann!
GRIMM. Nur Geduld! Er muss zum
dritten Mal schießen! (Man hört noch einen Schuss.)
SCHWARZ. Er ists! - ists -
Salvier dich, Schweizer - Lass uns ihm antworten! (Sie schießen.)
[4.5.3] (Moor. Kosinsky
treten auf.)
SCHWEIZER (ihnen entgegen). Sei
willkommen, mein Hauptmann - Ich bin ein bisschen vorlaut gewesen, seit du weg
bist. (Er führt ihn an die Leiche.) Sei du Richter zwischen mir und diesem - von
hinten hat er dich ermorden wollen.
RÄUBER (mit Bestürzung). Was? den
Hauptmann?
MOOR (in den Anblick versunken,
bricht heftig aus). O unbegreiflicher Finger der rachekundigen Nemesis! -
wars
nicht dieser, der mir das Sirenenlied trillerte? - Weihe dieses Messer der
dunklen Vergelterin! Das hast du nicht getan, Schweizer.
SCHWEIZER. Bei Gott! ich habs
wahrlich getan, und es ist beim Teufel nicht das Schlechtste, was ich in meinem
Leben getan habe. (Geht unwillig ab.)
[4.5.4]
MOOR (nachdenkend). Ich verstehe
- Lenker im Himmel - ich verstehe - die Blätter fallen von den Bäumen - und mein
Herbst ist kommen - Schafft mir diesen aus den Augen! (Spiegelbergs Leiche wird hinweggetragen.)
GRIMM. Gib uns Ordre, Hauptmann -
was sollen wir weiter tun?
MOOR. Bald - bald ist alles
erfüllet - Gebt mir meine Laute - Ich habe mich selbst verloren, seit ich dort
war - Mein Laute, sag ich - ich muss mich zurücklullen in meine Kraft -
verlasst mich!
Räuber. Es ist Mitternacht,
Hauptmann.
MOOR. Doch warens nur die Tränen
im Schauspielhaus - den Römergesang muss ich hören, dass mein schlafender Genius
wieder aufwacht - meine Laute her - Mitternacht, sagt ihr?
SCHWARZ. Wohl bald vorüber. Wie
Blei liegt der Schlaf in uns. Seit drei Tagen kein Auge zu.
MOOR. Sinkt denn der balsamische
Schlaf auch auf die Augen der Schelmen? Warum fliehet er mich? Ich bin nie ein
Feiger gewesen, oder ein schlechter Kerl - Legt euch schlafen - Morgen am Tag
gehen wir weiter.
RÄUBER. Gute Nacht, Hauptmann.
(Sie lagern sich auf der Erde und schlafen ein.)
(Tiefe Stille.)
[4.5.5] MOOR (nimmt die
Laute und spielt.)
Brutus.
Sei willkommen,
friedliches Gefilde,
Nimm den Letzten aller Römer auf!
Von Philippi, wo die Mordschlacht
brüllte,
Schleicht mein gramgebeugter
Lauf.
Cassius, wo bist du? - Rom
verloren!
Hingewürgt mein brüderliches
Heer,
Meine Zuflucht zu des Todes
Thoren!
Keine Welt für Brutus mehr.
Cäsar.
Wer, mit Schritten eines Nichtbesiegten,
Wandert dort vom Felsenhang? -
Ha! wenn meine Augen mir nicht
lügten,
Das ist eines Römers Gang. -
Tibersohn - von wannen deine
Reise?
Dauert noch die Siebenhügelstadt?
Oft geweinet hab ich um die
Waise,
dass sie nimmer einen Cäsar hat.
Brutus.
Ha! du mit der dreiundzwanzigfachen Wunde!
Wer rief, Toter, dich ans Licht?
Schaudre rückwärts zu des Orkus
Schlunde,
Stolzer Weiner! - Triumphiere
nicht!
Auf Philippis eisernem Altare
Raucht der Freiheit letztes
Opferblut;
Rom verröchelt über Brutus'
Bahre,
Brutus geht zu Minos - Kreuch in
deine Flut!
Cäsar.
O ein Todesstoß von Brutus' Schwerte!
