Home
Nach oben
Zurück
Weiter
 

 

Julius Hart (1859 - 1930)

Auf der Fahrt nach Berlin

(1885)


 

Von Westen kam ich, – schwerer Haideduft
Umfloß mich noch, vor meinen Augen hoben
Sich weiße Birken in die klare Luft,
Von lauten Schwärmen Krähenvolks umstoben,
Weit, weit die Haide, Hügel gelben Sand's,
Und binsenüberwachs'ne Wasserkolke,
Fern zieht ein Schäfer in des Sonnenbrand's
Braunglühendem Reich verträumt mit seinem Volke.

Von Westen kam ich, – schwerer Haideduft
Umfloß mich noch, vor meinen Augen hoben
Sich weiße Birken in die klare Luft,
Von lauten Schwärmen Krähenvolks umstoben,
Weit, weit die Haide, Hügel gelben Sand's,
Und binsenüberwachs'ne Wasserkolke,
Fern zieht ein Schäfer in des Sonnenbrand's
Braunglühendem Reich verträumt mit seinem Volke.

Von Westen kam ich und mein Geist umspann
Weichmüthig rasch entschwund'ne Jugendtage,
War's eine Thräne, die vom Aug' mir rann,
Klang's von dem Mund wie sehnsuchtsbange Klage? ...
Von Westen kam ich und mein Geist entflog
Voran und weit in dunkle Zukunftstunden ...
Wohl hob er mächtig sich, sein Flug war hoch,
Und Schlachten sah er, Drang und blut'ge Wunden.

Vorbei die Spiele, durch den Nebelschwall
Des grauenden Septembermorgens jagen
Des Zuges Räder, und vom dumpfen Schall
Stöhnt, dröhnt und saust's im engen Eisenwagen ...
Zerzauste Wolken, winddurchwühlter Wald
Und braune Felsen schießen wirr vorüber,
Dort graut die Havel, und das Wasser schwallt,
Die Brücke, hei! dumpf braust der Zug hinüber.

Die Fenster auf! Dort drüben liegt Berlin!
Dampf wallt empor und Qualm, in schwarzen Schleiern
Hängt tief und steif die Wolke drüber hin,
Die bleiche Luft drückt schwer und liegt wie bleiern ...
Ein Flammenheerd darunter – ein Vulkan,
Von Millionen Feuerbränden lodernd, ...
Ein Paradies, ein süßes Kanaan, –
Ein Höllenreich und Schatten bleich vermodernd.

Hindonnernd rollt der Zug! Es saust die Luft,
Ein anderer rast dumpfrasselnd risch vorüber,
Fabriken rauchgeschwärzt, im Wasserduft
Glänzt Flamm' um Flamme, düster, trüb' und trüber,
Engbrüst'ge Häuser, Fenster schmal und klein,
Bald braust es dumpf durch dunkle Brückenbogen,
Bald blitzt es unter uns wie grauer Wasserschein,
Und unter Kähnen wandeln müd' die Wogen.

Vorbei, vorüber! und ein geller Pfiff!
Weiß fliegt der Dampf, ... ein Knirschen an den Schienen!
Die Bremse stöhnt laut unter starkem Griff ...
Langsamer nun! Es glänzt in Aller Mienen!
Glashallen über uns, rings Menschenwirr'n, ...
Halt! Und »Berlin!« Hinaus aus engem Wagen!
»Berlin!« »Berlin!« Nun hoch die junge Stirn,
Ins wilde Leben laß dich mächtig tragen!

Berlin! Berlin! Die Menge drängt und wallt,
Wirst du versinken hier in dunklen Massen ...
Und über dich hinschreitend stumm und kalt,
Wird Niemand deine schwache Hand erfassen?
Du suchst – du suchst die Welt in dieser Flut,
Suchst glühende Rosen, grüne Lorbeerkronen, ...
Schau dort hinaus! ... Die Luft durchquillt's wie Blut,
Es brennt die Schlacht und Niemand wird dich schonen.

Schau dort hinaus! Es flammt die Luft und glüht,
Horch Geigenton zu Tanz und üpp'gem Reigen!
Schau dort hinaus, der fahle Nebel sprüht,
Aus dem Gerippe nackt herniedersteigen ...
Zusammen liegt hier Tod und Lebenslust,
Und Licht und Nebel in den langen Gassen – – –
Nun zeuch hinab, so stolz und selbstbewußt,
Welch' Spur willst du in diesen Fluten lassen?

(Julius Hart, 1882, vgl. Rohe (Hg.) 1973, S.59-61)

 

 
 
   Arbeitsanregungen:

Interpretieren Sie das Gedicht.

 
               
  Center-Map ] Überblick ] Multimediale Interpretation ] Textauswahl ] Bausteine ]  
    

          CC-Lizenz
 

 

Creative Commons Lizenzvertrag Dieses Werk ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung - Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 International License (CC-BY-SA) Dies gilt für alle Inhalte, sofern sie nicht von externen Quellen eingebunden werden oder anderweitig gekennzeichnet sind. Autor: Gert Egle/www.teachsam.de