|
Erste Szene
Ländliche
Gegend um das Moorische Schloss.
Räuber Moor.
Kosinsky in der Ferne.
MOOR. Geh voran und melde mich.
Du weißt doch noch alles, es du sprechen musst?
KOSINSKY. Ihr seid der Graf von
Brand, kommt aus Mecklenburg, ich Euer Reitknecht - Sorgt nicht, ich will meine
Rolle schon spielen. Lebt wohl! (Ab.)
MOOR. Sei mir gegrüßt,
Vaterlandserde! (Er küsst die Erde.) Vaterlandshimmel! Vaterlandssonne! -
und Fluren und Hügel und Ströme und Wälder! seid alle, alle mir herzlich
gegrüßt! - Wie so köstlich wehet die Luft von meinen Heimatgebirgen! wie strömt
balsamische Wonne aus euch dem armen Flüchtling entgegen! - Elysium!
dichterische Welt! Halt ein, Moor! dein Fuß wandelt in einem heiligen Tempel. (Er
kommt näher.) Sieh da, auch die Schwalbennester im Schlosshof - auch das
Gartentürchen! - und diese Ecke am Zaun, wo du so oft den Fanger belauschtest
und necktest - und dort unten das Wiesental, wo du, der Held Alexander, deine
Mazedonier ins Treffen bei Arbela führtest, und nebendran der grasige Hügel, von
welchem du den persischen Satrapen niederwarfst - und deine siegende Fahne
flatterte hoch! (Er lächelt.) Die goldnen Maienjahre der Knabenzeit leben
wieder auf in der Seele des Elenden - da warst du so glücklich, warst so ganz,
so wolkenlos heiter - und nun - da liegen die Trümmer deiner Entwürfe! Hier
solltest du wandeln dereinst, ein großer, stattlicher, gepriesener Mann - hier
dein Knabenleben in Amalias blühenden Kindern zum zweiten Mal leben - hier! hier
der Abgott deines Volks - aber der böse Feind schmollte dazu! (Er fährt auf.)
Warum bin ich hieher gekommen? dass mirs ginge wie dem Gefangenen, den der
klirrende Eisenring aus Träumen der Freiheit aufjagt? - nein, ich gehe in mein
Elend zurück! - Der Gefangene hatte das Licht vergessen, aber der Traum der
Freiheit fuhr über ihm wie ein Blitz in die Nacht, der sie finsterer zurücklässt
- Lebt wohl, ihr Vaterlandstäler! einst saht ihr den Knaben Karl, und der Knabe
Karl war ein glücklicher Knabe - jetzt saht ihr den Mann, und er war in
Verzweiflung. (Er dreht sich schnell nach dem äußersten Ende der Gegend,
allwo er plötzlich stille steht und nach dem Schloss mit Wehmut herüber blickt.)
Sie nicht sehen, nicht einen Blick? - und nur eine Mauer gewesen zwischen mir
und Amalia - Nein! sehen muss und sie - muss ich ihn - es soll mich zermalmen! (Er
kehrt um.) Vater! Vater! dein Sohn naht - weg mit dir, schwarzes, rauchendes
Blut! weg, hohler, grasser, zuckender Todesblick! Nur diese Stunde lass
mir frei - Amalia! Vater! dein Karl naht! (Er geht schnell auf das Schloss
zu.) - Quäle mich, wenn der Tag erwacht, lass nicht ab von mir, wenn die
Nacht kommt - quäle mich in schrecklichen Träumen! nur vergifte mir diese
einzige Wollust nicht! (Er steht an der Pforte.) Wie wird mir? was ist
das, Moor? Sei ein Mann! - - Todesschauer - - Schreckenahnung - - (Er geht
hinein.)
Zweite Szene
Galerie im
Schloss.
Räuber Moor.
Amalia treten auf.
AMALIA. Und getrauten Sie sich
wohl, sein Bildnis unter diesen Gemälden zu erkennen?
MOOR. O ganz gewiss. Sein Bild
war immer lebendig in mir. (An den Gemälden herumgehend.) Dieser ists nicht.
AMALIA. Erraten! - Er war der
Stammvater des gräflichen Hauses und erhielt den Adel von Barbarossa, dem er
wider die Seeräuber diente.
MOOR (immer an den Gemälden).
Dieser ists auch nicht - auch Der nicht - auch nicht Jener dort - er ist nicht
unter ihnen.
AMALIA. Wie? Sehen Sie doch
besser! ich dachte, Sie kennten ihn -
MOOR. Ich kenne meinen Vater
nicht besser! Ihm fehlt der sanftmütige Zug um den Mund, der ihn aus Tausenden
kenntlich machte - er ists nicht.
AMALIA. Ich erstaune. Wie?
Achtzehn Jahre nicht gesehen, und noch -
MOOR (schnell mit einer
fliegenden Röte). Dieser ists! (Er steht wie vom Blitz gerührt.)
AMALIA. Ein vortrefflicher Mann!
MOOR (in seinem Anblick
versunken). Vater, Vater! vergib mir! - Ja, ein vortrefflicher Mann! - (Er
wischt sich die Augen.) Ein göttlicher Mann!
AMALIA. Sie scheinen viel Anteil
an ihm zu nehmen.
MOOR. Oh ein vortrefflicher Mann
- und er sollte dahin sein?
AMALIA. Dahin! wie unsere besten
Freuden dahin gehn - (Sanft seine Hand ergreifend.) Lieber Herr Graf, es reift
keine Seligkeit unter dem Monde.
MOOR. Sehr wahr, sehr wahr - und
sollten Sie schon diese traurige Erfahrung gemacht haben? Sie können nicht
dreiundzwanzig Jahre alt sein.
AMALIA. Und habe sie gemacht.
Alles lebt, um traurig wieder zu sterben. Wir interessieren und nur darum, wir
gewinnen nur darum, dass wir wieder mit Schmerzen verlieren.
MOOR. Sie verloren schon etwas?
AMALIA. Nichts! Alles! Nichts -
wollen wir weiter gehen, Herr Graf?
MOOR. So eilig? Wes ist dies Bild
rechter Hand dort? mich deucht, es ist eine unglückliche Physiognomie.
AMALIA. Dies Bild linker Hand ist
der Sohn des Grafen, der wirkliche Herr - Kommen Sie, kommen Sie!
MOOR. Aber dies Bild rechter
Hand?
AMALIA. Sie wollen nicht in den
Garten gehn?
MOOR. Aber dies Bild rechter
Hand? - Du weinst, Amalia?
AMALIA (schnell ab).
MOOR. Sie liebt mich! sie liebt
mich! - Ihr ganzes Wesen fing an, sich zu empören, verräterisch rollten die
Tränen von ihren Wangen. Sie liebt mich! - Elender, das verdientest du um sie!
Steh' ich nicht hier wie ein Gerichteter vor dem tödlichen Block? Ist das der
Sofa, wo ich an ihrem Halse in Wonne schwamm? Sind das die väterlichen Säle?
(Ergriffen vom Anblick seines Vaters.) Du, du - Feuerflammen aus deinem Auge -
Fluch, Fluch, Verwerfung! - Wo bin ich? Nacht vor meinen Augen - Schrecknisse
Gottes - Ich, ich hab ihn getötet! (Er rennt davon.)
FRANZ VON MOOR (in tiefen
Gedanken.) Weg mit diesem Bild! weg, feige Memme! Was zagst du, und vor wem?
ists mir nicht die wenigen Stunden, die der Graf in diesen Mauern wandelt, als
schlich' immer ein Spion der Hölle meinen Fersen nach - Ich sollt' ihn kennen!
Es ist so was Großes und Oft gesehenes in seinem wilden sonnenverbrannten
Gesicht, das mich beben macht - Auch Amalia ist nicht gleichgültig gegen ihn!
Lässt sie nicht so gierig schmachtende Blicke auf dem Kerl herumkreuzen, mit
denen sie doch gegen alle Welt sonst so geizig tut? Sah ichs nicht, wie sie ein
paar diebische Tränen in den Wein fallen ließ, den er hinter meinem Rücken so
hastig in sich schlürfte, als wenn er das Glas mit hineinziehen wollte? Ja, das
sah ich, durch den Spiegel sah ichs mit diesen meinen Augen. Holla, Franz! sieh
dich vor! dahinter steckt irgend ein verderbenschwangeres Ungeheuer! (Er
steht forschend dem Porträt Karls gegenüber.) Sein langer Gänsehals - seine
schwarzen, feuerwerfenden Augen, hm! hm! - sein finsteres überhangendes,
buschichtes Augenbraun. (Plötzlich zusammenfahrend.) - Schadenfrohe
Hölle! jagst du mir diese Ahnung ein? Es ist Karl! ja! jetzt werden mir
alle Züge wieder lebendig - Er ists! trutz seiner Larve! - Er ists - trutz
seiner Larve - Er ists - Tod und Verdammnis! (Auf und ab mit heftigen
Schritten.) hab ich darum meine Nächte verprasst, - darum Felsen
hinweggeräumt und Abgründe eben gemacht, - bin ich darum gegen alle Instinkte
der Menschheit rebellisch worden, dass mir zuletzt dieser unstete Landstreicher
durch meine künstlichsten Wirbel tölple - Sachte! nur sachte! - Es ist nur noch
Spielarbeit übrig - Bin ich doch ohnehin schon bis an die Ohren in Todsünden
gewatet, dass es Unsinn wäre, zurückzuschwimmen, wenn das Ufer schon so weit
hinten liegt - ans Umkehren ist doch nicht mehr zu gedenken - Die Gnade
selbst würde an den Bettelstab gebracht und die unendliche Erbarmung
bankrott werden, wenn sie für meine Schulden all gut sagen wollte - Also
vorwärts wie ein Mann - (Er schellt.) - Er versammle sich zu dem Geist
seines Vaters und komme! der Toten spott' ich. Daniel! he, Daniel! - Was giltst,
den haben sie auch schon gegen mich aufgewiegelt? Er sieht so geheimnisvoll. (Daniel
kommt.)
