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Ueber die ungünstige, nicht fortschreitende Lage der Wissenschaften; es muss
ein durchaus anderer, bisher nicht gekannter Weg dem menschlichen Verstande
eröffnet, und andere Hülfsmittel müssen beschafft werden, damit der Geist von
seinem Rechte gegen die Natur Gebrauch machen kann. [36] Die Menschen
scheinen weder ihre Mittel noch ihre Kräfte richtig zu kennen; von jenen halten
sie mehr, von diesen weniger, als recht ist. So kommt es, dass sie entweder die
vorhandenen Künste sinnlos überschätzen und nichts über sie hinaus verlangen,
oder dass sie sich selbst mehr als billig verachten, ihre Kräfte auf
unbedeutende Dinge verwenden und in den wichtigsten nicht versuchen. So sind
ihren Wissenschaften gleichsam Säulen vom Schicksal gesetzt, über die
hinauszukommen man weder das Verlangen noch die Hoffnung hat. Aber [37]
eingebildeter Reichtum ist eine Hauptursache der Armuth und die Zuversicht auf
das Gegenwärtige lässt die wahre Hülfe für die Zukunft vernachlässigen. Deshalb
ist es zweckmässig, ja nothwendig, dass hier an der Schwelle meines Werkes ohne
Umschweife und im Ernste alles Uebermaass von Ehrfurcht und Bewunderung vor den
bis herigen Entdeckungen aufhöre, und dass die nützliche Ermahnung ergehe, man
möge dessen Menge und Nützlichkeit nicht übertreiben noch übertrieben rühmen.
Denn schaut man genauer in jene bunte Reihe der Bücher von denen Künste und
Wissenschaften strotzen, so wird man finden, dass darin überall dasselbe ohne
Ende wiederholt wird, wobei nur die Art der Behandlung wechselt aber an
Erfindung nichts Neues hervorkommt. So meint man bei dem ersten Blick Vieles zu
besitzen, aber bei der Prüfung schmilzt es zu Wenigem zusammen. Und im Punkt der
Nützlichkeit muss man offen gestehen, dass jene Weisheit, die wir hauptsächlich
von den Griechen empfangen haben, eine kindische Wissenschaft ist und mit den
Kindern das Eigenthümliche theilt, dass sie geschickt zum Schwätzen macht, aber
unfähig und unreif zum Erzeugen ist. Sie ist fruchtbar an Streitfragen, aber
unfruchtbar an Werken, so dass die Fabel von der Scylla genau auf den jetzigen
Zustand der Wissenschaften passt, die das Gesicht und den Mund einer Jungfrau
zeigte, aber deren Leib bellende Ungeheuer umgürteten und behingen. So haben
auch Wissenschaften, an die wir uns gewöhnt, einige schmeichelnde und zierliche
Allgemeinheiten; kommt man aber zu dem Besonderen, gleichsam zu den
Zeugungstheilen aus denen die Frucht und das Werk hervortreten soll, dann
beginnt der Streit und der bellende Zank, in dem sie verlaufen, und welche die
Stelle der Geburt vertreten. Wären diese Wissenschaften nicht eine völlig
abgestorbene Sache, so durfte es wenigstens nicht dazu kommen dass sie
Jahrhunderte hindurch nicht von der Stelle rückten und keinen des
Menschengeschlechts würdigen [38] Zuwachs erhielten, wie dies geschehen ist.
Dies geht so weit, dass nicht blos Behauptungen oft nur Behauptungen bleiben,
sondern Fragen nur Fragen, und dass alle Erörterungen sie nicht lösen, sondern
befestigen und unterhalten; ja dass die ganze Ueberlieferung und Folge der
Wissenschaften nur Lehrer und Schüler zeigt, aber keinen Erfinder und Keinen,
der den vorhandenen Erfindungen etwas hinzugefügt hätte.
