Indem man dem Begriff Parabel das Attribut modern gibt,
wird auf das Verhältnis zur ▪
traditionellen Parabel und ihre Nähe zu
▪ Themen und Strukturen der modernen Literatur abgehoben.
Die
▪
moderne Parabel hat die didaktische
Funktion und das Sinnversprechen der ▪
traditionellen Parabel, das nur in der von Erzähler und Leser
geteilten Vorstellungswelt über "Gott und die Welt"
eingelöst werden kann, hinter sich
gelassen. Das hat für die Entwicklung der Parabel als Textsorte weitreichende Konsequenzen.
Von den neuen Möglichkeiten haben vor allem Autoren wie ▪
Franz Kafka (1883-1924),
▪ Robert Musil
(1880-1942), »Bertolt
Brecht (1898-1956), »Thomas
Bernhard (1931-1989), »Max
Frisch (1911-1991), »Elias
Canetti (1905-1994), »Friedrich
Dürrenmatt (1921-1990), »Walter
Benjamin (1892-1940) , »Hermann
Broch (1886-1951), »Günter
Kunert (geb. 1929) Gebrauch gemacht oder ihnen überhaupt erst
einmal den Weg gebahnt. Sie sind wohl auch
diejenigen Autoren, die im schulischen Literaturunterricht am
häufigsten Unterrichtsgegenstand werden bzw. geworden sind.
Inhaltlich sind die Themen der modernen Parabel ganz andere als
die der traditionellen Parabel. Das liegt daran, dass ihre Autoren Anfang
des 20. Jahrhunderts aufgrund sozialökonomischer Entwicklungen
(Industrialisierung, Massenarmut usw.), politisch-gesellschaftlicher
weltumspannender Krisen und Katastrophen (z. B. Erster Weltkrieg)
und dem zunehmenden Bedeutungsverlust der Religion für den
Lebensvollzug des Einzelnen ihre Welt mit ganz anderen Augen sehen
und erfahren als ihre Vorgänger.
Was in der traditionellen Parabel
noch in einem Sinn aufgeht, läuft bei der modernen Parabel ins
Leere.
Moderne Parabeln
können und wollen ihren Lesern keine Antworten auf Probleme des
alltäglichen Lebens und auf existenzielle Fragen geben. Sie stellen
zwar auf ihre Weise die Frage nach dem Sinn des Lebens. Grundsätzlich lassen sie solche Fragen aber unbeantwortet. Ihre
Autorinnen und Autoren und ihre Erzähler haben keine solchen
Konzepte für das richtige Leben parat.
Historisch und
soziologisch betrachtet, liegt dies an den Entwicklungsprozessen der
Industriegesellschaft, die in ihrem permanenten ▪
Strukturwandel
in einem lang anhaltenden und eigentlich ohne absehbares Ende
verlaufenden "Metaprozess" (Krotz (2006,
S.29) der Individualisierung die Bedingungen "für das Zusammenleben
der Menschen, für Kultur, Politik, Ökonomie und andere
Lebensbedingungen von Bedeutung" (ebd.)
grundlegend verändert hat und immer weiter verändert. In
Metaprozessen wie der ▪
Individualisierung, der Globalisierung, Kommerzialisierung,
Mediatisierung sowie der "Singularisierung"
(Reckwitz
2017/2019) werden die die lange vorhandenen "kollektiven oder
gruppenspezifischen Sinnreservoire" verbraucht. (vgl. ▪
Ulrich Beck 1993). Einfach gesagt: Was früher geglaubt, nach
welchen Prinzipien gehandelt oder das Leben eingerichtet wurde und
auf welche Weise gesellschaftlicher Zusammenhalt geschaffen wurde,
ist zusehend erodiert, ohne dass diese "Sinnreservoire" sich mit
neuen, irgendwie gesellschaftliche Verbindlichkeit schaffenden neuen
Inhalten wieder aufgefüllt wurden.
In diesem
besonderen gesellschaftlichen Spannungsfeld positionieren sich auch
moderne Parabeln. Sie
hinterfragen die Wirklichkeit und rücken die Lage des "modernen"
Menschen ins Licht und zeigen seine "kosmologische Obdachlosigkeit" (Yun
Mi Kim 2012, S.22)
-
Dabei zeichnen
sie oft Menschen, "die sich auf dem
Weg zu dem nicht vorhandenen bzw. nicht erreichbaren Absoluten
verirren." (ebd.,
S.20)
-
Was sie
thematisieren, steht in keinem religiösen Transzendenzbezug mehr
und der Totalitäts- und
Wahrheitsanspruch der traditionellen Parabel hat sich verflüchtigt.
-
Dementsprechend wird auch das von der traditionellen Parabel
gegebene "Sinnversprechen" aufgegeben.
-
Stattdessen bildet
die moderne Parabel die
Suche des Menschen nach Erkenntnis seiner selbst und der Welt ab.
-
Sie
legt den Finger auf die Probleme zu einer in der Welt verwertbaren
Erkenntnis zu gelangen, indem sie das "Unterwegssein" thematisiert,
das "von Skepsis und Orientierungslosigkeit begleitet" ist. (ebd.)
-
Am Ende steht kein in sich geschlossenes, konsistentes Weltbild,
sondern eine von Tradition und Ideologie geprägte Welt in Auslösung
und Widersprüchen.
▪
Bausteine
▪ Explizite Transfersignale
▪ Inferenzbildung beim Lesen kürzerer erzählender Texte