DANIEL. Was steht zu Befehl, mein
Gebieter?
FRANZ. Nichts. Fort, fülle diesen
Becher Wein, aber hurtig! (Daniel ab.) Wart, Alter! dich will ich fangen, ins
Auge will ich dich fassen, so starr, dass dein getroffenes Gewissen durch die
Larve erblassen soll! - Er soll sterben! Der ist ein Stümper, der sein Werk nur
auf die Hälfte bringt und dann weggeht und müßig zugafft, wie es weiter damit
werden wird. Daniel mit Wein.
FRANZ. Stell' ihn hieher! Sieh
mir fest ins Auge! Wie deine Knie schlottern! wie du zitterst! Gesteh, Alter,
was hast du getan?
DANIEL. Nichts, gnädiger Herr, so
wahr Gott lebt und meine arme Seele.
FRANZ. Trink diesen Wein aus! -
Was? du zauderst? - Heraus, schnell! Was hast du in den Wein geworfen?
DANIEL. Hilf Gott! Was? Ich - in
den Wein?
FRANZ. Gift hast du in den Wein
geworfen! Bist du nicht bleich wie Schnee? Gesteh, gesteh! Wer hat's dir
gegeben? Nicht wahr, der Graf, der Graf hat dirs gegeben?
DANIEL. Der Graf? Jesus Maria!
Der Graf hat mir nichts gegeben.
FRANZ (greift ihn hart an). Ich
will dich würgen, dass du blau wirst, eisgrauer Lügner du! Nichts? Und was
staket ihr denn so beisammen? Er und du und Amalia? Und was flüstertet ihr immer
zusammen? Heraus damit! Was für Geheimnisse, was für Geheimnisse hat er dir
anvertraut?
DANIEL. Das weiß der allwissende
Gott. Er hat mir keine Geheimnisse anvertraut.
FRANZ. Willst du es leugnen? Was
für Kabalen habt ihr angezettelt, mich aus dem Weg zu räumen? Nicht wahr? Mich
im Schlaf zu erdrosseln? Mir beim Bartscheren die Gurgel abzuschneiden? Mir im
Wein oder im Schokolade zu vergeben? Heraus, heraus! - oder mir in der Suppe den
ewigen Schlaf zu geben? Heraus damit! ich weiß alles.
DANIEL. So helfe mir Gott, wenn
ich in Not bin, wie ich Euch jetzt nichts anders sage, als die reine lautere
Wahrheit.
FRANZ. Diesmal will ich dir
verzeihen. Aber gelt, er steckte dir gewiss Geld in deinen Beutel? Er drückte
dir die Hand stärker, als der Brauch ist? so ungefähr, wie man sie seinen alten
Bekannten zu drücken pflegt?
DANIEL. Niemals, mein Gebieter.
FRANZ. Er sagte dir, zum Exempel,
dass er dich etwa schon kenne? - dass du ihn fast kennen solltest? Dass dir
einmal die Decke von den Augen fallen würde - dass - was? Davon sollt' er dir
niemals gesagt haben?
DANIEL. Nicht das Mindeste.
FRANZ. Dass gewisse Umstände ihn
abhielten - dass man oft Masken nehmen müsse, um seinen Feinden zuzukönnen -
dass er sich rächen wolle, aufs grimmigste rächen wolle?
DANIEL. Nicht einen Laut von
Diesem allem.
FRANZ. Was? Gar nichts? Besinne
dich recht. - dass er den alten Herrn sehr genau - besonders genau gekannt -
dass er ihn liebe - ungemein liebe - wie ein Sohn liebe -
DANIEL. Etwas dergleichen
erinnere ich mich von ihm gehört zu haben.
FRANZ (blass). Hat er, hat er
wirklich? Wie, so lass mich doch hören! Er sagte, er sei mein Bruder?
DANIEL (betroffen). Was, mein
Gebieter? - Nein, das sagte er nicht. Aber wie ihn das Fräulein in der Galerie
herumführte, ich putzte eben den Staub von den Rahmen der Gemälde ab, stand er
bei dem Porträt des seligen Herrn plötzlich still, wie vom Donner gerührt. Das
gnädige Fräulein deutete darauf hin und sagte: ein vortrefflicher Mann! Ja, ein
vortrefflicher Mann! gab er zur Antwort, indem er sich die Augen wischte.
FRANZ. Höre, Daniel! Du weißt,
ich bin immer ein gütiger Herr gegen dich gewesen, ich hab dir Nahrung und
Kleider gegeben und dein schwaches Alter in allen Geschäften geschonet -
DANIEL. Dafür lohn Euch der
liebe Herrgott! und ich hab Euch immer redlich gedienet.
FRANZ. Das wollt ich eben sagen.
Du hast mir in deinem Leben noch keine Widerrede gegeben, denn du weißt gar zu
wohl, dass du mir Gehorsam schuldig bist in allem, was ich dich heiße.
DANIEL. In allem von ganzem
Herzen, wenn es nicht wider Gott und mein Gewissen geht.
FRANZ. Possen, Possen! Schämst du
dich nicht? Ein alter Mann, und an das Weihnachtsmärchen zu glauben! Geh,
Daniel! das war ein dummer Gedanke. Ich bin ja Herr. Mich werden Gott und
Gewissen strafen, wenn es ja einen Gott und ein Gewissen gibt.
DANIEL (schlägt die Hände
zusammen). Barmherziger Himmel!
FRANZ. Bei deinem Gehorsam!
Verstehst du das Wort auch? Bei deinem Gehorsam befehl ich dir, morgen darf der
Graf nimmer unter den Lebendigen wandeln.
DANIEL. Hilf, heiliger Gott!
Weswegen?
FRANZ. Bei deinem blinden
Gehorsam! - und an dich werd ich mich halten.
DANIEL. An mich? Hilf, selige
Mutter Gottes! An mich? Was hab ich alter Mann denn Böses getan?
FRANZ. Hier ist nicht lang
Besinnszeit, dein Schicksal steht in meiner Hand. Willst du dein Leben im
tiefsten meiner Türme vollends ausschmachten, wo der Hunger dich zwingen wird,
deine eigenen Knochen abzunagen, und der brennende Durst, dein eigenes Wasser
wieder zu saufen? - Oder willst du lieber dein Brot essen in Frieden, und Ruhe
haben in deinem Alter?
DANIEL. Was, Herr? Fried und
Ruhe im Alter, und ein Totschläger?
FRANZ. Antwort auf meine Frage!
DANIEL. Meine grauen Haare, meine
grauen Haare!
FRANZ. Ja oder Nein!
DANIEL. Nein! - Gott erbarme sich
meiner!
FRANZ (im Begriff zu gehen). Gut,
du sollts nötig haben.
(Daniel hält ihn auf und fällt vor ihm nieder.)
DANIEL. Erbarmen, Herr! Erbarmen!
FRANZ. Ja oder Nein!
DANIEL. Gnädiger Herr, ich bin
heute einundsiebenzig Jahr alt, und hab Vater und Mutter geehret, und Niemand
meines Wissens um des Hellers Wert im Leben vervorteilt, und hab an meinem
Glauben gehalten treu und redlich, und hab in Eurem Hause gedient
vierundvierzig Jahr, und erwarte jetzt ein ruhig seliges Ende, ach, Herr, Herr!
(umfasst seine Knie heftig) und Ihr wollt mir den letzten Trost rauben im
Sterben, dass der Wurm des Gewissens mich um mein letztes Gebet bringe, dass ich
ein Gräuel vor Gott und Menschen schlafen gehen soll? Nein, nein, mein liebster
bester, liebster gnädiger Herr! Das wollt Ihr nicht, das könnt Ihr nicht wollen
von einem einundsiebenzigjährigen Manne.
FRANZ. Ja oder Nein! was soll das
Geplapper?
