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Nach so vielen Journalen, gelehrten und empfindsamen
Zeitungen, welche Deutschland von Jahr zu Jahr überschwemmen, bin ich
ungewiss, wie das Publikum diese neue Einladung aufnehmen wird. Zu oft
schon geschah es, dass hinter die heiligen Worte Patriotismus und
allgemeines Beste die Spekulation eines Kaufmanns sich flüchtete. – Der
Rezess meiner Vorgänger (nur wenige will ich ausnehmen) hat den Liebhaber
abgeschröckt. Sie haben, wie Macbeth seine Hexen beschuldigt, unserm Ohr
Wort gehalten, aber unsrer Hoffnung gebrochen. Blindes Vertrauen des
Publikums ist das einzige, woran ich noch appellieren kann – Dieses
vielleicht zu gewinnen, erlaube man mir eine Ausschweifung.
Ich
schreibe als Weltbürger, der keinem Fürsten dient. Frühe verlor ich
mein Vaterland, um es gegen die große Welt auszutauschen, die ich nur
eben durch die Fernröhre kannte. Ein seltsamer Missverstand der Natur hat
mich in meinem Geburtsort zum Dichter verurteilt.
Neigung für Poesie beleidigte die Gesetze des Instituts, worin ich
erzogen ward, und widersprach dem Plan seines Stifters. Acht Jahre
rang mein Enthusiasmus mit der militärischen Regel; aber Leidenschaft
für die Dichtkunst ist feurig und stark, wie die erste Liebe. Was sie
ersticken sollte, fachte sie an. Verhältnissen zu entfliehen, die mir
zur Folter waren,
schweifte mein Herz in eine Idealenwelt aus – aber unbekannt mit der
wirklichen, von welcher mich eiserne Stäbe schieden – unbekannt mit den
Menschen – denn die vierhunderte, die mich umgaben, waren ein einziges
Geschöpf, der getreue Abguss eines und eben dieses Modells, von welchem
die plastische Natur sich feierlich lossagte – unbekannt mit den
Neigungen freier, sich selbst überlassener Wesen, denn hier kam nur eine
zur Reife, eine, die ich jetzo nicht nennen will; jede übrige Kraft des
Willens erschlaffte, indem eine einzige sich konvulsivisch spannte;
jede Eigenheit, jede Ausgelassenheit der tausendfach spielenden Natur
ging in dem regelmäßigen Tempo der herrschenden Ordnung verloren –
unbekannt mit dem schönen Geschlecht – die Tore dieses Instituts öffnen
sich, wie man wissen wird, Frauenzimmern nur, ehe sie anfangen
interessant zu werden, und wenn sie aufgehört haben es zu sein –
unbekannt mit Menschen und Menschenschicksal musste mein Pinsel notwendig
die mittlere Linie zwischen Engel und Teufel verfehlen,
musste er ein Ungeheuer hervorbringen, das zum Glück in der Welt nicht
vorhanden war, dem ich nur darum Unsterblichkeit wünschen möchte, um
das Beispiel einer Geburt zu verewigen, die der naturwidrige Beischlaf
der Subordination und des Genius in die Welt setzte. – Ich meine die »Räuber«.
Dies Stück ist erschienen. Die ganze sittliche Welt hat den Verfasser
als einen Beleidiger der Majestät vorgefordert – Seine ganze
Verantwortung sei das Klima, unter dem es geboren ward. Wenn von allen
den unzähligen Klagschriften gegen die Räuber eine einzige mich trifft,
so ist es diese,
dass ich zwei Jahre vorher mich anmaßte, Menschen zu schildern, ehe mir
noch einer begegnete.
Die Räuber kosteten mir Familie und Vaterland
– – In einer Epoche, wo noch der Ausspruch der Menge unser schwankendes
Selbstgefühl lenken muss, wo das warme Blut eines Jünglings durch den
freundlichen Sonnenblick des Beifalls munterer fließt,
tausend einschmeichlende Ahndungen künftiger Größe seine schwindelnde
Seele umgeben und der göttliche Nachruhm in schöner Dämmerung vor
ihm liegt – mitten im Genuss des ersten verführerischen Lobes, das
ungehofft und unverdient aus entlegenen Provinzen mir entgegenkam,
untersagte man mir in meinem Geburtsort bei Strafe der Festung – zu
schreiben. Mein Entschluss ist bekannt –
ich verschweige das übrige, weil ich es in keinem Falle für anständig
halte, gegen denjenigen mich zu stellen, der bis dahin mein Vater war.
