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Die Lehre von den drei Einheiten
Die Einheit des Ortes in der
Regelpoetik
Lange Zeit galt,
was der antike Philosoph »Aristoteles
(384-322 v. Chr.) in seiner Schrift »Poetik
gefordert hatte. Damit die ▪ Tragödie, darauf
bezog er sich im Folgenden, ihre Wirkung erreichen konnte, musste sie neben
anderen Kriterien das Kriterium der Stilreinheit erfüllen. Dies bedeutete,
dass sie nach bestimmten Regeln zu gestalten war.
Zu den wichtigsten
regelpoetischen Maximen, denen ein Tragödienschreiber dabei zu folgen hatte,
gehörten eine möglichst klare, einsträngige Handlung (▪
Einheit der Handlung),
die sich in einem fortlaufenden zeitlichen Kontinuum ohne größere zeitliche
Sprünge (▪ Einheit der Zeit)
zu vollziehen hatte.
Wenn die Tragödie darauf abzielte, die menschliche
Psyche durch die Auslösung von Gefühlen (Schrecken und Furcht) einem
Läuterungsprozess ("Reinigung"»Katharsis)
zu unterziehen, der sie von solchen unerwünschten Affektzuständen befreien
sollte, konnte dies nur gelingen, wenn die Wirklichkeitsillusion nicht
zerstört und die tragische Höhe, die den tiefen Fall des tragischen Helden
(Fallhöhe) ermöglichen sollte, vorhanden war.
Die Einheitenlehre von Aristoteles wurde in der italienischen »Renaissance
von dem »Humanisten
»Ludovico Castelvetro (1505-1571)
weiter entwickelt.
Als ▪
Lehre von den drei Einheiten, die fortan außer der Einheit der Handlung
und der Einheit der Zeit auch die ▪
Einheit des Orts
festschrieb, wurde sie zu einem festen Bestandteil der
»Regelpoetik der Renaissance und der französischen Klassik (z. B. »Pierre
Corneille (1605-1684) und »Jean
Racine (1639-1699) .
Wer ein Stück
schrieb, musste, sollte es nicht ganz und gar "verrissen" werden, diesen
Regeln folgen. Wer sie beherrschte, dichtete, so lässt sich etwas salopp
sagen, auf der Höhe der Zeit, war ein Meister des dramatischen Fachs.
Bühnentechnische Aspekte für die Einheit des Ortes
Zudem
hatte die Wahl eines einzigen Schauplatzes für das dramatische Geschehen
bühnentechnische Gründe.
"Für ihre Einhaltung im antiken Drama", so
Asmuth (1980/2004,
S.192), "mag, wie Lessing (Hamburg. Dramaturgie, 46. Stück) und Herder (Sämtliche
Werke, hrsg. B. Suphan, Bd.5, S. 210) betonen, der durchgängig anwesende
Chor hauptverantwortlich sein. Einen Schauplatzwechsel ließ die ▪
Orchestrabühne
aber auch technisch nicht zu."
Auf diese Weise hing die
Raumgestaltung, im Sinne der Schauplatzgestaltung, in hohem Maße von der
Bühnenform ab. Für die ▪
Guckkastenbühne des 18. /19. Jahrhunderts mit ihrer nur noch auf der zum
Publikum hin offenen »Vierten
Wand wäre es durchaus möglich gewesen von der strengen Anwendung der
Einheit des Orts abzusehen.
Aber insbesondere die französischen Klassiker
und in deren Gefolge auch die deutschen Dichter »Martin
Opitz (1597-1639) und
»Johann Christoph Gottsched (1700-1766) wollten nicht darauf verzichten
und verfassten entsprechende
poetische Regelwerke oder gaben sie heraus.
Dennoch: die Regel von der Einheit des
Orts wurde, vielleicht auch wegen der Doppelbedeutung des Begriffs Ort
(Schauplatz, Ortschaft), im Allgemeinen nicht so streng befolgt wie die
beiden anderen "Einheiten".
So war es durchaus üblich, das dramatische
Geschehen in einer bestimmten Stadt anzusiedeln, die Figuren aber in diesem
Rahmen allerdings mal auf diesem oder jenem Schauplatz agieren zu lassen.
(vgl. Asmuth
(1980/2004, S.193)
▪Gotthold Ephraim
Lessing (1729-1781) brach mit der starren Anwendung der Lehre von der
Einheit des Orts. In seinem Drama ▪"Nathan der Weise"
gibt er, ganz wie in seiner »Hamburgischen
Dramaturgie dargestellt, Jerusalem als "einen unbestimmten Ort" an,
"unter dem man sich bald den, bald jenen, einbilden könne." (zit. n.
Asmuth ebd.)
Dabei war nur wichtig, dass "diese Orte zusammen nur nicht gar zu weit aus
einander lägen" (ebd.)
Die ▪
Schauplätze der Handlung in Jerusalem werden im "Nathan" auch innerhalb
eines Aktes gewechselt.
Gert Egle. zuletzt bearbeitet am:
19.12.2023
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