In der
Literaturwissenschaft dominiert wohl bis heute die Vorstellung
einer deskriptiven Stilanalyse, die sich vor allem "der
Figurenlehre der Rhetorik (bedient), um die stilistischen
Merkmale eines Textes terminologisch präzise zu erfassen." (Becker/Hummel/Sander
22018, S.47) Dabei ist im Allgemeinen ein ▪
weiter Stilbegriff maßgebend, auch wenn in der Praxis wohl
oft nicht alle gestalterischen Möglichkeiten in Texten
eingeschlossen sind, wie es immer wieder gefordert wird. (vgl.
Anderegg
22006., S.375)
Der weite
Stilbegriff, der "die gesamte Textgestaltung in ihren
kommunikativen Verwendungs-Relationen" (Sandig
22006, S.150) umfasst, stellt die Basis der "integrativen
Stiltheorie", die nach »Bernd
Spillner (*1941)
(1996, S.246) die Grundlage der literarischen Stilistik sein
muss.
Im Rahmen der
deskriptiven Stilanalyse in der Literaturwissenschaft kann eine
makro- und eine mikrostilistische Ebene unterschieden werden:
Da es aber keine einheitliche Stilbeschreibungssprache gibt,
werden Termini aus so unterschiedlichen Bereichen wie der ▪
Rhetorik, der ▪
Grammatik, der ▪
(Text-)Linguistik
oder der Semiotik,
aber auch Termini der literaturwissenschaftlichen ▪
Erzähl-,
▪ Dramen- oder ▪
Lyrikanalyse
herangezogen, um den Stil eines Textes zu beschreiben. Dazu
kommen Termini für bestimmte ▪
textstilistische Handlungsmuster
ein, wie sie
Barbara Sandig (1939-2013) in ihrer ▪
pragmatisch-textlinguistischen Stilistik
(Sandig
1986,
22006)
beschrieben hat.
Es geht also
bei der literarischen Stilistik keineswegs nur um den ▪
Schmuck (ornatus) in der ▪
rhetorischen Tradition der Antike,
die annimmt, "dass im Prozess
der Textproduktion zunächst eine neutrale, unmarkierte
Textfassung entsteht, die dann in der Produktionsstufe der
elocutio einer
besonderen Bearbeitung unterzogen wird" (Spillner
1996, S.242). Für diese besondere Bearbeitung steht dem
Autor bzw. der Autorin eines literarischen Textes ein großes und
reichhaltiges Repertoire von ▪ Stilfiguren und
▪
Tropen (ornatus in
verbis singulis) zur Verfügung.
Die Termini ▪
Figuren und Tropen
sind Kategorien der ▪ Rhetorik. Sie werden oft als rhetorische
Stilmittel bezeichnet. Damit wird auf die enge Verbindung
zwischen Rhetorik und ▪ Stilistik verwiesen. Besser wäre
indessen
in diesem Fall wohl von ▪
rhetorischen
Mitteln zu sprechen, zumal sie, nur weil das eine oder
andere in einem Text Verwendung findet, nicht per se stilbildend
sind. Stil ist nämlich eine Qualität, die dem Text als Ganzem
oder bestimmter größerer Teil zukommt. Dies muss man vor allem
im Zusammenhang mit der
mikrostilistischen Analyse beachten, die den funktionalen
Zusammenhang auf Textebene nicht aus den Augen verlieren darf,
wenn sie sich nicht wieder im Netz des ▪"Stils
an sich" verfangen soll.
Auch die
Betrachtung der bestimmten rhetorischen Mitteln
zugrundeliegenden ▪
Änderungsoperationen
macht für die deskriptive Stilanalyse eines literarischen Textes
nicht sonderlich viel Sinn und die Analyse der in der Rhetorik
für die einzelnen Mittel mehr oder weniger normativ festgelegten
▪
Wirkungsakzente müssen sich der
funktionalen Betrachtung des Textstils unterordnen.
Im rein
textstilistischen Sinne sind eigentlich nur die rhetorischen
Mittel von Bedeutung, die die Zusammengehörigkeit von
Textteilen oder Texten aufzuzeigen, und zwar "in der Art von
wiederkehrenden Mustern" (Anderegg
22006., S.37).
Alle
Textelemente, die dies leisten, gelten als stilistisch relevant.
Sie werden in einem Text auf verschiedene Art und Weise
markiert. Dazu wird eine "spezifische Auswahl und Anordnung
graphischer und phonischer sprachlicher Zeichen" vorgenommen,
"wobei das Mittel der
Rekurrenz
(Wiederkehr, Wiederholung eines sprachlichen Zeichens im Text)
die wichtigste Rolle spielt."
(ebd.,
S.249)
In diesem Sinne
richtet sich das Interesse "auf das, was im Vielfältigen eines
Textkorpus in charakteristischer Weise gleich bleibt oder
wiederkehrt." (Anderegg
22006., S.375) und dabei vor allem auf die
Wahlmöglichkeiten des Autors im Bereich des Wortschatzes und des
Satzbaus (besonders der Satzstellung)". (Spillner
1996, S.249)
Rhetorische Mittel, die
eine derartige textstilistische Funktion haben können, sind z. B.
die Anapher
(Wiederholung derselben Ausdrücke am Anfang mehrerer Sätze
oder Absätze), die Epipher (Wiederholung derselben Ausdrücke an Ende mehrerer
Sätze oder Absätze) und der
(grammatische) Parallelismus (Wiederholung einer bestimmten
syntaktischen Struktur). Sie müssen aber im Hinblick auf
ihre Funktion im Kontext und im Vergleich zu anderen
Möglichkeiten sowie im Blick auf den Leser betrachtet werden.
(vgl. Spillner
1996,
S.253)
Der
grammatische Parallelismus kann (stilistisch gesehen) "für
Klarheit und logische Gliederung sorgen, er kann Aufzählungen
strukturieren, er kann die leichte Einspeicherung ins Gedächtnis
und Merkfähigkeit sichern, er kann – vor allem in politischen
und religiösen Texten – dem Zweck intensiver Überredung dienen."
(ebd.)