Mein Beispiel wird
kein Blatt aus dem Lorbeerkranz dieses Fürsten reißen, den die
Ewigkeit nennen wird.
Seine Bildungsschule hat das Glück mancher Hunderte gemacht, wenn sie
auch gerade das meinige verfehlt haben sollte.
Nunmehr sind alle meine Verbindungen aufgelöst.
Das Publikum ist mir jetzt alles, mein Studium, mein Souverain, mein
Vertrauter. Ihm allein gehör ich jetzt an. Vor diesem und keinem
andern Tribunal werde ich mich stellen. Dieses nur fürchte ich und
verehr ich. Etwas Großes wandelt mich an bei der Vorstellung, keine
andere Fessel zu tragen als den Ausspruch der Welt – an keinen andern
Thron mehr zu appellieren als an die menschliche Seele.
Es befremdet vielleicht, auf dem Anzeigeblatt eines Journals die
Jugendgeschichte seines Verfassers zu finden, und doch war kein Weg
natürlicher, den Leser in das Innre meiner Unternehmung zu führen, als
wenn ich ihm die Bekanntschaft des Menschen machte, der sie ausführen
soll.
Die Rheinische Thalia wird jedem Gegenstand offenstehen, der den
Menschen im allgemeinen interessieret und unmittelbar mit seiner
Glückseligkeit zusammenhängt. Also alles, was fähig ist, den
sittlichen Sinn zu verfeinern, was im Gebiet des Schönen liegt, alles,
was Herz und Geschmack veredeln, Leidenschaften reinigen und allgemeine
Volksbildung wirken kann, ist in ihrem Plane begriffen.
I. Gemälde merkwürdiger Menschen und Handlungen.
– – Losgesprochen von allen Geschäften, über jede Rücksicht
hinweggesetzt – ein Bürger des Universums, der jedes Menschengesicht in
seine Familie aufnimmt und das Interesse des Ganzen mit Bruderliebe
umfasst, fühl ich mich aufgefordert, dem Menschen durch jede Dekoration
des bürgerlichen Lebens zu folgen, in jedem Zirkel ihn aufzusuchen und,
wenn ich mich des Bildes bedienen darf, die Magnetnadel an sein Herz
hinzuhalten. Neugefundene Räder in dem unbegreiflichen Uhrwerk der Seele
– einzelne Phänomene, die sich in irgendeine merkwürdige Verbesserung
oder Verschlimmerung auflösen, sind mir, ich gestehe es, wichtiger als
die toten Schätze im Kabinett des Antikensammlers oder ein neu
entdeckter Nachbar des Saturnus, dem doch der glückliche Finder seinen
Namen sogleich in die Ewigkeit aufladet.
II. Philosophie für das handelnde Leben.
III. Schöne Natur und schöne Kunst in der Pfalz. –
Reisende, besonders aus dem nordischen Deutschland, haben uns beides
beneidet und die merkwürdigen Gegenden am Rhein wie die herrlichen
Monumente der Kunst mit Bewunderung verlassen. Die glückliche Lage von
Heidelberg, der ehrwürdige Ruin seines Schlosses, der Garten zu
Schwetzingen, die Bildergalerie, der Saal der Antiken, die
Jesuiterkirche zu Mannheim und mehreres bleiben auch noch in der
Schilderung interessant, wenn nur Geschmack und Empfindung den Pinsel
führen.
