Der Nebentext eines
Dramas
umfasst jene "Textschichten" (Pfister
1977, S.35) eines dramatischen Textes, die, meistens auch
typografisch vom
Haupttext
abgehoben, auf der Bühne nicht gesprochen werden. Damit Textelemente dazu
gezählt werden können, müssen sie freilich für die Inszenierung des Textes
von Bedeutung sein. Bestimmte Textsegmente, die dies nicht erfüllen, z. B.
Verszählungen o. ä., bleiben daher außer acht.
Zum Nebentext zählen
Die typologische Betrachtung darf indessen nicht übersehen, dass die nebentextlichen
Textsegmente mit Inszenierungsfunktion nicht zu allen Zeiten gleiches
Gewicht gehabt haben und auch je nach Dramentyp unterschiedlich ausfallen
können.
Die literaturgeschichtliche Bedingtheit des Nebentextes
Bestimmte Textsegmente des Nebentextes machen die literaturgeschichtliche
Bedingtheit (Historizität) des Nebentextes sichtbar. So hat sich z. B. Art
und Umfang der Bühnenanweisungen bzw. Regiebemerkungen im Laufe der Zeit
sehr gewandelt.
In der ▪ antiken griechischen
Tragödie um 500 v. Chr. herum
findet man im nur wenige Bühnenanweisungen, die sich im Kern stets auf den
szenischen Ablauf bzw. die Szenenfolge beziehen.
Die nachfolgenden Zitate
entstammen aus dem Drama "Antigone"
von
»Sophokles (496-406/405 v. Chr. ), in der
Übersetzung
von
»Friedrich Hölderlin (1170-1843 ) aus dem Jahre 1804.
Der
Deutlichkeit halber sind die Nebentextsegmente mit Fettdruck und roter
Schriftfarbe markiert. Zugleich sind jene Textteile unterstrichen, die das
Fehlen expliziter Bühnenanweisungen durch implizite, in der dramatischen
Rede selbst artikulierten Regiebemerkungen, kompensieren.
HÄMON
Nicht wahrlich mir. Das lasse nie dir dünken.
Nicht untergehn wird diese, nahe mir.
Und nimmer sollst du sehn mein Haupt vor Augen,
Damit du ungestört mit denen bleibst, die dein sind.
(Hämon geht ab.)
CHOR
Der Mann, mein König, ging im Zorne schnell,
Ein solch Gemüt ist aber schwer im Leiden.
KREON
Er tu es! denke größer als ein Mann!
Doch rettet er vom Tode nicht die Mädchen.
CHOR
Denkst du sogar zu töten diese beiden?
KREON
Nicht die, die's nicht berührt; da hast du recht.
CHOR
Und denkst du über jene nach; wie willst du töten?
KREON
Sie führen, wo einsam der Menschen Spur ist,
Lebendig in dem Felsengrunde wahren,
So viele Nahrung reichen, als sich schickt,
Daß nicht die Stadt zuschanden werde vollends.
Dort wird sie wohl zum Todesgotte beten,
Den sie allein von allen Göttern ehrt,
Und werden kann ihr's, daß sie nimmer stirbt.
So wird sie einsehn, aber geisterweise:
Es sei doch Überfluß, Totes ehren.
(Kreon gehet hinein.)
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KREON
Du also, die zur Erde neigt das Haupt,
Sagst oder leugnest du, daß du's getan habst?
ANTIGONE
Ich sage, daß ich's tat, und leugn es nicht. |
ZWEITE
SZENE
Der Chor. Kreon. Antigone. Ismene.
CHOR
Aber jetzt kommt aus dem Tor Ismene,
Friedlich, schwesterliche Tränen vergießend.
Ein Geist über den Augenbraunen das blutige
Gesicht deckt,
Waschet rege von den Schläfen die Wangen.
KREON
Ja! du! die du drin hockst, daheim, wie
Schlangen,
Geborgen und mich aussaugst! hat nicht einer mir
Berichtet, daß ich zwei Einbildungen hab an mir
Und Feinde des Throns? geh, sage, hast du mitgemacht
Am Grabe, oder hast du's mit der Unschuld?
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Im Grunde genommen wird im antiken griechischen und römischen Theater
alles Wort und in Zeiten, in denen man sich auf antiken Traditionen in
besonderer, nämlich antikisierenden Weise stützt, wie beim Renaissance- und
Barockdrama wird die Bühne zur "Stätte rhetorischer Deklamation [....]
Dinge, außersprachliche Tätigkeiten und Gefühle spielen nur eine Rolle,
soweit die Akteure redend darauf hinweisen (»dies Schwert«, »ich trinke«
usw.)" (Asmuth
1980/ 62004, S. 51)
Bedeutung von
Dramen-, Akt- und Szenentiteln
Auch ein Blick auf die Bedeutung von Dramen-, Akt- und
Szenentiteln macht dies schnell deutlich.
Der ▪ Dramentitel, z.
B., stellt im Allgemeinen ja
nur den Anfangspunkt eines bestimmten dramatischen Textes und den Beginn
einer Aufführung des Textes dar. Analoges gilt für Akt- bzw.
Szenentitel. In
▪
Brechts
epischem Theater dagegen
haben gerade Dramen- bzw. Szenentitel,
▪ Epigraphe und ähnliches eine zentrale
Funktion für die Inszenierung und das wirkungsästhetische Konzept. Sie
sollen nämlich zur Desillusionierung der Zuschauer beitragen, zielen
darauf, den Zuschauer zum kritischen Beobachter des Stückes und seiner
Akteure zu machen, ohne sich mit der Bühnenhandlung und/oder einzelnen
Figuren in irgendeiner Weise zu identifizieren.
Die im Nebentext enthaltenen
explizit formulierten
Bühnenanweisungen stellen dagegen Textsegmente mit hoher
Inszenierungsvalenz dar, das sie das Verhalten und Aussehen der
Schauspieler oder die Inszenierung des Raumes häufig ganz direkt festlegen
sollen.
Gert Egle. zuletzt bearbeitet am:
19.12.2023
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