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Textauszug
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DAS LIEBES-
UND LEBENSKONZEPT DER BÜRGERLICHEN EHE
Die Darstellung des
Geschlechterverhältnisses in ▪ Friedrich Schillers Ballade
▪ "Das
Lied von der Glocke" hat schon immer zu
heftigen Kontroversen
Anlass gegeben. Ähnliche Vorstellungen hat Schiller aber schon in seinem
Gedicht ▪
Würde der Frauen (1795) zur
Darstellung gebracht.
Das vom Bildungsbürgertum geprägte
▪
Leitbild der bürgerlichen Ehe
ist in dem Gedicht geradezu programmatisch
veranschaulicht und daran liegt es auch, dass das deutsche Bürgertum, wie
schon
Reich-Ranicki (1966) betont hat, seine Lebensmaximen in Bezug auf
die Rolle von Männern und Frauen über mehr als eineinhalb Jahrhunderte
hinweg auch aus diesem Gedicht bezogen und bestätigt hat. Diese Wirkungsgeschichte als geschlechtsspezifischer
Erziehungskatechismus reicht, auch wenn nicht mehr unhinterfragt, bis weit in das 20. Jahrhundert hinein.
Thomas
Nipperdey
(1990, S. 48f.) hat den Zustand der Geschlechterbeziehungen im
frühen 19. Jahrhundert in einer
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vielleicht
nicht sonderlich differenzierten Weise, aber doch inhaltlich sehr
anschaulich und kompakt, wie folgt zusammengefasst:
"Die Zeit um 1800 hatte die
partnerschaftliche Liebe als Grundlage der Ehe und der Eltern Kind
Beziehung entwickelt. Darüber bildete sich im frühen 19. Jahrhundert
eine ganze Theorie, eine Geschlechtermetaphysik, aus den biologischen
Unterschieden der Geschlechter wurden unterschiedliche Rollenmodelle und
Lebensprojekte entwickelt und begründet. Die Geschlechter sind
gleichwertig, aber ungleich, sie sind anders, sie stehen in einem
polaren und in einem kompensatorischen Gegensatz zueinander. Und
insofern die Entlastung der Frau von der Berufsarbeit alten Traditionen
der oberen Schichten ebenso entsprach wie der neuen Realität der Bürger,
in der die Frau, Kinder gebärend und aufziehend, ans Haus gebunden war,
aus dem die Berufs- und Erwerbsarbeit auswanderte, war solches
Rollenkonzept auch ganz ohne Philosophie zum Normalbestand der
Lebensinterpretation geworden. [...] Der Mann - so das Modell - ist
aktiv, die Frau passiv; der Mann von seinem Tun, die Frau von ihrem Sein
her lebend; der Mann gehört in die Leistungswelt, die Frau steht
jenseits der Leistungszwänge in einer anderen Welt - der der Freiheit;
der Mann lebt von seiner Kultur, die Frau von ihrer Natur, ihrer
Geschlechtsrolle; der Mann ist aufs äußere und öffentliche Leben
bezogen, auf Markt, Konkurrenz und Macht, auf Arbeit und Politik und
auch auf deren Anonymität, die Frau aufs Innere und Private, aufs Intime
und auch aufs Personale; der Mann ist bestimmt von Rationalität und
Objektivität, die Frau von Emotionalität und Subjektivität. Das ist
nicht einfach eine Unterscheidung; vielmehr: Die Frau ist notwendige
kompensatorische Ergänzung zur Einseitigkeit des Mannes. Dazu kommt,
dass ihre familiale Rolle nicht als eigene ausgreifende Aktivität
beschrieben wird, sondern vor allem als aufopfernde, geduldig
hinnehmende Liebe. Die Frau ist für andere, für den Mann, für die Kinder
da. Und die Frau ist dem Mann gegenüber schutzbedürftig, hilflos - so
ist jedenfalls der Stil des Umgangs. Das spitzt sich zu zum Verhältnis
von Welt und Heim: auf der einen Seite das Heim, der Ort der Nähe, der
Harmonie, des Friedens und der Geborgenheit. Und das war dann eine
Beschreibung der Ehe. In ihr besorgt die Frau das Heim, das ist ihre
Sphäre, sie bestimmt als liebende Mutter die Familienatmosphäre. Das
Heim ist der Ruhepunkt des Mannes, dessen Leben in den
Auseinandersetzungen mit und in der Welt abläuft, und es ist der Ort der
Bildung der künftigen Generationen; öffentliche Einrichtungen wie
Schulen hatten nur Hilfsfunktionen."
Auch wenn das Monopol des Mannes, alle wichtigen Entscheidungen zu
treffen (paternalistischer Patriarchalismus) die
Geschlechterbeziehung im Allgemeinen wohl gut beschreibt, gestalteten sich
allerdings,
das haben neuere Studien ergeben, weder "die
Autoritätsbeziehungen zwischen Männern und Frauen oder Eltern und
Kindern, noch die geschlechts- und generationsspezifische Trennung der
Arbeits- und Kommunikationssphäre so rigide [...] wie dies in der älteren,
auch frauengeschichtlichen Literatur z. T. dargestellt worden war". (Gestrich
2013, S.121)