Auch du - Brutus - du?
Sohn - es war dein Vater - Sohn -
die Erde
Wär gefallen dir als Erbe zu!
Geh - du bist der größte Römer
worden,
Da in Vaters Brust dein Eisen
drang.
Geh - und heul es bis zu jenen
Pforten:
Brutus ist der größte Römer
worden,
Da in Vaters Brust sein Eisen
drang,
Geh - du weißt nun, was an Lethes
Strande
Mich noch bannte -
Schwarzer Schiffer, stoß vom
Lande!
Brutus. Vater, halt! - Im ganzen Sonnenreiche
hab ich einen nur gekannt,
Der dem großen Cäsar gleiche;
Diesen einen hast du Sohn
genannt.
Nur ein Cäsar mochte Rom
verderben,
Nur nicht Brutus mochte Cäsar
stehn.
Brutus will Tyrannengut nicht
erben;
Wo ein Brutus lebt, muss Cäsar
sterben;
Geh du linkwärts, Lass mich
rechtwärts gehn.
(Er legt die Laute hin, geht tiefdenkend auf und nieder.)
Wer
mir Bürge wäre? - - es ist alles so finster - verworrene Labyrinthe - kein
Ausgang - kein leitendes Gestirn - wenns aus wäre mit diesem letzten Odemzug -
Aus, wie ein schales Marionettenspiel - Aber wofür der heiße Hunger nach
Glückseligkeit? Wofür das Ideal einer unerreichten Vollkommenheit? Das
Hinausschieben unvollendeter Plane? - Wenn der armselige Druck dieses armseligen
Dings (die Pistole vors Gesicht haltend) den Weisen dem Toren - den Feigen dem
Tapfern - den Edlen dem Schelmen gleich macht? - Es ist doch eine so göttliche
Harmonie in der seelenlosen Natur, warum sollte dieser Missklang in der
vernünftigen sein? - Nein, nein! es ist etwas mehr, denn ich bin noch nicht
glücklich gewesen. Glaubt ihr, ich werde zittern? Geister meiner Erwürgten! ich
werde nicht zittern. (Heftig zitternd.) - Euer banges Sterbegewinsel - euer schwarzgewürgtes Gesicht - eure fürchterlich klaffenden Wunden sind ja nur
Glieder einer unzerbrechlichen Kette des Schicksals und hängen zuletzt an meinen
Feierabenden, an den Launen meiner Ammen und Hofmeister, am Temperament meines
Vaters, am Blut meiner Mutter - (Von Schauer geschüttelt.) Warum hat mein Perillus einen Ochsen aus mir gemacht, dass die Menschheit in meinem glühenden
Bauche bratet? (Er setzt die Pistole an.) Zeit und Ewigkeit - gekettet an
einander durch ein einzig Moment! - Grauser Schlüssel, der das Gefängnis des
Lebens hinter mir schließt und vor mir aufriegelt die Behausung der ewigen Nacht
- sage mir - o sage mir - wohin - wohin wirst du mich führen? - Fremdes, nie
umsegeltes Land! - Siehe, die Menschheit erschlappt unter diesem Bilde, die
Spannkraft des Endlichen lässt nach, und die Phantasie, der mutwillige Affe der
Sinne, gaukelt unserer Leichtgläubigkeit seltsame Schatten vor - Nein! nein! Ein
Mann muss nicht straucheln - Sei, wie du willst, namenloses Jenseits - bleibt
mir nur dieses mein Selbst getreu - Sei, wie du willst, wenn ich nur mich selbst
mit hinübernehme - Außendinge sind nur der Anstrich des Manns - Ich bin mein
Himmel und meine Hölle.