In den mechanischen Künsten sehen wir dagegen das Entgegengesetzte geschehen;
gleich als wären sie eines Lebensodems theilhaftig, vermehren und vervollkommnen
sie sich täglich. Bei dem ersten Erfinder erscheinen sie meist roh, ziemlich
schwerfällig und unförmlich; aber später gewinnen sie immer neue Vortheile und
werden bequemer, und es möchten eher die Wünsche und Neigungen der Menschen
erloschen oder sich ändern, als dass jene zum Gipfel ihrer Vollkommenheit
gelangten. Die Philosophie dagegen und die höheren Wissenschaften werden den
Götterbildern gleich zwar verehrt und gefeiert, aber nicht vorwärts gebracht.
Wenn sie auch mitunter bei ihrem ersten Begründer sich kräftig zeigen, so arten
sie doch später aus. Denn nachdem die Menschen sich in fremde Gewalt gegeben
haben und auf die Worte eines Mannes gleich den Senatoren ohne Stimmrecht
schwören, geben sie den Wissenschaften keine Erweiterung mehr, sondern mühen
sich nur, gewisse Autoren zu preisen und in niedrigem Dienst zu umstehen. Man
wende mir nicht ein, dass die Wissenschaften allmählich gewachsen und zuletzt
eine gewisse Selbstständigkeit gewonnen haben, so dass endlich in den Werken
weniger Männer ihnen feste Sitze hätten bereitet werden können (gleichsam als
hätten sie den gesetzlichen Zeitraum vollendet). Man sage nicht, dass, weil
etwas Besseres sich nicht mehr erfinden lasse, so bleibe nur übrig, das bereits
Gefundene auszuschmücken und zu pflegen.
Man möchte freilich wünschen, dass es sich so verhalten hätte. Aber das
Richtigere und Wahre ist, dass diese Entlassung der Wissenschaften zur
Selbstständigkeit nichts weiter ist als ein Zustand, der aus dem Selbstvertrauen
Einiger und aus der Sorglosigkeit und Trägheit aller Uebrigen hervorgegangen
ist. Nachdem die Wissenschaften vielleicht in einzelnen Schulen mit Fleiss
angebaut [39] und behandelt worden waren, hat sich ein verwegener Geist erhoben,
dessen verständlicher Vortrag gefiel und gefeiert wurde, und der nur dem Scheine
nach eine Kunst schuf, in Wahrheit aber die Arbeit der Früheren verdarb. Allein
den Späteren war das ganz recht; es erleichterte ihre Arbeit, und Ekel und
Ungeduld hielten sie von neuen Untersuchungen zurück. Beugt sich Jemand dieser
eingewurzelten Einstimmigkeit als dem Urtheile des Zeitalters, so stützt er sich
auf einen sehr trügerischen und schwachen Grund. Denn es ist zum grossen Theil
uns unbekannt, was in den Wissenschaften und Künsten in verschiedenen
Jahrhunderten und Ländern erreicht und dem Publikum mitgetheilt worden, und noch
weniger wissen wir, was die Einzelnen versucht und im Stillen betrieben haben.
Weder die richtigen, noch die Fehl-Geburten der Zeit sind in den Jahrbüchern
verzeichnet. Auch die Einstimmigkeit und ihre lange Dauer ist von keiner grossen
Bedeutung; denn so vielerlei Staatsverfassungen es auch geben mag, so gilt in
den Wissenschaften doch nur eine, und diese ist immer der Freistaat gewesen und
wird es bleiben. Bei der Menge galten freilich am meisten die streitsüchtigen
und kampflustigen oder die schön gefassten aber inhaltslosen Lehren, welche die
Zustimmung entweder mit dem Streit sich erzwingen oder mit Süssigkeiten sich
erschmeicheln. Daher haben die grössten Geister zu allen Zeiten Gewalt erlitten,
während Männer von selbst guter Fassungsgabe und Einsicht sich um ihres Rufes
willen dem Urtheile der Menge und [40] der Zeit beugten. Kamen irgendwo tiefere
Betrachtungen zufällig zum Vorschein, so wurden sie von dem Sturme der
öffentlichen Meinung vertrieben und verlöscht. Die Zeit hat, wie der Strom, nur
das Leichte und Aufgeblasene uns zugeführt, das Schwere und Feste aber versinken
lassen.