DANIEL. Ich will Euch von nun an
noch eifriger dienen, will meine dürren Sehnen in Eurem Dienst wie ein Taglöhner
abarbeiten, will früher aufstehen, will später mich niederlegen - ach, und will
Euch einschließen in mein Abend- und Morgengebet, und Gott wird das Gebet eines
alten Mannes nicht wegwerfen.
FRANZ. Gehorsam ist besser, denn
Opfer. Hast du je gehört, dass sich der Henker zierte, wenn er ein Urteil
vollstrecken sollte?
DANIEL. Ach ja wohl! aber eine
Unschuld erwürgen - einen -
FRANZ. Bin ich dir etwa
Rechenschaft schuldig? Darf das Beil den Henker fragen, warum dahin und nicht
dorthin? - Aber sieh, wie langmütig ich bin - ich biete dir eine Belohnung für
das, was du mir huldigtest.
DANIEL. Aber ich hoffte, ein
Christ bleiben zu dürfen, da ich Euch huldigte.
FRANZ. Keine Widerrede! Siehe,
ich gebe dir einen ganzen Tag noch Bedenkzeit! Überlege es nochmals. Glück und
Unglück - hörst du? verstehst du? das höchste Glück und das äußerste Unglück!
Ich will Wunder tun im Peinigen.
DANIEL (nach einigem Nachdenken).
Ich wills tun, morgen will ichs tun. (Ab.)
FRANZ. Die Versuchung ist stark,
und der war wohl nicht zum Märtyrer seines Glaubens geboren. - Wohl bekomms
denn, Herr Graf! Allem Ansehen nach werden Sie morgen Abend Ihre Henkermahlzeit
halten! - Es kommt alles nur darauf an, wie man davon denkt, und Der ist ein
Narr, der wider seine Vorteile denkt. Den Vater, der vielleicht eine Bouteille
Wein weiter getrunken hat, kommt der Kitzel an - und draus wird ein Mensch, und
der Mensch war gewiss das Letzte, woran bei der ganzen Herkulesarbeit gedacht
wird. Nun kommt mich eben auch der Kitzel an - und dran krepiert ein Mensch, und
gewiss ist hier mehr Verstand und Absichten, als dort bei seinem Entstehen war -
Hängt nicht das Dasein der meisten Menschen mehrenteils an der Hitze eines
Juliusmittags, oder am anziehenden Anblick eines Betttuchs, oder an der
wagrechten Lage einer schlafenden Küchengrazie, oder an einem ausgelöschten
Licht? - Ist die Geburt des Menschen das Werk einer viehischen Anwandlung, eines Ungefährs, wer sollte wegen der
Verneinung seiner Geburt sich einkommen lassen,
an ein bedeutendes Etwas zu denken? Verflucht sei die Torheit unserer Ammen und
Wärterinnen, die unsere Phantasie mit schrecklichen Märchen verderben und
grässliche Bilder von Strafgerichten in unser weiches Gehirnmark drücken, dass
unwillkürliche Schauder die Glieder des Mannes noch in frostige Angst rütteln,
unsere kühnste Entschlossenheit sperren, unsere erwachende Vernunft an Ketten
abergläubischer Finsternis legen - Mord! wie eine ganze Hölle von Furien um das
Wort flattert - die Natur vergaß einen Mann mehr zu machen - die Nabelschnur ist
nicht unterbunden worden - der Vater hat in der Hochzeitnacht glatten Leib
bekommen - und die ganze Schattenspielerei ist verschwunden. Es war etwas und
wird nichts - heißt es nicht eben so viel, als: es war nichts und wird nichts,
und um nichts wird kein Wort mehr gewechselt - der Mensch entsteht aus Morast,
und watet eine Weile im Morast, und macht Morast, und gärt wieder zusammen in
Morast, bis er zuletzt an den Schuhsohlen seines Urenkels unflätig anklebt. Das
ist das Ende vom Lied - der morastige Zirkel de menschlichen Bestimmung, und
somit - glückliche Reise, Herr Bruder! Der milzsüchtige, podagrische Moralist
von einem Gewissen mag runzligte Weiber aus Bordellen jagen und alte Wucherer
auf dem Todesbett foltern - bei mir wird er nimmermehr Audienz bekommen. (Er
geht ab.)
Dritte Szene
Anderes Zimmer im
Schloss.
Räuber Moor von der einen, Daniel von der andern.
MOOR (hastig). Wo ist das
Fräulein?
DANIEL. Gnädiger Herr! Erlaubt
einem armen Mann, Euch um etwas zu bitten.
MOOR. Es ist dir gewährt, was
willst du?
DANIEL. Nicht viel und alles, so
wenig und doch so viel - Lasst mich Eure Hand küssen!
MOOR. Das sollst du nicht, guter
Alter! (umarmt ihn) den ich Vater nennen möchte.
DANIEL. Eure Hand, Eure Hand! ich
bitt Euch.
MOOR. Du sollst nicht.
DANIEL. Ich muss! (Er greift sie,
betrachtet sie schnell und fällt vor ihm nieder.) Lieber, bester Karl!
MOOR (erschrickt, fasst sich,
fremd). Freund, was sagst du? Ich verstehe dich nicht.
DANIEL. Ja, leugnet es nur,
verstellt Euch! Schön, schön! Ihr seid immer mein bester, köstlicher Junker -
Lieber Gott, dass ich alter Mann noch die Freude - dummer Tölpel ich, dass ich
Euch nicht gleich - Ei du himmlischer Vater! So seid Ihr ja wiedergekommen, und
der alte Herr ist unterm Boden, und da seid Ihr ja wieder - was für ein blinder
Esel ich doch war (sich vor den Kopf schlagend), dass ich Euch nicht im ersten
Hui - Ei du mein! wer hätte sich das träumen lassen! - Um was ich mit Tränen
betete, - Jesus Christus! Da steht er ja leibhaftig wieder in der alten Stube!
MOOR. Was ist das für eine
Sprache? Seid Ihr vom hitzigen Fieber aufgesprungen? oder wollt Ihr eine
Komödienrolle an mir probieren?
DANIEL. Ei pfui doch, pfui doch!
Das ist nicht fein, einen alten Knecht so zum Besten haben - Diese Narbe! He,
wisst Ihr noch? - Großer Gott! Was Ihr mir da für Angst einjagtet - ich hab
Euch immer so lieb gehabt, und was Ihr mir da für Herzeleid hättet anrichten
können - Ihr saßt mir im Schoß - wisst Ihr noch? - dort in der runden Stube -
gelt, Vogel! Das habt Ihr freilich vergessen - auch den Kuckuck, den Ihr so gern
hörtet - denkt doch! der Kuckuck ist zerschlagen, in Grundsboden geschlagen -
die alte Susel hat ihn verwettert, wie sie die Stube fegte - ja freilich, und da
saßt Ihr mir im Schoß und rieft: Hotto! und ich lief fort, Euch den Hottogaul zu
holen - Jesus Gott! warum musst ich alter Esel auch fortlaufen? - und wie mirs
siedigheiß über den Buckel lief - wie ich das Zetergeschrei höre draußen im
Öhrn, spring herein, und da lief das helle Blut, und laget am Boden, und hattet
- heilige Mutter Gottes! war mirs nicht, als wenn mir ein Kübel eiskalt Wasser
übern Nacken spritzte - aber so gehts, wenn man nicht alle Augen auf die Kinder
hat. Großer Gott, wenns ins Aug gegangen wäre - Wars dazu noch die rechte
Hand. Mein Lebenstag, sagt ich, soll mir kein Kind mehr ein Messer oder eine
Schere, oder so was Spitziges, sagt ich - in die Hände kriegen, sagt ich - war
zum Glück noch Herr und Frau verreiset - ja, ja, das soll mir mein Tag des
Lebens eine Warnung sein, sagt ich - Jemini, Jemini! ich hätte vom Dienst
kommen können, ich hätte - Gott der Herr verzeihs Euch, gottloses Kind - aber
gottlob! es heilte glücklich, bis auf die wüste Narbe.
MOOR. Ich begreife kein Wort von
allem, was du sagst.
DANIEL. Ja gelt, galt? Das war
noch eine Zeit? Wie manches Zuckerbrot, oder Biskuit, oder Makrone ich Euch hab
zugeschoben, hab Euch immer am gernsten gehabt, und wisst Ihr noch, was Ihr mir
drunten sagtet im Stall, wie ich Euch auf des alten Herrn seinen Schweißfuchsen
setzte und Euch auf der großen Wiese ließ herumjagen? Daniel, sagtet Ihr, lass
mich nur einen großen Mann werden, Daniel, so sollst du mein Verwalter sein und
mit mir in der Kutsche fahren, - ja, sagt ich und lachte, wenn Gott Leben und
Gesundheit schenkt, und Ihr Euch eines alten Mannes nicht schämen werdet, sagt
ich, so will ich Euch bitten, mir das Häuschen drunten im Dorf zu räumen, das
schon eine gute Weil leer steht, und da wollt ich mir ein Eimer zwanzig Wein
einlegen und wirtschaften in meinen alten Tagen. - Ja, lacht nur, lacht nur!