Wenn du mir irgend einen eingeäscherten Weltkreis allein
ließest, den du aus deinen Augen verbannt hast, wo die einsame Nacht und die
ewige Wüste meine Aussichten sind? - Ich würde dann die schweigende Öde mit
meinen Phantasien bevölkern und hätte die Ewigkeit zur Muße, das verworrene Bild
des allgemeinen Elends zu zergliedern. - Oder willst du mich durch immer neue
Geburten und immer neue Schauplätze des Elends von Stufe zu Stufe - zur
Vernichtung - führen? Kann ich nicht die Lebensfäden, die mir jenseits gewoben
sind, so leicht zerreißen, wie diesen? - Du kannst mich zu nichts machen - Diese
Freiheit kannst du mir nicht nehmen. (Er lädt die Pistole. Plötzlich hält er
inne.) Und soll ich vor Furcht eines qualvollen Lebens sterben? - Soll ich dem
Elend den Sieg über mich einräumen? - Nein, ich wills dulden. (Er wirft die
Pistole weg.) Die Qual erlahme an meinem Stolz! Ich wills vollenden.
(Es wird
immer finsterer.)
[4.5.6]
(Hermann, der durch den Wald
kommt.)
HERMANN. Horch, horch! grausig
heulet der Kauz - zwölf schlägts drüben im Dorf - Wohl, wohl - das Bubenstück
schläft - in dieser Wilde kein Lauscher. (Tritt an das Schloss und pocht.) Komm
herauf, Jammermann, Turmbewohner! - Deine Mahlzeit ist bereitet.
MOOR (sachte zurücktretend). Was
soll das bedeuten?
EINE STIMME (aus dem Schloss).
Wer pocht da? Bist dus, Hermann, mein Rabe?
HERMANN. Bi's, Hermann, dein
Rabe. Steig herauf ans Gitter und iss. (Eulen schreien.) Fürchterlich trillern
deine Schlafkameraden, Alter - dir schmeckt?
DIE STIMME. Hungerte mich sehr.
Habe Dank, Rabensender, fürs Brot in der Wüste! - Und wie gehts meinem lieben
Kind, Hermann?
HERMANN. Stille - Horch -
Geräusche wie von Schnarchenden! Hörst du nicht was?
STIMME. Wie? Hörst du etwas?
HERMANN. Den seufzenden Windlaut
durch die Ritzen des Turms - eine Nachtmusik, davon einem die Zähne klappern und
die Nägel blau werden - Horch, noch einmal - Immer ist mir, als hört ich ein
Schnarchen. - Du hast Gesellschaft, Alter - Huhuhu!
STIMME. Siehst du etwas?
HERMANN. Leb wohl - leb wohl -
Grausig ist diese Stätte - Steig ab ins Loch - droben dein Helfer, dein Rächer -
Verfluchter Sohn! - (Will fliehen.)
MOOR (mit Entsetzen
hervortretend). Steh!
HERMANN (schreiend). Oh mir!
MOOR. Steh, sag ich!
HERMANN. Weh! weh! weh! Nun ist
alles verraten!
MOOR. Steh! Rede! Wer bist du?
was hast du hier zu tun? Rede!
HERMANN. Erbarmen, o Erbarmen,
gestrenger Herr! - Nur ein Wort höret an, eh Ihr mich umbringt.
MOOR (indem er den Degen zieht).
Was werd ich hören?
HERMANN. Wohl habt Ihr mirs beim
Leben verboten - ich konnt' nicht anders - durft nicht anders - im Himmel ein
Gott - Euer leiblicher Vater dort -- mich jammerte sein - Stecht mich nieder!
MOOR. Hier steckt ein Geheimnis -
Heraus! Sprich! Ich will alles wissen.
DIE STIMME (aus dem Schloss).
Weh! Weh! Bist dus, Hermann, der da redet? Mit wem redst du, Hermann?
MOOR. Drunten noch jemand - Was
geht hier vor? (Läuft dem Turme zu.) Ists ein Gefangener, den die Menschen
abschüttelten? - Ich will seine Ketten lösen. - Stimme! noch einmal! Wo ist die
Türe?
HERMANN. O habt Barmherzigkeit,
Herr - dringt nicht weiter, Herr - geht aus Erbarmen vorüber! (Verrennt ihm den
Weg.)
MOOR. Vierfach geschlossen! - Weg
da - Es muss heraus - Jetzt zum ersten Mal komm mir zu Hilfe, Dieberei! (Er
nimmt Brechinstrumente und öffnet das Gittertor.