Selbst jene Autoren, die eine Art Diktatur in den Wissenschaften sich angemasst
haben und mit so viel Zuversicht über die Dinge absprechen, gehen doch von Zeit
zu Zeit in sich und beklagen sich über die Feinheit der Natur, über die
Schlupfwinkel der Wahrheit, über die Dunkelheit der Gegenstände, über die
Verwickelung der Ursachen und über die Schwäche des menschlichen Geistes. Aber
deshalb werden sie nicht bescheidener; denn sie beschuldigen lieber die
allgemeine Natur der Menschen und Dinge, als dass sie sich selbst für schuldig
bekennen. Vielmehr gilt es bei ihnen als ein feierlicher Grundsatz, dass das,
was eine Kunst nicht erreicht hat, für diese auch unmöglich sei. Aber die Kunst
kann nicht verurtheilt werden, wo sie selbst streitet und das Urtheil spricht;
man will damit nur die Unwissenheit noch von der Schande befreien.
Mit dem, was bisher gelehrt worden und gegolten hat, verhält es sich ungefähr
so, dass die Leistungen unfruchtbar, die Streitfragen aber zahllos sind; die
Fortschritte geschehen langsam und schwach; dem Ganzen giebt man den Schein der
Vollkommenheit, aber im Einzelnen kann man nicht Wort halten; man sucht nach
beliebten Sätzen; aber sie bleiben den Urhebern verdächtig und werden deshalb
durch mancherlei Kunststücke vertheidigt und prahlerisch hervorgehoben. Selbst
Die, welche es selbstständig versuchten, den Wissenschaften sich zu ergeben, und
ihre Grenzen zu erweitern sich entschlossen, haben es nicht gewagt, von dem
Hergebrachten ganz abzuweichen und die Quellen der Dinge aufzusuchen; vielmehr
meinten sie schon Grosses geleistet zu haben, wenn sie nur Etwas von sich selbst
einschoben und hinzufügten. Vorsichtig überlegten sie, wie im Zustimmen die
Bescheidenheit und in dem Vermehren die Freiheit bewahrt werden könne.
Aber indem so den Vorurtheilen und Gewohnheiten Rechnung getragen wird, schlägt
solche gerühmte Mittelmässigkeit [41] zum grossen Schaden der Wissenschaften
aus. Denn wer die Autoren bewundert, der pflegt sie selten zu übertreffen, und
man steigt gleich dem Wasser nicht höher hinauf, als man vorher herabgestiegen
ist. Solche Leute verbessern deshalb wohl Einzelnes, aber kommen wenig vorwärts;
sie verbessern, aber sie vermehren nicht.
Einzelne haben allerdings mit kühnem Muthe Alles von vorn angefangen; mit
gewaltigem Anlauf haben sie gesucht, das Frühere niederzuwerfen und durch
Zerstörung sich und ihrer Meinung Platz zu machen. Allein mit solchem Tumult ist
wenig gewonnen worden; es lag ihnen nicht daran, die Philosophie und die Künste
sachlich und durch Arbeit zu erweitern, sondern nur das Belieben zu wechseln und
die Herrschaft über die Gemüther für sich selbst zu erobern. Dies hatte indess
geringen Erfolg, da für die entgegengesetzten Irrthümer die Gründe meist
dieselben sind. Wenn aber auch Einzelne fremder und eigener Vorurtheile sich
entschlugen und die Freiheit begünstigten, um Andere für sich zu gewinnen, so
war ihre Absicht zwar lobenswerth, aber ihre Kraft war zu schwach. Sie begnügten
sich mit wahrscheinlichen Gründen und wurden so durch die entgegengesetzten
Beweisgründe im Kreise herumgeführt; dabei schwächten sie durch ihr
willkürliches Auswählen die Strenge der Untersuchung.