Gelt, junger Herr, das habt Ihr rein ausgeschwitzt? - den alten Mann will man
nicht kennen, da tut man so fremd, so fürnehm - o Ihr seid doch mein goldiger
Junker - freilich halt ein bisschen luker gewesen - nehmt mirs nicht übel! -
Wie's eben das junge Fleisch meistens ist - am Ende kann noch alles gut werden.
MOOR (fällt ihm um den Hals). Ja,
Daniel, ich wills nicht mehr verhehlen! Ich bin dein Karl, dein verlorner Karl!
Was macht meine Amalia?
DANIEL (fängt an zu weinen).
Dass
ich alter Sünder noch die Freude haben soll, - und der Herr selig weinte
umsonst! - Abe, abe, weißer Schädel! mürbe Knochen, fahret in die Grube mit
Freuden! Mein Herr und Meister lebt, ihn haben meine Augen gesehen!
MOOR. Und will halten, was er
versprochen hat, - nimm das, ehrlicher Graukopf, für den Schweißfuchsen im
Stall; (drängt ihm einen schweren Beutel auf) nicht vergessen hab ich den alten
Mann.
DANIEL. Wie? was treibt Ihr? Zu
viel, Ihr habt Euch vergriffen.
MOOR. Nicht vergriffen, Daniel!
(Daniel will niederfallen.) Steh auf! sage mir, was macht meine Amalia?
DANIEL. Gottes Lohn! Gottes Lohn!
Ei, Herr Jerem! - Eure Amalia, oh, die wirds nicht überleben, die wird sterben
vor Freude!
MOOR (heftig). Sie vergaß mich
nicht?
DANIEL. Vergessen? Wie schwätzt
Ihr wieder? Euch vergessen? - da hättet Ihr sollen dabei sein, hättets sollen
mit ansehen, wie sie sich gebärdete, als die Zeitung kam, Ihr wärt gestorben,
die der gnädige Herr ausstreuen ließ -
MOOR. Was sagst du? mein Bruder -
DANIEL. Ja, Euer Bruder, der
gnädige Herr, Euer Bruder - ich will Euch ein andermal mehr davon erzählen,
wenns Zeit dazu ist - und wie sauber sie ihm abkappte, wenn er ihr alle Tage,
die Gott schickt, seinen Antrag machte und sie zur gnädigen Frau machen wollte.
O ich muss hin, muss hin, ihr sagen, ihr die Botschaft bringen. (Will fort.)
MOOR. Halt, halt! sie darfs nicht
wissen, darfs niemand wissen, auch mein Bruder nicht. -
DANIEL. Euer Bruder? Nein,
beileibe nicht, er darfs nicht wissen! Er gar nicht! - Wenn er nicht schon mehr
weiß, als er wissen darf - Oh, ich sage Euch, es gibt garstige Menschen,
garstige Brüder, garstige Herren - aber ich möcht um alles Gold meines Herrn
willen kein garstiger Knecht sein - der gnädige Herr hielt Euch tot.
MOOR. Hm! was brummst du da?
DANIEL (leiser). Und wenn man
freilich so ungebeten aufersteht - Euer Bruder war des Herrn selig einziger Erbe
-
MOOR. Alter! - was murmelst du da
zwischen den Zähnen, als wenn irgend ein Ungeheuer von Geheimnis auf deiner
Zunge schwebte, das nicht heraus wollte und doch heraus sollte? Rede deutlicher!
DANIEL. Aber ich will lieber
meine alten Knochen abnagen vor Hunger, lieber vor Durst mein eigenes Wasser
saufen, als Wohlleben die Fülle verdienen mit einem Totschlag. (Schnell ab.)
MOOR (auffahrend aus einer schrecklichen Pause.) Betrogen, betrogen! da fährt es
über meine Seele wie der Blitz! - Spitzbübische Künste! Himmel und Hölle! Nicht
du, Vater! Spitzbübische Künste! Mörder, Räuber durch spitzbübische Künste!
Angeschwärzt von ihm! verfälscht, unterdrückt meine Briefe - voll Liebe sein
Herz - oh ich Ungeheuer von einem Toren - voll Liebe sein Vaterherz - oh
Schelmerei, Schelmerei! Es hätte mich einen Fußfall gekostet - es hätte mich
eine Träne gekostet - oh ich blöder, blöder, blöder Tor! (Wider die Wand
rennend). Ich hätte glücklich sein können - o Büberei, Büberei! das Glück meines
Lebens bübisch, bübisch hinwegbetrogen. (Er läuft wütend auf und nieder.)
Mörder, Räuber durch spitzbübische Künste! - Er grollte nicht einmal. Nicht ein
Gedanke von Fluch in seinem Herzen - Oh Bösewicht! unbegreiflicher,
schleichender, abscheulicher Bösewicht!
(Kosinsky kommt.)
KOSINSKY. Nun, Hauptmann, wo
steckst du? Was ists? Du willst noch länger hier bleiben, merk ich.
MOOR. Auf! Sattle die Pferde! Wir
müssen vor Sonnenuntergang noch über den Grenzen sein!
KOSINSKY. Du spaßest.
MOOR (befehlend). Hurtig, hurtig!
Zaudre nicht lang, Lass alles da! und dass kein Aug dich gewahr wird.
(Kosinsky
ab.)
MOOR. Ich fliehe aus diesen Mauern. Der geringste Verzug könnte mich wütig
machen, und er ist meines Vaters Sohn - Bruder, Bruder! du hast mich zum Elendesten auf Erden gemacht, ich habe dich niemals beleidigt, es war nicht
brüderlich gehandelt - Ernte die Früchte deiner Untat in Ruhe, meine Gegenwart
soll dir den Genuss nicht länger vergällen - aber gewiss, es war nicht brüderlich
gehandelt. Finsternis verlösche sie auf ewig, und der Tod rühre sie nicht auf.
(Kosinsky.)
KOSINSKY. Die Pferde stehn
gesattelt, Ihr könnt aufsitzen, wenn Ihr wollt.
MOOR. Presser, Presser! Warum so
eilig? Soll ich sie nicht mehr sehn?
KOSINSKY. Ich zäume gleich wieder
ab, wenn Ihrs haben wollt; Ihr hießt mich ja über Hals und Kopf eilen.
MOOR. Noch einmal! ein Lebewohl
noch! ich muss den Gifttrank dieser Seligkeit vollends ausschlürfen, und dann -
halt, Kosinsky! zehn Minuten noch - hinten am Schlosshof - und wir sprengen
davon!
Vierte Szene
Im Garten.
Amalia.
AMALIA. Du weinst, Amalia? - und
das sprach er mit einer Stimme! mit einer Stimme - mir wars, als ob die Natur
sich verjüngte - die genossenen Lenze der Liebe dämmerten auf mit der Stimme!
Die Nachtigall schlug wie damals - die Blumen hauchten wie damals - und ich lag
wonneberauscht an seinem Hals - Ha falsches, treuloses Herz! Wie du deinen
Meineid beschönigen willst! Nein, nein, weg aus meiner Seele, du Frevelbild! -
ich hab meinen Eid nicht gebrochen, du Einziger! Weg aus meiner Seele, ihr
verräterischen gottlosen Wünsche! im Herzen, wo Karl herrscht, darf kein
Erdensohn nisten. - Aber warum, meine Seele, so immer, so wider Willen nach
diesem Fremdling? Hängt er sich nicht so hart an das Bild meines Einzigen? Ist
er nicht der ewige Begleiter meines Einzigen? Du weinst, Amalia? - Ha ich will
ihn fliehen! - fliehen! - Nimmermehr sehen soll mein Aug diesen Fremdling!
(Räuber Moor öffnet die Gartentüre.)
AMALIA (fährt zusammen). Horch!
horch! Rauschte die Türe nicht? (Sie wird Karln gewahr und springt auf.) Er -
wohin? - was? - da hat michs angewurzelt, dass ich nicht fliehen kann - Verlass
mich nicht, Gott im Himmel! - Nein, du sollst mir meinen Karl nicht entreißen!
Meine Seele hat nicht Raum für zwei Gottheiten, und ich bin ein sterbliches
Mädchen! (Sie nimmt Karls Bild heraus.) Du, mein Karl, sei mein Genius wider
diesen Fremdling, den Liebestörer! dich, dich ansehen unverwandt, - und weg alle
gottlosen Blicke nach diesem. (Sie sitzt stumm - das Auge starr auf das Bild
geheftet.)
MOOR. Sie da, gnädiges Fräulein?
- und traurig? - und eine Träne auf diesem Gemälde? (Amalia gibt ihm keine
Antwort.) - Und wer ist der Glückliche, um den sich das Aug eines Engels
versilbert? darf auch ich diesen Verherrlichten - (Er will das Gemälde
betrachten.)