IV. Deutsches Theater. – Was die Stadt Mannheim in
Rücksicht auf schöne Kunst vorzüglich auszeichnet, ist ihre Schaubühne –
eine Bühne, die durch reinern Geschmack, bessern Ton und das wahre,
geistvolle Spiel einiger ihrer Glieder die Aufmerksamkeit des ganzen
Publikums auffordert. Dennoch ist diese Bühne gar nicht oder wenig im
übrigen Deutschland gekannt. Ihre Geschichte und Dramaturgie wird einen
ansehnlichen Platz in dieser Thalia behaupten, und dies um so mehr, da
der Herausgeber in keiner Verbindung mit solcher steht, also keine
Rücksicht sein Urteil binden oder verfälschen kann. Unter dem zahllosen
Heer deutscher Truppen, die entweder der verzweifelte Einfall eines
ruinierten Hasardspielers oder das blinde Fatum wie die Atomen des
Epikurus zusammenblies – die gleich der Seuche am Mittag herumschleichen
und die erwürgte Tragödie auf dem Paradebett ausstellen – ist die
Mannheimer Bühne eine der wenigen, die durch Wahl entstanden und durch
ein gewisses Kunstsystem dauren. Es versteht sich also, dass keiner der
Krämerkniffe, womit sonst nur die Rädelsführer von Komödiantenbanden
ihrer schlechten Sache zu Hülfe kommen (modische Flitter, Häufung neuer,
wenn auch gebrandmarkter Stücke, Spekulationen auf den herrschenden
Geschmack, wenn dieser auch aus Lappland und Sibirien stammte), dass
keine der Taschenspielerkünste, womit nur eine ausgehungerte Rotte von
Theaterprofessionisten sich durch das Publikum bettelt, bei der hiesigen
Bühne stattfinden kann. Der Geist der Kunst muss hier natürlicherweise
das Ganze beseelen; höhere Schönheit kann hier unmöglich niedrigem
Eigennutz unterliegen – Und nach eben diesem großen Maßstab, unter
welchen sich diese Bühne von selbst schon gestellt hat, wird auch die
Kritik sie behandeln. Sie wird die Wahl der Stücke dem sittlichen und
ästhetischen Wert nach beurteilen, die Verteilung der Rollen und deren
(geheime oder offenbare) Gründe zusammensuchen und dann den Beifall oder
Tadel des Publikums sorgfältig prüfen. In einer schwankenden Kunst, wie
die dramatische und mimische ist, wo des Schauspielers Eitelkeit den
beschimpfenden Beifall des rohen Haufens oft so hungrig verschlingt, so
gerne mit der Stimme der Wahrheit verwechselt, kann die Kritik nicht
streng genug sein. Mehr als einmal habe ich die Bemerkung gemacht, wie
pünktlich der nach Lob geizende Künstler sein Spiel – und wenn er
Schriftsteller war, seine Dichtung – auf die Geistesschwäche seines
Publikums ausrechnete und seinen bessern Genius dieser allgemeinen Dirne
zum Opfer brachte, eine Liebkosung zu erschleichen. Es kann sein, dass er
in geheim vielleicht einer Gunst sich schämte, die so gar leicht zu
haben war, aber der entwürdigte Genius rächte bald nachher diese
Abtrünnigkeit und stieß ihn auch von sich in einer kritischen Stunde.
Überzeugt, dass Bewunderung selten – gerechter Tadel
immer verbessert – dass der größere Künstler zugleich der bescheidnere
ist und mit Schamröte zuhört, wenn die bestochenen Zuschauer sich in
seiner Glorie übereilen – fest versichert, dass der stolzere Kopf ein
Rauchwerk verachten werde, worin nur schlechtere Bühnen ihre todkranke
Götzen baden, werde ich in dieser Dramaturgie keines der gewöhnlichen
Theaterjournale zum Muster nehmen, mehr aber durch offenherzige Zweifel
dem Schauspieler und Schauspieldichter einen Beweis meiner Achtung
geben. Nur entschiednes Verdienst soll genannt werden – usurpierten Ruhm
werd ich freimütig widerlegen – den Stümper aber nur in dem einzigen
Fall berühren, wenn sein schreckliches Exempel belehren kann.
Übrigens gebe ich zum voraus die Erklärung, dass ich
die Grenzen erkenne und verehre, die den Dilettanten vom Kenner
scheiden, und eine unergründliche Kunst, wie zuverlässig die
theatralische, für viel zu ehrwürdig achte, als ihr mein einzelnes –
vielleicht angestecktes – Gefühl zum Richter aufzudringen. Über den
Dichter kann oftmals eine gesunde Empfindung – über den Schauspieler nur
die Mehrheit der Kenner sprechen – und eben darum werden die Urteile in
dieser Thalia (wenn sie entscheiden) jederzeit Resultate mehrerer
Stimmen sein, die sich in einem Ausspruch vereinigten.
Den Anfang macht ein vollständiges Detail dieser
Bühne, ihrer Geschichte und Einrichtung, die Charakteristik ihrer
Künstler und Künstlerinnen (doch derer nur, welche mir wichtig dünken)
und die Zergliederung einiger Stücke, die auf derselben merkwürdig
gestiegen oder gesunken sind. Ich sende diejenigen voraus, deren
Verfasser hier leben: »Die Verschwörung des Fiesko«, »Verbrechen aus
Ehrsucht« und »Franz von Sickingen«. – Jedem, der mir zu antworten Lust
hat oder von meiner Kritik an das Publikum appellieren will, steht die
Thalia offen. Mündlich aber auch nicht eine Erklärung.
V. Gedichte und Rhapsodien, Fragmente von
dramatischen Stücken.