Dagegen findet man Niemand, der bei den Dingen selbst und bei der Erfahrung
schuldigermassen verweilt hätte. Einzelne überliessen sich wohl den Wellen der
Erfahrung und haben es beinah handwerksmässig getrieben; aber sie verfuhren bei
der Erfahrung in herumirrender Weise und arbeiteten ohne feste Regel. Auch
stellten die Meisten sich nur kleinliche Aufgaben; sie hielten es schon für ein
Grosses, wenn sie nur irgend etwas Neues herausbrachten, und ihr Verfahren war
ebenso schwächlich wie ungeschickt. Denn Niemand kann die Natur eines
Gegenstandes durch diesen allein richtig und treffend erforschen; selbst nach
einer Reihe mühsamer Versuche beruhigt man sich nicht, sondern findet, dass man
weiter geben muss. Auch ist zu bedenken, [42] dass der auf Versuche verwandte
Fleiss gleich vom Anfange ab nur auf bestimmte Ziele in verkehrtem und
unzeitigem Eifer bedacht gewesen ist. Man verlangte, ich mochte sagen,
fruchtbringende, aber nicht lichtbringende Versuche; man folgte nicht dem
Beispiele Gottes, der am ersten Tage nur das Licht erschuf und ihm einen ganzen
Tag Zeit liess und an diesem Tage nichts Stoffliches hervorbrachte, sondern erst
an den folgenden Tagen dazu überging. Wer aber den höchsten Werth auf die
Dialektik legt, von da die zuverlässigsten Hülfsmittel für die Wissenschaften zu
gewinnen hofft, der wird auch am sichersten und besten erkennen, dass dem
menschlichen Geist mit Recht nicht vertraut werden kann, wenn man ihn sich
selbst überlässt. Denn alle Medizin steht noch tiefer als das Uebel, und sie
selbst ist nicht frei vom Uebel. Wenn auch die gebräuchliche Dialektik für die
Geschäfte des Verkehrs und für die Künste, bei denen es auf Rede und Meinungen
ankommt, ihren Nutzen haben mag, so bleibt sie doch von der Feinheit der Natur
durch eine grosse Kluft geschieden. Indem sie dennoch nach dem greift, was sie
nicht versteht, taugt sie mehr zur [43] Ausbildung und Befestigung des Irrthums
als zur Eröffnung einer Bahn für die Wahrheit.
Kurz, um das Gesagte zusammenzufassen, weder das Vertrauen auf Andere noch die
eigene Anstrengung scheint bis jetzt den Menschen in Betreff der Wissenschaften
zum Glück gereicht zu haben. Auch in den bis jetzt bekannten Beweisen, und
Versuchen ist wenig Hülfe zu finden. Denn das Bauwerk des Weltalls erscheint in
seiner Einrichtung dem es betrachtenden menschlichen Geiste wie ein Labyrinth;
wie in diesem, so zeigen sich auch hier viel Ungewisse Wege, viel trügerische
Aehnlichkeiten zwischen Dingen und Zeichen, viel schiefe und verwickelte
Windungen und Verschlingungen der Eigenschaften. Dabei führt der Weg in dem
unsicheren Lichte der Sinne, was bald aufleuchtet, bald sich verbirgt,
fortwährend durch eine Unzahl von Erfahrungen und einzelnen Dingen. Selbst Die,
welche sich, wie gesagt, zu Führern erbieten, verirren sich und vergrössern die
Zahl der Irrthümer und der Irrenden. In so schweren Dingen ist an der eignen
Kraft des menschlichen Verstandes wie an dem glücklichen Zufall zu verzweifeln.
Denn wenn auch die Kraft des Geistes noch so ausgezeichnet ist und das Wagstück
der Erfahrung noch so oft wiederholt wird, so führen sie doch nicht zum Siege.