[4.5.7] Aus dem Grunde steigt ein
Alter, ausgemergelt wie ein Gerippe.)
DER ALTE. Erbarmen einem Elenden!
Erbarmen!
MOOR (springt erschrocken
zurück). Das ist meines Vaters Stimme!
DER ALTE MOOR. Habe Dank, o Gott!
Erschienen ist die Stunde der Erlösung.
MOOR. Geist des alten Moors! Was
hat dich beunruhigt in deinem Grab? Hast du eine Sünde in jene Welt geschleppt,
die dir den Eingang in die Pforten des Paradieses verrammelt? Ich will Messen
lesen lassen, den irrenden Geist in seine Heimat zu senden. Hast du das Gold der
Witwen und Waisen unter die Erde vergraben, das dich zu dieser mitternächtlichen
Stunde heulend herumtreibt? Ich will den unterirdischen Schatz aus den Klauen
des Zauberdrachen reißen, und wenn er tausend rote Flammen auf mich speit und
seine spitzen Zähne gegen meinen Degen bleckt, - oder kommst du, auf meine
Fragen die Rätsel der Ewigkeit zu entfalten? Rede, rede! ich bin der Mann der
bleichen Furcht nicht.
DER ALTE MOOR. Ich bin kein
Geist. Taste mich an, ich lebe, oh ein elendes, erbärmliches Leben!
MOOR. Was? Du bist nicht begraben
worden?
DER ALTE MOOR. Ich bin begraben
worden - das heißt: ein toter Hund liegt in meiner Väter Gruft; und ich - drei
volle Monde schmacht ich schon in diesem finstern unterirdischen Gewölbe, von
keinem Strahle beschienen, von keinem warmen Lüftchen angeweht, von keinem
Freunde besucht, wo wilde Raben krächzen und mitternächtliche Uhus heulen. -
MOOR. Himmel und Erde! Wer hat
Das getan?
DER ALTE MOOR. Verfluch ihn
nicht! - Das hat mein Sohn Franz getan.
MOOR. Franz? Franz? Oh ewiges
Chaos!
DER ALTE MOOR. Wenn du ein Mensch
bist und ein menschliches Herz hast, Erlöser, den ich nicht kenne, o so höre den
Jammer eines Vaters, den ihm seine Söhne bereitet haben - drei Monden schon hab
ichs tauben Felsenwänden zugewinselt, aber ein hohler Widerhall äffte meine
Klagen nur nach. Darum, wenn du ein Mensch bist und ein menschliches Herz hast -
MOOR. Diese Aufforderung könnte
die wilden Bestien aus ihren Löchern hervorrufen.
DER ALTE MOOR. Ich lag eben auf
dem Siechbett, hatte kaum angefangen, aus einer schweren Krankheit etwas Kräfte
zu sammeln, so führte man einen Mann zu mir, der vorgab, mein Erstgeborener sei
gestorben in der Schlacht, und mit sich brachte ein Schwert, gefärbt mit seinem
Blut, und sein letztes Lebewohl, und dass ihn mein Fluch gejagt hätte in Kampf
und Tod und Verzweiflung.
MOOR (heftig von ihm abgewandt).
Es ist offenbar!
DER ALTE MOOR. Höre weiter! ich
ward ohnmächtig bei der Botschaft. Man muss mich für tot gehalten haben, denn
als ich wieder zu mir selber kam, lag ich schon in der Bahre, und ins
Leichentuch gewickelt wie ein Toter. Ich kratzte an dem Deckel der Bahre. Er
ward aufgetan. Es war finstere Nacht, mein Sohn Franz stand vor mir. - Was? rief
er mit entsetzlicher Stimme, willst du denn ewig leben? - und gleich flog der
Sargdeckel wieder zu. Der Donner dieser Worte hatte mich meiner Sinne beraubt;
als ich wieder erwachte, fühlt ich den Sarg erhoben und fortgeführt in einem
Wagen eine halbe Stunde lang. Endlich ward er geöffnet - ich stand am Eingang
dieses Gewölbes, mein Sohn vor mir, und der Mann, der mir das blutige Schwert
von Karln gebracht hatte - zehnmal umfasst ich seine Knie und bat und flehte,
und umfasste sie und beschwur - das Flehen seines Vaters reichte nicht an sein
Herz - Hinab mit dem Balg! donnerte es von seinem Munde, er hat genug gelebt,
und hinab ward ich gestoßen ohn Erbarmen, und mein Sohn Franz schloss hinter
mir zu.
