Die dramatische Rede konstituiert ihre
Sprechsituation
Die ▪ dramatische Rede wird auf
Textebene meistens nur im ▪
Nebentext
der ▪
Markierung des jeweiligen Sprechers
"eingeleitet" oder im Wechsel begrenzt.
Sieht man verschiedenen Tendenzen zur "Episierung"
des Dramas ab, die z. B. bei umfangreichen ▪
expliziten Bühnenanweisungen wie sie im
▪
naturalistischen Drama (1880-1910)
(z. B. bei den Dramen
»Gerhart
Hauptmanns (1862-1946) machen dramatische Texte gewöhnlich eher
spärliche explizite Angaben darüber zu den in der dramatischen Rede
ausgedrückten Sprechakten. Aber es gibt durchaus ▪
explizite und ▪
implizite Bühnenanweisungen, die ▪ kontext-
oder ▪ schauspielerbezogene Instruktionen
enthalten und damit bestimmte Aspekte des jeweiligen ▪
Sprechaktes (▪
Teilakte: ▪
propositionaler Akt, ▪
Illokutionsakt,
▪ perlokutiver Akt)
mehr oder weniger qualifizieren.
Verglichen mit dem, was der
Erzählerbericht
bei einem
erzählenden Text zur Qualifizierung eines bestimmten Sprechaktes von
Figuren leisten kann, stehen dem Drama allerdings nur wenige Mittel zur
Verfügung, um dem Leser auf Textebene diese kommunikativen Strukturen zu
vermitteln, denn: "Dramatische Rede als Sprechakt konstituiert jeweils
ihre Sprechsituation ... und ist damit situativ gebunden." (Pfister
1977, S.24)
Der Gestus der dramatischen Rede
Die Analyse der Kommunikation im dramatischen
Dialog kann auf der Grundlage von
Bertolt Brechts Theorie vom (gesellschaftlichen)
Gestus in Verbindung mit bestimmten Ergebnissen der
Kommunikationspsychologie
und -theorie erfolgen. (vgl.
Der Gestus der Rede)
Ein derartiges Analysemodell haben
Karl Beilhardt, Otto Kübler und Dietrich Steinbach (1979) entwickelt.
Die Sprechweise im Drama wird dabei als zugleich stilistiert und natürlich
aufgefasst, da das fiktionale Gespräch mit den realen und
natürlichen Kommunikationsprozessen vermittelt werde (vgl.
Beilhardt u. a. 1979, S.8).
Von dieser Annahme
ausgehend ergeben sich in dem Modell zur die Analyse dramatischer Dialoge
vor allem folgende Untersuchungsgesichtspunkte und Verfahrensweisen:
-
Der gesellschaftliche Gestus eines Gesprächs
-
Inhalts- und Beziehungsaspekt der Kommunikation
-
Symmetrische oder komplementäre Kommunikation
-
Diskurs und ideale Sprechsituation

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Nach
Beilhardt u. a. (1979) lässt sich
Bertolt Brechts Theorie vom
(gesellschaftlichen) Gestus für die Analyse von Dialogen im Drama fruchtbar
machen.
Die wichtigen Grundannahmen, Prinzipien und Kategorien von
Bertolt
Brechts
Theorie vom (gesellschaftlichen) Gestus sind. (vgl.
4 Zitate Brechts über die Bedeutung des Gestus)
-
Sprache und Sprechen sind
Werkzeuge des Handelns.
-
Die Beziehungen der Menschen
zueinander und die Haltungen, die sie dabei einnehmen, wird als
Gestus bezeichnet.
-
Im gesellschaftlichen Gestus
der Äußerungen werden die den (Sprech-)Handlungen zugrunde liegenden
gesellschaftlichen Haltungen der Menschen zueinander erkennbar. Dieser
gesellschaftliche Gestus
scheint in diesen Handlungen immer durch.
-
Der
soziale Gestus der Sprache
besteht in der nicht davon lösbaren kommunikativen Grundfunktion von
Sprache, die sogar im Selbstgespräch erhalten bleibt.
(vgl. ebd. S. 8)
Die ▪ Typologie
verschiedener Formen des Gesprächs im Drama, die
Beilhardt u. a. (1979) entwickeln, geht davon aus, dass Gespräche einen jeweils
unterschiedlichen gesellschaftlichen Gestus haben.
