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Friedrich Schiller

Der Ring des Polykrates


Er stand auf seines Daches Zinnen,
Er schaute mit vergnügten Sinnen
Auf das beherrschte Samos hin.
»Dies alles ist mir untertänig,«
Begann er zu Ägyptens König,                                                        5
»Gestehe, dass ich glücklich bin.« -

»Du hast der Götter Gunst erfahren!
Die vormals deines Gleichen waren,
Sie zwingt jetzt deines Szepters Macht.
Doch Einer lebt noch, sich zu rächen;                                            10
Dich kann mein Mund nicht glücklich sprechen,
So lang des Feindes Auge wacht.« -

Und eh der König noch geendet,
Da stellt sich, von Milet gesandt,
Ein Bote dem Tyrannen dar:                                                          15
»Lass, Herr, des Opfers Düfte steigen,
Und mit des Lorbeers muntern Zweigen
Bekränze dir dein festlich Haar!

»Getroffen sank dein Feind vom Speere,
Mich sendet mit der frohen Märe                                                  20
Dein treuer Feldherr Polydor -«
Und nimmt aus einem schwarzen Becken,
Noch blutig, zu der Beiden Schrecken,
Ein wohlbekanntes Haupt empor.

Der König tritt zurück mit Grauen.                                                25
»Doch warn' ich dich, dem Glück zu trauen,«
Versetzt er mit besorgtem Blick.
»Bedenk', auf ungetreuen Wellen -
Wie leicht kann sie der Sturm zerschellen -
Schwimmt deiner Flotte zweifelnd Glück.«                                    30

Und eh er noch das Wort gesprochen,
Hat ihn der Jubel unterbrochen,
Der von der Rede jauchzend schallt.
Mit fremden Schätzen reich beladen,
Kehrt zu den heimischen Gestaden                                                35
Der Schiffe mastenreicher Wald.

Der königliche Gast erstaunet:
»Dein Glück ist heute gut gelaunet,
Doch fürchte seinen Unbestand.
Der Kreter waffenkund'ge Scharen                                               40
Bedräuen dich mit Kriegsgefahren;
Schon nahe sind sie diesem Strand.«

Und eh ihm noch das Wort entfallen,
Da sieht man's von den Schiffen wallen,
Und tausend Stimmen rufen: »Sieg!                                               45
Von Feindesnot sind wir befreiet,
Die Kreter hat der Sturm zerstreuet,
Vorbei, geendet ist der Krieg!«

Das hört der Gastfreund mit Entsetzen.
»Fürwahr, ich muss dich glücklich schätzen!                                  50
Doch,« spricht er, »zittr' ich für dein Heil.
Mir grauet vor der Götter Neide;
Des Lebens ungemischte Freude
Ward keinem Irdischen zu Teil.

»Auch mir ist alles wohl geraten,                                                   55
Bei allen meinen Herrschertaten
Begleitet mich des Himmels Huld;
Doch hatt' ich einen teuren Erben,
Den nahm mir Gott, ich sah in sterben,
Dem Glück bezahlt' ich meine Schuld.                                           60

»Drum, willst du dich vor Leid bewahren,
So flehe zu den Unsichtbaren,
Dass sie zum Glück den Schmerz verleihn.
Noch Keinen sah ich fröhlich enden,
Auf den mit immer vollen Händen                                                  65
Die Götter ihre Gaben streun.

»Und wenn's die Götter nicht gewähren,
So acht' auf eines Freundes Lehren
Und rufe selbst das Unglück her;
Und was von allen deinen Schätzen                                               70
Dein Herz am höchsten mag ergötzen,
Das nimm und wirf's in dieses Meer!«

Und Jener spricht, von Furcht beweget:
»Von Allem, was die Insel heget,
Ist dieser Ring mein höchstes Gut.                                                 75
Ihn will ich den Erinen weihen,
Ob sie mein Glück mir dann verzeihen,«
Und wirft das Kleinod in die Flut.

Und bei des nächsten Morgens Lichte,
Da tritt mit fröhlichem Gesichte                                                     80
Ein Fischer vor den Fürsten hin:
»Herr, diesen Fisch hab' ich gefangen,
Wie keiner noch ins Netz gegangen,
Dir zum Geschenke bring' ich ihn.«

Und als der Koch den Fisch zerteilet,                                            85
Kommt er bestürzt herbeigeeilet
Und ruft mit hocherstauntem Blick:
»Sieh, Herr, den Ring, den du getragen,
Ihn fand ich in des Fisches Magen,
O, ohne Grenzen ist dein Glück!«                                                  90

Hier wendet sich der Gast mit Grausen:
»So kann ich hier nicht ferner hausen,
Mein Freund kannst du nicht weiter sein.
Die Götter wollen dein Verderben;
Fort eil' ich, nicht mit dir zu sterben.«                                             95
Und sprach's und schiffte schnell sich ein.

 

(in der Rechtschreibung modernisiert)
 

 
   Arbeitsanregungen:

   Interpretieren Sie das Gedicht.

  1. Fassen Sie den Inhalt des Gedichts in Form einer Inhaltsangabe zusammen.

  2. Beschreiben Sie die äußere Form des Gedichtes.

  3. Arbeiten Sie heraus, welche Aussage das Gedicht gestaltet. Wie wirken Form und Inhalt bei der Gestaltung der Aussage des Textes zusammen?

  4. Erarbeiten Sie eine sprechgestaltende Interpretation der Ballade.

  5. Ordnen Sie das Gedicht in die Literaturepoche der Weimarer Klassik ein.

 →Operatorenkatalog des Landes Baden-Württemberg)

 
      
  Text 1 ] Text 2 ] Balladen ]  
 

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