Vielmehr muss man die Spur am Faden festhalten, und der ganze Weg muss vom
Beginn der ersten Sinneseindrücke ab in fester Weise gesichert werden.
Man verstehe das nicht so, als wenn in so vielen Jahrhunderten und mit so viel
Arbeit gar nichts erreicht [44] worden wäre. Die geschehenen Entdeckungen bereue
ich nicht, und die Alten haben sich in dem, was vom Geist und dem reinen
Nachdenken abhängt, als bewunderungswürdige Männer gezeigt. Aber so wie in
frühem Jahrhunderten man bei der Schifffahrt den Weg nur nach den Sternen
bestimmen konnte, sich an den Küsten des alten Kontinents halten musste und nur
kleine und binnenländische Meere durchschneiden konnte, und wie, bevor der Ocean
beschifft und die Länder eines neuen Welttheils entdeckt werden konnten, der
Gebrauch der Magnetnadel als eines sichereren und zuverlässigeren Führers
bekannt sein musste, so ist in ähnlicher Weise das bis jetzt in den
Wissenschaften und Künsten Entdeckte nur derart, wie es durch Uebung,
Nachdenken, Beobachtungen und Beweisführungen gefunden werden konnte, indem es
den Sinnen näher steht und unter die gewöhnlichen Begriffe fällt; um aber zu dem
Verborgeneren und Entfernteren in der Natur zu gelangen, ist nothwendig die
Einführung eines besseren und vollkommeneren Gebrauchs und Wirkens des
menschlichen Geistes und Verstandes erforderlich.
Ich wenigstens habe, erfüllt von der ewigen Liebe zur Wahrheit, mich auf die
unsicheren und steilen Wege und Einöden begeben; gestützt und vertrauend auf die
göttliche Hülfe, habe ich meine Seele aufrecht erhalten, sowohl gegen die Gewalt
und die geordneten Schlachtreihen der Meinung wie gegen die eigenen und inneren
Zweifel und Bedenken und gegen die Finsterniss in der Sache [45] selbst und die
Wolken und die mich umflatternden Bilder der Einbildungskraft, damit ich endlich
zuverlässigere und sicherere Mittel der Erkenntniss der Mitwelt und den
Nachkommen verschaffen könne. Sollte ich hierin etwas geleistet haben, so ist es
nur durch die wahrhafte und gebotene Demüthigung des menschlichen Geistes
möglich gewesen. Denn Alle, die vor mir den Künsten sich zuwendeten, haben nur
ein Wenig auf die Dinge, die Beispiele und die Erfahrung geschaut und haben
sofort, als wenn das Erfinden nur ein beliebiges Ausdenken wäre, ihren eignen
Geist aufgerufen, um den Orakelspruch zu thun. Ich aber habe mich bescheiden und
dauernd unter den Dingen selbst aufgehalten und habe meine Gedanken nur so lange
von ihnen abgewendet, bis der Gegenstände Strahlen und ihr Bild, wie bei dem
Gesichtssinn, in Eins fielen, wobei der Kraft und Schärfe des Geistes nicht viel
zu thun übrig bleibt.
Diese in dem Auffinden geübte Bescheidenheit habe ich auch in der Darstellung
festgehalten. Ich versuche nicht durch triumphirende Widerlegungen oder durch
die Beihülfe des Alterthums, oder durch Anwendung der Autorität, auch nicht
durch den Schleier der Dunkelheit meinen Entdeckungen ein besonderes Ansehen zu
geben und zu verschaffen, obgleich das für Den nicht schwer gewesen sein würde,
der das Licht nur über seinen Namen und nicht über die Geister Anderer hätte
verbreiten wollen. Dem Urtheile der Menschen thue ich keine Gewalt an; ich
hintergehe sie nicht, sondern führe sie zu den Dingen selbst und zu dem, was
diese verbindet; damit sie selbst sehen, was sie haben, und sehen, was sie [46]
beweisen, was sie hinzufügen, und was sie zu dem Gemeinsamen beitragen können.