Damit rückt auch
der Beziehungsaspekt der Kommunikation und die Art und Weise, wie damit
"Haltungen und Beziehungen der Sprecher zueinander sprachliche werden“, in
den Blickpunkt des Interesses. Dies schließt ein, dass auch die Bedingungen,
unter denen Kommunikation im Allgemeinen gelingen oder scheitern kann,
thematisiert werden können. Zugleich werden auch die gesellschaftlichen
Bedingungen und gesellschaftlichen Beziehungen der Menschen zueinander
sichtbar.
Unter literaturgeschichtlichem Aspekt lässt sich dabei bei der Gestaltung
des dramatischen Dialogs eine Entwicklung feststellen. Während nämlich das
ältere Drama im dramatischen Dialog den Schwerpunkt auf den Inhaltsaspekt
legt, zielt das moderne Drama eher auf die Gestaltung des Beziehungsaspektes
der Kommunikation.
Indem so in der Metakommunikation auch die Bedingungen,
unter denen Kommunikation im Allgemeinen gelingen oder scheitern kann, ins
Blickfeld geraten, werden auch die ihnen zugrunde liegenden
gesellschaftlichen Bedingungen und gesellschaftlichen Beziehungen der
Menschen zueinander sichtbar. (vgl. ebd. S. 10f.)
Der
gesellschaftliche Gestus eines Gesprächs hängt auch davon ab, ob die
Beziehung der Gesprächspartner symmetrisch oder komplementär
gestaltet ist.
-
Symmetrisch ist eine Beziehung dann,
wenn die sozialen, funktionalen und institutionellen Rollen, die die
Gesprächspartner im Dialog spielen, auf Gleichheit beruhen. Die
Gesprächspartner sind also in dieser Hinsicht gleichberechtigt.
Tendenziell zielt die symmetrische Kommunikation damit in ihrer reinen
Form auf eine herrschaftsfreie
Kommunikation.
-
Komplementär dagegen ist dagegen
eine Beziehung, die vom Gegenteil charakterisiert wird. Hier gibt es
zumindest einen, der dominiert und einen, der der Dominanz des anderen
unterworfen ist. Die Gesprächspartner nehmen dann
superiore und inferiore
Stellungen im Gespräch ein, die aus unterschiedlichen sozialen,
funktionalen oder institutionellen Gründen zustande kommen.
Was in
natürlichen Gesprächen im Allgemeinen nicht vorkommt, zeichnet dabei den
fiktionalen Dialog aus. In ihm kann die eine oder andere
Beziehungsdefinition - symmetrisch oder komplementär - quasi in Reinform
gestaltet werden, wie es in der Wirklichkeit des natürlichen
Gesprächs, wo sich symmetrische und komplementäre Anteile und Phasen ständig
mischen und /oder abwechseln, nicht anzutreffen ist. (vgl. ebd., S.11)
Eine ideale Sprechsituation
zeichnet sich nach
Habermas (1971, S. 31) dadurch aus, dass sowohl die äußeren Bedingungen als auch die
innere Struktur eines Gesprächs keinerlei systematische Verzerrungen
zulassen.
Dies ist dann der Fall "wenn für alle möglichen Beteiligten, eine
symmetrische Verteilung der Chancen, Sprechakte zu wählen und auszuüben,
gegeben ist."
In einer solcherart definierten idealen Sprechsituation wird
eine diskursive
Auseinandersetzung zur Begründung Meinungen und Standpunkten
möglich. Auf der Basis einer "kooperativen Verständigungsbereitschaft"
ermöglicht der (herrschaftsfreie)
Diskurs damit, Geltungsansprüche in Frage zu stellen, Sachverhalte
zu problematisieren und Empfehlungen und Warnungen zu diskutieren. (vgl.
ebd.)
Vor allem in der Möglichkeit des dramatischen Dialogs, quasi im Vorgriff
auf die noch zu schaffenden realen gesellschaftlichen Bedingungen, eine
ideale Sprechsituation zu gestalten, sehen
Beilhardt u. a. (1979) die herausragende didaktische Funktion des
fiktionalen Dialogs, "in der sich die Ausrichtung auf den Diskurs (Fähigkeit
zum Diskurs) mit der kritischen (Selbst-)Reflexion auf die Bedingungen der
Diskurs-Verhinderung verbindet." (Beilhardt u. a.,1979,
S. 12)
Gert Egle. zuletzt bearbeitet am:
21.07.2020
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