AMALIA. Nein, ja, nein!
MOOR (zurückfahrend). Ha! - und
verdient er diese Vergötterung? verdient er? -
AMALIA. Wenn Sie ihn gekannt
hätten!
MOOR. Ich würd ihn beneidet
haben.
AMALIA. Angebetet, wollen Sie
sagen.
MOOR. Ha!
AMALIA. Oh, Sie hätten ihn so
lieb gehabt - es war so viel, so viel in seinem Angesicht - in seinen Augen - im
Ton seiner Stimme, das Ihnen so gleich kommt - das ich so liebe -
MOOR (sieht zur Erde).
AMALIA. Hier, wo Sie stehen,
stand er tausendmal - und neben ihm die, die neben ihm Himmel und Erde vergaß -
hier durchirrte sein Aug die um ihn prangende Gegend - sie schien den großen
belohnenden Blick zu empfinden und sich unter dem Wohlgefallen ihres
Meisterbildes zu verschönern - hier hielt er mit himmlischer Musik die Hörer der
Lüfte gefangen - hier an diesem Busch pflückte er Rosen, und pflückte die Rosen
für mich - hier, hier lag er an meinem Halse, brannte sein Mund auf dem meinen,
und die Blumen starben gern unter der Liebenden Fußtritt -
MOOR. Er ist nicht mehr?
AMALIA. Er segelt auf ungestümen
Meeren - Amalias Liebe segelt mit ihm - er wandelt durch ungebahnte sandigte
Wüsten - Amalias Liebe macht den brennenden Sand unter ihm grünen und die wilden
Gesträuche blühen - der Mittag sengt sein entblößtes Haupt, nordischer Schnee
schrumpft seine Sohlen zusammen, stürmischer Hagel regnet um seine Schläfe, und
Amalias Liebe wiegt ihn in Stürmen ein - Meere und Berge und Horizonte zwischen
den Liebenden - aber die Seelen versetzen sich aus dem staubigten Kerker und
treffen sich im Paradiese der Liebe - Sie scheinen traurig, Herr Graf?
MOOR. Die Worte der Liebe machen
auch meine Liebe lebendig.
AMALIA (blass). Was? Sie lieben
eine andre? - Weh mir, was hab ich gesagt?
MOOR. Sie glaubte mich tot, und
blieb treu dem Totgeglaubten - sie hörte wieder, ich lebe, und opferte mir die
Krone einer Heiligen auf. Sie weiß mich in Wüsten irren und im Elend
herumschwärmen, und ihre Liebe fliegt durch Wüsten und Elend mir nach. Auch
heißt sie Amalia, wie Sie, gnädiges Fräulein.
AMALIA. Wie beneid ich Ihre
Amalia!
MOOR. Oh, sie ist ein
unglückliches Mädchen; ihre Liebe ist für einen, der verloren ist, und wird -
ewig niemals belohnt.
AMALIA. Nein, sie wird im Himmel
belohnt. Sagt man nicht, es gebe eine bessere Welt, wo die Traurigen sich freuen
und die Liebenden sich wieder erkennen?
MOOR. Ja, eine Welt, wo die
Schleier hinwegfallen und die Liebe sich schrecklich wieder findet - Ewigkeit
heißt ihr Name - meine Amalia ist ein unglückliches Mädchen.
AMALIA. Unglücklich, und Sie
lieben?
MOOR. Unglücklich, weil sie mich
liebt! Wie, wenn ich ein Totschläger wäre? wie, mein Fräulein, wenn Ihr
Geliebter Ihnen für jeden Kuss einen Mord aufzählen könnte? Wehe meiner Amalia!
sie ist ein unglückliches Mädchen.
AMALIA (froh aufhüpfend). Ha! wie
bin ich ein glückliches Mädchen! Mein Einziger ist Nachtstrahl der Gottheit, und
die Gottheit ist Huld und Erbarmen! Nicht eine Fliege konnt er leiden sehen -
Seine Seele ist so fern von einem blutigen Gedanken, als fern der Mittag von der
Mitternacht ist.
MOOR (kehrt sich schnell ab in
ein Gebüsch, blickt starr in die Gegend).
AMALIA (singt und spielt auf der
Laute).
Willst mich, Hektor, ewig mir entreißen,
Wo des Äaciden mordend Eisen
Dem Patroklus schrecklich Opfer
bringt?
Wer wird künftig deinen Kleinen
lehren
Speere werfen und die Götter
ehren,
Wenn hinunter dich der Xanthus
schlingt?
MOOR (nimmt die Laute
stillschweigend und spielt).
Teures Weib, geh, hol die Todeslanze! -
Lass - mich fort - zum wilden
Kriegestanze -
(Er wirft die Laute weg und flieht davon.)
Fünfte Szene
Nahgelegener Wald.
Nacht. Ein altes verfallenes Schloss in der Mitte.
Die Räuberbande
gelagert auf der Erde.
DIE RÄUBER (singen)
Stehlen, morden, huren, balgen
Heißt bei uns nur die Zeit
zerstreun.
Morgen hangen wir am Galgen,
Drum Lasst uns heute lustig sein.
Ein freies Leben führen wir,
Ein Leben voller Wonne;
Der Wald ist unser Nachtquartier,
Bei Sturm und Wind hantieren wir,
Der Mond ist unsre Sonne,
Mercurius ist unser Mann,
Ders Praktizieren trefflich kann.
Heut laden wir bei Pfaffen uns ein,
Bei masten Pächtern morgen;
Was drüber ist, da lassen wir
fein
Den lieben Herrgott sorgen.
Und
haben wir im Traubensaft
Die Gurgel ausgebadet,
So machen wir uns Mut und Kraft
Und mit dem Schwarzen
Brüderschaft,
Der in der Hölle bratet.
Das
Wehgeheul geschlagner Väter,
Der bangen Mütter Klaggezeter,
Das Winseln der verlassnen Braut
Ist Schmaus für unsre
Trommelhaut!
Ha! wenn sie euch unter dem Beile so zucken,
Ausbrüllen wie Kälber, umfallen
wie Mucken,
Das kitzelt unsern Augenstern,
Das schmeichelt unsern Ohren
gern.
Und wenn mein Stündlein kommen nun,
Der Henker soll es holen!
So haben wir halt unsern Lohn
Und schmieren unsre Sohlen,
Ein Schlückchen auf den Weg vom
heißen Traubensohn,
Und hurra rax dax!
gehts, als
flögen wir davon.
SCHWEIZER. Es wird Nacht, und der
Hauptmann noch nicht da!
RAZMANN. Und versprach doch
Schlag acht Uhr wieder bei uns einzutreffen.
SCHWEIZER. Wenn ihm Leides
geschehen wäre - Kameraden! wir zünden an und morden den Säugling.
SPIEGELBERG (nimmt Razmann
beiseite). Auf ein Wort, Razmann.
SCHWARZ (zu Grimm). Wollen wir
nicht Spionen ausstellen?
GRIMM. Lass du ihn! Er wird einen
Fang tun, dass wir uns schämen müssen.
SCHWEIZER. Da brennst du dich,
beim Henker! Er ging nicht von uns wie einer, der einen Schelmenstreich im
Schild führt. Hast du vergessen, was er gesagt hat, als er uns über die Heide
führte? - »Wer nur eine Rübe vom Acker stiehlt, dass ichs erfahre, Lässt seinen
Kopf hier, so wahr ich Moor heiße.« - Wir dürfen nicht rauben.
RAZMANN (leise zu Spiegelberg).
Wo will das hinaus - rede deutscher!
SPIEGELBERG. Pst! Pst! - Ich weiß
nicht, was du oder ich für Begriffe von Freiheit haben, dass wir an einem Karrn
ziehen, wie Stiere, und dabei wunderviel von Independenz deklamieren - Es
gefällt mir nicht.
SCHWEIZER (zu Grimm). Was wohl
dieser Windkopf hier an der Kunkel hat?
RAZMANN (leise zu Spiegelberg).
Du sprichst vom Hauptmann? -
SPIEGELBERG. Pst doch! Pst! - Er
hat so feine Ohren unter uns herumlaufen - Hauptmann, sagst du? wer hat ihn zum
Hauptmann über uns gesetzt, oder hat er nicht diesen Titel usurpiert, der von
Rechtswegen mein ist? - Wie, legen wir darum unser Leben auf Würfel - baden
darum alle Milzsuchten des Schicksals aus, dass wir am Ende noch von Glück
sagen, die Leibeigenen eines Sklaven zu sein? - Leibeigene, da wir Fürsten sein
könnten? - Bei Gott! Razmann - das hat mir niemals gefallen.