Sollte ich selbst aber irgendwo zu leichthin geglaubt oder gar eingeschlummert
sein und zu wenig Acht gehabt haben, oder den Weg verfehlt, oder die
Untersuchung abgebrochen haben, so habe ich doch die Sache so offen und nackt
hingestellt, dass meine Versehen erkannt und beseitigt werden können, ehe sie
eine tiefere Ansteckung in dem Inhalte der Wissenschaften verbreiten. Auch wird
auf diese Weise meine Arbeit leichter und bequemer von Anderen fortgesetzt
werden können. So glaube ich zwischen den beobachtenden und denkenden
Seelenkräften, deren mürrische und unglückliche Scheidung und Trennung Alles in
der menschlichen Familie gestört hat, eine wahre und rechtmässige Ehe für alle
Zeiten begründet zu haben.
Da dies aber nicht in meinem Belieben steht, so richte ich bei dem Beginn dieses
Werkes zu Gott dem Vater und Gott dem Sohn und Gott dem heiligen Geist das
innigste und heisseste Flehen, dass sie der Noth des menschlichen Geschlechts
und der Wanderungen in diesem Leben mit seinen wenigen und schlimmen Tagen
gedenken mögen und in neuer Gnade sich erbarmen und durch meine Hände der
menschlichen Familie eine Ausstattung bereiten lassen mögen. Auch bitte ich
inständig, dass das Menschenwerk das göttliche Werk nicht verhüllen möge, und
dass, wenn ich die Wege der Wahrnehmung eröffne und das natürliche Licht
anzünde, daraus keine Ungläubigkeit und Verdunkelung der Geister für die
göttlichen Mysterien hervorgehe; vielmehr soll der gereinigte Verstand, wenn er
von Einbildungen und Eitelkeiten befreit worden, doch der göttlichen Offenbarung
unterthan und gehorsam bleiben und dem Glauben geben, was des Glaubens ist.
Endlich bitte ich Gott, dass, wenn die Wissenschaft von dem Gift, was die
Schlange gegeben, und was den menschlichen Geist aufbläht und anschwellt,
befreit worden, er uns nicht übermüthig [47] und unmässig werden lasse, damit
wir die Wahrheit in Liebe pflegen.
Nachdem ich mein Gebet beendet, wende ich mich zu den Menschen mit einem
heilsamen Rath und einer billigen Forderung. Zuerst erinnere ich, dass man, wie
ich auch gebetet habe, rücksichtlich der göttlichen Dinge die Sinne in der Zucht
halte. Denn die Sinne lassen, gleich der Sonne, wohl das Antlitz der Erdkugel
schauen, aber sie schliessen und verdecken das des Himmels. Umgekehrt möge man
aus Furcht vor diesem Fehler nicht in den entgegengesetzten fallen, was
sicherlich geschehen würde wenn man meinte, die Erforschung der Natur sei nach
irgend einer Richtung hin durch Verbot uns untersagt. Denn jene reine und
unbefleckte Kenntniss der Natur in welcher Adam den Dingen ihren Namen nach
ihren Eigenthümlichkeiten gab, war nicht der Beginn oder der Anlass zu dem
Sündenfall. Vielmehr lag der Grund und die Weise der Versuchung in jenem
ehrgeizigen und herrschsüchtigen Begehren des moralischen Wissens was über das
Gute und Böse aburtheilt; dies liess den Menschen von Gott abfallen, damit er
sich selbst seine Gesetze gebe. Von den Wissenschaften aber,[48] welche die
Natur betrachten, sagt jener heilige Philosoph: »Der Ruhm Gottes ist es, die
Dinge zu verhüllen; der Ruhm des Königs aber ist es, die Dinge zu enthüllen.« Es
ist, als wenn die Gottheit sich an den unschuldigen und gutmüthigen Spielen der
Knaben erfreute, welche sich verstecken, damit man sie finden solle, und als
wenn sie den menschlichen Geist sich zu dem Gehülfen bei diesem Spiel in ihrer
Nachsicht und Liebe für die Menschen auserwählt hätte.