VI. Beurteilungen wichtiger Männer und Schriften.
VII. Geständnisse von mir selbst.
VIII. Korrespondenzen – Anzeigen – Miszellanien.
Jeden zweiten Monat wird ein Heft von zwölf Bogen
in gr. 8 broschiert und mit einem Umschlag geliefert. Der Preis der
Unterzeichnung für jedes einzelne Stück ist auswärts ein rheinischer
Gulden, beim Verfasser zu Mannheim ein halber Reichstaler. Auf allen
löbl. Ober- und Postämtern kann Unterzeichnung geschehen, und diese gilt
bis in die Mitte des Jenners. Die Exemplare empfängt man, soweit die
kaiserliche Reichspost geht, frei – im Fall sich aber fremde Posten
damit vermengen, für ein leidliches Frachtgeld, das die Billigkeit
dieser Posten bestimmen wird. Jeder Kollekteur wird gebeten, die Namen
und Charaktere der Subskribenten (denn sie sollen dem Journal
vorgedruckt werden) auf dasjenige Postamt zu geben, so ihm am nächsten
zur Hand ist, und dieses wird so gefällig sein, jede Nachricht sogleich
an das Bureau zu Mannheim gelangen zu lassen. – Privatversendungen
übernimmt der Verfasser nicht. Die kaiserliche Post besorgt das Ganze.
Nach Empfang eines jeden Hefts geschieht die Bezahlung.
Eh ich schließe, noch dieses Einzige – Unterzeichnung auf diese Schrift
wird nur dann erst einen Wert für mich haben, wenn ich sie persönlichem
Mitgefühl danken darf. Den Schriftsteller überhüpfe die Nachwelt, der
nicht mehr wert war als seine Werke – und gerne gestehe ich, dass bei
Herausgabe dieser Thalia meine vorzügliche Absicht war – zwischen dem
Publikum und mir ein Band der Freundschaft zu knüpfen.
Mannheim, den 11. November 1784. m März 1782 nach
seiner Entlassung aus der
Karlsschule
F. Schiller.
(aus: Friedrich Schiller: Sämtliche
Werke, Band 5, München: Hanser 31962, S. 854-861)
Erläuterungen:
Die Zeitschrift "Rheinische Thalia" wird von
Schiller nach seiner Flucht aus Württemberg nicht zuletzt aufgrund
seiner äußerst prekären finanziellen Lage konzipiert. Mit ihren
geplanten historischen, philosophischen, poetischen und das Theater
betreffenden Beiträgen geht sie über das Konzept der von ihm mit seinem Studienfreund
Johann Wilhelm Petersen, seinem ehemaligen Lehrer
Jakob Friedrich Abel und Jakob Atzel im März 1782 nach seiner
Entlassung aus der
Karlsschule gegründeten Zeitschrift "Wirtembergisches
Repertorium" hinaus. Allerdings bleibt der Verkauf der Zeitschrift
deutlich hinter den Erwartungen zurück, so dass erst das Eingreifen
seines Freundes und Gönners Körner und die Hilfe des Verlegers Göschen
der Zeitschrift
eine weitere Existenz sichern. Ab Januar 1786 erscheint sie weiter, aber
ohne das Adjektiv "rheinische" weiter im Titel zu führen, als "Thalia"
bis ins Jahr 1791. Trotz einer Vielzahl aktueller
tagespolitischer Beiträge, die sogar den deutschen Jakobiner »Georg
Forster 81754-1794) im Zusammenhang mit den Ereignissen der
französischen Revolution zum Autor der "Thalia" werden lässt, wird
Schiller als Herausgeber der Zeitschrift mit seinem Projekt nicht so
recht glücklich. Dies liegt vor allem an der Heterogenität der Beiträge aber
auch am nur auf Sensationen und Pikanterien ausgerichteten
Publikumsinteresse. Zudem zersplittert sich der Zeitschriftenmarkt
immer mehr, so dass sich Schillers utopische Vorstellungen von
einer "Einwirkung auf das Bewusstsein der Leser durch vernünftige und
zugleich angenehme Belehrung" als illusionär erweisen. (Hofmann
2005, S. 522) Während und nach Schillers Erkrankung 1791 droht der
Zeitschrift das Aus, aber auf Göschens Initiative hin kommt es von 1792
bis 1795 doch zu einer Fortsetzung unter dem Titel "Neue Thalia", deren
Beiträge sich deutlich vom politischen Tagesgeschehen ab- und sich nach
und nach klassischen Themen zuwenden (z. B. Verbreitung klassizistischer
Stilmaßstäbe und Formen usw.)
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Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
05.06.2021