SCHWEIZER (zu den andern). Ja -
du bist mir der rechte Held. - Frösche mit Steinen breit zu schmeißen - schon
der Klang seiner Nase, wenn er sich schnäuzte, könnte dich durch ein Nadelöhr
jagen -
SPIEGELBERG (zu Razmann). Ja -
und Jahre schon dicht ich darauf: es soll anders werden. Razmann - - wenn du
bist, wofür ich dich immer hielt - Razmann! man vermisst ihn - gibt ihn halb
verloren - Razmann, mich deucht, seine schwarze Stunde schlägt - Wie? nicht
einmal röter wirst du, da dir die Glocke zur Freiheit läutet? Hast nicht einmal
so viel Mut, einen kühnen Wink zu verstehen?
RAZMANN. Ha, Satan! worin
verstrickst du meine Seele?
SPIEGELBERG. Hats gefangen? -
Gut! so folge! Ich hab mirs gemerkt, wo er hinschlich - Komm! Zwei Pistolen
fehlen selten, und dann - so sind wir die Ersten, die den Säugling erdrosseln.
(Er will ihn fortreißen.)
SCHWEIZER (zieht wütend sein
Messer). Ha, Bestie! Eben recht erinnerst du mich an die böhmischen Wälder! -
Warst du nicht die Memme, die anhub zu schnadern, als sie riefen: der Feind
kommt? Ich hab damals bei meiner Seele geflucht - Fahr hin, Meuchelmörder! (Er
sticht ihn tot.)
Räuber (in Bewegung). Mordjo!
Mordjo! - Schweizer - Spiegelberg - Reißt sie auseinander! -
SCHWEIZER (wirft das Messer über
ihn). Da! - und so krepier du - Ruhig, Kameraden - Lasst euch den Bettel nicht
unterbrechen - Die Bestie ist dem Hauptmann immer giftig gewesen und hat keine
Narbe auf ihrer ganzen Haut - Noch einmal, gebt euch zufrieden - Ha! über den
Racker - Von hinten her will er Männer zu Schanden schmeißen? Männer von hinten
her! - Ist uns darum der helle Schweiß über die Backen gelaufen, dass wir aus
der Welt schleichen wie Hundsfötter? Bestie du! Haben wir uns darum unter Feuer
und Rauch gebettet, dass wir zuletzt wie Ratten verrecken?
GRIMM. Aber zum Teufel - Kamerad
- was hattet ihr mit einander? - Der Hauptmann wird rasend werden.
SCHWEIZER. Dafür lass mich sorgen
- Und du, Heilloser (zu Razmann), du warst sein Helfershelfer, du! - Pack dich
aus meinen Augen - der Schufterle hat's auch so gemacht; aber dafür hängt er
jetzt auch in der Schweiz, wies ihm mein Hauptmann prophezeit hat - (Man
schießt.)
SCHWARZ (aufspringend). Horch,
ein Pistolenschuss! (Man schießt wieder.) Noch einer! Holla! der Hauptmann!
GRIMM. Nur Geduld! Er muss zum
dritten Mal schießen! (Man hört noch einen Schuss.)
SCHWARZ. Er ists! - ists -
Salvier dich, Schweizer - Lass uns ihm antworten! (Sie schießen.)
(Moor. Kosinsky
treten auf.)
SCHWEIZER (ihnen entgegen). Sei
willkommen, mein Hauptmann - Ich bin ein bisschen vorlaut gewesen, seit du weg
bist. (Er führt ihn an die Leiche.) Sei du Richter zwischen mir und diesem - von
hinten hat er dich ermorden wollen.
RÄUBER (mit Bestürzung). Was? den
Hauptmann?
MOOR (in den Anblick versunken,
bricht heftig aus). O unbegreiflicher Finger der rachekundigen Nemesis! -
wars
nicht dieser, der mir das Sirenenlied trillerte? - Weihe dieses Messer der
dunklen Vergelterin! Das hast du nicht getan, Schweizer.
SCHWEIZER. Bei Gott! ich habs
wahrlich getan, und es ist beim Teufel nicht das Schlechtste, was ich in meinem
Leben getan habe. (Geht unwillig ab.)
MOOR (nachdenkend). Ich verstehe
- Lenker im Himmel - ich verstehe - die Blätter fallen von den Bäumen - und mein
Herbst ist kommen - Schafft mir diesen aus den Augen! (Spiegelbergs Leiche wird hinweggetragen.)
GRIMM. Gib uns Ordre, Hauptmann -
was sollen wir weiter tun?
MOOR. Bald - bald ist alles
erfüllet - Gebt mir meine Laute - Ich habe mich selbst verloren, seit ich dort
war - Mein Laute, sag ich - ich muss mich zurücklullen in meine Kraft -
verlasst mich!
Räuber. Es ist Mitternacht,
Hauptmann.
MOOR. Doch warens nur die Tränen
im Schauspielhaus - den Römergesang muss ich hören, dass mein schlafender Genius
wieder aufwacht - meine Laute her - Mitternacht, sagt ihr?
SCHWARZ. Wohl bald vorüber. Wie
Blei liegt der Schlaf in uns. Seit drei Tagen kein Auge zu.
MOOR. Sinkt denn der balsamische
Schlaf auch auf die Augen der Schelmen? Warum fliehet er mich? Ich bin nie ein
Feiger gewesen, oder ein schlechter Kerl - Legt euch schlafen - Morgen am Tag
gehen wir weiter.
RÄUBER. Gute Nacht, Hauptmann.
(Sie lagern sich auf der Erde und schlafen ein.)
(Tiefe Stille.)
MOOR (nimmt die
Laute und spielt.)
Brutus.
Sei willkommen,
friedliches Gefilde,
Nimm den Letzten aller Römer auf!
Von Philippi, wo die Mordschlacht
brüllte,
Schleicht mein gramgebeugter
Lauf.
Cassius, wo bist du? - Rom
verloren!
Hingewürgt mein brüderliches
Heer,
Meine Zuflucht zu des Todes
Thoren!
Keine Welt für Brutus mehr.
Cäsar.
Wer, mit Schritten eines Nichtbesiegten,
Wandert dort vom Felsenhang? -
Ha! wenn meine Augen mir nicht
lügten,
Das ist eines Römers Gang. -
Tibersohn - von wannen deine
Reise?
Dauert noch die Siebenhügelstadt?
Oft geweinet hab ich um die
Waise,
dass sie nimmer einen Cäsar hat.
Brutus.
Ha! du mit der dreiundzwanzigfachen Wunde!
Wer rief, Toter, dich ans Licht?
Schaudre rückwärts zu des Orkus
Schlunde,
Stolzer Weiner! - Triumphiere
nicht!
Auf Philippis eisernem Altare
Raucht der Freiheit letztes
Opferblut;
Rom verröchelt über Brutus'
Bahre,
Brutus geht zu Minos - Kreuch in
deine Flut!
Cäsar.
O ein Todesstoß von Brutus' Schwerte!
Auch du - Brutus - du?
Sohn - es war dein Vater - Sohn -
die Erde
Wär gefallen dir als Erbe zu!
Geh - du bist der größte Römer
worden,
Da in Vaters Brust dein Eisen
drang.
Geh - und heul es bis zu jenen
Pforten:
Brutus ist der größte Römer
worden,
Da in Vaters Brust sein Eisen
drang,
Geh - du weißt nun, was an Lethes
Strande
Mich noch bannte -
Schwarzer Schiffer, stoß vom
Lande!
Brutus. Vater, halt! - Im ganzen Sonnenreiche
hab ich einen nur gekannt,
Der dem großen Cäsar gleiche;
Diesen einen hast du Sohn
genannt.
Nur ein Cäsar mochte Rom
verderben,
Nur nicht Brutus mochte Cäsar
stehn.
Brutus will Tyrannengut nicht
erben;
Wo ein Brutus lebt, muss Cäsar
sterben;
Geh du linkwärts, Lass mich
rechtwärts gehn.
(Er legt die Laute hin, geht tiefdenkend auf und nieder.)