MOOR. Es ist nicht möglich, nicht
möglich! Ihr müsst Euch geirrt haben.
DER ALTE MOOR. Ich kann nicht
geirrt haben. Höre weiter, aber zürne doch nicht! So lag ich zwanzig Stunden,
und kein Mensch gedachte meiner Not. Auch hat keines Menschen Fußtritt je diese
Einöde betreten, denn die allgemeine Sage geht, dass die Gespenster meiner Väter
in diesen Ruinen rasselnde Ketten schleifen und in mitternächtlicher Stunde ihr
Totenlied raunen. Endlich hörte ich die Türe wieder aufgehen, dieser Mann
brachte mir Brot und Wasser und entdeckte mir, wie ich zum Tod des Hungers
verurteilt gewesen, und wie er sein Leben in Gefahr setze, wenn es herauskäm,
dass er mich speise. So ward ich kümmerlich erhalten diese lange Zeit, aber der
unaufhörliche Frost - die faule Luft meines Unrats - der grenzenlose Kummer -
meine Kräfte wichen, mein Leib schwand; tausendmal bat ich Gott mit Tränen um
den Tod, aber das Maß meiner Strafe muss noch nicht gefüllet sein - oder muss
noch irgend eine Freude meiner warten, dass ich so wunderbarlich erhalten bin.
Aber ich leide gerecht - Mein Karl! Mein Karl! - und er hatte noch keine grauen
Haare.
MOOR. Es ist genug. Auf! Ihr
Klötze, ihr Eisklumpen! ihr trägen, fühllosen Schläfer! Auf! will keiner
erwachen? [4.5.8] (Er tut eine Pistolschuss über die schlafenden Räuber.)
DIE RÄUBER (aufgejagt). He,
holla! holla! was gibts da?
MOOR. Hat euch die Geschichte
nicht aus dem Schlummer gerüttelt? Der ewige Schlaf würde wach worden sein!
Schaut her, schaut her! Die Gesetze der Welt sind Würfelspiel worden, das Band
der Natur ist entzwei, die alte Zwietracht ist los, der Sohn hat seinen Vater
erschlagen.
DIE RÄUBER. Was sagt der
Hauptmann?
MOOR. Nein, nicht erschlagen! das
Wort ist Beschönigung! - der Sohn hat den Vater tausendmal gerädert, gespießt,
gefoltert, geschunden! die Worte sind mir zu menschlich - worüber die Sünde rot
wird, worüber der Kannibale schaudert, worauf seit Äonen kein Teufel gekommen
ist. - Der Sohn hat seinen eigenen Vater - oh seht her, seht her, er ist in
Ohnmacht gesunken, - in dieses Gewölbe hat der Sohn seinen Vater - Frost, -
Blöße, - Hunger, - Durst - oh seht doch, seht doch! - es ist mein eigner Vater,
ich wills nur gestehn.
DIE RÄUBER (springen herbei und
umringen den Alten). Dein Vater? dein Vater?
SCHWEIZER (tritt ehrerbietig
näher, fällt vor ihm nieder). Vater meines Hauptmanns! Ich küsse dir die Füße!
du hast über meinen Dolch zu befehlen.
MOOR. Rache, Rache, Rache dir!
grimmig beleidigter, entheiligter Greis! So zerreiß ich von nun an auf ewig das
brüderliche Band. (Er zerreißt sein Kleid von oben bis unten.) So verfluch ich
jeden Tropfen brüderlichen Bluts im Antlitz des offenen Himmels! Höre mich, Mond
und Gestirne! Höre mich, mitternächtlicher Himmel, der du auf die Schandtat
herunterblicktest! Höre mich, dreimal schrecklicher Gott, der da oben über dem
Monde waltet, und rächt und verdammt über den Sternen, und feuerflammt über der
Nacht! Hier knie ich - hier streck ich empor die drei Finger in die Schauer
der Nacht - hier schwör ich, und so speie die Natur mich aus ihren Grenzen wie
eine bösartige Bestie aus, wenn ich diesen Schwur verletze, schwör ich, das
Licht des Tages nicht mehr zu grüßen, bis des Vatermörders Blut, vor diesem
Steine verschüttet, gegen die Sonne dampft. (Er steht auf.)