Endlich möchte ich Jedermann ein für allemal erinnern, der wahren Ziele der
Wissenschaft eingedenk zu bleiben. Man soll sie nicht erstrebendes Geistes
wegen, nicht zum Streit, nicht am Andere zu verachten, nicht des Vortheils oder
des Ruhmes und der Macht oder anderer niederer Absichten willen, sondern zum
Dienst und Nutzen für das Leben; in Liebe sollen sie es verbessern und leiten.
Aus Begierde nach Macht sind die Engel, und aus Begierde nach Wissen sind die
Menschen gefallen; aber in der Liebe giebt es kein Uebermaass, und weder ein
Engel noch ein Mensch ist durch sie je in Gefahr gekommen.
Die Anforderungen, welche ich stelle, sind folgende: Von mir selbst schweige
ich, aber um der Sache willen, die verhandelt wird, bitte ich, dass man sie
nicht als einen Einfall, sondern als eine Arbeit anerkenne und überzeugt sei,
dass ich nicht nach den Grundlagen einer Sekte oder eines Ausspruchs, sondern
nach den Grundlagen für der Menschen Nutzen und Grösse suche. Möge man, seines
Vortheils eingedenk, den Eifer und die Vorurtheile der oberflächlichen Meinung
bei Seite lassen, gemeinsam Raths pflegen, und wenn man aus den Irrwegen und
Hindernissen durch meine Mittel und Hülfe sich befreit und gesichert hat, so
möge man an der übrigen Arbeit sich selbst betheiligen. Auch möge man sich
beruhigen und meine Erneuerung der Wissenschaften nicht für etwas Unendliches
und Uebermenschliches halten; vielmehr ist sie in Wahrheit nur das Ende und die
rechte Grenze des unendlichen Irrthums. Möge [49] man auch die menschliche
Schwäche und Sterblichkeit bedenken, und nicht verlangen, dass in dem Laufe
eines Lebens das Werk sich vollende; man überlasse auch den Nachkommen, daran
mitzuarbeiten. Endlich suche man die Wissenschaft nicht hochmüthig in den Zellen
des menschlichen Geistes, sondern bescheiden in einer grösseren Welt. So wie das
Leere meist wüst und unbestimmt ist, so ist das Feste beschränkt und im Kleinen
enthalten. – Endlich möge man (damit man nicht zum Schaden der Sache meine
Person ungünstig beurtheile) erwägen, inwieweit man nach dem, was ich in
Anspruch zu nehmen genöthigt bin (um mir selbst getreu zu bleiben) ein Recht
habe, über mein unternehmen einen Ausspruch zu thun oder ein Urtheil zu fällen.
Denn ich verwerfe gänzlich jene vorzeitig vorgreifende und von den Gegenständen
voreilig und vorschnell abspringende Weise des Denkens da, wo es auf die
Erforschung der Natur ankommt; ein solches Verfahren ist veränderlich, verworren
und schlecht eingerichtet. Man verlange nicht, dass ich dem Urtheil jener mich
unterwerfe, die selbst vor Gericht gestellt werden soll.
Anmerkungen:
Von der ursprünglich auf sechs Teile geplanten Abhandlung hat Bacon nur den
ersten und größere Abschnitte des zweiten und dritten Teils publiziert. Als
erstes erschienen die zwei Bücher des zweiten Teils unter dem Titel »Instauratio
Magna. Novum Organum, sive Indicia vera de interpretatione naturae«, London
1620. Die erste deutsche Übersetzung durch G. W. Bartoldy erschien unter dem
Titel »Neues Organon«, Berlin 1793. Der vorliegende Text folgt der
Übersetzung durch Julius Heinrich von Kirchmann von 1870 - Die in eckigen
Klammern gesetzten Zahlen geben die jeweiligen Seitenzahlen in dem Buch an -
Quelle:
Zeno.org
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