Wer
mir Bürge wäre? - - es ist alles so finster - verworrene Labyrinthe - kein
Ausgang - kein leitendes Gestirn - wenns aus wäre mit diesem letzten Odemzug -
Aus, wie ein schales Marionettenspiel - Aber wofür der heiße Hunger nach
Glückseligkeit? Wofür das Ideal einer unerreichten Vollkommenheit? Das
Hinausschieben unvollendeter Plane? - Wenn der armselige Druck dieses armseligen
Dings (die Pistole vors Gesicht haltend) den Weisen dem Toren - den Feigen dem
Tapfern - den Edlen dem Schelmen gleich macht? - Es ist doch eine so göttliche
Harmonie in der seelenlosen Natur, warum sollte dieser Missklang in der
vernünftigen sein? - Nein, nein! es ist etwas mehr, denn ich bin noch nicht
glücklich gewesen. Glaubt ihr, ich werde zittern? Geister meiner Erwürgten! ich
werde nicht zittern. (Heftig zitternd.) - Euer banges Sterbegewinsel - euer schwarzgewürgtes Gesicht - eure fürchterlich klaffenden Wunden sind ja nur
Glieder einer unzerbrechlichen Kette des Schicksals und hängen zuletzt an meinen
Feierabenden, an den Launen meiner Ammen und Hofmeister, am Temperament meines
Vaters, am Blut meiner Mutter - (Von Schauer geschüttelt.) Warum hat mein Perillus einen Ochsen aus mir gemacht, dass die Menschheit in meinem glühenden
Bauche bratet? (Er setzt die Pistole an.) Zeit und Ewigkeit - gekettet an
einander durch ein einzig Moment! - Grauser Schlüssel, der das Gefängnis des
Lebens hinter mir schließt und vor mir aufriegelt die Behausung der ewigen Nacht
- sage mir - o sage mir - wohin - wohin wirst du mich führen? - Fremdes, nie
umsegeltes Land! - Siehe, die Menschheit erschlappt unter diesem Bilde, die
Spannkraft des Endlichen lässt nach, und die Phantasie, der mutwillige Affe der
Sinne, gaukelt unserer Leichtgläubigkeit seltsame Schatten vor - Nein! nein! Ein
Mann muss nicht straucheln - Sei, wie du willst, namenloses Jenseits - bleibt
mir nur dieses mein Selbst getreu - Sei, wie du willst, wenn ich nur mich selbst
mit hinübernehme - Außendinge sind nur der Anstrich des Manns - Ich bin mein
Himmel und meine Hölle.
Wenn du mir irgend einen eingeäscherten Weltkreis allein
ließest, den du aus deinen Augen verbannt hast, wo die einsame Nacht und die
ewige Wüste meine Aussichten sind? - Ich würde dann die schweigende Öde mit
meinen Phantasien bevölkern und hätte die Ewigkeit zur Muße, das verworrene Bild
des allgemeinen Elends zu zergliedern. - Oder willst du mich durch immer neue
Geburten und immer neue Schauplätze des Elends von Stufe zu Stufe - zur
Vernichtung - führen? Kann ich nicht die Lebensfäden, die mir jenseits gewoben
sind, so leicht zerreißen, wie diesen? - Du kannst mich zu nichts machen - Diese
Freiheit kannst du mir nicht nehmen. (Er lädt die Pistole. Plötzlich hält er
inne.) Und soll ich vor Furcht eines qualvollen Lebens sterben? - Soll ich dem
Elend den Sieg über mich einräumen? - Nein, ich wills dulden. (Er wirft die
Pistole weg.) Die Qual erlahme an meinem Stolz! Ich wills vollenden.
(Es wird
immer finsterer.)
(Hermann, der durch den Wald
kommt.)
HERMANN. Horch, horch! grausig
heulet der Kauz - zwölf schlägts drüben im Dorf - Wohl, wohl - das Bubenstück
schläft - in dieser Wilde kein Lauscher. (Tritt an das Schloss und pocht.) Komm
herauf, Jammermann, Turmbewohner! - Deine Mahlzeit ist bereitet.
MOOR (sachte zurücktretend). Was
soll das bedeuten?
EINE STIMME (aus dem Schloss).
Wer pocht da? Bist dus, Hermann, mein Rabe?
HERMANN. Bi's, Hermann, dein
Rabe. Steig herauf ans Gitter und iss. (Eulen schreien.) Fürchterlich trillern
deine Schlafkameraden, Alter - dir schmeckt?
DIE STIMME. Hungerte mich sehr.
Habe Dank, Rabensender, fürs Brot in der Wüste! - Und wie gehts meinem lieben
Kind, Hermann?
HERMANN. Stille - Horch -
Geräusche wie von Schnarchenden! Hörst du nicht was?
STIMME. Wie? Hörst du etwas?
HERMANN. Den seufzenden Windlaut
durch die Ritzen des Turms - eine Nachtmusik, davon einem die Zähne klappern und
die Nägel blau werden - Horch, noch einmal - Immer ist mir, als hört ich ein
Schnarchen. - Du hast Gesellschaft, Alter - Huhuhu!
STIMME. Siehst du etwas?
HERMANN. Leb wohl - leb wohl -
Grausig ist diese Stätte - Steig ab ins Loch - droben dein Helfer, dein Rächer -
Verfluchter Sohn! - (Will fliehen.)
MOOR (mit Entsetzen
hervortretend). Steh!
HERMANN (schreiend). Oh mir!
MOOR. Steh, sag ich!
HERMANN. Weh! weh! weh! Nun ist
alles verraten!
MOOR. Steh! Rede! Wer bist du?
was hast du hier zu tun? Rede!
HERMANN. Erbarmen, o Erbarmen,
gestrenger Herr! - Nur ein Wort höret an, eh Ihr mich umbringt.
MOOR (indem er den Degen zieht).
Was werd ich hören?
HERMANN. Wohl habt Ihr mirs beim
Leben verboten - ich konnt' nicht anders - durft nicht anders - im Himmel ein
Gott - Euer leiblicher Vater dort -- mich jammerte sein - Stecht mich nieder!
MOOR. Hier steckt ein Geheimnis -
Heraus! Sprich! Ich will alles wissen.
DIE STIMME (aus dem Schloss).
Weh! Weh! Bist dus, Hermann, der da redet? Mit wem redst du, Hermann?
MOOR. Drunten noch jemand - Was
geht hier vor? (Läuft dem Turme zu.) Ists ein Gefangener, den die Menschen
abschüttelten? - Ich will seine Ketten lösen. - Stimme! noch einmal! Wo ist die
Türe?
HERMANN. O habt Barmherzigkeit,
Herr - dringt nicht weiter, Herr - geht aus Erbarmen vorüber! (Verrennt ihm den
Weg.)
MOOR. Vierfach geschlossen! - Weg
da - Es muss heraus - Jetzt zum ersten Mal komm mir zu Hilfe, Dieberei! (Er
nimmt Brechinstrumente und öffnet das Gittertor. Aus dem Grunde steigt ein
Alter, ausgemergelt wie ein Gerippe.)
DER ALTE. Erbarmen einem Elenden!
Erbarmen!
MOOR (springt erschrocken
zurück). Das ist meines Vaters Stimme!
DER ALTE MOOR. Habe Dank, o Gott!
Erschienen ist die Stunde der Erlösung.
MOOR. Geist des alten Moors! Was
hat dich beunruhigt in deinem Grab? Hast du eine Sünde in jene Welt geschleppt,
die dir den Eingang in die Pforten des Paradieses verrammelt? Ich will Messen
lesen lassen, den irrenden Geist in seine Heimat zu senden. Hast du das Gold der
Witwen und Waisen unter die Erde vergraben, das dich zu dieser mitternächtlichen
Stunde heulend herumtreibt? Ich will den unterirdischen Schatz aus den Klauen
des Zauberdrachen reißen, und wenn er tausend rote Flammen auf mich speit und
seine spitzen Zähne gegen meinen Degen bleckt, - oder kommst du, auf meine
Fragen die Rätsel der Ewigkeit zu entfalten? Rede, rede! ich bin der Mann der
bleichen Furcht nicht.
DER ALTE MOOR. Ich bin kein
Geist. Taste mich an, ich lebe, oh ein elendes, erbärmliches Leben!
MOOR. Was? Du bist nicht begraben
worden?
DER ALTE MOOR. Ich bin begraben
worden - das heißt: ein toter Hund liegt in meiner Väter Gruft; und ich - drei
volle Monde schmacht ich schon in diesem finstern unterirdischen Gewölbe, von
keinem Strahle beschienen, von keinem warmen Lüftchen angeweht, von keinem
Freunde besucht, wo wilde Raben krächzen und mitternächtliche Uhus heulen. -
MOOR. Himmel und Erde! Wer hat
Das getan?
DER ALTE MOOR. Verfluch ihn
nicht! - Das hat mein Sohn Franz getan.
MOOR. Franz? Franz? Oh ewiges
Chaos!
DER ALTE MOOR. Wenn du ein Mensch
bist und ein menschliches Herz hast, Erlöser, den ich nicht kenne, o so höre den
Jammer eines Vaters, den ihm seine Söhne bereitet haben - drei Monden schon hab
ichs tauben Felsenwänden zugewinselt, aber ein hohler Widerhall äffte meine
Klagen nur nach. Darum, wenn du ein Mensch bist und ein menschliches Herz hast -
MOOR. Diese Aufforderung könnte
die wilden Bestien aus ihren Löchern hervorrufen.
DER ALTE MOOR. Ich lag eben auf
dem Siechbett, hatte kaum angefangen, aus einer schweren Krankheit etwas Kräfte
zu sammeln, so führte man einen Mann zu mir, der vorgab, mein Erstgeborener sei
gestorben in der Schlacht, und mit sich brachte ein Schwert, gefärbt mit seinem
Blut, und sein letztes Lebewohl, und dass ihn mein Fluch gejagt hätte in Kampf
und Tod und Verzweiflung.
MOOR (heftig von ihm abgewandt).
Es ist offenbar!