DIE RÄUBER. Es ist ein
Belialsstreich! Sag einer, wir seinen Schelmen! Nein, bei allen Drachen! So
bunt haben wirs nie gemacht.
MOOR. Ja, und bei allen
schrecklichen Seufzern derer, die jemals durch eure Dolche starben, derer, die
meine Flamme fraß und mein fallender Turm zermalmte, - eh soll kein Gedanke von
Mord oder Raub Platz finden in eurer Brust, bis euer aller Kleider von des
Verruchten Blut scharlachrot gezeichnet sind - das hat euch wohl niemals
geträumt, dass ihr der Arm höherer Majestäten seid? Der verworrene Knäuel unsers
Schicksals ist aufgelöst! Heute, heute hat eine unsichtbare Macht unser Handwerk
geadelt! Betet an vor dem, der euch dies erhabene Los gesprochen, der euch
hieher geführt, der euch gewürdigt hat, die schrecklichen Engel seines finstern
Gerichtes zu sein! Entblößet eure Häupter! Kniet hin in den Staub und stehet geheiliget auf! (Sie knien.)
SCHWEIZER. Gebeut, Hauptmann! was
sollen wir tun?
MOOR. Steh auf, Schweizer, und
rühre diese heiligen Locken an! (Er führt ihn zu seinem Vater und gibt ihm eine
Locke in die Hand.) Du weißt noch, wie du einstmals jenem böhmischen Reiter den
Kopf spaltetest, da er eben den Säbel über mich zuckte und ich atemlos und
erschöpft von der Arbeit in die Knie gesunken war? Dazumal verhieß ich dir eine
Belohnung, die königlich wäre; ich konnte diese Schuld bisher niemals bezahlen -
SCHWEIZER. Das schwurst du mir,
es ist wahr, aber lass mich dich ewig meinen Schuldner nennen!
MOOR. Nein, jetzt will ich
bezahlen. Schweizer, so ist noch kein Sterblicher geehrt worden, wie du! - Räche
meinen Vater! (Schweizer steht auf.)
SCHWEIZER. Großer Hauptmann! Heut
hast du mich zum ersten Mal stolz gemacht! - Gebeut, wo, wie, wann soll ich ihn
schlagen?
MOOR. Die Minuten sind geweiht,
du musst eilends gehn - lies dir die Würdigsten aus der Bande und führe sie
gerade nach des Edelmanns Schloss! Zerr ihn aus dem Bette, wenn er schläft oder
in den Armen der Wollust liegt, schlepp ihn vom Mahle weg, wenn er besoffen
ist, reiß ihn vom Kruzifix, wenn er betend vor ihm auf den Knien liegt! Aber ich
sage dir, ich schärf es dir hart ein, liefr' ihn mir nicht tot! Dessen Fleisch
will ich in Stücken reißen und hungrigen Geiern zur Speise geben, der ihm nur
die Haut ritzt oder ein Haar kränkt! Ganz muss ich ihn haben, und wenn du ihn
ganz und lebendig bringst, so sollst du eine Million zur Belohnung haben, ich
will sie einem Könige mit Gefahr meines Lebens stehlen, und du sollst frei
ausgehn wie die weite Luft - Hast du mich verstanden, so eile davon!
SCHWEIZER. Genug, Hauptmann! -
hier hast du meine Hand darauf: Entweder du siehst zwei zurückkommen, oder gar
keinen. Schweizers Würgengel, kommt!
(Ab mit einem Geschwader.)
[4.5.9] MOOR. Ihr übrigen zerstreut euch
im Wald - Ich bleibe.
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Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
14.11.2023