In der Barocklyrik sind Gedichte, die
Bilder auf der Schriftebene verwenden, sehr verbreitet. Sie werden als
Bilder- oder Figurengedichte bezeichnet. (vgl.
Niefanger
2012, S.113)
Es handelt sich dabei um lyrische Texte, die mit ihrer Schrift- und
Textgestaltung ihren Inhalt, meisten einen bestimmten Gegenstand abbilden,
der sprachlich dargeboten wird. Sie "radikalisieren den sich aus der Formel
ergebenden Grundsatz, dass Poesie und Bildkunst von gemeinsamen ästhetischen
Prinzipien ausgehen können" (ebd.
und verbinden damit die bildende und die sprachliche Kunst miteinander. Im
Gegensatz zu anderen, streng regelpoetisch mit metrischen Vorgaben
versehenenen lyrischen Formen, wie dem im Barock besonders geschätzten
Sonett, verzichten
Figurengedichte auf metrische
Vorgaben wie bestimmte
Verse,
Versfüße oder
Versmaße.
Vielzitierte Beispiee stellen Figurengedichte dar, die eine Sanduhr
gestalten. Dazu zählen u. a. die entsprechenden Figurengedichte von ▪
Theodor Kornfeld (1636-1698) und
von ▪ Johann Helwig (1609-1674) dar. Die Sanduhr ist gattungsübergreifendes
und weitverbreitetes Motiv in der Bildsprache des Barock in Wort und
Bildern, da es die Erfahrung der verrinnenden Zeit veranschaulicht und damit
auf eines der Lebensgefühle verweist, die wohl viele Menschen in dieser Zeit
mit allen ihren existentiellen Bedrohungen (Krieg, Seuchen, Krankheit)
erlebt haben.
Im Grunde thematisiert es mit dem darin gestalteten ▪
Vanitas-Motiv die Vergänglichkeit und die Nichtigkeit aller Dinge des
menschlichen Daseins, wie dies auch in den bekannten ▪
Sonetten von ▪
Andreas Gryphius (1616-1664) wie z.
B. ▪
Es ist alles
eitel, ▪
Einsamkeit, oder ▪
Ebenbild unseres Lebens zum Ausdruck gebracht wird.
"Unweigerlich führt das Leben zum Tod, der graphisch im Zentrum des
Zeitglases steht." (Niefanger
2012, S.114) So kann man, wie Niefanger meint, die Lehre des Gedichts
auf der einen Seite im carpe diem, der Aufforderung also jeden Tag des
Lebens (sinnvoll) zu nutzen, und auf der anderen Seite, sich klug und
wachsam zu verhalten, denn dem, so die Botschaft, "der den Tag sinnvoll
nutzt, verlängert sich sein Leben." (ebd.)

Für
größere (740px)
oder große
Ansicht (1100px) bitte an*klicken*tippen!

Für
größere (740px)
oder große
Ansicht (900px) bitte an*klicken*tippen!
In der modernen Lyrik wird im Rahmen der sogenannten
»Konkreten
Poesie, die ihren Namen zu Beginn der 1950er Jahre erhalten hat,
die Art und Weise, mit Sprache und ihrer visuellen Gestaltung spielerisch
umzugehen, wieder aufgegriffen. Als eine "nichmimetische Sprachkunstform,
die von den materialen Eigenschaften der Sprache ausgeht, d. h. von der
verbalen, vokalen und visuellen Materialität des Wortes" (Dencker
2006, S.205) experimentiert sie auf ihre eigene Art und Weise mit der
Sprache. Dazu gehören vor allem akustische und visuelle Formen. Akustische
Formen ordnen die von ihr verwendeten sprachlichen Bausteine eines Texts
nach klanglichen Prinzipien. Visuelle Formen experimentieren bei ihrer
Lösung der sprachlichen Elemente von ihrem Sinn mit dem äußeren
Erscheinungsbild eines Textes als Textgrafik, die zur Aussagegestaltung
verwendet wird.
Zu den visuellen Formen zählen z. B. das
»Ideogramm und die Konstellation (»Eugen
Gomringer, geb. 1925), das Dialektgedicht (Wiener Gruppe), das
»Palindrom (z. B.
»André
Thomkins, 1930-1985),
»Piktogramme
(z. B.
»Claus
Bremer, 1924-1996), Raumgedichte (z. B.
»Pierre
Garnier, 1928-2014). Dabei dient die Sprache allerdings nicht mehr dazu,
einen Sachverhalt zu beschreiben, einen bestimmten Gedanken oder eine
Stimmung auszudrücken, sondern steht selbst im Mittelpunkt des Gedichts. In
gewisser Weise stellt sich die Sprache in einer besonders artifiziell mit
ihren einzelnen Wortbestandteilen und der sprachbildlichen Erscheinung
dadurch selbst dar. Die Sprache verweist also nicht auf Welt. Es gibt also
kein "Gedicht über“, sondern nur noch eine Realität des sprachlichen
Produkts an sich."( Seite "Konkrete Poesie". In: Wikipedia, Die freie
Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 10. April 2021, 11:31 UTC. URL:
https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Konkrete_Poesie&oldid=210776767
(Abgerufen: 12. Juni 2021, 17:42 UTC)
Stärker als lässt sich die moderne visuelle Poesie, "die auch als eine
Art Fortentwicklung" (ebd.)
der Konkreten Poesie angesehen werden kann, in eine lange Tradition
eines freien Umgangs mit dem Wort stellen, Solche Visualisierungen von
Texten gibt es schon seit der griechischen und römischen Antike und in der
karolingischen Renaissance, ehe sie in den barocken Bilder- und
Figurengedichte erscheinen. Und heute gibt es eine Vielzahl von freien
Textbildern. Unterscheidet man die spätere Visuelle Poesie von der Konkreten
Poesie, dann geht es bei der ersteren um "die wechselseitige Beziehung von
bildender Kunst, von Bild und Text, von figurativen und semantischen
Elementen, die Verbindung beider Kunstformen im intermedialen Raum, die
sensible Reaktion auf Mitteilungen der Umwelt jedweder Form, das
Sammelbecken für wichtige Erkenntnisse aus Collage, Concept-Art, Konkreter
Kunst, verschiedener Varianten von Realismusvorstellungen, Spurensicherungen
und allen denkbaren Spielarten logischer Sprachführung." (ebd.,
S.206)
Die Visuelle Poesie steht dabei auch in einer dynamischen Beziehung zur
Entwicklung der modernen Medienlandschaft, von deren audiovisuellen und
multimedialen Möglichkeiten sie zahlreiche Impulse empfangen hat und weiter
empfängt. Von den neuen medialen Möglichkeiten haben die maßgeblichen
Vertreter der Konkreten Poesie wie z. B.
»Eugen
Gomringer,
»Heinz
Gappmayr (1925-2010),
»Ernst
Jandl (1925-2000) oder
»Helmut
Heißenbüttel (1921-1996) allerdings keinen Gebrauch gemacht oder haben
sich literarisch anders orientiert. (vgl.
ebd.,
S.206)

Für
größere Ansicht (740px) bitte an*klicken*tippen!
Ein Beispiel für das Spiel
mit der Sprache als visuelle Poesie kann ▪
ichduwirduich von ▪
Jens Ludwig dienen, das die
zunehmende Individualisierung und Singularisierung des Einzelnen in der
Gesellschaft thematisiert. Eine einfache ▪
ichduwirduich - Multimediaversion
zeigt, wie heutzutage nahezu jeder die Möglichkeiten zur Gestaltung
visueller Poesie nutzen kann.
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
26.01.2022