DER ALTE MOOR. Höre weiter! ich
ward ohnmächtig bei der Botschaft. Man muss mich für tot gehalten haben, denn
als ich wieder zu mir selber kam, lag ich schon in der Bahre, und ins
Leichentuch gewickelt wie ein Toter. Ich kratzte an dem Deckel der Bahre. Er
ward aufgetan. Es war finstere Nacht, mein Sohn Franz stand vor mir. - Was? rief
er mit entsetzlicher Stimme, willst du denn ewig leben? - und gleich flog der
Sargdeckel wieder zu. Der Donner dieser Worte hatte mich meiner Sinne beraubt;
als ich wieder erwachte, fühlt ich den Sarg erhoben und fortgeführt in einem
Wagen eine halbe Stunde lang. Endlich ward er geöffnet - ich stand am Eingang
dieses Gewölbes, mein Sohn vor mir, und der Mann, der mir das blutige Schwert
von Karln gebracht hatte - zehnmal umfasst ich seine Knie und bat und flehte,
und umfasste sie und beschwur - das Flehen seines Vaters reichte nicht an sein
Herz - Hinab mit dem Balg! donnerte es von seinem Munde, er hat genug gelebt,
und hinab ward ich gestoßen ohn Erbarmen, und mein Sohn Franz schloss hinter
mir zu.
MOOR. Es ist nicht möglich, nicht
möglich! Ihr müsst Euch geirrt haben.
DER ALTE MOOR. Ich kann nicht
geirrt haben. Höre weiter, aber zürne doch nicht! So lag ich zwanzig Stunden,
und kein Mensch gedachte meiner Not. Auch hat keines Menschen Fußtritt je diese
Einöde betreten, denn die allgemeine Sage geht, dass die Gespenster meiner Väter
in diesen Ruinen rasselnde Ketten schleifen und in mitternächtlicher Stunde ihr
Totenlied raunen. Endlich hörte ich die Türe wieder aufgehen, dieser Mann
brachte mir Brot und Wasser und entdeckte mir, wie ich zum Tod des Hungers
verurteilt gewesen, und wie er sein Leben in Gefahr setze, wenn es herauskäm,
dass er mich speise. So ward ich kümmerlich erhalten diese lange Zeit, aber der
unaufhörliche Frost - die faule Luft meines Unrats - der grenzenlose Kummer -
meine Kräfte wichen, mein Leib schwand; tausendmal bat ich Gott mit Tränen um
den Tod, aber das Maß meiner Strafe muss noch nicht gefüllet sein - oder muss
noch irgend eine Freude meiner warten, dass ich so wunderbarlich erhalten bin.
Aber ich leide gerecht - Mein Karl! Mein Karl! - und er hatte noch keine grauen
Haare.
MOOR. Es ist genug. Auf! Ihr
Klötze, ihr Eisklumpen! ihr trägen, fühllosen Schläfer! Auf! will keiner
erwachen? (Er tut eine Pistolschuss über die schlafenden Räuber.)
DIE RÄUBER (aufgejagt). He,
holla! holla! was gibts da?
MOOR. Hat euch die Geschichte
nicht aus dem Schlummer gerüttelt? Der ewige Schlaf würde wach worden sein!
Schaut her, schaut her! Die Gesetze der Welt sind Würfelspiel worden, das Band
der Natur ist entzwei, die alte Zwietracht ist los, der Sohn hat seinen Vater
erschlagen.
DIE RÄUBER. Was sagt der
Hauptmann?
MOOR. Nein, nicht erschlagen! das
Wort ist Beschönigung! - der Sohn hat den Vater tausendmal gerädert, gespießt,
gefoltert, geschunden! die Worte sind mir zu menschlich - worüber die Sünde rot
wird, worüber der Kannibale schaudert, worauf seit Äonen kein Teufel gekommen
ist. - Der Sohn hat seinen eigenen Vater - oh seht her, seht her, er ist in
Ohnmacht gesunken, - in dieses Gewölbe hat der Sohn seinen Vater - Frost, -
Blöße, - Hunger, - Durst - oh seht doch, seht doch! - es ist mein eigner Vater,
ich wills nur gestehn.
DIE RÄUBER (springen herbei und
umringen den Alten). Dein Vater? dein Vater?
SCHWEIZER (tritt ehrerbietig
näher, fällt vor ihm nieder). Vater meines Hauptmanns! Ich küsse dir die Füße!
du hast über meinen Dolch zu befehlen.
MOOR. Rache, Rache, Rache dir!
grimmig beleidigter, entheiligter Greis! So zerreiß ich von nun an auf ewig das
brüderliche Band. (Er zerreißt sein Kleid von oben bis unten.) So verfluch ich
jeden Tropfen brüderlichen Bluts im Antlitz des offenen Himmels! Höre mich, Mond
und Gestirne! Höre mich, mitternächtlicher Himmel, der du auf die Schandtat
herunterblicktest! Höre mich, dreimal schrecklicher Gott, der da oben über dem
Monde waltet, und rächt und verdammt über den Sternen, und feuerflammt über der
Nacht! Hier knie ich - hier streck ich empor die drei Finger in die Schauer
der Nacht - hier schwör ich, und so speie die Natur mich aus ihren Grenzen wie
eine bösartige Bestie aus, wenn ich diesen Schwur verletze, schwör ich, das
Licht des Tages nicht mehr zu grüßen, bis des Vatermörders Blut, vor diesem
Steine verschüttet, gegen die Sonne dampft. (Er steht auf.)
DIE RÄUBER. Es ist ein
Belialsstreich! Sag einer, wir seinen Schelmen! Nein, bei allen Drachen! So
bunt haben wirs nie gemacht.
MOOR. Ja, und bei allen
schrecklichen Seufzern derer, die jemals durch eure Dolche starben, derer, die
meine Flamme fraß und mein fallender Turm zermalmte, - eh soll kein Gedanke von
Mord oder Raub Platz finden in eurer Brust, bis euer aller Kleider von des
Verruchten Blut scharlachrot gezeichnet sind - das hat euch wohl niemals
geträumt, dass ihr der Arm höherer Majestäten seid? Der verworrene Knäuel unsers
Schicksals ist aufgelöst! Heute, heute hat eine unsichtbare Macht unser Handwerk
geadelt! Betet an vor dem, der euch dies erhabene Los gesprochen, der euch
hieher geführt, der euch gewürdigt hat, die schrecklichen Engel seines finstern
Gerichtes zu sein! Entblößet eure Häupter! Kniet hin in den Staub und stehet geheiliget auf! (Sie knien.)
SCHWEIZER. Gebeut, Hauptmann! was
sollen wir tun?
MOOR. Steh auf, Schweizer, und
rühre diese heiligen Locken an! (Er führt ihn zu seinem Vater und gibt ihm eine
Locke in die Hand.) Du weißt noch, wie du einstmals jenem böhmischen Reiter den
Kopf spaltetest, da er eben den Säbel über mich zuckte und ich atemlos und
erschöpft von der Arbeit in die Knie gesunken war? Dazumal verhieß ich dir eine
Belohnung, die königlich wäre; ich konnte diese Schuld bisher niemals bezahlen -
SCHWEIZER. Das schwurst du mir,
es ist wahr, aber lass mich dich ewig meinen Schuldner nennen!
MOOR. Nein, jetzt will ich
bezahlen. Schweizer, so ist noch kein Sterblicher geehrt worden, wie du! - Räche
meinen Vater! (Schweizer steht auf.)
SCHWEIZER. Großer Hauptmann! Heut
hast du mich zum ersten Mal stolz gemacht! - Gebeut, wo, wie, wann soll ich ihn
schlagen?
MOOR. Die Minuten sind geweiht,
du musst eilends gehn - lies dir die Würdigsten aus der Bande und führe sie
gerade nach des Edelmanns Schloss! Zerr ihn aus dem Bette, wenn er schläft oder
in den Armen der Wollust liegt, schlepp ihn vom Mahle weg, wenn er besoffen
ist, reiß ihn vom Kruzifix, wenn er betend vor ihm auf den Knien liegt! Aber ich
sage dir, ich schärf es dir hart ein, liefr' ihn mir nicht tot! Dessen Fleisch
will ich in Stücken reißen und hungrigen Geiern zur Speise geben, der ihm nur
die Haut ritzt oder ein Haar kränkt! Ganz muss ich ihn haben, und wenn du ihn
ganz und lebendig bringst, so sollst du eine Million zur Belohnung haben, ich
will sie einem Könige mit Gefahr meines Lebens stehlen, und du sollst frei
ausgehn wie die weite Luft - Hast du mich verstanden, so eile davon!
SCHWEIZER. Genug, Hauptmann! -
hier hast du meine Hand darauf: Entweder du siehst zwei zurückkommen, oder gar
keinen. Schweizers Würgengel, kommt! (Ab mit einem Geschwader.)
MOOR. Ihr übrigen zerstreut euch
im Wald - Ich bleibe.
|
|