Küsse zu lüsterner Art, beschuldiget – hör ich – das Volk mich,
Wie sie das Vätergeschlecht nie, das gestrenge gekannt..
Also, wenn ich den Hals mit verlangendem Arm dir umstricke,
Und mich der herrliche Tode leis in den Küssen berauscht,
Soll ich mit sorgendem Sinn die Reden des Volkes bedenken?
Weiß ich selber ja kaum, wer ich und wo ich nur sey.
Lächelnd vernahmst du, Neaera, das Wort, und schlangest den Einen
Lilienweißen Arm, schlangest den andern um mich.
Darauf küsstest du mich, – selbst Cypiens1
kosende Lippen
Küssten den rüstigen Freund lüsterner nie – und du sprachst:
Kümmre dich nicht um den richtenden Spruch der nüchternen Menge;
Diese Beschwere gehört einzig vor mein Tribunal.
(Quelle:
Küsse. Aus dem Lateinischen übersetzt von Franz Passow, Leipzig 1807,
S.45f.) – gemeinfrei
Worterklärung:
1
Cypiens: Die neulateinische Originalstelle lautet:
Audiit et risit formosa Neaera, meumque hinc collum nivea cinxit et inde
mani basiolumque dedit (quo non lascivius umquam inseruit Marti** Cypria
blanda suo!)
in der Übersetzung der
Deutschen Gedichtebibliothek lauten die beiden Verse:
"Küsste mich dann,
wie niemals die Venus* in tieferer Wollust
Je den Mund ihres Mars lüsterner küsste, und sprach:"
*»Venus
ist in der »römischen
Mythologie Göttin der Liebe, der Schönheit und der
sinnlichen Begierde; ihr gr. Pendant ist die »olympische
Göttin »Aphrodite,
die oft als Beschützerin der geschlechtlichen Liebe dargestellt wird und
als verkörpertes Ideal der Schönheit; zudem wird sie als
Fruchtbarkeitsgöttin verehrt. Venus muss ihre Liebe zu Adonis auf Geheiß des
olympischen Göttervaters »Zeus
mit dessen Tochter »Persephone
einer »Toten-, »Unterwelt-
und »Fruchtbarkeitsgöttin
teilen (in der »
römischen Mythologie heißt sie
Proserpina);
** »Mars:
Kriegsgott der Römer

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Das Motiv von »Venus,
Mars und Amor ist vor allem auch in der Bildenden Kunst bekannt und
wurde
von dem florentinischen Maler Piero
di Cosimo (1462-1521) in einem Gemälde, das etwa 1505 entstanden
ist, gestaltet. Dargestellt sind »Venus,
die Göttin der Liebe, Amor,
der in Göttern und Menschen die Liebe entzündet, und ihnen gegenüber der
schlafende Kriegsgott »Mars.
Das Bild kann als eine Allegorie des Sieges der Liebe über den Krieg
angesehen werden. ein Motiv,
das auf den römischen Dichter »Lukrez
(94 –55/53 v. Chr.) zurückgeht.
"In der griechischen Mythologie war Venus
mit dem hinkenden und hässlichsten der olympischen Götter, »Hephaistos –
römisch Vulcanus –
verheiratet. »Homer
erzählt in seiner »Odyssee,
wie »Venus
in einer Liebesnacht mit »Mars
von ihrem Ehegatten in
flagranti überrascht
wird. Der kunstfertige Hephaistos wirft über das ehebrecherische Paar
ein unsichtbares, aber höchst wirksames Netz, woraufhin die Götter im
Olymp in das sprichwörtliche »homerische
Gelächter ausbrechen. Auf
Pieros Bild ahnt das Paar offensichtlich nichts von Hephaistos’
Racheakt, allein Amor, der mit aufgerissenen Augen zum Himmel schaut und
mit dem Zeigefinger auf den schlafenden Mars weist, scheint das nahende
Unheil zu bemerken." (Wikipedia.de,
13.08.2021
Ein in der Bildkomposition ähnliches
Gemälde (»Venus
und Mars) hatte zuvor schon »Sandro
Boticelli (1445-1510) gemalt, das Piero di Cosimo als Vorbild für
seine Gestaltung gedient hat. Allerdings fehlt darin diese Anspielung
auf Homers allgemein bekannte Erzählung in der Odyssee, die sicherlich
auch Johannes Secundus bekannt gewesen sein dürfte.